Sopha Selbsthilfe

Aktuell (Archiv 2010-Q4)

27.12.2010 :: Hemmung oder Nicht-Können?

Bei Sozialphobie ist es wichtig, zu unterscheiden, ob man etwas nicht kann oder ob eine Hemmung blockiert. Beides ist möglich. Manche sagen z.B. in Rollenspielen: "Hier kann ich alles, weil ich mich hier sicher fühle." Und sie kommen in der Tat mit unterschiedlichsten Szenen gut klar. Anderen fehlt es hingegen an echten Handlungsalternativen, sie können in Rollenspielen neue Verhaltensweisen erlernen. Hier fehlt es also an Wissen, Fähigkeiten und an Möglichkeiten.

Für die persönliche Entwicklung ist es wichtig zu wissen, ob man auf Grund einer Hemmung etwas nicht kann. Oder ob der Grund ein echtes Nicht-Können ist. Beides braucht ganz andere Herangehensweisen.

Manchmal kann Nicht-Können auch zu Hemmungen führen. Wenn jemand es z.B. für völlig undenkbar hält, in einer Rede einen Black-Out zu bekommen, dann kann die Angst davor so groß werden, dass schon deshalb eine Hemmung entsteht. Die Hemmung entsteht, weil man keine Handlungsalternative bei einem Black-Out kennt. Dabei fällt es manch einem geübten Sprecher sehr leicht, auch mit einem Black-Out geschickt umzugehen. Wer Handlungsalternativen auch bei solchen Situationen kennt, den beunruhigt diese Vorstellung gar nicht mehr. Und wer in dieser Hinsicht gelassen sein kann, gerät nicht in eine Hemmung.

Hemmung setzt eine Angst voraus. Es gibt diesen schönen Spruch: "Eine Prüfung prüft das, was die Angst übrig gelassen hat." Bei Hemmungen gilt es also, seine Ängste näher zu erkunden. Nicht selten sind es viel zu hohe Ansprüche an sich selbst und damit die Angst vor dem Versagen. Es macht einen großen Unterschied, ob man sich sagt: "Ich muss das unbedingt sehr gut machen!" oder ob man sich sagen kann: "Gut vorbereitet bin ich, jetzt vertraue ich dem, was auch immer kommen mag." Viele Situationen kann man entspannter sehen, wenn zuvor auch die Möglichkeit angenommen werden kann, zu scheitern. Und vieles muss auch nicht super gut laufen, hinreichend gut genügt.

-- Fred

27.12.2010 :: Entwicklung will das, was man ablehnt

Manchmal blockiert man sich selbst in seiner Entwicklung. Ein Beispiel: Ein Betroffener verachtete Menschen, die oft im Mittelpunkt stehen und extrovertiert sind. Er lehnte diese Art zu sein immer stärker ab. Solche Verhaltensweisen wollte er auch an sich nicht wahrnehmen. Und so blieb er deshalb immer im Hintergrund, mischte sich nirgendwo ein, wurde nirgendwo spürbar. Keiner wusste, was er erlebte, was er dachte, was für eine Meinung er hat und was er fühlte.

Nach genauerer Analyse wurde klar, dass die Ablehnung dieser Eigenschaften daher rührte, dass die extrovertierten Menschen ihn oft dominiert haben und sich breit machten und er zurückstecken musste. Extrovertierte Menschen haben ihm das Leben schwer gemacht. Das löste Wut aus. Und diese Wut richtete sich mit der Zeit gegen alles, wo sich Menschen zeigen und spürbar werden.

Nach genauerer Betrachtung verstand er, dass dies ein Irrweg ist. Denn er blockierte sich auch in seiner Lebendigkeit. Auch in ihm war eigentlich die Lust, sich zu zeigen und auch mal im Mittelpunkt zu stehen. Das zuzugeben, war natürlich schwer und brauchte zahlreiche Therapiestunden. Richtig war vielmehr: Der eigentliche Ärger gehört woanders hin. Wenn andere mir nicht genug Raum geben, dann geht es mir nicht gut. Ich muss dafür sorgen, dass auch ich genügend Raum bekomme und spürbar werde.

Daraus ergab sich dann eine ganz andere Entwicklungsrichtung. Anstatt mit Ärger gegen bestimmte menschliche Eigenschaften zu kämpfen, ging es nun darum, genau diese Eigenschaften in sich zu stärken. Es ist nicht verkehrt, wenn Menschen lebendig sind, es ist nicht verkehrt, die eigene Lebendigkeit zu fördern. Es ist lediglich ein Balance-Problem, jeder braucht genügend Raum für sich. Das richtige Maß ist entscheidend.

Wenn wir die falschen Schlussfolgerungen aus unseren Erfahrungen ziehen und nicht tief genug schauen, können wir uns in der eigenen Entwicklung blockieren. Dann treffen wir Entscheidungen, die niemals zu einem glücklichen und sinnerfüllten Leben führen werden. Es sind Irrwege und Sackgassen. Meist sind solche Entscheidungen unbewusst und eben daraus entstanden, die Zusammenhänge nicht wirklich erkannt zu haben. Dann verwenden wir unsere Kraft unzweckmäßig.

Das, was man ablehnt, kann manchmal der größte Lehrmeister sein. Mit allem, was man ablehnt, ist man irgendwie verstrickt. Weil Ärger und Wut uns stark in unseren geistigen Fähigkeiten einschränken und eng machen, findet man hier ganz oft Irrtümer, falsche Schlussfolgerungen und falsche Vorstellungen. Es braucht ein neues Verständnis, damit die eigene Kraft wieder zweckmäßig für die eigene Entwicklung eingesetzt werden kann.

Hilfreich kann auch sein, in Phantasie mal zu ergründen, was ein Ärger wirklich möchte. Was bräuchte es, damit dieser Ärger sich beruhigt und völlig zufrieden wäre? Im obigen Beispiel hätte der Betroffene vielleicht gesagt: "Ich möchte, dass niemand mehr im Mittelpunkt steht. Alle sollen sich zurückhalten." Hier wird dann schnell offensichtlich, dass daraus eine sehr langweilige Selbsthilfegruppe entstehen würde, in der keiner mehr was sagt. Ergründet man so seinen Willen und denkt ihn mal zu Ende, erkennt man, ob schlussendlich was Gutes und Sinnvolles bei heraus kommt. Und selbst dann, wenn etwas Sinnvolles dabei heraus kommt, muss man sich fragen, ob das realistisch und lebbar ist. Ideen müssen auch realisierbar sein mit den Menschen, die uns umgeben.

-- Fred

25.12.2010 :: Darüber hinauswachsen

Wir haben immer wieder Modelle, wie wir die Welt verstehen. Modelle sind vereinfachte Ideen darüber, wie die Dinge sind. Doch Modelle können nie die Wirklichkeit als Ganzes abbilden. Manchmal funktionieren sie nur aus einem ganz bestimmten Blickwinkel, um etwas zu verdeutlichen. Modelle darf man deshalb nur als Hilfsmittel sehen und muss sie wieder loslassen, um darüber hinauswachsen zu können.

Mir ist das gerade beim Thema "Aussöhnung mit dem inneren Kind" bewusst geworden. Diese therapeutische Richtung geht davon aus, dass man seine Eltern verinnerlicht hat und auch das Kind, was man einmal war. Und so kann man tatsächlich Dialoge in sich initiieren, die zwischen diesen beiden Teilen entstehen. Ziel der heilsamen Auseinandersetzung damit ist, einen guten inneren Erwachsenen in sich auszubilden. Und auch problematische Kindanteile zu integrieren.

So interessant und praktikabel dieser therapeutische Ansatz ist, ich hatte auch immer etwas, was mich daran störte. Ich konnte es aber lange nicht benennen oder für mich klar bekommen. Eine wichtige Aussage, die ich vor 10 Jahren von einem integralen Psychotherapeuten dazu hörte: "Sie müssen sich die Sache mit dem inneren Kind und inneren Erwachsenen als Modell vorstellen, mit dem wir arbeiten. Wir haben da nicht wirklich ein Kind in uns." Irgendwie lies mich das nicht mehr los, auch wenn ich es noch nicht so richtig einsortieren konnte. Widersprach es doch auch dem, was ich in manchen Büchern dazu gelesen hatte, die fest der Überzeugung waren, dass es dieses innere Kind genau so in uns gibt, Zeit unseres Lebens.

Mittlerweile ist mir die Sache klarer: Die ersten Lebensjahre sind sehr prägend. Und in dieser Zeit erleben wir uns als Kind. Und da gibt es Eltern, die mit uns in Kontakt sind. Jeden Tag dieser Kindheit. Diese Erfahrung verinnerlicht sich und die dort erlernten Interaktionsmuster setzen sich später im Leben fort. Wie man als Kind erlebt und gefühlt hat, bleibt Teil unserer Erfahrung. Und auch die Art und Weise, wie wir behandelt wurden, bleibt in uns lebendig. Sich dies anzuschauen, es zu begreifen und sinnvoll zu verändern, erscheint mir sinnvoll.

Wir können aber auch über all das hinauswachsen. Es braucht nicht diese innere Spaltung zwischen Kind und Erwachsener, wir können etwas jenseits dieser Vorstellung erleben und gestalten. Wir müssen nicht alles weitere in unserem Leben in Kind und Erwachsener aufspalten, um nach diesem Muster zu leben.

Das wurde mir bewusst, weil ich in mir Anteile spüre, die erst im Erwachsenenalter entstanden sind. Da taucht kein Kind und kein Erwachsener auf, sondern ich erlebe mich als eine Person, die abwägt, entscheidet, nach Sinnvollem sucht usw.

Und nicht nur das: Wir können auch frühe Kindheitserfahrungen transformieren und auf einer neuen Ebene erleben. Erfahrungen der Kindheit können jetzt als Erwachsener nochmal neu angeschaut und anders durchlebt werden. Ohne dabei innerlich ein neues Kind-Erwachsenen Spiel zu kreieren. Diese frühen Erfahrungen müssen nicht an die damaligen Rollenmuster gebunden bleiben. Hat man sonst vielleicht bei Traurigkeit nur ein trauriges Kind in sich gespürt, kann man nun sich als erwachsener Mensch als traurig erleben.

Hier zeigen sich 2 Heilungswege auf: Der horizontale, wo man im System "Erwachsener-Kind" ein besseres Miteinander ausgestaltet und aushandelt. Und der vertikale, wo man aus diesem System gänzlich aussteigt und erkennt, dass sich jenseits dessen ein neuer Horizont auftut.

Viele Therapierichtungen hängen in ihrem System fest und versuchen nur horizontale Veränderungen. Sie können nicht über sich und ihr Bezugssystem hinauswachsen. Dieser Eigenart begegnet man bei allen Systemen. Sie haben die Tendenz, sich zu erhalten und wehren vertikale Veränderung ab. Das hat auch damit zu tun, das vertikale Veränderungen Angst machen und viel Mut brauchen. Man muss die feste und gewohnte Form verlassen, um nochmal ganz neu laufen zu lernen, in etwas, was größer und weiter ist, als das, was man kennt.

Ich glaube, es wäre sinnvoll, Klienten von vornherein so aufzuklären, wie der Therapeut es damals tat: Man kann eine Vorstellung als experimentellen Bezugsrahmen benutzen, der durchaus auch seine Gültigkeit und seine Realität hat. Es ist gut, mal aus der Idee eines "inneren Kindes" und eines "inneren Erwachsenen" zu agieren und die Konflikte hier kennenzulernen. Es sind Persönlichkeitsanteile, die uns viel begreiflich machen können. Und man kann Wege finden, einen guten Umgang damit zu finden. Es ist aber genauso wichtig, diese vorläufige Vorstellung auch wieder loszulassen, um darüber hinauswachsen zu können. Leider sind manche Therapien so von sich überzeugt, dass sie gar nicht erkennen, dass jenseits ihrer Vorstellung sich eine ganz neue Welt auftut.

Der vertikale Weg muss immer offen bleiben. Jedes Konzept ist begrenzt und man kann darüber hinauswachsen. Wenn man die Krücken nicht mehr braucht, schmeißt man sie weg. Oder wie es im Zen heißt: "Der Glaube ist wie ein Boot, mit dem du den Fluß überquerst. Es wäre dumm, am anderen Ufer dein Boot weiter mit dir rumzuschleppen!"

Über etwas hinauswachsen muss nicht bedeuten, dass alles Bisherige ungültig wird. Es bekommt vielmehr eine neuen Platz und eine neue Bedeutung in einem größeren Bezugsrahmen.

-- Fred

23.12.2010 :: Gedanken benennen

Unser Leben wird viel davon bestimmt, was wir denken. Der Zugang zu den eigenen Gedanken ist eigentlich relativ leicht. Wir müssen nur achtsam beobachten, was gedanklich gerade im Moment abläuft. Mit etwas Übung erkennt man das immer besser.

Interessant ist es, seine sorgenvollen und ängstlichen Gedanken kennenzulernen. Denn diese belasten einen und führen zu Leid. Wenn man von diesen Gedanken lassen könnte, würde es einem bedeutend besser gehen.

Doch kann man Gedanken einfach so loslassen? Manche behaupten ja, man müssen nur trainieren, negative Gedanken zu verbannen und stattdessen durch positive Gedanken ersetzen.

Ich glaube, das ist zu kurz gedacht. Gedanken sind keine abgetrennte Erscheinung, sie sind vielmehr mit unserem ganzen Sein verbunden. Sie können einen tieferen Grund haben und damit einfach nur Ausdrucksform von etwas, was tiefer sitzt. In etwa so, wie die Motor-Warnleuchte im Auto uns signalisiert, dass mit dem Motor etwas nicht stimmt. Hier wäre es dumm, einfach diese Warnleuchte abzuklemmen.

Es gibt aber auch den anderen Fall: Die Motor-Warnleuchte ist an, obwohl der Motor in Ordnung ist. Man könnte es als eine Fehlwahrnehmung des Meldesystems beschreiben.

Beschäftigt man sich näher mit seinen Gedanken, so fallen einen ähnlich gelagerte Fälle auf. Manche Gedanken sind Wegweiser zu einer tieferen Problematik, die verstanden werden will. Andere Gedanken können relativ schnell als fehlerhaft oder unzweckmäßig erkannt werden.

Ich erinnere mich an eine Frau, die in der Selbsthilfegruppe erstmal der festen Überzeugung war, alle denken schlecht über sie. In dem Moment, wo man sie ansprach, kam sie auf einmal ins Reden und fühlte sich dann viel mehr verbunden mit den anderen. Und dann waren auf einmal auch diese Gedanken völlig weg, dass die anderen schlecht über sie denken. Sie musste immer erst über das Reden in Kontakt mit den anderen kommen, um dann in realistischere Gedanken zu kommen. Hier zeigt sich auch, wie stark Gefühle, Erinnerungen, alte Muster und Gedanken miteinander verwoben sind.

Ein erster guter Schritt, seine Gedanken zu erkunden, ist das Benennen. Durch das Benennen identifiziert man sie und gibt ihnen eine kurze Bezeichnung - ein Etikett. Beispiel: Ich erkenne, dass ich gedanklich schon das Vorstellungsgespräch in einer Woche sorgenvoll durchgehe. Sobald es mir auffällt, was ich da gerade denke, benenne ich es: "Gedanken über Vorstellungsgespräch".

Es ist gut, sich diese Gedanken-Etiketten aufzuschreiben. So identifiziert man mit der Zeit, womit man sich besonders oft beschäftigt. Man kann sich auch täglich eine halbe Stunde Zeit nehmen und einfach beobachten, was an Gedanken kommt. Sobald ein neuer Gedanke auftaucht, schreibt man sich das Etikett dazu auf.

Wenn man mit der Zeit ein wenig den Überblick bekommen hat, was so für Gedanken auftauchen, kann man sich mit einzelnen Gedanken näher beschäftigen. Es geht darum, sie zu verstehen und zu ergründen. Aus diesem Verständnis heraus entstehen Veränderungen.

Gedanken kann man als einen Zugangsweg begreifen, sich als Ganzheit zu verstehen. Weil die Ganzheit sehr komplex ist, halte ich es für wichtig, hohen Respekt vor allen Gedanken zu haben. Sie haben oft ihren Sinn, auch wenn oberflächlich betrachtet Gedanken unstimmig, unlogisch oder lächerlich erscheinen. Verständnis und Einfühlung ist wichtiger, als schnelle Bewertung und Beurteilung.

An dem Punkt ist es auch sehr hilfreich, Menschen um sich zu haben, die darin geschult sind, innere Geschehen zu begreifen und sinnvolle Wege zu erkennen. Therapeuten und Selbsthilfegruppen können hier hilfreiche Impulse geben. In Büchern findet man Anregungen, um ein tieferes Verständnis über innere Prozesse zu gewinnen.

-- Fred

21.12.2010 :: De-Identifikation

Um die Deidentifikation oder Desidentifikation zu verstehen, ist es gut, sich erstmal die Identifikation anzuschauen. Wir identifizieren uns mit ganz vielen Dingen. Selbst mit Diagnosen kann man sich identifizieren, ich höre z.B. immer mal wieder die Formulierung: "Ich als Sozialphobiker..." Der Beruf eignet sich auch ganz gut, man sagt dann, ich bin Bauer, ich bin Bäcker, ich bin Techniker, ich bin Krankenschwester.

Zur Identifikation gibt es ein interessantes Experiment. Der Übungsleiter legte in die Mitte eine Zeitung. Die Gruppe, die rundherum saß, führte er langsam mit Suggestionen in die Vorstellung, sie wären selbst diese Zeitung. Sie sollten sich also vorstellen, wie sie da liegen, welche Farben sie haben, wie viele Seiten sie umfassen usw. Die Gruppenmitglieder beschäftigen sich also in der Vorstellung viel damit, diese Zeitung zu sein. Nach vielleicht 15 Minuten bewusster Identifikation sprang der Übungsleiter auf und trampelte heftig auf der Zeitung herum. Die Reaktionen waren spannend: Entsetzen, Ärger, Wut und Aggression entstanden. Manche fühlten sogar körperlichen Schmerz, so als hätte man sie selber getreten.

So abstrus das im ersten Moment klingt, so typisch ist es doch, wenn man sich Alltags-Situationen mal anschaut. In Dortmund kann es schon gefährlich werden, wenn man in der Fußgängerpassage "Scheiß BVB!" schreit. Es gibt genügend Leute, die sind so identifiziert mit diesem Fußballverein, dass sie einen Angriff darauf so empfinden, als würde man sie selber angreifen. Auch Markenartikel sind ein Inbegriff dafür, wie man sich identifizieren kann. Manche Menschen definieren sich stark darüber, mit welchen Marken sie sich verbunden fühlen. Marken stehen oft auch für ein Lebensgefühl, mit dem man sich verbunden fühlt.

Identifizieren kann man sich mit allem möglichen: Man Gegenständen, Meinungen, Menschen, Gefühlen, Gedanken, Weltbildern, Überzeugungen, Philosophien, Malern, Dichtern, Idealen usw.

Einige spirituelle Traditionen sagen, dass so erst das Ich entsteht. Das Ich ist in dem Sinne nur eine Ansammlung von Identifikationen. Und sie sagen weiter, dass damit das Ich gar nicht existiert, es ist nur eine Illusion, genauso, wie wir in Wirklichkeit nicht diese Zeitung sind, auf der rumgetrampelt wird. Es ist nur eine Gedankenformation, eine Vorstellung, mehr nicht. Das, was das Ich ausmacht, sind aber gut verinnerlichte Vorstellungen, die wir dadurch zu etwas Eigenem gemacht haben.

Irgendwie hat etwas in uns seinen Spaß daran, sich mit Dingen zu identifizieren und dann zu meinen, man wäre das. Es passiert ganz unbewusst und von alleine. Es ist ja auch schön, identifiziert zu sein. Gewinnt der "eigene" Fußballclub, fühlt man sich großartig. Man fühlt sich so, als hätte man selber gewonnen.

Identifikation schafft aber auch Probleme. Mit allem, mit dem wir uns identifizieren, sind wir auch im negativen Sinne verbunden, dann leiden wir mitunter fürcherlich. Letztens erzählte jemand in der Gruppe, dass sein Vater mehrere Tage völlig gereizt und aggressiv war, wenn der BVB mal verlor. Für ihn war das genauso, als hätte er eine persönliche Katastrophe erlebt.

Jetzt gibt es aber auch die Erlösung, zu der wir Menschen fähig sind. Wir können Identifikationen wieder lösen, können Abstand schaffen. Manchmal passiert das sogar automatisch. Die Zeit schafft Abstand, was einem im Moment noch sehr wichtig ist, ist in 2 Monaten völlig unwichtig geworden. Manchmal kann man gar nicht verstehen, warum einem irgendwann etwas so bedeutsam war.

Deidentifikation kann man auch ganz bewusst üben. Ein sprachliches Mittel, mit dem man experimentieren kann ist die Formulierung: "Ich habe ..., aber ich bin nicht ..." Beispiel: "Ich habe einen Gedanken, aber ich bin nicht dieser Gedanke." oder "Ich habe ein Gefühl, aber ich bin nicht dieses Gefühl." Das ist eine sehr bedeutsame Veränderung. Wenn man den Gedanken hat: "Es wird bestimmt gleich was schlimmes passieren.", dann meint man, das wäre so, wenn man mit dem Gedanken vollständig identifiziert ist. Wenn man sich deidentifiziert, kann man sagen: "Es ist lediglich ein Gedanke, der in mir auftaucht. Ich kenne diesen Gedanken, der kommt öfters mal. Meine Erfahrung ist aber auch, dass der nur selten zutrifft und nicht viel mit der Realität zu tun hat." Das sind übrigens Veränderungen, die auch typisch in Therapie angestoßen werden.

Deidentifikation ist ein vertikaler Ausstieg, ein Darüber-Hinaus-Wachsen. In diesem Prozess kann man sich dann auch Gedanken darüber machen, wie es zu dieser Identifikation kam, warum ich mich so verbunden fühle mit solchen Gedanken. Was hat dieser Gedanke für eine Bedeutung in meinem Leben und warum hat er sich an meine Fersen geheftet?

Deidentifikation führt auch direkt dahin, zu erkennen, dass man viel mehr ist. Man ist kein "Sozialphobiker", man ist ein Mensch mit allen möglichen Vorstellungen, Fähigkeiten und Empfindungen. Und man kann auch morgen etwas anderes sein.

Identifikationen suchen sich meist abstrakte Begrifflichkeiten, wie z.B. den Begriff "Sozialphobie". Das lässt sich so schön wiederholen. Jedes mal, wenn da eine Angst kommt, sagt man sich wieder: "Ja, das ist meine Sozialphobie." Und je öfters man das wiederholt, um so mehr glaubt man, dass man ein Sozialphobiker ist.

Um dieser Illusion zu entrinnen, sollte man besser konkret und genau bei dem bleiben, was man gerade erlebt. Viele Therapeuten achten auch auf eine konkrete Sprache und fordern z.B. auf: "Was bedeutet das eigentlich genau, wenn sie von Sozialphobie sprechen? Wie fühlt sich das genau an?" Ein provokativer Therapeut sagte mal zu einem Betroffenen: "Wie sind sie sich eigentlich so sicher, dass das Angst ist? Vielleicht ist das ja Freude!"

Auch in der Selbsthilfegruppe kann man üben, konkret bei der Erfahrung zu bleiben. Genau zu beschreiben, was man in einer Situation erlebt hat. Das hat noch einen weiteren positiven Effekt: Wir lernen uns immer besser und genauer kennen. Angst ist nicht gleich Angst, es geht vielmehr darum, die Unterschiede zu erkennen. Es wäre nicht da erste mal, dass jemand so neben der Angst auch noch andere Gefühle entdeckt: Wut, Ärger, Trauer, Ohnmacht oder auch Freude.

Wenn wir wirklich viel mehr sein können, als unsere Identifikationen, ist das nicht sehr hoffnungsvoll? Jenseits des jetzigen Ich gibt es noch eine Menge Erfahrungsräume.

-- Fred

19.12.2010 :: Mangel an Herzlichkeit

Ich war letztens auf einer Weihnachtsfeier und erlebte dort, wie Menschen sich darum kümmern, andere einzubeziehen. Ich stand alleine an einem Stehtisch und es dauerte keine Minute, da war jemand da und gesellte sich zu mir. Er machte es mir so leicht, mich zugehörig zu fühlen. An dem Abend kam bestimmt fünf mal, als ich etwas alleine stand, jemand zu mir. Ich glaube, das war einfach eine soziale Intuition der Menschen, die spürten, dass es da jemanden gerade gut tun könnte, wenn man mal Kontakt mit ihm macht. So achtete jeder ein wenig auf den anderen.

Menschliche Bedürftigkeiten zu erspüren und dann hilfreich zur Seite zu stehen, ist eine wertvolle soziale Fähigkeit. Es ist auch eine kulturelle Errungenschaft, die wir fördern sollten.

Was mir im Nachhinein auffiel: In unseren Gruppen fehlt öfters mal diese hilfreiche Zuwendung. Einerseits ist dies direkt verständlich: Menschen, die sozial ängstlich sind, halten sich lieber zurück und bleiben passiv. Zuwendung würde bedeuten, dass man auf einen anderen zugeht und sich mit ihm unterhält. Hier wird also einerseits etwas Unangenehmes vermieden, andererseits jemand, der Hilfe bräuchte, wird allein gelassen. Die sozialen Ängste sorgen für einen Mangel an herzlicher Zuwendung.

Ich erinnere mich an einen Wander-Ausflug, bei der eine Person etwas herausfiel und etwa 20 Meter hinter den anderen ging. Vermutlich aus einer Angst heraus haben sich gleich anfangs der Wanderung kleine Grüppchen gebildet. Jeder suchte sich schnell die Gesprächspartner, mit denen er irgendwie klar kam und die er schon besser kannte. Und blieb dann auch über die ganze Wanderung in dieser Konstellation. Keiner bekam mit, dass da jemand alleine blieb, jemand den keiner so gut kannte. Keiner wendete sich dieser Person zu. Das war ein typischer "Sozialphobie-Unfall", der das Problem verdeutlicht.

Ich halte es deshalb für sehr wichtig, dass wir uns darum bemühen, wieder mutig Mitmenschlichkeit zu praktizieren. Nicht die Angst mit ihrem Vermeidungsverhalten soll gewinnen, sondern der Mut und die Hinwendung zu anderen Menschen. Es geht darum, seine antisozialen Angewohnheiten zu erkennen, die natürlich erstmal verständliche Ursachen haben. Dann aber darüber hinauszuwachsen, den Mut aufzubringen und Dinge zu tun, die zu mehr Menschlichkeit in der Gruppe führen.

Es geht darum, seinen Blick zu weiten und zu erfühlen, was andere Menschen brauchen. Sich nicht darauf zu verlassen, dass sich schon jemand anderes finden wird. Es stattdessen als eine eigene Übungsaufgabe anzunehmen, auch wenn es sich erstmal unangenehm anfühlt. Das bedeutet im Grunde, Verantwortung für den Moment zu übernehmen und zu spüren, wann ich als Mensch gebraucht werde.

Ein wichtiges Übungsfeld bleiben diese Situationen, wo Menschen sich in unserer Gruppe noch fremd fühlen. In die offene Gruppe kommen ja regelmäßig neue Betroffene und hier lässt sich immer wieder üben, Kontakt zu machen und hilfreich zur Seite zu stehen.

Der Nutzen hierbei ist groß: Man lernt selber ein sozial wertvolles Verhalten, was einem immer und überall zugute kommt, wenn man mit Menschen zusammen ist. Es hilft auch, dass Menschen einen annehmen und einen mögen. In der Gruppe hilft es, dass sich alle wohler fühlen. Und es ist eine typische Sozialphobie-Übung, nämlich das zu tun, was man sonst aus Angst und Unwohlsein eher vermeidet. Wenn durch Übungen mehr Menschlichkeit entsteht, dann gibt einem das doch eine ganz besondere Motivation. Man bekommt ja auch direkt etwas zurück, man spürt, wie ein Mensch aufatmet und sich wohler fühlt. Man erkennt, dass man in diesem Moment für diesen Menschen wertvoll war. Man erkennt so seinen Selbst-Wert und seine positive Selbst-Wirksamkeit.

Antisoziales Verhalten könnte man als Schattenseite der eigenen Angsterkrankung beschreiben. Sich mit seinen Schattenseiten auseinanderzusetzen ist wichtig. Man muss sich hier davor hüten, sich zu verurteilen oder abzuwerten, weil das nur zu Verdrängung und Schuldgefühlen führt. Es geht darum, einerseits Verständnis für sich zu haben, gleichzeitig aber auch Mut und Energie aufzubringen, was Hilfreiches auszuprobieren. Der große Sinn dieser Übung, die sich so positiv auf alles auswirkt, kann dabei eine große Motivation werden.

Es lohnt sich, die Welt etwas menschlicher zu machen.

-- Fred

18.12.2010 :: Irrtu(r)m

Letztes fand ich in der Kontaktstelle für Selbsthilfe ein recht interessantes Buch unter dem Titel Irrtu(r)m. Hier schreiben Menschen mit Psychiatrieerfahrung über ihr Leben. Neben Erfahrungsberichten gibt es auch anregende Gedichte, besinnliche Texte und Bilder.

Im Internet findet man die Initiative hier: http://www.irrturm.info

Dort kann man auch das aktuelle Buch und die Bücher der vorherigen Jahre bestellen.

-- Fred

17.12.2010 :: Vom "müssen" und "wollen"

Ich erinnere mich an einen Therapeuten, der mich öfters korrigierte. Wenn ich sagte "Ich muss", sagte er: "Sagen Sie mal stattdessen: Ich will". Später erlebte ich auch andere Therapeuten, die mit diesem Ansatz arbeiteten. Ich finde die Auseinandersetzung mit müssen und wollen sehr interessant und nützlich. Es hat mich verändert.

Das Wort "müssen" ist schon sinnvoll. Es gibt zahlreiche Dinge im Leben, die keinen Spaß machen, die eher eine notwendige Pflicht sind. Könnten wir darauf verzichten, würden wir es tun. Ein "ich muss" steht oft im Konflikt zu meinem Willen und das schafft Probleme. Ich will etwas anderes, aber meine Umwelt diktiert mir irgendwas auf, was ich tun muss. An dem Punkt kann ein Kampf zwischen dem eigenen Willen und dem Müssen entstehen. Und dieser Kampf ist ganz oft zermürbend und selbstzerstörerisch. Viel Kraft wird in diesem Konflikt vergeudet.

Wenn man es genau betrachtet, ist es oft anders. Wenn ich im Winter morgens mit dem Auto fahren will, muss ich die Scheiben vom Eis befreien. Das ist keine schöne Arbeit, das will ich eigentlich nicht. Aber wenn ich es nicht will, warum mache ich es dann? Weil ich mit dem Auto zur Arbeit kommen muss. Wenn ich auch das nicht will, warum mache ich es? Weil ich ja schließlich Geld zum leben brauche! Und hier sind wir schon beim "Ich will" angekommen. Ich will ein bestimmtes Leben führen und dazu braucht es das Geld, was ich durch meine Arbeit verdiene.

Sogesehen führt jedes "Ich muss" schlussendlich zu einem "Ich will". Der Weg zu dem, was ich will, ist gepflastert mit Notwendigkeiten. Nur wenn ich diese Notwendigkeiten erfülle, erfüllt sich das, was ich will. Und das fühlt sich dann ganz anders an, denn ich kann sagen: "Ich will dies, das ist meine freie Entscheidung. Und dies ist nur zu bekommen, wenn ich ein paar Notwendigkeiten auf mich nehme. Auch hier bin ich frei in meiner Entscheidung, ob ich diesen Preis zahlen werde. Wenn ich aber Ja dazu sage, dann habe ich die Notwendigkeit angenommen und brauche auch nicht mehr dagegen zu kämpfen."

Es ist sehr hilfreich, die Dinge tiefer zu prüfen, die man in seinem Leben tun muss. Damit man heraus kommt aus einer Opferhaltung, heraus aus Wut und Ärger und sinnlosem Kampf. Wenn man dies nicht genau prüft, erkennt man nicht den Irrtum darin: Das ich eigentlich etwas will, aber nicht bereit bin, den Preis dafür zu zahlen.

Dinge, die man als notwendig eingesehen hat, lassen sich viel besser bewältigen. Man übernimmt Verantwortung dafür, schafft eine innere Klarheit. Umgedreht kann man sich auch bewusst gegen etwas entscheiden, weil man Dinge wirklich nicht tun will. Dann muss man aber auch bereit sein, die Konsequenzen zu tragen. Es sei denn, man ist so kreativ und findet Wege, das eine zu bekommen, ohne das andere tun zu müssen. Wege, die auch vereinbar mit meinen Werten und meinem Weltbild sind.

Byron Katie hat in einem interessanten Video das Thema etwas provokativ aufgegriffen. Sehr inspirierend finde ich: http://www.thework.com/deutsch/video_druck.asp

-- Fred

16.12.2010 :: Gruppenangst

Die Angst, in Gruppen zu sprechen, ist eine Ausprägung von sozialen Ängsten. Sie ist recht weit verbreitet und betrifft auch viele Menschen, die sich ansonsten gar nicht als sozial ängstlich empfinden. Wie ist diese Angst zu verstehen?

Gruppen können sehr machtvoll sein. Ich erinnere mich an die Schulzeit, wie unangenehm es war, wenn man eine Gruppe geballt gegen sich hatte. Und Kinder können wirklich grausam gegeneinander sein. Wenn sich eine Gruppe erstmal einen Sündenbock herausgepickt hat, kann man spüren, was Angriffe und massive Ausgrenzung bedeuten. Das waren für mich einschneidende Erfahrungen, die mich lehrten, bloß nicht zur Zielscheibe einer Gruppe zu werden.

Wenn Jugendliche in Gruppen auftreten, fühlen sie sich oft überstark und enthemmt. Es kann sehr unangenehm werden, wenn man in den Aufmerksamkeitsbereich solcher Gruppen kommt und angepöbelt wird. Es kann auch schnell zu körperlicher Gewalt kommen.

Unangenehme Gruppenerfahrungen können schon ganz früh beginnen. Wenn man z.B. in den ersten Lebensjahren erstmal nur die Beziehung zu den Eltern kennt und dann in den Kindergarten kommt. Auf einmal ist die sichere Verbindung zu den bisherigen Bezugspersonen nicht mehr da und eine Gruppe steht einem Gegenüber. Die Integration in diese neue Erfahrung kann gut gelingen, kann aber auch gewaltig schief gehen. Eine anfängliche Zurückhaltung und Angst kann gleichzeitig Anlass werden, ausgegrenzt und zur Zielscheibe zu werden. Das führt zu noch mehr Angst und zu der Erfahrung, das Gruppen böse und gefährlich sind. So eine Situation kann sich immer mehr manifestieren und bestimmt dann auch alle späteren Gruppenerfahrungen. Ein Mensch, der durch seine Erfahrungen nur misstrauisch und reserviert in Gruppen gehen kann, wird schnell wieder zum Außenseiter, wenn es der Gruppe an Herzlichkeit und Integrationsvermögen fehlt.

Das Besondere an Gruppen ist auch die Unberechenbarkeit. Unterhält man sich mit einer Person, kann man seine Antennen dafür schärfen, wie der andere das aufnimmt, was ich sage. Erkennt man negative Stimmungen, kann man schnell einlenken, um die Stimmung zu verändern. Man kann die Reaktionen des Gegenüber beobachten und sich anpassen. Bei Gruppen, die eine gewisse Größe erreicht haben, gelingt das nicht mehr. Man kann nicht alle gleichzeitig beobachten und sich dann noch auf das konzentrieren, was man sagen will.

Hier zeigt sich, warum eine Selbsthilfegruppe gerade bei Sozialphobie sehr sinnvoll ist. Die Gruppe kann ein Lernfeld werden, in dem man Gruppe nochmal anders kennenlernt. Es geht darum, in kleinen Schritten Vertrauen zu entwickeln, sich auszuprobieren und sich einzubringen. Es geht darum, immer mehr die Erfahrung zu machen, dass man Teil einer Gruppe sein kann, sich darin wohlfühlt, sich verbunden fühlt und Wertschätzung erfährt.

In Gruppen, die einem wohlgesonnen sind, kann man mit mehr und mehr Erfahrung auch irgendwann von der Idee loslassen, man müsse jede Reaktion beobachten, um die Kontrolle über alles zu behalten. Man kann loslassen, kann einfach seine Meinung kundtun, im Vertrauen darauf, dass fair mit einem umgegangen wird. Dieses Loslassen lässt dann auch Energien freier fließen. Wo zuvor viel Gehemmtheit war und vieles nicht gesagt wurde, entsteht stattdessen eine große Lebendigkeit.

Menschen, die sich frei fühlen, dass zu sagen, was sie denken und fühlen, bringen das Eigene ein und stärken dies. Dies wirkt direkt auf den Selbstwert und schafft Selbstbewusstsein. So kann man sich erfahren und kennenlernen.

Wieder Vertrauen in Gruppen zu gewinnen, ist für viele keine einfache Lernerfahrung. Es braucht Zeit, um alte Wunden zu heilen. Es braucht Mut, um was zu riskieren. Und auch die eigene Wahrnehmung braucht eine Überprüfung. Was sind meine Befürchtungen und was passiert hier im Moment wirklich? Beides auseinanderzuhalten, ist manchmal sehr schwer.

Wer durch gute Gruppenerfahrungen gestärkt wird und seinen Selbstwert erfährt, kann auch in schwierigen Gruppen sinnvoller agieren, sich besser schützen und wirksamer sein.

-- Fred

14.12.2010 :: Unangenehme Gefühle beatmen

Unangenehme Gefühle wie Angst spürt man irgendwo im Körper. Es kann sein, dass man ein Druckgefühl im Bauch oder in der Brust spürt. Was macht man dann damit? In einer Klinik hab ich mal eine Übung kennengelernt, die ich auch heute noch gerne praktiziere. Man stellt sich dazu vor, dass man mit jedem Einatmen den Atem zu dieser Stelle im Körper hinschickt. Man atmet sozusagen zu dieser Stelle hin. Dieser Atem gibt dieser unangenehmen Stelle Kraft, Energie, löst Verkrustungen und Verkrampfungen.

Es ist wie mit dem Aufschütteln einer Bettdecke - Luft kommt hinein und alles wird aufgelockert. Festgebackene Gefühle lösen sich. Alles kommt wieder in Bewegung. Das Gefühl wird sanft von Luft umspült. Und mit jedem Ausatmen befördert man unangenehme Energien aus seinem Körper. Gelöste Verkrustungen werden so aus dem Körper ausgespült. Das ist wie ein richtiger Reinigungsprozess. Mit diesen Vorstellungen und Visualisierungen atmet man. Man kann auch eigene passendere Vorstellungen dazu entwickeln. Ein Therapeut kann einem helfen, sinnvolle Bilder zu finden.

So eine Atemübung kann man immer wieder mal machen und mit der Zeit bekommt man mehr Übung damit. Schon 2 Minuten können viel bringen. Gut ist, dass man sowas auch unterwegs machen kann, in der Bahn, bei einer Besprechung oder selbst im Gehen. Anfangs sollte man aber besser erstmal zu Hause in einer ruhigen und sicheren Umgebung üben.

Es ist wichtig, ruhig und tief zu atmen, am besten bis in den Bauch hinein. Bei Ängsten neigt man dazu, flach, schnell und oberflächlich zu atmen.

Zum Thema "Atemübungen" findet man mit Google viele Anregungen. Natürlich ist nicht alles, was man im Internet findet, auch sinnvoll. Es geht lediglich um eine Anregung, man muss selber herausfinden, was gut tut.

Weblinks:

-- Fred

12.12.2010 :: Geben und Bekommen

Wenn Leben gelingt, ist alles im Fluß. Wir geben etwas in die Welt und wir bekommen etwas zurück. Wir freuen uns aneinander und die Liebe ist das Prinzip, dass alles im Fluß bleibt.

Das Gegenteil von Liebe ist Angst. In dem Sinne, dass das, was durch Liebe fließt, ins Stocken gerät. Angst hält den natürlichen Fluß des Lebens auf. Auf ganz vielen Ebenen. Es gibt viele Formulierungen, die das ausdrücken: Gehemmt sein, sich eingefroren fühlen, gelähmt sein, sich ohnmächtig erleben, Stillstand, Langeweile, Abgespaltenheit, Einsamkeit, eine dicke Mauer um sich, nichts fühlen können, sich eng fühlen.

Bei Sozialphobie spürt man diese Störung des Flußes in Gesprächen. In der Gruppe kann öfters nicht auf das resoniert werden, was jemand sagt. Schweigende Pausen sind deshalb nicht untypisch. Oder man kann nur auf bestimmter Ebene resonieren - bei Sachinhalten zum Beispiel. Emotionale Resonanz hingegen ist oft gestört.

Manche können sich in Gruppengespräche nur selten einbringen. Das heißt nicht immer, dass sie nichts anspricht, aber die Energie fließt nicht natürlich wieder nach außen. Sie bleibt im Kopf des anderen und arbeitet sich dort in Phantasien und inneren Gesprächen ab. Oder es baut sich innerer Druck auf, den man im Nachhinein nur wieder schwer los wird. Gerade wenn Gefühle wie Wut und Ärger keinen Ausdruck finden, können diese sehr lange in einem weiter wirken.

In einer Gruppentherapie wurden wir immer wieder durch den Therapeuten aufgefordert: Bring es in Kontakt! Im Zentrum dieser Therapie stand, mit allem, was man denkt und fühlt, wieder mit anderen in den Austausch zu kommen. Auch wenn ich das anfangs sehr lästig und unangenehm empfand, kippte es irgendwann und wurde zu etwas, was ich als sehr sinnvoll erlebte. Ich begriff, wie oft ich eigentlich Dinge für mich behalte und mit mir ausmache, anstatt andere damit zu konfrontieren.

Genauso kann es sein, dass von allem Gesagten nichts ankommt. Die Trennung oder Blockade, die die Angst installiert, kann auf ganz unterschiedlichen Ebenen und Stellen entstehen.

Interesse, Neugier und Kreativität sind etwas, was Energie und Lebendigkeit in Fluß bringt. Diese sind gleichzeitig aber auch sehr anfällig für Angst. Aus diesem Grunde ist es schwer, Smalltalk zu halten oder zu flirten, wenn man gleichzeitig stärkere Ängste hat. Hier werden einem einfach die Hirnareale abgeklemmt, die für eine offene Lebendigkeit stehen. Umgedreht besteht der Sinn des Smalltalks auch darin, anfängliche Ängste und Unwohlsein abzubauen und zueinander zu finden - gemeinsam in Fluß zu kommen.

In Gruppen wird spürbar, wie Menschen sich einbringen oder nicht einbringen. Hier kann sich durch Angst über die Zeit auch antisoziales Verhalten entwickeln. Das Selbstbild von Angst ist geprägt von Mangel. Dieses Mangelerleben fördert dann Egozentrik - ich darf nichts mehr geben und muss alles nehmen, was ich kriegen kann. So isoliert man sich noch mehr und das vestärkt den eigentlichen Mangel. Auch wenn man oberflächlich betrachtet einen Nutzen erlebt. Die Angst heizt eine Dynamik an, die genau in die falsche Richtung führt.

Angst führt zu Blockaden, diese führen zu einem Mangelerlebnis, das führt zu der Idee, durch Egozentrik den Mangel auszugleichen, das führt zu noch mehr Trennung und Isolation.

Sich zu öffnen und wieder in eine gemeinsame Schwingung mit den anderen zu kommen, in denen jeder sich auch einbringt, das wäre die Richtung der Liebe. Doch hierfür muss man den falschen Mangelglauben aufgeben, dass man durch geben und sich einbringen ärmer würde.

Besonders schön ist es immer wieder zu erleben, wenn ängstliche Menschen einen Moment lang ihre Angst vergessen und ein sehr lebendiges Gruppengeschehen entsteht. Man fühlt sich wohl miteinander, angeregt durch die anderen, spürt Nähe und Verbundenheit. Ein Zustand, in dem auf einmal jeder satt wird und mitschwingen kann. Alles schwingt. Alle reiten auf einer Welle. Das ist es.

-- Fred

10.12.2010 :: Nasen betrachten

Ein Aufmerksamkeitswechsel ist recht nützlich, um neue Erfahrungen zu machen. Betroffene, die sich unter Menschenmengen unwohl fühlen, haben oft starre Verhaltensgewohnheiten, sich durch solche Menschenmengen zu bewegen. Aber auch wenn einem Menschenmengen nichts ausmachen, man kann einen neuen Blick entwickeln.

Ich bin letztens auf die Idee gekommen, mal bewusst auf die Nasen der Menschen zu achten. In der Phantasie hab ich mir vorgestellt, ich bin ein Nasenexperte immer auf der Suche nach interessanten Nasen-Exemplaren. Es ist irre komisch, wenn man so durch die Stadt läuft und seine ganze Aufmerksamkeit auf die Nasen hat, die einem begegnen. Lange Nasen, kurze Nasen, Stupsnasen, Buckelnasen, weich wirkende Nasen, schmale und spitze Nasen und vieles mehr. Es ist auch interessant darauf zu achten, welche Gefühle oder Bilder dadurch in einem ausgelöst werden. Die eine Nase wirkt vielleicht einladend und angenehm, eine andere löst vielleicht eine Erinnerung an einen unangenehmen Menschen aus.

Bei solchen Achtsamkeitsübungen gibt es kein ganz klar definiertes Ziel. Es geht mehr darum, die Welt mal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Und dann offen für all das zu sein, was in einem dadurch angeregt wird.

-- Fred

09.12.2010 :: Die Suche nach Wahrheit

Die Suche nach Wahrheit ist eine stark transformierende Kraft und in jeder Psychotherapie von großer Bedeutung. Warum ist das so? Man könnte die provokante These formulieren:

Ein Großteil von dem, was du wahrnimmst, denkst und fühlst, ist in Wirklichkeit ganz anders! Bei fast allem irrst du dich gewaltig!

Letztens wurde im Fernsehen ein interessantes Experiment gezeigt: Am Kiosk bediente eine Zeitungsverkäuferin einen Kunden. Er wollte Zigaretten. Sie legte ihm die Zigaretten hin und sagte dann "Einen Moment...", tauchte kurz unter den Tresen, kam dann wieder hervor und legte ihm noch Streichhölzer als kostenlose Beigabe dazu. Soweit alles unspektakulär. Der Kunde bezahlt die Zigaretten und bedankt sich. Ihm fiel nichts auf. Was war aber wirklich passiert? Kollegin 1 tauchte unter und Kollegin 2, die völlig anders aussah, tauchte wieder auf. Sie kauerte zuvor für dieses Experiment nicht sichtbar unter dem Tresen. Der Kunde wurde also von 2 verschiedenen Personen bedient und es fiel ihm nicht auf. Bei vielen weiteren Kunden funktionierte das Experiment ebenso.

Wir sehen nicht, was wirklich ist. Wir sehen, was wir erwarten. Unser Bewusstsein spielt uns einen Streich.

Bei Sozialphobie ist es auch oft so: Da lacht jemand irgendwo in der Fußgängerpassage und ein "Vorgeschädigter" denkt sofort, die lachen über mich. "Vorgeschädigt" in dem Sinne, dass er schonmal Opfer in seinem Leben wurde, wie Menschen sich massiv über ihn lustig gemacht haben. Wenn nun andere Menschen lachen, dann muss das die gleiche Situation sein. So meint man. Was wirklich passiert, wird oft nicht reflektiert.

Die Sache wird sogar noch schlimmer: Zuerst macht man wirklich die Erfahrung, das Menschen über einen lachen. Dann ist man vielleicht 20 Jahre immer fest der Überzeugung, das die Leute über mich lachen, wenn man irgendwo Gelächter hört. Eine unbewiesene Vorstellung wird so zum Beweis: "Ich hab nicht nur einmal erlebt, das die Leute über mich lachen. Seit 20 Jahren lachen die über mich! Ich hab es doch erlebt!"

Ob sich etwas wirklich so ereignet oder ob man das nur glaubt ist hierbei dann egal. Sobald man der Überzeugung ist, dass es sich so verhält, wirkt das auf uns, als wäre es real passiert. Wenn unsere Überzeugungen und Wahrnehmungen sich stark von der Realtität unterscheiden, leben wir tatsächlich in einer völlig anderen Welt. Wir haben unsere eigene Realtität kreiert, weit ab von dem, was wirklich ist.

Sogesehen könnte es sein, dass vieles, was in uns Leid verursacht, gar nicht da ist. Nichts weiter, als eine Illusion. Wir haben das Gefühl, das uns jemand angreift, aber in Wirklichkeit mag das Gegenüber mich. Wir haben das Gefühl, dass andere mich abschätzig beobachten, in Wirklichkeit sind sie in Gedanken aber ganz woanders. In unserer Selbsthilfegruppe erleben wir immer wieder, wie ganz viel gedeutet und hineininterpretiert wird und wie oft die Realität ganz anders ist.

Ein Therapeut sagte mir öfters: "Schau genau hin. Erkenne wie es wirklich ist." Es geht nicht darum, sich die Welt schöner zu machen, als sie ist. Es geht darum, genau zu erkennen, wann man wirklich angegriffen wird und wann es nur eine Phantasie oder Vorstellung ist. Was denke ich? Was fühle ich? Was habe ich für Phantasien? Und was passiert hier im Moment wirklich?

Therapie funktioniert meist in dieser Reihenfolge: Zuerst glaubt man, dass es so ist. Dann erkennt man, dass es lediglich meine Vorstellung ist. Dann hinterfragt man die Vorstellung und erkennt, dass es oft ganz anders ist.

Wahrheit ist befreiend und schmerzlich zugleich. Deshalb ist es so schwer, sich auf das Abenteuer Wahrheit einzulassen. Doch es hat großes heilsames Potenzial. Ein Leben, was auf Illusionen baut, ist anfällig und ständig gefährdet. Ein Leben, was einen guten Realitätsbezug hat, ist stabiler und kann nicht so einfach erschüttert werden.

Wahrhaftigkeit ist das Bemühen um Wahrheit. Es ist eine innere Haltung, der man folgt. Aus der Überzeugung oder Erkenntnis, dass es gut ist, dies zu tun. Es geht dabei nicht um Moral, sondern um eine echte Erkenntnis, dass dies Sinn macht. Wahrhaftigkeit dient dem Leben, weil wir näher an dem dran sind, was einfach ist.

In der Selbsthilfegruppe kann man immer wieder einen Realitätscheck machen. Man teilt den anderen mit, was man gerade denkt und fühlt und fragt nach, ob andere das auch so erleben. Hierbei ist es natürlich wichtig, das in der Gruppe die Idee von Wahrhaftigkeit gelebt wird. Das wir uns ehrlich mitteilen, was wir denken, fühlen und wahrnehmen.

Weblinks:

-- Fred

07.12.2010 :: Blödsinn machen

Kinder machen noch viel Blödsinn. Ihnen ist egal, ob etwas Sinn macht, logisch korrekt ist oder irgendwelchen Erwartungen entspricht. Sie haben Spaß im Moment, können sich am Blödsinn erfreuen. Sie können sich auch noch darauf einlassen und mit Dingen spielen, die erstmal kein Sinn ergeben.

Der Gegensatz sind stark kontrollierte Erwachsene, die nur noch Dinge denken und tun, die gut durchdacht, geprüft und vernünftig sind. Blödsinn wird als Verunsicherung empfunden und muss sofort unter Kontrolle gebracht werden. Man darf sich nicht gehen lassen, erlaubt sich keine Spontanität, Chaos macht Angst, alles muss geordnet und strukturiert werden. Strukturen geben Halt, Unvorhersehbares macht Angst. Blödsinn erlaubt man sich maximal noch unter Alkoholeinfluss.

Die Fähigkeit, aus etwas Freude und Lust zu beziehen, was sich erstmal nicht einordnen oder strukturieren lässt, bekommen wir automatisch mit. Die Möglichkeit steckt in jedem von uns. Man weiß schon länger, dass vor allem die rechte Gehirnhälfte hierfür zuständig ist. Sie kann blitzschnell allumfassend erkennen, dort findet man Intuition und Kreativität, dort entstehen Bilder und Phantasien. Man verwendet sie, wenn man spontan ist. Auch Schlüsselerlebnisse, wo einem urplötzlich etwas klar wird, entstehen in der rechten Gehirnhälfte. Kinder haben oft noch einen guten Zugang dazu.

Die linke Gehirnhälfte ist eher für das strukturieren, logische denken, analysieren und kontrollieren zuständig.

Der Zugang zur rechten Gehirnhälfte kann schon früh gestört werden. Eltern, die selber stark linkseitig geprägt sind, müssen die Impulse des Kindes aus der rechten Gehirnhälfte kontrollieren. Oder sie können nichts damit anfangen und resonieren dann nicht darauf. Sie wollen möglichst schnell alles wieder geordnet sehen und Unsinn soll möglichst schnell in was Sinnvolles und logisch korrektes überführt werden.

Auch kann es passieren, dass Kinder aus Angst vor Strafe sehr früh anfangen, sich zu kontrollieren. Die linke Gehirnhälfte versucht dann stark, alle Impulse der rechten Gehirnhälfte zu unterdrücken. Aus der Erfahrung, dass Impulse der rechten Gehirnhälfte zu Unglück führten.

Unsere Gesellschaft ist auch stark linksseitig geprägt. Wir brauchen in vielen Arbeitsfeldern Menschen, auf die Verlass ist, die kontrollierbar sind, die sich selbst gut unter Kontrolle haben, deren Verhalten man überschauen und in bestimmte Bahnen lenken kann. Menschen, die sich anpassen, die sich in feste Strukturen einfügen können, die das tun, was man von ihnen erwartet. Auf der anderen Seite lieben wir Menschen, die das nicht tun. Das ist der Erfolg, den z.B. Schimanski in der Serie Tatort für sich verbuchen kann. Schimanski macht auch etwas weiteres deutlich - so chaotisch und unberechenbar er auch ist, er hat irgendwas menschliches, was nettes, mit dem man sich verbunden fühlen kann. Eine Qualität, die daraus erwächst, dass er nicht so durch seine linke Gehirnhälfte eingesperrt ist.

Das ist in der Tat etwas, was sich beobachten lässt: Die linke Gehirnhälfte kann Menschen stark dominieren und ein Gefühl des Eingesperrtseins erzeugen. Dies deshalb, weil ein Teil der Persönlichkeit nicht gelebt, sondern unterdrückt wird. Interessant ist auch, dass mit steigendem Alter diese Kontrolliertheit oft zunimmt.

Sozialphobie kann viel damit zu tun haben, dass Menschen viel zu früh angefangen haben, sich zu kontrollieren und diese Kontrolle nun auch nicht mehr aufgeben können. Es kann die Angst vor der rechten Gehirnhälfte sein, Angst vor der Unkontrolliertheit. In der verbalen Kommunikation wird dies oft deutlich. Gute Gespräche entstehen meist dann, wenn die rechte Gehirnhälfte gut mitschwingen kann. Dann entsteht Wortwitz, Spontanität, Interesse und Neugier, Lust am Miteinander und Ausgelassenheit. Das Gespräch wird zu einem wohltuenden Spiel der Energien, die miteinander schwingen.

Menschliche Kontakte sind von der linken Gehirnhälfte aus betrachtet etwas Bedrohliches, weil sich immer was ereignen kann, wofür die linke Gehirnhälfte noch keine strukturierte Vorgehensweise hat. Was nicht mit links gehandhabt werden kann, wirkt bedrohlich, weil man gleichzeitig keinen Zugang zu rechts hat.

Ich glaube, es ist von unschätzbarem Wert, wenn Menschen wieder lernen, einen Zugang zu ihrer rechten Gehirnhälfte zu entwickeln. Dies sollte auf jeden Fall auch in einer Therapie berücksichtigt werden. Es gibt heutzutage viele Therapien und Methoden, die die rechte Gehirnhälfte aktivieren: Phantasiereisen, Tanz und Bewegung, Kunsttherapien, Theatertherapie, Hypnotrancen, Meditation, Arbeit mit Symbolen, holotropes Atmen, Arbeit mit Träumen, Imaginationen, Gestalttherapie.

Neben der Therapie kann jeder auch ganz viel praktisch dafür tun, beide Gehirnhälften zu einer guten Zusammenarbeit zu verhelfen. Das bedeutet für viele erstmal, die rechte Gehirnhälfte zu befreien und ihre Impulse wahrzunehmen.

Ein einfaches Beispiel: Ein von Sozialphobie Betroffener hat Angst, wenn etwas Unvorbereitetes oder komisches in einem Gespräch passiert. Seine normale Reaktion ist, möglichst schnell wieder alles in kontrollierte Bahnen zu bekommen. Jetzt könnte er versuchen, auf solche Momente mal bewusst zu achten, um dann ein wenig mit dieser Situation zu spielen. Sich also dem Komischen zu öffnen und zu gucken, was kann man daraus kreieren? Wie kann man das vielleicht weiterspinnen, dass was lustiges draus wird? Man muss noch keinen großen Witz abliefern, aber man kann ganz langsam da hinein wachsen, kann spontaner werden.

Kunst kann einen für die rechte Gehirnhälfte öffnen. Anfangs wird man vielleicht mit manchen Kunstwerken nichts anfangen können. Doch irgendwann erschließt sich einem ein Zugang, der irgendwie andersartig ist.

Oft geht es darum, für alles wieder eine gewisse Lockerheit und Offenheit zu entwickeln. Spaß daran zu entwickeln, was neues zu entdecken oder was neues zu tun. Auszusteigen aus gewohnten Denk- und Wahrnehmungsmustern, sich trauen, mal was Verrücktes und scheinbar Unsinniges zu tun.

Die linke Gehirnhälfte mit ihrer Strukturierung ist natürlich auch wichtig. Sie kann der rechten Gehirnhälfte einen sicheren Rahmen geben, in dem sie sich entfalten kann. Wer z.B. mal ganz verrückt tanzt, könnte sich auch verletzen. Chaos kann gefährlich sein. Schimanski macht es uns vor. Wenn man aber durch die linke Gehirnhälfte auch auf die Grenzen achtet, in denen man verrückt sein darf, dann kann die Integration von rechts und links gut gelingen.

Interessant ist, dass ganz oft versucht wird, mit der linken Gehirnhälfte Probleme zu lösen, die man nur mit rechts lösen kann. So versuchen Menschen, Smalltalk und Flirten zu lernen, in dem sie nach Regeln und vorgefertigten Mustern suchen. Man will sozusagen genau gesagt bekommen, was man machen muss, damit es funktioniert. In einem gewissen Umfang kann auch die linke Gehirnhälfte dazu beitragen, zu flirten. Aber ohne die rechte Gehirnhälfte wird es ein toter Flirt. Die rechte Gehirnhälfte gibt das hinein, was die Lust im Moment erzeugt. Wo die linke Gehirnhälfte angelernt werden kann, braucht die rechte vor allem Offenheit, Vertrauen, Zuwendung und Freiheit. Die rechte Seite kann nie kontrolliert und vereinnahmt werden, sie willen frei fließen. Sie funktioniert einfach in vielerlei Hinsicht völlig anders und braucht deshalb auch andere Werkzeuge und Zugangswege.

Zum Abschluß noch eine Begebenheit, die ein Mitglied unserer Gruppe tief berührte: Sie unternahm öfters mal was in der Freizeit mit einem anderen Gruppenmitglied. Er wirkte oft sehr kontrolliert, sie hatte nie das Gefühl, dass er mal wirklich er selbst ist. Doch dann saßen sie irgendwann mal vor einem Computerspiel und in diesem Moment vergaß er sich völlig und lachte aus ganzem Herzen. Er war wie ein Kind und so hatte sie ihn noch nie gesehen. Sie freute sich sehr darüber, ihn so zu erleben. Doch einen Moment später bemerkte er es und schwups, schon war die Kontrolle wieder da und er wurde ernst.

Das Potenzial der rechten Gehirnhälfte hat uns nie verlassen, wir müssen uns nur wieder dafür öffnen.

Weblinks:

-- Fred

03.12.2010 :: Mal ordentlich Druck machen

Manche wünschen sich, mal richtig Feuer unter den Hintern zu bekommen, um weiter zu kommen. Andere erwischt es unfreiwillig - Ärzte, Therapeuten, Arbeitgeber oder das Arbeitsamt machen auf einmal massiv Druck. Und auch in der Selbsthilfe besteht die Chance, mal richtig Zunder zu bekommen - wir wachsen alle mit Druck auf, es ist ein gesellschaftlich gut etabliertes und akzeptiertes Muster, was Menschen erfahren und dann auch gerne austeilen.

Wie ist die Sache mit dem Druck zu bewerten? Ist das wirklich hilfreich? Druck ist ersteinmal vordergründig sehr wirksam. Man kann Menschen mit Druck dazu bringen, etwas zu tun, was sie aus eigenem Antrieb nicht getan hätten. Es ist sozusagen ein starker externer Antrieb.

Schaut man sich die Druckmittel an, dann sind die oft nicht sehr rühmlich:

  • Angst - Wenn du nicht dies oder jenes machst, dann passiert etwas unangenehmes.
  • Schuldgefühle - Wie kannst du nur...
  • Schamgefühle - Du solltest dich schämen, so nutzlos rumzuhängen!
  • Selbstzweifel - Merkst du gar nicht, wie du auf dem völlig falschen Weg bist?
  • Beziehungsabbruch - Du machst jetzt, was ich sage, oder du siehst mich nie wieder!
  • Körperliche Gewalt - Wenn du nicht sofort machst, was ich sage, knallts!
  • Mobbing, Abwertung - Guck mal, dieses Weichei, der traut sich nichtmal...
  • Appell an Moral - Jetzt reiß dich doch mal zusammen und mach das endlich mal (Sei endlich mal ein guter Mensch)

Druck wird in Erziehung so gerne verwendet, weil man schnell, einfach und wirksam ein bestimmtes Verhalten erwirken (erzwingen) kann. Oberfächlich und einseitig betrachtet ist das praktisch, ganz im Sinne einer Diktatur.

In den Erziehungsmethoden gibt es jedoch einen starken gesellschaftlichen Wandel. War es vor 50 Jahren eine totale Selbstverständlichkeit, in der Erziehung massiv Druck, Strafe und körperliche Gewalt einzusetzen, gibt es heute eine starke Bewegung, dies genau nicht zu tun. Stattdessen setzt man heute mehr auf Verständnis, baut auf die Einsichtsfähigkeit, diskutiert miteinander, fördert durch positives Feedback, fördert Beziehung und Miteinander, setzt warmherzig klare Grenzen. Die heutigen Erziehungsmethoden sind deutlich humanistischer und orientieren sich vor allem an dem, was für das Kind gut und sinnvoll ist.

Trotzdem, verschwunden ist die Idee mit dem Druck zu erziehen nicht, wenn auch offiziell nicht mehr so gesellschaftsfähig. Das gesellschaftliche Erbe wirkt noch über Generationen weiter und wird bewusst oder unbewusst ausagiert.

Derzeit erleben wir einen immer stärkeren Druck am Arbeitsplatz und in der Wirtschaft. Wir werden zu Höchstleistungen angetrieben und wer dem nicht standhalten kann, fliegt raus. Druck ist ein akzeptiertes und oft eingesetztes Mittel. Sicher nicht immer und überall, aber in der Tendenz schon. Es gibt sehr wenige Arbeitsplätze, wo man mal bewusst einen Gang runterschaltet und gelassener an Dinge herangehen darf. Das bekommen wir gerade in der Selbsthilfe mit, wo Menschen mit Einschränkungen große Schwierigkeiten haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Gerade wenn die Einschränkung darin besteht, dass man im Tätigkeitsfeld nicht mehr 100 Prozent Leistung erbringen kann.

Experten sind sich einig darüber, dass dieser Druck zu einer starken Zunahme von psychischen Erkrankungen wie Burnout, Depressionen, Ängsten und Zwängen führt.

Menschen lernen am Modell - was vorgelebt wird, lebt man weiter. In der Selbsthilfe können wir das öfters mal spüren: Menschen, die in einer Therapie viel Druck erfahren haben, halten Druck öfter für ein adäquates Mittel, mit seinen Problemen weiter zu kommen und machen dann gerne auch in der Selbsthilfegruppe Druck. Menschen, die eher in einer nicht direktiven und nicht konfrontativen Weise ihre Probleme aufgearbeitet haben, leben diese Art dann auch in der Selbsthilfe. So kommen in die Selbsthilfegruppen sowohl sanfte, einfühlsame Energien, wie auch konfrontierende und druckmachende Energien. In Sozialphobie-Selbsthilfegruppen sind die druckmachenden Energien aber eher selten, weil viele ja eher zurückhaltend und introvertiert sind. Druck wird dann eher unterschwellig spürbar.

Auch bei der Auswahl einer Therapie werden Menschen von dem angezogen, was sie kennen. Wer unter Druck aufgewachsen ist, erlebt darin vielleicht unbewusst das Mittel für Heilung und sucht sich dann eine konfrontative Therapie. Mit der Hoffnung, dass ein autoritärer Therapeut einen "ordentlich einnordet". Es besteht der Wunsch, eine externe Autorität möge einem den richtigen Fußtritt verpassen, damit man wieder richtig "funktioniert". Wobei ein gut gezielter Fußtritt bei manchen in der Tat zu einer inneren Erleuchtung führt. Anektdoten in diese Richtung hört man immer wieder mal in Selbsthilfegruppen.

Erwachsensein

Zu einem Schüler, der ständig am Beten war,
sagte der Meister: "Wann wirst du aufhören,
dich auf Gott zu stützen und lernen, auf eigenen
Füßen zu stehen?"
Der Schüler war erstaunt: "Aber gerade Ihr habt uns
doch gelehrt, Gott als unseren Vater anzusehen!"
"Wann wirst du lernen, daß ein Vater
nicht jemand ist, auf den man sich stützen kann,
sondern jemand, der dich von deinem Anlehnungsbedürfnis
befreit?"
(Anthony de Mello, Eine Minute Weisheit)

Die Innensicht ist beim Thema Druck ganz wichtig. Was entsteht im Bewusstsein der Menschen, die Druck erfahren? Da gibt es das Eigene und das fordernde Fremde. Dieses Fremde vereinnahmt mich, darunter kann das Eigene leiden oder verloren gehen. Dies erlebt man häufig: Das Menschen ihr Eigenes verlieren und nur noch nach Normen, Vorgaben und Forderungen leben. Menschen, die gar nicht mehr wissen, was überhaupt ihr Eigenes ist. Man funktioniert, aber man spürt sich selber nicht mehr. Fehlende Kreativität, Lebenslust und Freude ist meist ein Anzeichen dafür. Es gilt als unbestritten, dass massiver Druck zu extremen Deformationen der eigenen Psyche und schweren psychischen Erkrankungen führen kann.

Es gibt sogesehen ganz viele Bereiche, wo wir schädlichen Druck erleben und wo Menschen durch Druck geschädigt wurden. Es ist sicherlich auch kein attraktiver Ansatz, Menschen unter Androhung negativer Konsequenzen zu etwas zu bewegen. Oder wenn man versucht, mit Schuld- und Schamgefühlen andere zu manipulieren. Es ist noch gar nicht so lange her, da haben die Kirchen davon massiv Gebrauch gemacht und die Schäden solcher Praktiken sind heute gut erforscht und bekannt.

Muss Druck deshalb komplett abgelehnt werden als etwas, was grundsätzlich verkehrt ist? Ich glaube nicht. Wenn man in die positive Richtung schaut, wird man sicherlich Erlebnisse von Druck finden können, die sich als sinnvoll und gut herausstellen. Ereignisse die sich auch in der Tiefe der eigenen Psyche positiv ausgewirkt haben. Meist sind es die sanften Formen von Druck, wenn z.B. eine vertraute Person uns dazu gebracht hat, mal an etwas dranzubleiben, anstatt ständig von einem zum nächsten zu springen. Oder wenn in der Selbsthilfe jemand einen anderen mal einladend auffordert: "Möchtest du auch mal was zum Thema sagen?" oder bei einer Übung sagt: "Versuchs doch mal, ist gar nicht so schwer." Auch ein beherztes "Jetzt mach doch endlich mal!" hat schon manchmal jemanden aufgerüttelt, eine Sache zu tun, die er sowieso wollte. In der Therapie kann es auch mal eine heftigere Konfrontation sein, die zu Selbsterkenntnis anregt.

Die meisten leiden auch immer mal wieder darunter, sich nicht aufraffen zu können zu etwas, was sie eigentlich schon längst tun wollten. Hier mal dosiert von anderen angeschoben zu werden, kann helfen.

Es gibt jedoch auch ein paar Gründe, warum gerade in der Selbsthilfearbeit bei Sozialphobie Druck vermieden werden sollte:

  • Druck unterläuft den Gedanken der Eigenverantwortung. Es ist Aufgabe der Selbsthilfe, Menschen dazu anzuregen, selbst Verantwortung für ihr Leben und Handeln zu übernehmen.
  • Es gibt viele Menschen, die durch Druck beschädigt wurden. Sie reagieren sehr empfindlich auf Druck, bei Sozialphobie oft mit Rückzug, um sich zu schützen. Massiver Rückzug würde bedeuten, gar nicht mehr in die Gruppe zu kommen. Oder Menschen verschließen sich, obwohl ein großer Sinn der Selbsthilfe eher in einer Öffnung zu sehen ist.
  • Menschen, die durch Druck beschädigt wurden, geben negativ wirkenden Druck manchmal an andere weiter. Eine Selbsthilfegruppe kann sich davor schützen, in dem Versuche, Druck auszuüben, möglichst früh und klar unterbunden werden.
  • Druck wird tendenziell öfters Schaden anrichten, als er nützt. In der Selbsthilfe treffen sich keine Experten, die viel Erfahrung damit haben, wann Druck nützt und wann Druck schadet. Druck kann Menschen erneut beschädigen, auch in Selbsthilfegruppen. Mitunter werden schablonenhaft Konfrontationsszenen aus der Therapie nachinszeniert, die aber ohne die tiefere Intention eher schädlich als nützlich sind. Druck deshalb prinzipiell zu vermeiden, kann insgesamt zu einer besseren Bilanz führen. Auch wenn man so auf die seltenen Fälle verzichtet, wo Druck mal hilfreich sein könnte.
  • Wissen wir wirklich, was gut für andere ist? Selbst Menschen, die sich gut in andere einfühlen können, wissen nur einen Bruchteil vom anderen. Wir sehen immer nur einen kleinen Ausschnitt des Lebens des anderen. Viele überschätzen sich in der Idee, zu wissen, was gut und richtig für andere ist. Wenn aber gar nicht so klar ist, was für andere gut ist, sollten wir auch keinen Druck machen. Vielleicht drängen wir so Menschen in die falsche Richtung.
  • Druck führt weg von einem Austausch auf Augenhöhe, weg von einem gleichwertigen Miteinander. Wer Druck macht, stellt sich über einen anderen. Manipulation kann entstehen. So eine Macht- und Rollenverteilung ist für eine Selbsthilfegruppe ungünstig. Der, der Druck macht, kommt automatisch in eine große Verantwortung, die er vielleicht nicht tragen kann. Wer sich drücken lässt, unterwirft sich vielleicht einem falschen Impuls, wird so zum Opfer und wiederholt alte Täter-Opfer-Konstellationen.
  • Gerne wird Druck projeziert: Was man selber nicht hinbekommt, wird bei anderen mit Härte eingefordert.
  • Manchen Menschen fällt es schwer, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Sie lassen dann lieber ihr Leben durch andere bestimmen. Sie sind anfällig dafür, sich von anderen unter Druck setzen zu lassen. Werden Druck und Ratschläge in der Selbsthilfe vermieden, wird zwar das Bedürfnis, geführt zu werden, frustriert. Gleichzeitig ist es aber eine Hinlenkung zur Eigenverantwortung.
  • Druck unterläuft eine warmherzige und vertrauensvolle Atmosphäre, die so wichtig ist, um sich öffnen zu können. Mit viel Druck wird eine Selbsthilfegruppe schnell zur Kampfgruppe. Gerade bei Sozialphobie konnten wir in einem Austausch der Selbsthilfegruppen herausarbeiten, dass eine warmherzige und angenehme Atmosphäre eine wichtige Basis der Gruppenarbeit ist. (siehe hierzu: Leitfaden 1 zum Thema "Drei hilfreiche Bausteine")
  • Selbsthilfegruppen sind stark heterogen. Es gibt Menschen mit sehr viel Erfahrung und Feingefühl. Betroffene, die sich schon viel mit sich auseinandergesetzt haben und eine gute Hilfe für andere sein können. Auf der anderen Seite gibt es Anfänger und Einsteiger, die wenig Erfahrung damit haben, was hilft und was schadet. Gleichzeitig muss man sich auf Regeln einigen, die für alle gelten. Um allen gerecht zu werden, verzichtet man lieber auf das Mittel Druck. Ganz ähnlich übrigens, wie auch Ratschläge in vielen Gruppen nicht gerne gesehen werden.
  • Menschen, die Opfer von Druck und Gewalt wurden, brauchen alternative Modelle, an denen sie sich orientieren können. Es geht darum zu lernen, was das Eigene ist und wie sich das Eigene leben lässt. Es geht um eine Erkundung des eigenen Willens und wie man diesen stärken kann. Es geht darum, die starken Energien kennenzulernen, die sich durch Lust, Kreativität, Überzeugung, Liebe, Erkenntnis und den Glauben an das Gute ausdrücken. Wer dies einmal kennengelernt hat, empfindet viele Ideen, mit Druck etwas erreichen zu wollen, als völlig überflüssig und unpassend.
  • Menschen erleben oft genug in ihrem Alltag Druck. Hierdurch entsteht eine große Sehnsucht, endlich mal irgendwo einen Gesprächsrahmen zu haben, wo man ohne Druck einfach so sein darf, wie man ist. Wo man sich nicht erklären oder rechtfertigen muss. Wo einem nicht unangenehme Gefühle gemacht werden, weil man sich nicht so verhält, wie sich das ein anderes Gruppenmitglied wünscht. Es ist oft ein großer Segen, wenn man einfach so da sein darf, ohne irgendwas zu müssen.

Auf der anderen Seite muss man sehen, das in der Gruppe ganz selbstverständlich Impulse entstehen werden, Druck machen zu wollen. Gerade bei Sozialphobie, wo Menschen gehemmt sind und ihre Impulse nicht leben, entsteht beim Gegenüber schnell mal Wut, Aggression oder starker Veränderungswille. Die unterdrückte Energie spiegelt sich so im Gegenüber. Und diese Energie muss ja irgendwo hin. Hierfür einen sinnvollen Ausdruck zu finden, ist eine wichtige Herausforderung für eine Gruppe. Bei sich zu bleiben, auszudrücken, was in einem passiert, ohne etwas beim anderen einzufordern, kann eine sinnvolle Strategie sein.

Weblinks:

-- Fred

01.12.2010 :: Lied der Woche

Miten & Deva Premal - So Much Magnificence

http://www.youtube.com/watch?v=AG-YE8IiV5U

Ein Lied, das Herzen öffnen kann - vielleicht auch deins.

Peter

01.12.2010 :: Herzöffnung

Kerngruppe 1 hatte mal wieder einen Gruppen-Marathon. So heißen die eintägigen Gruppen-Sitzungen. So ein längeres Treffen soll den Austausch und Kontakt intensivieren. Wir beginnen typisch morgens gegen 10 Uhr und machen bis Abends 19 Uhr.

Manchmal bereiten wir gar nichts vor und schauen einfach, was entsteht. In der letzten Zeit einigen wir uns aber im Vorfeld auf ein Thema. Diesmal war es das Thema "Herzöffnung".

Herzöffnung meint, als ganzer Mensch in die Welt zu kommen. Spürbar zu werden. Authentisch zu sein. Sich zu zeigen. Sich zu spüren und in einen Gefühlskontakt mit anderen Menschen zu kommen.

Wenn wir geboren werden, sind wir offen. Wir haben Interesse an der Welt, sind neugierig, brauchen und suchen den Kontakt. Körperlicher Kontakt ist hier genauso wichtig, wie die Erfahrung, dass ein Mensch an uns Interesse hat und auf uns verbal oder durch Gestik reagiert. Bezugspersonen, die sich uns liebevoll zuwenden.

Hier zeigt sich, Herzöffnung und Liebe haben viel miteinander zu tun. Nun ist Liebe aber ein sehr abgenutztes Wort, was ist damit eigentlich hier gemeint? Es ist das Gute, die Lust aufeinander, die Hinwendung und das Interesse am anderen. Liebe weiß um das Gute in jedem und möchte es entdecken. Liebe schafft Vertrauen ineinander. Es gibt etwas Ursprüngliches in uns, wo wir uns alle tief verbunden fühlen. Und dieses Ursprüngliche ist durchweg gut. Wenn wir es schaffen, zu dieser ursprünglichen Energie in uns Kontakt aufzunehmen und sie auszudrücken, dann berühren wir auch andere Menschen. Und jeder Mensch hat eine große Sehnsucht, diesen inneren Raum zu fühlen und in Kontakt damit zu sein.

Herzöffnung ist ein ganz zentrales Thema bei Sozialphobie. Denn hier begegnet man ganz oft verschlossenen Herzen. Das hat auch seine guten Gründe, warum sich Herzen verschließen. Menschen können auch bösartig sein. Bei Sozialphobie haben viele Menschen Erfahrungen mit Bösartigkeit gemacht, sind verletzt worden. Oder es hat ein Mangel gegeben - es gab keine Menschen, die sich uns zuwendeten, die uns gesehen und gewürdigt haben, die uns Halt und Schutz gaben. Auch kann es sein, dass viel zu früh viel zu hohe Anforderungen an uns gestellt wurden. Um diesen gerecht zu werden, mussten wir unser natürliches Wesen abspalten und nach Anforderungen des Außens leben lernen. Auch Enttäuschung und Kränkung kann dazu führen, dass man sein Herz verschließt.

Weil es auch ganz real die Möglichkeit gibt, angegriffen und verletzt zu werden, ist es wichtig, sich auch zu schützen. Man kann nicht immer und überall völlig offen sein. Gerade Menschen, die in ihrem Leben schon öfters massiv verletzt wurden, müssen hier besonders aufpassen und lernen, sich effektiv zu schützen.

Auf der anderen Seite gibt es die Sehnsucht nach Öffnung. Gerade bei Menschen, die sich sehr lange verschlossen haben. Das ist ungefähr so, wie nach einer Partnerschaft, aus der man massiv verletzt rausgeht. Man sagt sich vielleicht, von nun an werde ich alleine leben. Doch spätestens nach ein paar Jahren spürt man, das etwas fehlt.

Bei Herzöffnung geht es darum, wie man wieder in einen Herzkontakt mit anderen Menschen kommt, ohne dabei verletzt zu werden. Geht das überhaupt? Nicht wirklich, wer sich öffnet, muss auch immer ein Risiko eingehen. Es gibt keine hunderprozentige Sicherheit, wer sich zeigt, wird auch angreifbar. "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!" funktioniert nicht. Und doch können wir lernen, Risiken besser zu erkennen und abzuschätzen. Und es geht darum, ein wenig mutig zu werden.

Die Selbsthilfegruppe soll ein vertrauensvolles Umfeld sein, in dem man ausprobieren kann, sich ein Stück weit zu öffnen. Je vertrauter einem die Gruppe ist, um so besser wird dies möglich. Deshalb haben wir auch das Konzept der Kerngruppen, wo man über längere Zeit mit den selben Menschen Gruppe macht.

Viele alte Verletzungen können im Hier und Jetzt auch neu bewertet werden. Natürlich ist es nicht angenehm, wenn Menschen uns abwerten oder angreifen. Doch heute bestehen nochmal ganz andere Möglichkeiten, mit solchen Angriffen umzugehen. Vielleicht hat man jetzt Handwerkszeug, um damit umzugehen oder ein Maß an Selbstvertrauen erreicht, dass Angriffe einen nicht mehr sonderlich beeindrucken. Denn verbale Angriffe wirken ja nur dann, wenn wir in irgendeiner Form auch selber daran glauben, dass der Angreifer recht hat.

Herzöffnung ist ein sensibles Thema und es braucht viel Achtsamkeit, damit es gelingt. Die wertvollsten Momente in Therapie und Selbsthilfe waren für mich die, wo Menschen ihr Herz geöffnet haben.

-- Fred

26.11.2010 :: Lob als Heilmittel?

Manche Ratgeber vermitteln den Eindruck: "Je mehr du dich lobst, um so besser!" Und mancher Helfer verfährt auch nach dieser Idee, viel hilft viel, immer und überall loben. In der Verhaltenstherapie hat das Lob einen großen Stellenwert und wird als Technik eingesetzt, um ein bestimmtes Verhalten des Patienten zu fördern.

Tiere lassen sich gut mit Lob tressieren. Durch Belohnung mit unmittelbaren positiven Reizen werden sie dazu gebracht, etwas zu tun, was wir wollen. Ein Hund, der auf 2 Beinen läuft, tut zwar nichts, was aus seiner Art heraus Sinn macht, aber es amüsiert die menschlichen Zuschauer. Vieles, was Tiere so lernen, ist für deren Leben weder gut noch schlecht. Sie brauchen es nicht, aber sie machen es, weil sie die Belohnung wollen. Doch manches gibt es auch, was für das Tier zur echten Quälerei wird.

Wir Menschen sprechen auch auf Lob an, manchmal ähnlich wie ein Tier, oft ist die Reaktion auf Lob aber wesentlich komplexer.

Hier zeigt sich aber eine Problematik: Regt uns Lob an, das zu tun, was andere gerne sehen wollen? Oder regt uns das Lob an, mehr das zu tun, was mir gemäß ist, was ich will, was mein Eigenes ist? Werde ich zu einer Marionette des Lobenden? Oder regt der Lobende eine Selbsterkenntnis an, aus der heraus ich meine guten Seiten erkenne und mehr wertschätzen kann?

Jeder Mensch ist für sich ein unheimlich komplexes System. Da ist es gar nicht einfach zu wissen, was man durch Lob denn nun fördern sollte. Viele Antworten sind nämlich zu kurz gedacht und sehen nicht das Ganze. Wenn man Schach spielt, lässt sich das gut erkennen. Wenn ich mit dem Läufer einen Bauern schlage, ist das für diesen Zug gesehen lobenswert. Ich hab ja den Bauern kassiert. Doch schon beim nächsten Zug, wenn der Gegner vielleicht meinen Läufer kassiert, erkennt man schon, wie dumm alles war. Im Schach macht man dann ganz oft die Erfahrung, was aus kurzer Sicht verlockend ist, ist weit vorausgedacht gar keine gute Idee mehr.

So in etwa ist es auch bei menschlichen Entscheidungen. Lob kann uns dazu verführen, etwas zu tun, was oberflächlich gut erscheint, etwas tiefer betrachtet aber keine gute Idee ist.

So sagte es letztens eine Frau in der Gruppe, die an ihrem Therapeuten zweifelte: "Jetzt mache ich all das, wo mein Therapeut mich hoch lobt und jeder Zeit loben würde. Aber ich fühle mich innerlich hohl und leer, mich interessiert nichts mehr richtig. Von außen betrachtet mache ich riesen Fortschritte, aber in mir ist eine große Leere und Sinnlosigkeit. Ich hab das Gefühl, dass mein Therapeut völlig in die falsche Richtung gearbeitet hat."

Nun könnte man oberflächlich sofort sagen: "Oh, welches Unglück, wechsel sofort den Therapeuten!" Aber auch hier ist die richtige Antwort und Sichtweise keineswegs einfach. Wer weiß, ob das nun wirklich der falsche Weg ist oder einfach nur eine Krise auf dem richtigen Weg. Es lässt sich nur recht sicher sagen, dass innere Leere auf Dauer kein erstrebenswerter Zustand ist.

Jeder Mensch ist eine sich selbst organisierende Einheit. Und wir haben jede Menge Weisheit und Quellen in uns, um unsere Orientierung zu finden. Um eine Antwort auf die Frage zu bekommen, was für uns in diesem Moment gerade sinnvoll ist. Es gibt Gefühle, Gedanken, innere Bilder, Erfahrungen, Erinnerungen, Intuition, Werte und Lebenskonzepte. So gut, wie wir selbst, hat keiner Zugang dazu. Auch wenn es möglich ist, sich sehr weit in einen Menschen einzufühlen.

Die andere Seite ist, dass Menschen sehr oft vorschnell meinen, die richtige Antwort für den anderen zu kennen. Um Ratschläge sind die Menschen oft nicht verlegen. Doch ganz oft treffen sie eben nicht das, was der andere wirklich braucht. Besonders dann nicht, wenn die Einfühlung in den anderen fehlt. Einfühlung braucht Zeit und Hingabe. Wer fühlt sich wirklich richtig ein, bevor er einen Ratschlag gibt? Weil Ratschläge so oft ohne entsprechende Einfühlung gegeben werden, kam auch der Spruch auf: "Ratschläge sind auch Schläge!".

Lob, Tadel, Aufwertung, Abwertung oder Ratschläge - alles mischt sich stark in unsere Lebensorientierung ein. In der Psychotherapie spricht man von "direktiver Gesprächsführung". Im Gegensatz zur "nondirektiven Gesprächsform", in der der Helfende die eigene Erkenntnis fördert, ohne sich in die Orientierung einzumischen.

Zum Schluß eine eindrucksvolle Geschichte, die das Gesagte wunderbar zusammenfasst:

Wer weiß...?

Ein alter Mann lebte zusammen mit seinem einzigen Sohn auf einer kleinen Farm. Sie besaßen nur ein Pferd, mit dem sie die Felder bestellen konnten und kamen gerade so über die Runden.

Eines Tages lief das Pferd davon. Die Leute im Dorf kamen zu dem alten Mann und riefen "Oh, was für ein schreckliches Unglück!" Der alte Mann erwiderte aber mit ruhiger Stimme: "Wer weiß..., wer weiß schon, wozu es gut ist?"

Eine Woche später kam das Pferd zurück und führte eine ganze Herde wunderschöner Wildpferde mit auf die Koppel. Wieder kamen die Leute aus dem Dorf: "Was für ein unglaubliches Glück!" Doch der alte Mann sagte wieder: "Wer weiß..., wer weiß schon, wozu es gut ist?"

In der nächsten Woche machte sich der Sohn daran, eines der wilden Pferde einzureiten. Er wurde aber abgeworfen und brach sich ein Bein. Nun musste der alte Mann die Feldarbeit allein bewältigen. Und die Leute aus dem Dorf sagten zu ihm: "Was für ein schlimmes Unglück!" Die Antwort des alten Mannes war wieder: "Wer weiß..., wer weiß schon, wozu es gut ist?"

In den nächsten Tagen brach ein Krieg mit dem Nachbarland aus. Die Soldaten der Armee kamen in das Dorf, um alle kriegsfähigen Männer einzuziehen. Alle jungen Männer des Dorfes mussten an die Front und viele von ihnen starben. Der Sohn des alten Mannes aber konnte mit seinem gebrochenen Bein zu Hause bleiben.

"Wer weiß..., wer weiß, wozu es gut ist?"

(Verfasser unbekannt)

Ist Lob nun ein gutes Heilmittel? Wer weiß...

-- Fred

25.11.2010 :: Lied der Woche

Nina Hagen - Du hast den Farbfilm vergessen

Frech, ausdrucksstark und etwas verrückt. Ausbrechen aus Zucht und Ordnung, der bunte Vogel in einem kontrollierenden Regime.

Wer hat einen Vorschlag für nächste Woche? Schreibt uns, welches Lied euch berührt und hilft.

24.11.2010 :: Spiegel: Artikel über Angst

Im Spiegel ist ein Artikel über das Thema Angst erschienen. Gut ist, dass Angst hier mal etwas positiver dargestellt wird, als ein Gefühl, was durchaus oft sinnvoll ist. Es hilft uns, Gefahren zu erkennen und sinnvoll zu handeln. Es hilft uns, unser Leben und das Leben anderer zu bewahren und zu schützen. Angst ist damit kein Anzeichen von Schwäche und sollte nicht in diesem Sinne abgewertet werden.

Interessant auch, dass neuere Forschungen (von Jerome Kagan) zeigen, dass es eine angeborene Ängstlichkeit zu geben scheint und das dieses mit hoher Wahrscheinlichkeit ein recht stabiles Persönlichkeitsmerkmal bleibt. Es sind sozusagen vorsichtige Menschen, die nicht so große Risiken eingehen. Eine Lebensstrategie, die evolutionär sinnvoll ist. Viele ängstliche Menschen sind auch äußerst erfolgreich.

Im Umkehrschluß könnte man sagen: Es ist gut, seine Persönlichkeit in diesem Sinne anzunehmen. Ängstliche sollten nicht versuchen, auf Biegen und Brechen zu Draufgängern zu werden. Stattdessen kann man sich mit einer vorsichtigen Gangart durch's Leben bewegen. Nach dem Motto: "Ich lebe das, was mir gemäß ist." Man geht also Dinge vorsichtiger an, ohne gleich jede Herausforderung abzulehnen. Die Herausforderungen vorsichtiger Menschen sind andere, als die Herausforderungen von Menschen, die voll auf Risiko setzen.

Die Forschungen zeigen auch den Unterschied zwischen Außenwirkung und innerem Erleben. Viele ängstliche Menschen lernen im Laufe des Lebens, nach außen nicht mehr ängstlich zu wirken. Innerlich jedoch gibt es deutliche Angstreaktionen: Das Herz schlägt schneller, das Stresshormon Cortisol wird ausgeschüttet, der Blutdruck erhöht sich, innere Unruhe und Stress entsteht.

Ermutigend gibt der Artikel die Empfehlung, das es für hochreaktive (=ängstliche) Menschen besonders wichtig ist, ihre Nische zu finden, wo sie einer sinnvollen Aufgabe oder Leidenschaft nachgehen. Sich auf das eigene Potenzial zu konzentrieren und dieses zu entwickeln, ist wichtig. In einem guten vertrauensvollen Umfeld kann dies am besten gelingen.

Einen Absatz will ich nicht unkommentiert lassen:

Psychiater Bandelow ist davon überzeugt: "Man muss ängstlich sein, um Großes zu vollbringen." Nur die Angst könne im Menschen jene unerschöpfliche Energie freisetzen, die für Spitzenleistungen erforderlich sei.

Wer Angst hat zu versagen, ins Mittelmaß abzurutschen, arbeitet härter und ausdauernder. Und wer häufig unter irgendeiner Form von Phobie leidet, kann Erleichterung darin finden, bis zur Erschöpfung zu üben, zu komponieren, zu malen oder zu schreiben.

Aus diesem Grund sind kreative Menschen, die zu Ängstlichkeit neigen, zwar nicht glücklicher, aber oft emotionaler, leidenschaftlicher und ausdrucksstärker als andere. Es sei kein Zufall, sagt Bandelow, dass das Publikum besonders jene Menschen liebe, die neurotisch und ängstlich seien. Der Psychiater bringt es auf die Formel: "Angst ist das Superbenzin für Erfolg."

Ich find es erschreckend, wie unreflektiert hier gesellschaftliche Ideale und Vorstellungen gefördert werden, die an sich zutiefst krank sind. Menschen, die einen verletzten Selbstwert haben, können süchtig werden nach Grandiosität und Erfolg. Sie wollen damit etwas kompensieren, was auf tieferer Ebene verloren gegangen ist: Die Selbstliebe und die Verbundenheit zu sich und der Welt. Ein verschlossenes Herz versucht, sich über Erfolg und Leistung zu definieren. Das ist purer Narzissmus und führt nicht selten zu Burn-Out und Depression. Ein heroisches Selbstbild wird hier zum Ideal erhoben - nicht glücklicher, aber leistungsfähiger und leidenschaftlicher.

Wie von einem Psychiater solche Ideen auch noch gefördert werden können, ist mir unverständlich. Streng genommen hat er zwar nicht klar gesagt, wie er das selber bewertet, es wird aber für mein Gefühl schon der Eindruck vermittelt, als sei es erstrebenswert, Angst in dieser selbstzerstörerischen Art zu leben.

Die Vorstellung, dass nur Angst dazu motiviert, Großes zu vollbringen, wirkt auf mich befremdlich und einseitig. Da gibt es doch so viele andere Fähigkeiten und Motivatoren: Freude am Tun, Lebenslust, Leidenschaft, Geschicklichkeit, Fleiß, Willenskraft, Intuition, Suche nach Sinn, Einfühlungsvermögen, Glaube und Organisationstalent.

Um den Narzissmus zu verstehen, empfehle ich das Buch "Narzissmus - das innere Gefängnis" von Heinz-Peter Röhr. Das Buch "Der Verrat am Selbst: Die Angst vor Autonomie bei Mann und Frau" von Arno Gruen widmet sich auch dem Thema, wie Menschen sich verbiegen und sich selbst völlig verlieren. Er zeigt eindrucksvoll die Unmenschlichkeit auf, die darin zu finden ist.

Weblinks:

-- Fred

23.11.2010 :: Feste Rollenmuster

Im Kontakt mit anderen Menschen bewegen wir uns in Rollenmustern. Da gibt es den, der gerne die Wortführerschaft übernimmt, ein anderer, der gerne in die Zuhörrolle geht und vielleicht andere bestätigt. Ein weiterer ist ein Skeptiker und findet bei allem, was gesagt wird, etwas zu kritisieren.

Eigentlich sind Menschen in der Lage, ganz unterschiedliche Rollen einzunehmen und diese auch zu erlernen. Und doch passiert es ganz oft so, dass Menschen sehr einseitig und festgelegt sind. Man hat seine Lieblingsrolle, in der man verweilt und die man so immer stärker etabliert.

Rollenmuster etablieren sich selbst schon in der Eröffnungsrunde in der Selbsthilfegruppe: Wenn wir keine Reihenfolge festlegen, sind es fast immer die selben, die zuerst beginnen und die selben, die den letzten Beitrag einbringen. Hier lässt sich gut üben, mal aus seinen Gewohnheiten auszusteigen und was neues kennenzulernen. Wie letztens jemand sagte: "Ich hab mir heute mal bewusst vorgenommen, nicht der erste zu sein, sondern es auszuhalten, bis jemand anderes anfängt."

Wir hatten mal eine Zeit lang ein Selbsthilfe-Angebot, wo wir den Tanz der 5 Rhythmen nach Gabrielle Roth gemacht haben. Die 5 Rhythmen sind ein schönes Beispiel für Rollenmuster, jeder Rhythmus regt ganz andere Energien in einem an. In ihrem Buch beschreibt sie, wie gut es ist, schnell und problemlos von einem Rhythmus in den anderen wechseln zu können. Sie nennt diese Instanz in einem, der den Wechsel übernimmt "Shapeshifter" (=Formwechsler, Rollenwechsler). Wir machten mal einen Abend, wo wir dies übten, immer wieder die eigene Form durch anderen Rhythmus zu wechseln. Ich spürte, das hat ganz viel damit zu tun, auch im Kontakt mit Menschen seine Rollen zu wechseln - mal folgender Zuhörer zu sein und im nächsten Moment auch das Gespräch zu FÜHREN. Oder mal energisch zu sein, um im nächsten Moment wieder sanft sein zu können.

Gabrielle Roth liegt viel daran, dass wir alle Muster leben und so unser Leben vielfältiger wird. Und so sehe ich das auch in der Kommunikation. Es ist gut und wichtig, sich immer wieder in neuen Rollen auszuprobieren, mit neuen Formen von Kontakt zu experimentieren.

Die Angst hält einen meist in der gewohnten Form. Die gewohnte Form ist gemütlich und gelingt ohne Anstrengung. Etwas neues zu probieren, braucht erstmal Mut. Und man muss es aushalten können, dass es auch mal schief läuft. Begibt man sich auf unbekanntes Terrain, tauchen unerwartete Dinge auf und manches davon ist nicht das, was man beabsichtigt. Aber egal, mit der Zeit kann man Meister darin werden.

Viele, die von sozialen Ängsten betroffen sind, sind in Gruppen auf eine Rolle festgelegt, die sie schon viele Jahre so leben: Abwartend, zurückhaltend, zuhörend, passiv, in Gedanken lebend. Manchmal gibt es auch das Gegenteil - immer im Vordergrund sein zu müssen, um das Gespräch zu bestimmen. Nach dem Motto: Wer das Gespräch kontrolliert, erlebt nichts Unvorhersehbares. Und das gibt Sicherheit. Vorwärtsvermeider hat das mal ein Experte für Sozialphobie benannt.

Für viele heißt es, überhaupt erstmal eine neue Rolle kennenzulernen. Also Verhaltens- und Kommunikationsmuster zu erlernen, die sie so noch nie gelebt haben. Eine Selbsthilfegruppe ist dafür ein ideales Experimentierfeld. Hier hat man eine Gruppe, in der man sich ausprobieren kann. Hier ist ein vertrauter Rahmen, in dem es auch nicht schlimm ist, wenn kommunikativ mal was schief läuft.

Daneben kann man auch in Rollenspielen ganz bewusst mal eine für sich ungewohnte Rolle ausprobieren. Also z.B. mal ein Gespräch zu führen und sehr im Vordergrund zu sein. Oder nicht immer zu allem zu nicken, sondern auch mal eigene konträre Meinungen einzubringen. In der aktuellen Projektgruppe experimentieren wir mit solchen Dingen.

Das Interessante ist: Wenn neue Rollen erst einmal weit genug eingeübt sind, werden sie zu einer mühelosen Angewohnheit, zu einer Möglichkeit, die man nun immer für sich nutzen kann. Man hat sein Repertoire an Möglichkeiten erweitert, es ist ab nun immer abrufbar.

Es ist ungefähr so, wie jemand, der das Zehnfinger-Schreiben gelernt hat. Er kann ab nun sehr effizient Texte in den Computer tippen, ohne das das noch irgendwie Mühe macht. Man muss nur einmal diesen Lernschritt gemacht und sich darin geübt haben.

Es gibt sicherlich exponierte Rollen, die immer auch Ängste auslösen werden und die man deshalb gerne mal meidet. Ich habe aber den Eindruck, dass es ganz viele Rollen und Verhaltensmuster gibt, die jeder mühelos einnehmen könnte. Diese werden nur deshalb nicht eingenommen, weil sie noch nicht zur Gewohnheit geworden sind.

Und dann gibt es auch die Angst vor Situationen, für die man keine Handlungsalternativen kennt. Man fühlt sich dann in die Ecke gedrängt und ohnmächtig. Auch hier überlebt sich eine Angst, wenn man erstmal neue Möglichkeiten des Agierens gelernt hat. Wer z.B. genug Alternativen kennt, wie er einen flüssigen Smalltalk führen kann, wird entspannter in so eine Situation gehen.

-- Fred

20.11.2010 :: Immer völlig selbstsicher?

Ist es ein sinnvolles Ideal, irgendwann mal in jeder Situation völlig selbstsicher zu wirken? Ich glaube, das ist ein großer Irrtum. Es erwartet niemand von uns, ganz im Gegenteil: Unsicherheit kann je nach Situation sympathisch wirken, Herzen öffnen und Nähe herstellen. Diejenigen, die oft Selbstsicherheit vortäuschen, werden nicht selten als arrogant und unnahbar empfunden. Es gibt auch immer wieder von Sozialphobie Betroffene, die die Erfahrung machen, als arrogant abgestempelt zu werden. Weil sie eine übertrieben selbstsichere Maske aufsetzen.

Es ist interessant zu beobachten, wo man im Alltag überall auf Menschen trifft, die vorsichtig, zurückhaltend oder selbstunsicher wirken. Diese Art zu sein wird je nach Situation von vielen Menschen auch als "normal" empfunden. Erst starke Unsicherheit in Situationen, die eigentlich sicher wirken, fällt auf. Aber auch da bewirkt Unsicherheit nicht das, wovor viele Betroffene Angst haben: Ablehnung, Mobbing, sich drüber lustig machen. Bei vielen Menschen läuft was ganz anderes ab: Sie leiden vielleicht mit, bleiben aber weiter an uns interessiert.

Die meisten Menschen erleben Unsicherheit, Vorsicht und Fremdheitsgefühle - je nach Situation. Wenn man nur von Menschen umgeben ist, die scheinbar völlig selbstsicher in jeder Situation auftreten, fühlt man sich selber schnell minderwertig. Dann ist man auf die Maskerade hereingefallen, hält sie für wahr, vergleicht sie mit sich und hat dann das Gefühl, dem nicht gewachsen zu sein.

Ich erinnere mich an ein Seminar, wo alle auf mich sehr selbstsicher wirkten. Gestandene Menschen, die scheinbar alles in ihrem Leben bewältigt bekommen und niemals zweifeln. Ich fühlte mich gegen diese Menschen klein und minderwertig, hatte gar keine Lust mehr, in der Eröffnungsrunde was von mir zu erzählen. Das erschien mir dagegen alles so bedeutungslos. Später im Seminar öffneten sich diese Menschen und zeigten viel von dem, was hinter dieser antrainierten Alltags-Fassade war. Ich war völlig erstaunt, wieviele "psychische Baustellen" es bei allen gab, da zeigte sich, dass keiner ein klares Lebenskonzept hatte. Da waren auf einmal viele Zweifel, Lebensängste und Unsichereiten spürbar. Das konnten sie erst zeigen, als sie sich im Kreis etwas sicherer fühlten. Auf einmal fühlte ich mich nicht mehr allein und andersartig. Auf einmal erkannte ich: "Das sind alles Menschen, genauso wie ich."

Hier zeigt sich, dass es angenehm sein kann, wenn in der Begegnung von Menschen nicht immer nur Stärke und Unverwundbarkeit zur Schau gestellt wird. Es mag Situationen geben, da ist auch dies wichtig, in vielen Fällen aber verhindert das echte Begegnung. Und: Die Welt wäre so viel ärmer, wenn alles jenseits großer Selbstsicherheit nicht mehr spürbar und erlebbar wäre.

Als von Sozialphobie Betroffener kann es bedeuten, sich zu trauen, auch mit seiner Unsicherheit und seiner Vorsicht da zu sein. Man kann und darf auch diese Seite leben. Sie gehört zum eigenen Charakter und muss vielerorts nicht versteckt werden. So wird man ein Stück authentischer und das schafft Nähe und echte Begegnung. Wer sich mit seiner Unsicherheit annehmen kann, überwindet seine Schamgefühle und das Gefühl von Peinlichkeit. Beide sind nur deshalb da, weil wir meinen, so nicht sein zu dürfen, wie wir sind.

Wenn man für seine Unsicherheit doch mal Spott oder Ablehnung erntet, dann liegt es in der Regel daran, dass wir auf schwache Menschen treffen. Arme Geschöpfe, die Schwächere dafür brauchen, um sich aufzubauen. Sie sind die eigentlichen Bedürftigen in dem Geschehen. Wir zeigen Schwäche und sie haben Angst vor Schwäche. Wenn man dies einmal durchschaut hat, hilft einem das, mit den Reaktionen besser umgehen zu können. Manche haben darin eine echte Meisterschaft entwickelt. Sie erkennen und fühlen, wie die Dinge wirklich sind. Der Spott beeindruckt sie dann nicht mehr. Sie erkennen, was sie durch ihr Verhalten in schwachen Menschen auslösen können, fühlen sich aber deshalb nicht minderwertig, klein oder schlecht.

Welch verrückte Idee,
Spott wäre ein klarer Hinweis darauf,
dass mit uns etwas nicht stimmt!

Die Dinge sind oft anders,
als sie scheinen.

-- Fred

17.11.2010 :: Unsicheres Terrain

Es spricht einiges dafür, sich im Laufe seines Lebens immer wieder in etwas hineinzutrauen, wo man sich unsicher fühlt. Ungewohntes und Neues, mit dem man sich noch nicht auskennt, beinhaltet auch Unsicherheit. Man weiß noch nicht so recht, wie man damit umgehen soll, wird Fehler machen, um daraus zu lernen.

Wer nicht mehr bereit ist, sich in Unsicherheiten zu begeben, wird sich nur noch dort bewegen, wo er sich sicher fühlt. Er wird vielleicht in dem, was er kann, noch besser werden. Er wird aber nichts vollkommen Neues ausprobieren, in dem er sich erstmal unbeholfen fühlt.

Es gibt Menschen, die es sich immer wieder trauen, in Gebiete vorzudringen, wo sie ihre Unbeholfenheit spüren, wo sie Fehltritte machen. Das ist ein großer Glücksfall, weil man so immer wieder Neues kennenlernt und seine Möglichkeiten und Fähigkeiten ausweitet. Das sind die wirklichen Weltentdecker.

In unserer leistungsorientierten Gesellschaft haben viele Menschen gelernt, sich möglichst keine Fehler zu erlauben. Man muss möglichst bald perfekt funktionieren. Wer lernt wird oft mal schroff angegangen, wenn etwas nicht so funktioniert, wie gefordert. Lernräume, in denen Fehler willkommene Trittsteine sein können, besser zu werden, sind eher selten. Insofern haben viele das Lernen als eine unangenehme Erfahrung verinnerlicht. Und sie meiden es, sich in Bereiche vorzuwagen, wo sie sich nicht auskennen.

Man kann durchaus wieder lernen, sich bewusst in Bereiche mit Unsicherheiten vorzuwagen. Bei Sozialphobie sind es z.B. soziale Kontakte, in denen man Unsicherheiten spürt und die man deshalb meidet. Blockaden enstehen, weil man wegen einer Angst vor dem Scheitern zu stark unter Druck gerät.

Das Wichtigste ist, mit dem vermeintlichen Scheitern lockerer umgehen zu lernen. Sich zuzugestehen, dass es ein völlig normaler Wachstumsprozess ist, dass manches gelingt, manches weniger gelingt. Mitunter entstehen komische Situationen, Missverständnisse, Peinlichkeiten oder man bewirkt das Gegenteil von dem, was man beabsichtigt hat. All das ist Teil des Lernprozesses, ohne das geht es nicht. Das Gefühl, was sich einstellt, wenn etwas nicht so gelingt, kann sich mit der Zeit verändern. Empfindet man es anfangs vielleicht als sehr schlimm und unangenehm, wird man später manchmal sogar darüber schmunzeln können. Scheitern verliert seine mächtigen Empfindungen, es wird zu einem gewohnten handhabbaren Gefühl.

Menschen, die selber Probleme mit dem Scheitern haben, werden ihre Ängste gerne auf andere projezieren. Sie sind dann besonders schroff oder kritisch, wenn wir nicht "optimal funktionieren". Hier muss man aufpassen, sich davon abzugrenzen. Der andere meint nicht wirklich mich. Er zeigt mir lediglich, dass auch er in einem rauen Umfeld aufgewachsen ist, in dem er eigene Ängste vor dem Scheitern entwickelt hat. Er kann es sich genauso wenig eingestehen, wie anderen.

Wenn wir erstmal offener für Fehltritte sind, öffnen sich Türen, durch die wir hindurchgehen können!

-- Fred

15.11.2010 :: Muster erkannt, Gefahr gebannt!

Im vorherigen Beitrag hatte ich geschrieben, dass wir uns ganz viel auf der Basis von Mustern organisieren. Da gäbe es z.B. Denkmuster, Verhaltensmuster, Glaubensmuster oder Kommunikationsmuster.

Muster fallen uns in der Regel nicht mehr auf, wenn sie sich erstmal gebildet haben. Wir haben z.B. keine Ahnung, wie wir im Auto das Lenkrad bewegen, schalten, bremsen und kuppeln. Es passiert einfach, wir müssen nicht mehr darüber nachdenken. Man kann in Gedanken sogar völlig woanders sein und die Muster, die sich mit dem Autofahren beschäftigen, laufen eigenständig ab.

So automatische Muster sind gut, weil sie uns entlasten. Sie sind ein Stück weit was Eigenständiges geworden, sie brauchen nicht mehr unsere Aufmerksamkeit und unseren bewussten Einfluss. Man könnte auch sagen: Wenn wir lernen, züchten wir neue Muster. Wenn diese sich gut ausgebildet haben und durch Übung gefestigt sind, entlassen wir diese Kinder unseres Bewusstseins. Von da an tun sie das in der Art weiter, wie wir sie geschaffen haben. Oft zu unserem Besten, manchmal aber auch zu unserem Leidwesen.

Beim Autofahren merkt man, dass Muster sich im Laufe der Zeit noch verbessern - wir werden sicherer. Wenn etwas schief läuft, reflektieren wir es und überlegen, wie wir demnächst auf bessere Weise fahren. Ich erinnere mich z.B., dass ich anfangs recht lange einen Schulterblick machte, um auf die Autobahn zu fahren. Einmal bremste das Auto vor mir genau in dem Moment, wo ich nach hinten guckte. Ich wäre fast aufgefahren. Das war der Moment, wo ich mein Verhalten neu reflektierte und mir vornahm, besser darauf zu achten, also den Blick nach hinten kürzer zu machen und mehr Abstand zu lassen.

Muster sind aber von sich aus nicht intelligent. Man kann 40 Jahre intensiv Auto fahren und immer noch den Motor viel zu hoch drehen, weil man zu spät hochschaltet. So lange Muster halbwegs funktionieren und man sie nicht reflektiert, bleiben sie so. Sie optimieren sich nicht.

Das ist auch ein Grund dafür, warum viele erst dann über Veränderungen der eigenen Persönlichkeit nachdenken, wenn die Not schon groß ist. Eigentlich ist das schade, weil man so viele Jahre auf eine Weise lebt, die nicht richtig passt, aber doch noch nicht genug stört, um es zu erkennen und zu ändern.

Umgedreht passiert aber auch eins: Menschen, die durch Not eine Psychotherapie begonnen haben, werden wacher für das innere Geschehen. Sie entwickeln eine Aufmerksamkeit für Muster, die ihnen nicht gut tun. Das ist das große Geschenk, was man durch Selbsterfahrung oder Therapie bekommt. Wenn es gut läuft, wird man auch nach einer intensiven Phase der Psychotherapie weiter dran bleiben. Man wird sich so mehr und mehr kennenlernen.

Das spannende an Mustern ist, sie wiederholen sich. Sie laufen wieder und wieder ab. Schlechte Muster werden uns wieder und wieder belasten. Bis wir die Lektion gelernt haben und bessere Muster finden. Dadurch, dass Muster sich immer und immer wiederholen, haben wir auch eine große Chance, sie zu packen zu bekommen.

Das wichtigste ist erstmal das Erkennen des Musters. Das ist die halbe Miete, wenn ich verstanden habe, was in mir abläuft. Doch das ist gar nicht so einfach. Gerade weil Muster ihr Eigenleben führen, wir es also nicht mehr bewusst tun, fallen sie gar nicht mehr auf. "Der Fisch erkennt das Wasser zuletzt." heißt es in einem Sprichwort.

Achtsamkeit oder Bewusstheit in sein Leben zu bringen, ist hierbei ein wichtiger Schritt. In buddhistischen Schriften findet man viel über das Thema Bewusstheit. Dort heißt es z.B., man solle alles, was man tut, bewusst machen. Auch so ganz alltägliche Dinge, wie Geschirr abwaschen. Das schult den Geist, bei dem zu bleiben, was gerade ist. Und das ist eine Grundlage, die Muster zu erkennen, die gerade ablaufen. Mittlerweile haben viele Psychotherapie-Formen das Thema Bewusstheit aufgegriffen.

Daneben braucht es Menschen, die das erkennen, was man selber nicht sehen kann. Nicht weil man blind ist, sondern weil man für Gewohntes blind wird. Und es braucht das Feedback. Das mir also Menschen mitteilen, wie sie mich sehen und wahrnehmen. Bei Sozialphobie ist das nicht so einfach, besteht doch auch eine große Angst davor, das andere Unzulänglichkeiten an mir entdecken. In der Regel entsteht deshalb Feedback in der Selbsthilfegruppe erst dann, wenn sich Vertrauen ineinander entwickelt hat. Wenn man spürt, dass der andere mir grundsätzlich wohlwollend zugewandt ist.

Buchtipps:

  • Achtsamkeit und Akzeptanz in der Psychotherapie - Gibt eine Überblick, in welcher Form verschiedene Therapie-Schulen das Thema Achtsamkeit aufgreifen und in die Therapie integrieren. Auch Grundlagen der Achtsamkeit werden vermittelt.
  • Edward de Bono hat viele Bücher über kreatives Denken geschrieben. Der Klassiker "Laterales Denken" ist derzeit nur noch gebraucht zu bekommen. Allerdings findet man auch in den neueren Büchern seine grundlegenden Ideen. Hier werden auch die Grundzüge musterbildender Systeme anschaulich erklärt.
  • http://books.google.de/books?id=He77RPViF7kC - De Bonos neue Denkschule mit Vorschau

-- Fred

14.11.2010 :: Der Mensch als musterbildendes System

Wenn du durch die Stadt gehst, achte mal auf den Gang eines Menschen. Oberflächlich betrachtet gehen wir alle gleich, aber wenn man genauer hinschaut, erkennt man: Jeder Gang ist anders. Wer sich darin schult, könnte es schaffen, bei Wetten das aufzutreten und 1000 Menschen nur am Gang zu erkennen.

Der Gang ist ein Bewegungs-Muster, was jeder ausbildet. Für den Rest seines Lebens wird er auf diese Art durchs Leben gehen, es sei denn, er wendet sich dieser Bewegung nochmal bewusst zu und verändert sie. Moshe Feldenkrais hat sich ganz viel mit Bewegungsmustern beschäftigt und Menschen darin geschult, sich auf neue Weise zu bewegen. Er fand heraus, dass die Bewegungsmuster, die Menschen verinnerlicht haben, oftmals sehr ineffizient oder gar schädlich für den Organismus sind. Gleichzeitig zeigte sich, dass Menschen durch seine Form des Trainings sehr schnell neue Bewegungsmuster erlernen können. In eine ähnliche Richtung zielt die Alexander Technik von Frederick Matthias Alexander.

Der Mensch ist durch und durch ein musterbildendes System. Gewohnheiten sind Verhaltensmuster. Sprache und Aussprache sind erlernte Muster. Handschrift ebenso.

Kommunikation läuft ganz oft nach bestimmten Mustern ab. Smalltalk zum Beispiel. Der fällt einem dann leicht, wenn man die Muster verstanden und verinnerlicht hat, wie der so abläuft. Vorausgesetzt, man ist nicht durch Ängste blockiert und gehemmt. Ängste können einen so blockieren, dass selbst Bewegungsmuster nicht mehr so natürlich und unbewusst ablaufen.

Ein zentraler Bereich ist unser Denken, was ebenso nach Mustern abläuft. Die Art, wie wir denken, ist in Mustern festgelegt. Oft ist uns das gar nicht bewusst. In Gesprächen merkt man es manchmal. Da reagiert jemand vielleicht nur auf negative Aussagen - da findet er sofort einen Zugang. Kommen vom Gesprächspartner positive Aussagen, weiß er nichts zu sagen. Derjenige hat dann gut ausgebildete Muster, sich über die Missstände der Welt aufzuregen, hat aber kaum Muster, wie er mit guten Nachrichten umgeht. Wenn man Moderatoren von Talkrunden genauer beobachtet, erkennt man Muster, wie sie geschickt das Gespräch lenken. Diese Muster wiederholen sich, sie haben ein gewisses Reportoire an Möglichkeiten. Gute Moderatoren verfeinern diese Möglichkeiten immer weiter und lernen dazu.

Egal wo man hinschaut, der Mensch ist von Kopf bis Fuß von Mustern bestimmt. Von daher ist es gut, zu verstehen, wie Muster funktionieren. Denn jede Form von Weiterentwicklung bedeutet, neue Muster auszubilden und alte Muster loszulassen oder durch bessere zu ersetzen.

Neue Muster brauchen Zeit, bis sie uns in Fleisch und Blut übergehen. Dann werden sie bestensfalls zu guten Angewohnheiten, die uns das Leben erleichtern. Durch gute Muster wird man wirksamer, verständlicher, effizienter, liebevoller, offener oder mitfühlender.

Muster können auch radikal die Wahrnehmung verändern. Wer meint, dass das, was man wahrnimmt, wahr ist, ist auf dem Holzweg. Wahrnehmung wird ganz stark von unseren Mustern bestimmt, von der Art, wie wir bewerten, deuten, einordnen, worauf wir überhaupt achten.

Als Experiment mache man mal einen Spaziergang und achte auf alles, was rund ist. Man wird erstaunt sein, was die Welt alles an runden Sachen zu bieten hat. Es ist die selbe Welt, die man gestern noch ganz anders wahrgenommen hat. Als nächstes gehe man durch die selbe Welt und achte auf alles Eckige...

Ein Mensch, der ein Interesse für das Gute, Schöne und Wahre hat, wird seine Aufmerksamkeit dahin lenken. Ein Mensch, der durch große Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren ist, besonders das Ungerechte wahrnimmt, wird auch weiterhin eine sehr ungerechte Welt erleben. Mit welcher Sensiblität wir was wahrnehmen, ist individuell ganz unterschiedlich.

Die gute Nachricht ist, das sich Muster bis ins hohe Alter verändern lassen. Auf allen Ebenen unseres Seins. Es lohnt sich, immer mal wieder hinzuschauen, um seine Muster zu erkennen. Und sich inspirieren zu lassen durch neue Muster. Sie auszuprobieren und seine Erfahrungen damit zu machen.

Darum gehts übrigens auch viel in Selbsthilfe. Die Erfahrungen der anderen sind eine wichtige Quelle für Ideen, was man selber mal anders machen könnte. Über seine Erfahrungen bei diesen Veränderungen zu reden, motiviert wieder andere, etwas auszuprobieren. Und wir brauchen den anderen, um unsere Eigenarten überhaupt erstmal zu erkennen. Im günstigen Fall bleibt alles in Fluß und wir verändern uns alle hin zu besseren Ideen, die dann zu Mustern und Angewohnheiten werden.

-- Fred

13.11.2010 :: Sorgenvolle Gedanken

Beim "Tag der Angstbewältigung" im Marienhospital kam ein interessanter Tipp, wie man mit sorgenvollen Gedanken umgeht. Es kann sinnvoll sein, diese mal bis zu Ende zu denken. Es geht dabei darum, herauszufinden, was realistisch an den Gedanken dran ist. Sind die Sorgen wirklich berechtigt? Wie wahrscheinlich ist das Eintreffen, um was ich mich sorge? Was könnte schlimmstenfalls passieren? Werde ich das ertragen können?

Ganz oft belasten uns Gedanken, weil wir sie nicht zu Ende gedacht haben. Wenn man sie sich wirklich mal realistisch "Zur Brust nimmt", erkennt man unrealistisches.

-- Fred

13.11.2010 :: Tag der Angstbewältigung

Im Marien-Hospital in Dortmund Hombruch fand gestern der Tag der Angstbewältigung statt. Über einige Vorträge konnte man Einblicke in das Klinikkonzept bei der Behandlung von Ängsten bekommen. Das Marien-Hospital hat neben stationärem Aufenthalt auch eine Tagesklinik.

Wer sich noch wenig mit dem Thema Angst auseinandergesetzt hat, konnte hier eine gute Einführung mitnehmen. Aus verhaltenstherapeutischer Sicht. Die Klinik arbeitet bei Ängsten vorwiegend auf Grundlagen der Verhaltenstherapie.

Im Zentrum steht das Expositionstraining. Bei Sozialphobie würde das z.B. heißen, dass man mit dem Therapeuten in eine angstauslösende Situation hineingeht. Man könnte in einem Restaurant mal ein Glas fallen lassen, um zu erkennen, dass eigentlich nichts schlimmes passiert. Der Kellner wird einem helfen und die Sache ist schnell erledigt. Die Angst, durch so eine Aktion für einen Moment im Mittelpunkt zu stehen, wird durchlebt. Die Realität zeigt einem, dass im Hier und Jetzt keine akute Bedrohung vorhanden ist. Gerade dieses Durchleben der angstmachenden Situation, ohne zu vermeiden, steht im Mittelpunkt des Expositionstrainings.

Wer Ängste hat, einen Vortrag zu halten, würde genau in diese Situation geschickt.

Eine gute Patienten-Aufklärung, was bei Ängsten in einem abläuft, ist der Klinik wichtig und Teil des Behandlungskonzeptes. Die Vorträge haben hier auch einführende Einblicke gegeben. So kann man z.B. körperliche Abläufe besser verstehen, bewerten und einordnen. Auch ist es wichtig zu verstehen, dass Ängste ganz normal zum Leben dazugehören und sinnvoll sind. Lediglich der Situation unangemessene Ängste gilt es in Therapie zu heilen.

Wie ist dieser verhaltenstherapeutische Ansatz aus unserer Sicht zu bewerten? Wir haben ja in 11 Jahren Selbsthilfearbeit viele Einblicke, wie Menschen ihre sozialen Ängste bewältigen und wie Ihnen welche Therapieangebote halfen. Wichtig erscheint mir, erstmal festzustellen, dass dieser Weg der direkten Angstkonfrontation bei vielen Betroffenen massive Widerstände und Angst auslöst. Da gehts ziemlich direkt "ans Eingemachte". Der Weg wird als bedrohlich empfunden, mal ganz unabhängig davon, ob er funktioniert. Wenn so ein Weg abgelehnt und von Betroffenen nicht gewählt wird, könnte dies also eine Rolle spielen. Andersherum wählen manche diesen Weg auch gerade deshalb, mit der Hoffnung: "Schmerzhaft, aber effizient und wirkungsvoll."

In den Vorträgen wurde ein Bild vermittelt, was man auch aus der Presse kennt: Ängste können sehr gut behandelt werden und das Mittel der Wahl ist die Verhaltenstherapie mit Expositionstraining. Hierdurch können Ängste schnell und effizient geheilt werden.

Wir erleben das in den Gruppen völlig anders. Hier zeigt sich eher: Sozialphobie und soziale Ängste sind Ausdruck von sehr komplexen Zusammenhängen. Biografische Zusammenhänge spielen hier eine große Rolle, Prägungen in der frühen Kindheit, in der Schulzeit, Pubertät und auch späteren Lebensphasen (z.B. Mobbingerfahrungen). Traumatische Erfahrungen können sich tief ins Bewusstsein eingebrannt haben. Soziales Lernen hat evtl. nur unzureichend stattgefunden. Liebe und Geborgenheit könnte gefehlt haben. Ein kaltes, unmenschliches Umfeld könnte über Jahre geschädigt haben. Neben Ängsten gibt es viele weitere "Baustellen", die betrachtet werden müssen. Jeder Mensch ist ganz individuell mit seiner Lebensgeschichte.

Wenn man sich diese hochkomplexe und individuell sehr unterschiedliche Situation vergegenwärtigt, wirkt es doch ein wenig einfach gedacht, all das mit ein paar verhaltenstherapeutischen Maßnahmen zu heilen. So eine Form von Heilung haben wir noch nicht erlebt. Heilung suggeriert auch die Vorstellung, als könne jemand, der zuvor große Probleme hatte, in einem Restaurant zu essen, nun nach Herzenslust essen gehen. So einfach ist das aber in der Praxis nicht.

Es scheint eher so, dass die Bewusstseins-Muster, die zu Sozialphobie und Ängsten führen, in vielen Fällen sehr zäh und widerstandsfähig verankert sind. Und sie sind oftmals immun gegen alle möglichen Versuche der Veränderung. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie schwer es Menschen fällt, abzunehmen oder mit dem Rauchen aufzuhören, dann zeigt das etwas von dieser Zähigkeit und der Schwierigkeit persönlicher Veränderungen.

So erleben wir dann in der Regel auch längerfristige Veränderungsprozesse, wo phasenweise kaum spürbare Veränderungen stattfinden. Über die Zeit hinweg werden dann aber doch größere Veränderungen wahrgenommen, insofern man sich nochmal zurückerinnert, wie die Situation vielleicht vor 2-3 Jahren war. Veränderung verläuft auch nicht gleichförmig, mal gibt es größere Fortschritte, mal scheint Stillstand zu herrschen, mal gibt es Rückschritte. Mal steht Veränderung im Vordergrund, dann wieder Vermeidung und Rückzug. Mal gibt es etwas geschenkt und Veränderung passiert einfach so, mal muss man es sich hart erarbeiten und sich mit schwierigen Dingen auseinandersetzen. Manches braucht Jahre, bis man überhaupt wagt, darüber nachzudenken und es anzugehen. Es gibt Dinge, die hat man schon tausend mal gehört, aber der Groschen fällt erst 5 Jahre später. Erst dann erreicht einen etwas in der Tiefe. Oft braucht es auch einen gewissen Leidensdruck, um eine längst fällige Veränderung anzugehen.

Die Wege, wie Menschen sich weiterentwickeln, sind dabei vielfältig. Alltag, Arbeit, Freundschaften, Klinik, ambulante Therapie, Selbsthilfe, Literatur und Internet sind Lernfelder und geben Impuls für die Weiterentwicklung. Für manche ist auch der Glaube oder Spiritualität eine wesentliche Quelle für persönliche Entwicklung. Auch sportliche Aktivitäten oder Hobbys können zu einer Weiterentwicklung beitragen. Manchmal sogar mehr, als man erwartet. Denn dort, wo das Interesse der Menschen zu finden ist, können unglaubliche Kräfte freigesetzt werden.

Therapeutisch profitieren Betroffene von ganz unterschiedlichen Ansätzen: Selbstsicherheitstraining, Gesprächstherapie, Theatertherapie, Rollenspiele, Körpertherapie, Training sozialer Kompetenzen, Gestalttherapie, systemische Therapie, Meditation, Entspannungsverfahren, Reittherapie, Atemtherapie, Lernpsychologie usw. Gerade in psychosomatischen Kliniken ist das Spektrum der Angebote oft wesentlich größer. Bei Sozialphobie spielt auch eine tragende Gemeinschaft in Therapie und Selbsthilfe eine große Rolle.

Und die Verhaltenstherapie mit ihrem Expositionstraining? Ja, die reiht sich auch als eine mögliche Form mit ein, die Betroffenen geholfen hat. Allerdings nicht in der Dominanz, wie sie oft dargestellt wird. Vielleicht kann man sagen, das dieser Weg gerne mal vermieden wird, obwohl er sinnvoll wäre.

Jede ernsthafte Therapie bietet die Möglichkeit, dass etwas geheilt werden kann. Jede bietet einen etwas anderen Zugang, eröffnet eine andere Welt aus einem anderen Blickwinkel. Zu was der Einzelne Zugang findet, ist höchst individuell und verändert sich auch im Laufe des Lebens. Das, was Menschen an Ressourcen und Vorstellungswelten bereits mitbringen, ist wichtig und kann genutzt werden. Die Menschen, die diese Werkzeuge nutzen, und die Beziehungsangebote, die sie machen, sind dabei mindestens genauso wichtig.

Übrigens sollte man auch immer über Nebenwirkungen von Therapien nachdenken. Ein Mensch, der wenig Zugang zu seinen eigenen Empfindungen und Grenzen hat, wird durch eine stark konfrontierende Exposition vielleicht noch mehr geschädigt. Er spaltet dann mal wieder mehr seine Gefühle ab und verhält sich dann auch in Selbsthilfe zu anderen Menschen so: Er fordert, dass andere sich allem stellen und über ihre Grenzen gehen. Alles mit der Brechstange. Mit der stärkenden Erfahrung im Rücken, dass auch der Therapeut ihn damals dafür hoch gelobt hat. Stattdessen wäre es wichtiger, die eigenen Gefühle zu integrieren, die eigenen Grenzen wahrzunehmen und liebevoller mit sich selbst umzugehen.

Weblinks:

-- Fred

13.11.2010 :: Seine Vermeidungsstrategien kennen

Menschen sind unendlich kreativ, wenn es darum geht, Ängste zu vermeiden. Ist ja auch logisch, wer erlebt schon gerne Unangenehmes. Da sucht man lieber nach Wegen, wie einem das erspart bleibt.

Die Sache hat aber einen Haken. Dort, wo die Angst ist, findet man oft auch die Chance. Menschliche Entwicklung ist immer damit verbunden, sich auch in Beängstigendes hineinzutrauen.

Dies gilt ganz besonders bei Angstkrankheiten. Sich immer mal wieder in Ängste hinein zu begeben, um Erfahrungen zu machen und sich weiter zu entwickeln, ist wichtig. Es geht auch darum, sich nicht von seinen Ängsten dominieren zu lassen, sonst wird das Leben ganz schnell eng und farblos. Ganz oft bedarf es nur etwas anfängliche Überwindung, um dann eine gute Erfahrung zu machen. Die Erfahrung, das es sich gelohnt hat, was zu riskieren.

Vermeidungsstrategien sind uns oft gar nicht bewusst. Da sagt jemand "Ich hab leider keine Zeit", meint aber, dass er eigentlich Angst hat. Auch versteckt man ganz gerne mal vor sich selbst, dass man eigentlich vermeidet. Wenn man nicht genau weiß, wann und wo man vermeidet, wird alles noch schwieriger.

Von daher ist es eine gute Idee, achtsam zu werden, warum man Dinge nicht tut. Zu erkennen und zu erspüren, wann man vermeidet. Wer hart gegen sich ist, müsste dann gleichzeitig noch lernen, es auch mal zuzulassen, zu vermeiden. Es ist viel besser, über seine Vermeidungsstrategien bescheid zu wissen und sich die Freiheit zu nehmen, immer mal wieder zu vermeiden. Anstatt hohe Ansprüche an sich zu haben, die man nie erfüllen kann. Womit man dann seine Vermeidung tarnen, ausblenden und vor sich verbergen muss.

-- Fred

11.11.2010 :: Psychosoziale Lage in Deutschland

Die psychosoziale Lage in Deutschland wird zunehmend kritischer. Der Aspekt seelischer Gesundheit bekommt in vielen Feldern unserer Gesellschaft zu wenig Aufmerksamkeit. Gewinnmaximierung führt dazu, dass das Arbeitsklima kälter wird und immer mehr in immer weniger Zeit geleistet werden muss. Auf der anderen Seite sind viele Menschen von Arbeitslosigkeit betroffen und finden nur schwer sinnerfüllte Arbeit.

Im Aufruf zur psychosozialen Lage in Deutschland wird auf dieses Problem aufmerksam gemacht. Man kann sich dort informieren und das Anliegen unterzeichnen. Initiator des Aufrufs ist Dr. Joachim Galuska, Geschäftsführer der Heiligenfeld-Kliniken.

Weblinks:

08.11.2010 :: Ängste durchstehen

Wie durchsteht man eigentlich starke Ängste? Kann man in Momenten großer Angst was Sinnvolles für sich tun? Ja es gibt sie - Techniken und Methoden, um die Angst ein Stück weit handhabbarer zu machen.

Hier ein paar Anregungen:

  • Achtsamkeit auf den Atem: Ein schneller flacher Atem begünstigt Ängste, von daher konzentriert man sich auf einen tiefen ruhigen Atem. Ich atme tief aus dem Bauch heraus aus, ich atme ein. Aus... Ein... Sobald ich merke, dass ich gedanklich irgendwo anders bin, konzentriere ich mich wieder auf den Atem. Gedanken stacheln irreale Ängste oft an, geben der Angst mehr Kraft. Wenn man sich wirklich auf den Atem konzentriert, kann man nicht gleichzeitg denken.
  • Konzentration auf Bewegung: Man kann z.B. ganz langsam durch den Raum gehen und sich auf die Bewegung des Körpers konzentrieren. Genau spüren, wie der eine Fuß aufsetzt, wie der andere nachzieht, wie die andere Fußsohle den Boden berührt. Genau hinspüren, wie mein Körper sich in Bewegung anfühlt. Auch hier konzentriert man sich hin zum Leib, weg von angstauslösenden Gedanken.
  • Hilfreiche Gedanken: Hierzu sollte man erstmal seine typischen angstaufbauenden Gedanken kennen. Diese laufen automatisch ab und verstärken die Ängste. Lautet so ein Gedanke "Die machen sich alle lustig über dich." und man erkennt den immer wieder als irreal, dann könnte man positive Suggestionen bzw. konstruktive Gegengedanken einüben: "Schau dich um, du kannst dich hier angenommen fühlen." Viele weitere Anregungen findet ihr hier: Affirmationen
  • Achtsamkeit auf das, was ist: Es geht darum, Bewusstheit über alles zu entwickeln, was auftaucht. Man versucht sich auf den Satz "Da ist..." zu konzentrieren. Alles, was man wahrnimmt, spricht man innerlich nun so aus: "Da ist eine tickende Uhr. Da ist mein Atem. Da ist ein komisches Gefühl im Bauch. Da ist ein Kind, was schreit. Da ist ein Geruch nach Rauch in der Luft. Da ist ein kühles empfinden an meinen Händen..." Es geht darum, den Moment zu beobachten und das innerlich zu benennen, was man wahrnimmt. Neben der beruhigenden Wirkung ist dies gleichzeitig ein gutes Hilfsmittel, um sich verstehen zu lernen und sorgt für gutes Erinnerungsvermögen, um gemachte Erfahrungen später nochmal zu reflektieren.
  • Sport: Angst schüttet Hormone aus, die im Körper nur langsam wieder abgebaut werden. Sport kann dafür sorgen, diesen Stoffwechselprozess zu beschleunigen. Gleichzeitig wirkt Sport auf ganz vielen Ebenen, baut z.B. Selbstvertrauen auf, man spürt sich in der Bewegung, man tut aktiv etwas. Beim Sport ist es gut, sich ganz auf die Übungen zu konzentrieren, also wirklich im Moment zu sein. Joggen, walken, schwimmen, Inline-Skaten, Fahrradfahren, Boxsack, Gymnastik, Fitness-Studio, Ergometer...
  • Östliche Praktiken: Östliche Praktiken beziehen oft Körper und Geist ein, so z.B. beim Yoga. Man konzentriert sich auf die Körperübung oder führt sie mit einer bestimmten geistigen Haltung aus. Im Yoga findet man auch Atemübungen und meditative Praxis. Meditation kann helfen, innere Ruhe und Stille zu finden, kann Gefühle beruhigen, kann das Loslassen fördern. Bei Tai-Chi oder Qigong geht es um langsame harmonische Bewegungen, die auch einen positiven Einfluss auf unseren Gemütszustand haben. Viele dieser Übungen werden in Gruppen angeboten, was auch positiv erlebt werden kann (bei Sozialphobie je nach Ausprägung kann dies aber auch schwierig sein). Die Wirkung solcher Praktiken braucht vor allem regelmäßige Übung.
  • Entspannungs-CD's: Es gibt zahlreiche CD's mit geleiteten Entspannung, Phantasiereisen oder Hypno-Trancen. Diese können helfen, loszulassen und sich zu entspannen. Das Angebot solcher CD's ist groß, man muss für sich herausfinden, was einem gut tut.
  • Gedanklich-konstruktiv: Manchen Menschen gelingt es, uns durch die richtigen Worte herunterzuholen von Angst und Panik. Sehr gut, wenn so ein Mensch in der Nähe ist und uns helfen kann. Wenn niemand da ist, können wir das auch für uns selbst tun. Durch heilsame gedankliche Anregungen. Eine wohlwollende innere Stimme, die uns auf reale-konstruktive Gedanken bringt, anstatt irreale Angstphantasien weiter zu spinnen. Jeder kann für sich lernen, sich gedanklich gut zu begleiten. Beispiel: "Beruhige dich. Deine Erfahrung sagt dir, dass es meist nicht so schwierig wird, wie du es dir vorstellst. Ganz im Gegenteil, oft gelingt es dir leicht. Du kannst vieles, du kannst auf deine Fähigkeiten vertrauen. Und was schief geht, ist auch ok. Es muss nicht alles optimal laufen. Lass dich so sein, wie du bist. Zeig dich, wie du bist. Mal dir nicht aus, was alles werden könnte. Das meiste davon wird so nicht eintreffen. Konzentriere dich einfach nur auf den nächsten Schritt. Für die Schritte von morgen wirst du morgen auch neue Kraft haben. Vertraue auf die Kraft, die dir im richtigen Moment gegeben werden wird."
  • Tanzen: Durch tanzen kommt man gut in Bewegung. Gerade schnellere Stücke sorgen dafür, dass der Körper ordentlich ins Schwitzen kommt. So werden wie beim Sport auch, Stress-Hormone schneller abgebaut. Gleichzeitig ist die Musik ein starker Reiz, auf den man seine Aufmerksamkeit halten kann. Das führt weg von Angstgedanken, hin zum Erleben im Hier und Jetzt. Gleichzeitig kann Tanz und Musik freudvolle Emotionen auslösen. Auch Entspannung konnte durch Einfluss von Musik nachgewiesen werden. Musik und rhythmische Bewegung wirkt auf ganz vielen Ebenen, wobei jeder für sich herausfinden muss, was gut tut und ob man einen Zugang dazu findet.
  • Herzlichkeit: Viele Ängste verschwinden, wenn man in sich eine Atmosphäre der Herzlichkeit und des Mitgefühls ausbilden kann. Das lässt sich durchaus üben. Man nimmt sich z.B. 10 Minuten Zeit und konzentriert sich darauf, sich selbst mit Herz und Mitgefühl zu begegnen. Sich annehmen, sich innerlich umarmen, ein gutes warmherziges Verhältnis zu sich zu entwickeln. Es geht vor allem darum, es zu fühlen und dieses Gefühl eine Zeit lang aufrecht zu erhalten. Auch kann man sich vorstellen, wie man anderen mit Warmherzigkeit begegnet. Kontakt, der vielleicht sonst als beängstigend erlebt wird, nimmt man mit einer warmherzigen Vorstellung vorweg. Man phantasiert sozusagen einen guten Kontakt und es geht vor allem darum, dieses wohlige Gefühl in sich auszuprägen und es mit den inneren Bildern von Kontakt zu verbinden. Es macht einen Unterschied, ob man so eine Situation vorwegnimmt oder ob man in Angst-Horrorphantasien geht. Wer sich in einer herzlichen Grundhaltung verankert, der durchsteht auch schwierige Situationen besser. Bei buddhistischen Mönchen, die sich jahrelang in einer mitfühlenden inneren Grundhaltung geübt haben, wurden völlig andere Gehirnaktivitäten festgestellt. Statt Wut, Ärger, Furcht und Angst entsteht Mitgefühl und Verbundenheit. (Mehr Infos hier...)

Habt ihr weitere Anregungen? Dann schreibt uns!

-- Fred

04.11.2010 :: Kritikfähigkeit

Als Mensch können wir uns immer wieder neuen Bedingungen und Anforderungen anpassen. Möglich wird dies dadurch, dass wir erkennen, wie wir auf die Umwelt wirken und ob Wirkung und Wollen übereinstimmen. Manchmal wollen wir etwas, bewirken aber etwas ganz anderes. Dann kann man sich hinterfragen, um zu erkennen, was man tut und wie man es besser machen kann.

Es ist von großem Vorteil, wenn man hier eine gute Flexibilität und Anpassbarkeit hat. So kann man sich immer wieder relativ schnell an neue Bedingungen anpassen und auf neue Menschen einschwingen.

Wenn Menschen andere kritisieren, dann sind sie mit etwas unzufrieden. Sie wollen, dass der andere sich anders verhält, anders denkt, anders fühlt oder sonstwie anders ist. Das allein ist noch lange kein Grund, etwas an sich zu verändern. Es ist lediglich Aufforderung, sich einen bestimmten Aspekt bei sich mal näher anzuschauen. Um dann zu gucken, was man selber will oder für sinnvoll hält.

Eine interessante Frage ist: "Wie kann ich mit Kritik umgehen?"

Es ist gar nicht so einfach, mit Kritik umzugehen. Bei Sozialphobie recht häufig anzutreffen, sind übermäßig große Selbstzweifel, wenn man kritisiert wird. Man fühlt vielleicht, absolut nicht in Ordnung zu sein. Solche Selbstzweifel können sehr weit gehen und sich existenziell bedrohlich anfühlen. Es können tiefe Selbstwert-Wunden vorhanden sein, so dass man schon bei einer kleinen Kritik seine Daseinsberechtigung oder das Gefühl, angenommen zu sein, völlig anzweifelt. Dann geht es nur noch um Überlebenskampf.

Andere wiederum machen vollkommen dicht und lassen keinerlei Kritik an sich ran. Sie veharren in starren Lebensmustern und sind überzeugt von ihrer Meinung. Unter so starker Abwehr steckt natürlich auch oft starke Verunsicherung und tiefe Verletzung des Selbstwerts.

Die Ursache für eine soziale Phobie kann genau in diesem Dilemma begründet sein. Wenn man eine tiefe Selbstwert-Verletzung hat, dann wird jeder Kontakt zu Menschen deshalb als bedrohlich empfunden, weil jede kleinste Kritik diese massive Selbstwert-Wunde triggern kann. Dann hängt man wieder drin in dem Gefühl, keine Daseinsberechtigung zu haben, unwert zu sein oder sich stark für sich zu schämen. Und Scham ist ein unerträgliches Gefühl.

Wieder gut mit Kritik umgehen zu lernen, erscheint mir wertvoll. Starke Verletzungen der Selbstannahme und des Selbstwerts können in einer tiefenpsychologischen Therapie aufgearbeitet werden. Irgendwann wird man sich auch der Kritik stellen müssen, anfangs kann das ganz schön schmerzhaft sein. Doch durch das, was man in Therapie gelernt hat, kann man einen immer besseren Umgang damit finden. Irgendwann wird eine Kritik nicht mehr so tief entwurzeln, sondern kann gut als eine Möglichkeit angenommen werden, es besser zu machen.

-- Fred

02.11.2010 :: Neues Forum: Depressionen und Ängste

Kirsten hat ein neues Forum ins Leben gerufen. Wer Lust hat, mitzumachen, schaue dort mal vorbei. Ein Neubeginn ist immer etwas Magisches - alles kann werden, vieles lässt sich mitgestalten. Es ist spannend, einer der ersten zu sein und die Diskussionen dort mit zu prägen.

Damit ein Forum sich etabliert, braucht es meist ein paar Monate. Es braucht aktive Stamm-Mitglieder, die für eine lebendige Diskussion sorgen. Wir wünschen gutes Gelingen.

Weblink: http://www.depri-angst.hack-webdesign.de

01.11.2010 :: Kampfgruppe

Ich lese gerade in dem frisch erschienenen Leitfaden für Selbsthilfegruppen des VSSPS. Ein Aspekt spricht mich dabei besonders an. Ein Bewältigungsversuch, den ich für unglücklich halte: Die Selbsthife als Kampfgruppe.

Die Idee geht in etwa so: Wir sind von Sozialphobie betroffen und müssen dieser Angst nun den Kampf ansagen. Die soll ja weg. Wir suchen uns also alle möglichen Herausforderungen und treiben uns da durch. Üben, üben, üben. Alles ist ein Erfolg, Hauptsache man hat es sich abverlangt und konnte in der Situation bestehen. Getreu dem Motto: "Was uns nicht umbringt, macht uns härter."

Das ist das richtige Stichwort - Verhärtung. Ich hab das immer mal wieder erlebt, Betroffene, die unbarmherzig gegen sich selbst kämpften. Gegen die Angst im eigenen Körper. Und dabei verhärteten sie und entwickelten einen ablehnenden Bezug zu ihrer Angst. Die Angst als ein Krebsgeschwür, was es zu vernichten gilt.

Nicht alle treiben es so militant auf die Spitze, es zeigt aber eine Tendenz, eine Idee von der Problematik, die ich für grundverkehrt halte.

Ich erinnere mich, das ich zu Anfang meiner Therapie selbst von dieser Idee besetzt war. Ich dachte, mein Therapeut würde mich darin unterstützen, wunderte mich dann aber, warum er ganz andere Dinge ansprach: "Was ich gerade sehe, ist ein verunsichertes kleines Kind, was von seinem Vater gnadenlos in eine Situation geschickt wird. Ohne jegliches Mitgefühl!" Ups, das hatte gesessen! Genau ins Schwarze! Urplötzlich stiegen Tränen auf, ich war erschüttert...

Da zeigte sich die Fortführung des Dramas. Genau die Strukturen, die zur Angst führten, wollten nun die Angst ausrotten. Und bewirkten nur das Gegenteil. Es ging in der Folge der Therapie ganz oft darum zu erkennen, dass die Angst nicht mein Feind, sondern mein Verbündeter ist. Integration statt Abspaltung.

Diese Idee, sich eine Kampfansage zu machen und gegen die Ängste zu kämpfen, kann oberflächlich betrachtet tatsächlich zu Erfolgen führen. Gerade wenn man auf der Verhaltensebene schaut: Ich mach jetzt Dinge, die ich früher nicht gemacht habe. Die andere Seite wird aber nicht gesehen: Was passiert Innen? Und da entsteht z.B. Anspannung, Kontrolle, Kampf gegen mich selbst, Verhärtung, Abspaltung und Verdrängung. Achtsamkeit und Feinfühligkeit gehen verloren. Man verroht innerlich. Das Resultat ist nicht nur ein roher Umgang mit sich selbst, sondern wird auch im harten Umgang in der Selbsthilfegruppe spürbar.

Genau an dem Punkt setzt dann auch das Selbsthilfekonzept im Leitfaden an. Ein wichtiger Baustein ist die Selbstannahme. Diesen Aspekt gilt es, in Selbsthilfe zu stärken. Achtsamkeit und Mitgefühl sind hier zwei wichtige Ausrichtungen. Das Bemühen darum, seine Gefühle anzunehmen und zu akzeptieren. Die eigene Verletzlichkeit zu erkennen. Mitzufühlen mit den anderen. Die weichen Seiten seiner selbst zuzulassen und zu zeigen. Dabei geht es nicht um Jammern. Wie es im Leitfaden schön formuliert wurde, ist Jammern noch keine wirkliche Selbstannahme sondern die Ablehnung der eigenen Betroffenheit.

Später lernte ich in einer Klinik die 4 großen F der Angstbewältigung kennen, die in die gleiche Richtung zielen:

  1. Fight (Kämpfen)
  2. Flight (Flucht)
  3. Freeze (Erstarren)
  4. Face it (Spüre, was ist / Begegne dir / Schau es dir an)

Die ersten 3 F sind typische Angstreaktionen, führen aber nicht dazu, eine Angsterkrankung zu heilen. Nur die letzte Form - Face it - führt weiter. Gleichzeitig ist dies die schwierigste Übung und man neigt dazu, auf eine der anderen auszuweichen. Weil es sowieso schon schwer genug ist, sich in der Angst zu begegnen, ist es wichtig, sich nicht zu überfordern. Bei kleinen Angstreizen gelingt es, sich bewusst zu erleben. Dieser bewusste Umgang mit der Angst ist wertvoll.

Weblinks:

-- Fred

31.10.2010 :: Seminar mit Klaus Vogelsänger

Die Dortmunder Selbsthilfe-Kontaktstelle organisiert regelmäßig Fortbildungsveranstaltungen für Selbsthilfegruppen. Sehr beliebt sind seit vielen Jahren die Seminare mit Klaus Vogelsänger. Auch beim gestrigen Seminar, war mit 15 Interessierten der Raum recht gut gefüllt.

Wir haben die Gelegenheit diesmal besonders intensiv genutzt, so dass 4 Interessierte aus verschiedenen Sopha-Gruppen dabei waren. Normal gibt es bei solchen Seminaren starke Zurückhaltung in unseren Gruppen - kaum jemand kann sich vorstellen, mit 15-20 fremden Menschen einen gemeinsamen Seminartag zu verbringen. Doch diesmal hat es sich irgendwie so ergeben. Vielleicht lag es daran, dass Klaus inzwischen eine Homepage hat und sich einige über seine Arbeit im Vorfeld informieren konnten. Gerade bei Sozialphobie ist Vorabinformation ja immer wichtig. Schafft irgendwie mehr Sicherheit, was einen erwartet.

Das Motto des Workshops war "Grenzen und Prioritäten setzen - Nein sagen kann man lernen".

Klaus ist kein Theoretiker, er arbeitet am liebsten direkt praktisch mit dem, was da ist. Insofern ähneln sich die Workshops trotz unterschiedlicher Themen. Nach ein paar Kennenlerngesprächen ging es dann auch hin zu einer Einzelarbeit und einem längeren Rollenspiel.

Auch diesmal empfand ich es so, dass recht schnell eine locker-entspannte und lustvolle Atmosphäre aufkam. Getragen von gegenseitiger Wertschätzung. In so einer freundlichen Atmosphäre macht es richtig Spaß, an Themen zu arbeiten. Und so wurde auch viel gelacht.

Wer erwartet, eine strukturierte Einführung in das Thema zu bekommen, bei der man auch einen vorgefertigten Satz Handwerkszeuge an die Hand bekommt, wird enttäuscht sein. Der Fokus liegt anders. Man kommt zusammen und schaut sich die ganz konkreten Probleme in der einen oder anderen Gruppe beispielhaft genauer an. Durch das Experimentieren mit dieser Situation entstehen jede Menge Anregungen und Impulse, wie man mit Schwierigkeiten umgehen kann. Und es kristallisieren sich auch eine Menge von Erkenntnissen und Grundhaltungen heraus, die universell für die Gruppenarbeit nutzbar sind.

Für Sozialphobiker wichtig: Man ist nirgendwo gezwungen, irgendwas mitzumachen. Man kann für sich sehr gut dosieren, wo man eine Herausforderung annehmen will oder wo man Zuschauer bleibt. Und auch als Zuschauer kann man jede Menge lernen und sich immer mal wieder durch ein Feedback einmischen.

Die Workshops von Klaus haben kein vordefiniertes Lernziel, keinen konkreten Lehrplan. Alles entsteht aus dem Moment heraus. Dieser bietet so viel Interessantes, dass man einen bunten Blumenstrauß an Anregungen mitnehmen kann. Über die Jahre habe ich diese Arbeit aus dem Moment heraus sehr schätzen gelernt.

Solche Workshops empfinde ich auch immer wieder als große Ermunterung. Man bekommt richtig Lust, neue Ideen und Ansätze in die Selbsthilfearbeit einzubringen. Oder an Dingen dranzubleiben, die einem wichtig geworden sind. Auch wenn die Umsetzung manchmal nicht einfach ist. Wir haben so schon mehrfach tiefgreifende Impulse für unsere Selbsthilfearbeit bekommen.

Zwei Dinge, die sich für mich als wichtig herauskristallisiert haben:

  1. Um sinnvoll in der Welt zu wirken, braucht es ein "Ja" genauso wie ein "Nein". Es ist wichtig, das "Nein" oder Nicht-Wollen in sich zu spüren und sich damit auseinanderzusetzen. Dieses "Nein" zu vertreten, ist oftmals herausfordernder, als "Ja" zu sagen. Umzukippen und "Ja" zu sagen, wo man eigentlich "Nein" meint, macht oftmals unglücklich und produziert Leid. Ein "Nein" kann unmittelbar eine schmerzliche Situation schaffen, ein nicht ehrliches "Ja" schafft hingegen oft langfristige Unzufriedenheit oder langfristiges Leid. Den Schmerz des "Nein" zu durchschreiten führt aber zu etwas, worum es wirklich geht: Jedes "Nein" ist auch ein "Ja" zu etwas anderem. Ein "Nein" ist keine Lebensverneinung, sondern es macht den Weg frei für etwas, was stattdessen leben und sich entwickeln will. Bei Selbsthilfearbeit in verantwortlicher Position geht es beim "Nein" ganz oft darum, sich selbst zu schützen, sich nicht zu überfordern und genauso satt zu werden, wie die anderen Mitglieder.
  2. Es ist gut, nach verbindenen Ausdrucksformen von "Nein" zu suchen. In Kontakt zu bleiben, mit anderen gemeinsam zu diskutieren. Anstatt einsam und isoliert mit seinem "Nein" zu stehen. Verständnis und Mitgefühl und ein "Nein" kann gleichzeitig bestehen. Eine Teilnehmerin formulierte es sinngemäß so: "Mich hart abzugrenzen, gelingt mir oft leicht. Ich will mal schauen, etwas weicher zu werden."

-- Fred

28.10.2010 :: Langeweile im Gruppenprozess

Wenn es gut läuft, dann entsteht in der Selbsthilfegruppe eine Lebendigkeit. Man fühlt sich verbunden mit dem Thema, es entsteht eine Lust, etwas dazu mitzuteilen und man mischt sich dann auch ins Gespräch ein. Eine wache Atmosphäre entsteht, wo alle gut im Moment am Thema dran sind.

Das ist natürlich eine Ideal-Situation. Genauso gut kann es sein, dass einen das Thema langweilt und man keinen Bezug dazu findet. Langeweile ist ein unangenehmes Gefühl, die meisten flüchten innerlich davor.

Und so passiert es dann, das man in eine Phantasiewelt abtaucht. Man koppelt sich vom Gruppengeschehen ab und begibt sich in eine eigene Welt der Gedanken, Erinnerungen und Pläne. Der eine überlegt sich vielleicht, was er gleich nach der Gruppe macht. Ein anderer hängt in Gedanken einer Begegnung mit seiner Mutter nach, die er noch nicht verarbeitet hat. Und ein weiterer plant schon detailiert, wie er an seiner Modelleisenbahn weiterbaut.

Es gibt viele Möglichkeiten, sich gedanklich mit irgendwas zu beschäftigen, wenn das aktuelle Geschehen scheinbar langweilig wird. Manchmal wissen Menschen auch gar nicht, was sie eigentlich machen, wenn sie abwesend sind. Sie rutschen in irgendwelche gewohnten Zustände und veharren dort. Ohne ein Bewusstsein darüber zu haben, wo man im Moment eigentlich ist.

Andere fangen an, besonders viel zu erzählen, wenn Ihnen langweilig wird. Eigentlich ist nichts da, was man aus Interesse erzählen möchte, aber die Stille aushalten, ist noch schwieriger.

Eine interessante Möglichkeit, der Langeweile zu begegnen, ist, ein Interesse genau für diese zu entwickeln. Also darauf zu achten, wenn einem langweilig wird und sich dann zu sagen: "Das ist ja jetzt interessant, so fühlt sich Langeweile an." Um dann im nächsten Schritt zu gucken: "Wie funktioniert das eigentlich, dass mir jetzt langweilig wird?"

Langeweile bedeutet, dass wir mit unserer gewohnten Art kein Interesse am aktuellen Geschehen aufbringen können. Hier zeigt sich: Ganz viel hängt davon ab, auf welche Weise wir die Welt um uns betrachten. Aus einem anderen Blickwinkel kann etwas sehr spannend werden.

Ein Beispiel: Jemand erzählt sehr langatmig und kommt nicht auf den Punkt. Das langweilt mich. Die typische Reaktion wäre nun, dass ich mich zurückziehe und über die Zeit nach der Gruppe nachdenke. Stattdessen kann ich mir der Langeweile für einen Moment bewusst werden und überlegen, wie ich in dieser Situation neues Interesse finden kann. Wenn der Inhalt nicht sonderlich interessant ist, was könnte mich sonst hier gerade interessieren? Ich könnte mich mal umschauen und gucken, wie die anderen gerade so da sind. Ich könnte mal in mich hineinspüren, welche Gefühle neben Langeweile noch da sind. An was erinnert mich die jetzige Situation eigentlich? Was ist mir an diesem Thema eigentlich noch wichtig? Was müsste jetzt eigentlich passieren, damit mir noch langweiliger wird? Was wird wohl als nächstes mein Interesse wecken?

Neben diesem rezeptiven Umgang kann man natürlich auch aktiv werden: Wie bringe ich mein momentanes Unwohlsein in die Gruppe ein? Welcher Impuls meinerseits könnte für mehr Interesse am Thema sorgen?

Wie auch immer, es lohnt sich, achtsam auf das Thema "Langeweile im Gruppenprozess" zu werden. Und im Moment, wo es passiert, sich damit zu beschäftigen. Manche haben noch nie nachgespürt, was eigentlich passiert, wenn einem langweilig ist. Es lohnt sich, es gibt viel zu entdecken.

Buchtipp:

  • Verena Kast, Vom Interesse und dem Sinn der Langeweile

-- Fred

27.10.2010 :: Lied der Woche

Heinz Rudolf Kunze - Meine eigenen Wege

Wer hat einen Vorschlag für nächste Woche? Schreibt uns, welches Lied euch berührt und hilft.

26.10.2010 :: Welche Bedeutung hat meine Vergangenheit?

Bei der Frage, wie man mit seiner Vergangenheit umgeht, entstehen oft zwei widersprüchliche Antworten. Die einen meinen, es ist sehr wichtig, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die anderen meinen: "Das bringt doch nichts, sich ständig mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Man lebt jetzt und man sollte nur nach vorne schauen!"

Auch in Therapie wird die Vergangenheit unterschiedlich bewertet. Während in tiefenpsychologischen Therapien die Vergangenheit eine zentrale Rolle spielt, konzentriert man sich in der Verhaltenstherapie eher auf das Hier und Jetzt.

Wie ist diese Widersprüchlichkeit zu verstehen? Wenn man sich fragt, was eine ideale psychische Entwicklung wäre, dann würde ich sagen: Es ist ein Mensch, der einen guten Kontakt zu seiner Vergangenheit hat. Er hat einen Zugang zu seinen Erfahrungen, zu den guten wie zu den schwierigen. Durch diesen Zugang kann er den reichen Schatz an Erfahrungen in sein Leben einbeziehen. Diese Erfahrung zeigt sich im Hier und Jetzt in allem, was er tut und wie er die Welt sieht. Wer einen realistische Wahrnehmung vom Jetzt will, braucht auch einen realistischen Bezug zu seiner Vergangenheit.

Ideal wäre es auch, wenn Erfahrungen der Vergangenheit in irgendeiner Form vollendet sind. Wenn sie ihren rechten Platz in uns bekommen haben, wenn man seinen Frieden damit gefunden hat. Denn dann sind wir wirklich wieder frei für das Hier und Jetzt. Frei für neue Erfahrungen. Wir können loslassen vom Vergangenen.

Bei Sozialphobie ist unumstritten, dass zahlreiche Betroffene therapeutisch sehr davon profitieren, ganz konkrete Übungen im Hier und Jetzt zu machen. Das erlebt man in der Verhaltenstherapie und wir erleben das z.B. in der Projektgruppe in Rollenspielen. Da geht es z.B. darum, dass man sich nicht traut, im Geschäft etwas zu reklamieren. In einem Rollenspiel spielt man diese Situation und in diesem Rahmen traut man sich schonmal Dinge, die real nicht möglich wären. Durch andere kann man sich inspirieren lassen, wie man sich verhalten kann. Dies kann man dann selber nochmal durchspielen. So lernt man Verhalten, was geeignet ist, seine Wünsche und Ziele deutlich rüberzubringen und sich ggf. auch durchzusetzen. Andere können einen rückmelden, wie man überhaupt wirkt. Damit kann ein realistisches Selbstbild entstehen.

Bei so einer Form des Lernens braucht man oftmals die Vergangenheit nicht. Und doch gibt es ganz deutlich spürbare Fortschritte.

Eine andere Geschichte: Eine Frau erzählt immer wieder über ihre schwierige Kindheit. Die Eltern haben sie permanent herabgewürdigt und gedemütigt. Sie hat einen tiefen Hass auf die Eltern, der immer wieder hochkommt und sie täglich beschäftigt. Sie hat diese Vergangenheit auf der einen Seite so satt, ebenso die ganze Grübelei darüber, die scheinbar zu nichts führt. Sie spürt Impulse in sich: "Ich will endlich diese scheiß Vergangenheit loswerden! Ich will jetzt leben!"

Hier zeigt sich ganz offensichtlich jede Menge Vergangenheit, die noch offen ist. Vieles hat noch nicht seinen rechten Platz gefunden, mit vielem steht man im Krieg. Innerer Friede kann sich nicht einstellen und Gedanken an damals drängen sich permanent auf. Gleichzeitig erlebt sie, wie sie mit der Vergangenheitsbewältigung nicht weiter kommt, wie die Gedanken darüber zu nichts führen.

Übrigens: Ob man selber mit seiner Vergangenheit keinen Frieden findet oder ob ganze Völker keinen Frieden miteinander finden - beides ähnelt sich ganz stark. Wie im Kleinen so im Großen.

Auch hier erleben wir in der Gruppe hautnah, wie sich Menschen durch eine therapeutische Begleitung mit der Vergangenheit auseinandersetzen. In einer Art, die irgendwie zu Erkenntnis und Klarheit führt. Das reicht aber noch nicht, schlussendlich geht es darum, inneren Frieden zu finden, die Erfahrungen abzuschließen, zu vollenden. Annehmen wie es war und betrauern, was nicht war. Erkennen, was man gebraucht hätte, aber nicht bekommen hat. Nochmal in Fühlung mit dem Menschen zu kommen, der man damals war. Steckengebliebenes wieder in Bewegung und in Fluß zu bringen. Es gibt eine konstruktive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die dazu führt, nicht mehr im Kampf mit ihr zu sein. Klarheit, Erkenntnis und Verständnis führen oft dazu, dass auch Frieden entstehen kann.

Viele erleben es zudem, dass je nach Therapiephase etwas anderes wichtig wird. Manche profitieren z.B. zuerst durch eine Verhaltenstherapie, wo Vergangenheit kaum eine Rolle spielt. Irgendwann tauchen aber vergangenheitsbezogene Themen auf, die bearbeitet werden wollen. Auch umgedreht kann es sein - zuerst musste viel Vergangenheit aufgearbeitet werden, um dann konkret am Verhalten im Hier und Jetzt zu arbeiten.

Manchmal kann es auch sein, dass Vergangenheit ganz abgespalten ist. Nichts aus der Vergangenheit drängt ins Bewusstsein und man hat auch keinen Gefühlskontakt dazu. Manche beschreiben es wie eine innere Leere. In Therapie kann es passieren, dass der Zugang zur Vergangenheit sich wieder öffnet. Zum einen wird das als heilsam empfunden, weil man mit etwas wichtigem wieder in Verbindung ist. Andererseits ist man konfrontiert mit einer Menge "schwierigen Material", was nun beackert werden muss und meine Zuwendung braucht. Durch manchen Schmerz gilt es nun, hindurchzugehen, getragen von dem Gefühl, dass es Sinn macht. Und es macht Sinn, wie viele immer wieder eindrucksvoll bestätigen.

Ein Therapeut sagte mir mal:

Seien sie offen,
was wichtig ist,
wird auftauchen...

-- Fred

22.10.2010 :: Infomedium VSSPS

Der VSSPS ist ein Verein, der sich gruppenübergreifend für die Selbsthilfe bei Sozialphobie einsetzt. Vor ein paar Wochen wurde ein Interview mit uns geführt. Das könnt ihr nun hier lesen: http://vssps.de/infomedium#sopha

Die Infomedien sind eine interessante Quelle, um sich über die Selbsthilfearbeit bei Sozialphobie zu informieren. Bisher sind 4 Ausgaben erschienen, die man Online lesen kann.

-- Fred

19.10.2010 :: Vom Weltbild hängt viel ab

Das Weltbild ist unsere Vorstellung von der Welt. Es ist eine Vorstellung, die über uns hinausreicht. Hier findet man Antworten auf generelle Fragen des Lebens und hier begegnet man auch sehr schnell Glaubensfragen. Man muss nicht mal religiös sein, um doch auf Fragen zu stoßen, die man nicht mehr eindeutig beantworten kann, wo man nur noch eine Meinung zu entwickeln kann. Eine Meinung ist die eigene Überzeugung, wie es sich wohl verhält. Manchmal ist man stark davon überzeugt, mal ist es nur eine vage Vermutung.

Jeder Mensch trägt viele Vorstellungen von der Welt mit sich rum. All diese Vorstellungen haben einen großen Einfluss, wie man lebt und wohin man sich im Leben orientiert.

Vorstellungen entstehen irgendwann im Leben. Und sie basieren auf dem Entwicklungsstand, den man zu dieser Zeit hatte. Sie werden zu gewohnten Vorstellungen, die dann unbewusst wirken. Manchmal fällt es einem auf, dass man viele Jahre später noch sehr einfache Vorstellungen von etwas hat, was man heutzutage, gut durchdacht, ganz anders sehen würde. Erst wenn es einem durch einen glücklichen Umstand auffällt, lässt es sich neu reflektieren.

Weltbilder werden oft nicht direkt kommuniziert, sie wirken unbewusst. An bestimmten Aussagen und Denkweisen kann man sie erkennen, wenn man genauer hinschaut. Unbewusst können Weltbilder auch weitergetragen werden, wenn man Menschen in seinem Umfeld erlebt, die ein bestimmtes Weltbild vertreten. Jeder Therapeut vertritt z.B. auch ein Weltbild. Viele Therapieformen sind vom humanistischen Weltbild geprägt. In Deutschland fühlen sich auch viele Menschen dem Christentum verbunden, womit hier große Einflüsse wirksam werden.

Einige Beispiele: Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob ein Mensch daran glaubt, später im Himmel für seine gute Taten belohnt zu werden, oder ob ein Mensch überhaupt nicht an irgendwas nach dem Leben glaubt und er nur das jetzige Leben in seinen Entscheidungshorizont einbezieht. Es macht einen Unterschied, ob ein Mensch der Meinung ist, dass es einen höheren Sinn oder eine höhere Aufgabe gibt, die man für sich herausfinden muss, um dieser dann zu dienen. Oder ob es überhaupt keine Vorgaben gibt, was man im Leben tut und lässt. Ob man völlig frei darin ist, was man tut. Es macht einen Unterschied, ob man Naturkatastrophen als eine Lektion Gottes versteht, der mit unserem Lebenswandel nicht zufrieden ist. Oder ob man es als ganz natürlichen Prozess versteht, der auch wissenschaftlich verstehbar erklärt werden kann. Beim Aberglauben wird es ganz deutlich: Eine schwarze Katze, die in einer bestimmten Weise über die Straße läuft, hat für jemanden eine ganz besondere Bedeutung, ein anderer nimmt es nichtmal wahr, weil er in dieser Situation keinerlei Bedeutung sieht.

Weil Weltanschauungen so eine große Macht auf Menschen haben, ist es ganz naheliegend, dass sie regelmäßig dazu benutzt werden, Macht zu missbrauchen. Man ermächtigt sich der Menschen in dem man sie von etwas überzeugt, was sie dann glauben. Gerade die Angst sorgt dafür, dass oftmals etwas geglaubt wird, was gar keinen Realitätsbezug hat.

Bei Sozialphobie gibt es auch schöne Beispiele: Der eine sitzt in der Bahn und glaubt, alle beobachten ihn und werten ihn gedanklich ab. Der nächste schenkt dieser Situation überhaupt keine Bedeutung. Ein weiterer freut sich über die warmherzigen, interessanten Menschen, die ihn umgeben. Der eine glaubt, er wäre völlig unbedeutend für die Welt, ein anderer meint, er wäre der Mittelpunkt der Welt. Beides ganz sicher unrealistisch, aber mit völlig anderer Wirkung.

Da kommt die Frage auf, ob eine positiv verzerrte Vorstellung von sich selbst erstrebenswert wäre. Die meisten Psychotherapie-Schulen sind sich darin einig, dass jede Verzerrung der Wirklichkeit langfristig problematisch ist. Die einzig sinnvolle Orientierung ist hin zu mehr Wirklichkeitsnähe. Wobei oft der Blickwinkel darüber entscheidet, wie die Wirklichkeit erfahren und gesehen wird (siehe auch Reframing).

Ich stelle mal die These auf, dass jeder Mensch mit einer Menge Vorstellungen von der Welt herumläuft, die schlichtweg falsch sind oder nicht mehr zu seinem jetzigen Entwicklungsstand passen. Und diese Weltanschauung wirkt jeden Tag und spiegelt sich in vielen Handlungen und Denkweisen wider.

Sogesehen wäre es sinnvoll, sich immer wieder von falschen Vorstellungen zu reinigen. Flexibel zu bleiben, Dinge immer wieder neu anzuschauen und neu zu bewerten. Zu sehen, was wirklich ist. Unvoreingenommen wahrnehmen. Immer offen dafür zu sein, dass alles anders sein kann, als man glaubt. Es geht um eine innere Beweglichkeit.

Auch kann man sich inspirieren lassen von guten und realitätsnahen Ideen über die Welt. Man wird spüren, ob die eigene Überzeugung von etwas trägt oder ob die Anregung, die man bekommt, vielleicht die passendere Sichtweise ist. Oder man versucht eine neue Sichtweise mal eine Zeit lang aus, um herauszufinden, ob sie stimmig ist.

Je bedeutungsvoller Überzeugungen sind, um so schwieriger ist es, eine andere Überzeugung zuzulassen. Selbst wenn sie als richtig erkannt wird. Denn unser seelisches Gleichgewicht ist darauf angewiesen, dass die Grundüberzeugungen stimmen, auf die wir unser Leben aufgebaut haben. Manchmal ist es ein schwieriger Umorientierungsprozess, wenn man wirklich erkannt hat, dass bisherige Lebensüberzeugungen so nicht tragen. Wenn eine Umorientierung gelingt und die neue Überzeugung näher am Leben ist, ist es aber das Beste, was einem passieren kann. Wobei das auch nur wieder meine Weltanschauung widerspiegelt, die nicht wahr sein muss :-)

-- Fred

18.10.2010 :: Lied der Woche

Konstantin Wecker - Einfach wieder schlendern

Wer hat einen Vorschlag für nächste Woche? Schreibt uns, welches Lied euch berührt und hilft.

16.10.2010 :: Einmal und nie wieder

Ein Phänomen sozialer Ängste: Man begegnet neuen Menschen und der erste Kontakt funktioniert auch ganz gut. Aber dann: Man traut sich nicht mehr, ein weiteres mal mit diesen Menschen in Kontakt zu kommen.

Das ist gar nicht so selten. Auch in unsere Gruppe sind schon öfters Betroffene gekommen, die wegen dieser Problematik nur an einem Abend da waren. Danach ging es nicht mehr.

Wie ist das zu erklären? Meist geht es um Erwartungsängste. Der andere Mensch hat mich beim ersten mal auf eine bestimmte Weise kennengelernt. Und vielleicht hat er mich auch so angenommen, wie ich bin. Doch nun entsteht eine Erwartungsangst. Beim nächsten mal muss ich diesen Eindruck bestätigen, sonst werde ich vielleicht abgelehnt. Ich kann nicht mehr unbefangen so sein, wie ich bin. Ich muss mich innerlich anstrengen, irgendwelchen Erwartungsvorstellungen zu entsprechen. Vorstellungen, die real oft gar nicht vorhanden sind, sie sind lediglich in meinem Kopf.

Ich glaube, ich müsste nun irgendwie sein. Ich hab kein Vertrauen, dass die Beziehung trägt. Ich habe Angst, dass der andere mich ablehnt, wenn er sieht, wie ich wirklich bin.

Diese Eigenart kann einen innerlich so unter Druck setzen, dass so ein erneuter Kontakt als sehr stressig erlebt wird. Das eigene Wesen geht vor lauter innerer Kontrolle völlig verloren. Das, was spontan einfach fließen könnte, fließt nicht mehr.

Angst, abgelehnt zu werden, kann sehr tiefsitzend sein. Sie kann sich sehr bedrohlich anfühlen.

Irgendwann geht es darum, mutig zu werden und sich zu trauen. Davor braucht es zuerst einen inneren Wandel: Es annehmen zu können, das Menschen mich auch mal ablehnen können. Es ist kein Weltuntergang, wenn das mal passiert. Wenn aber die Angst davor extrem groß ist, kann man auch nicht mutig was riskieren. Wer zu viel Angst hat, auf einem Drahtseil zu balancieren, der sollte es auch nicht tun. Wer hingegen weiß, dass er auch abstürzen darf, weil darunter ein Auffang-Netz hängt, der kann was riskieren.

Oft sind die massiven inneren Ängste vor Ablehnung gar nicht bewusst. Man spürt nur irgendwie ein Vermeidungsverhalten, Menschen nochmal zu begegnen. Die starken Emotionen werden schon lange nicht mehr gefühlt, weil man sie vermeidet.

Die Selbsthilfegruppe kann ein guter Rahmen sein, sich auszuprobieren. Es ist ein tragendes Umfeld, wo man sich umeinander bemüht. Hier könnte man probieren, trotzdem dabei zu bleiben, auch wenn die typischen Vermeidungs-Impulse kommen. Einfach um zu erkunden, was passiert.

Ein wenig Konfrontation mit angstauslösenden Situationen ist fast immer Teil des Weges aus den Ängsten heraus.

-- Fred

15.10.2010 :: Das Unbewusste

Was ist das eigentlich, dieses Unbewusste oder das Unterbewusstsein? Muss irgendwas mit Sigmund Freud zu tun haben, höre ich da. Andere meinen, das wäre eine Wesenheit in einem, die die Fäden in der Hand hält und uns machen lässt, was wir gar nicht wollen.

Was mir auffällt ist, dass viele gar keinen direkten Alltagszugang zum Unbewussten haben. Es bleibt irgendwas Abstraktes, dem man noch nie begegnet ist.

Das Unbewusste lässt sich aber im Alltag sehr wohl entdecken und erkunden. In den meisten Psychotherapien geht es auch viel darum, Bewusstsein über etwas zu schaffen, was zuvor nicht bewusst war.

Das Selbstverständliche ist meist das, was uns am wenigsten auffällt. Wenn man jemanden fragt, wie er in den letzten Minuten, als er gesprochen hat, seine Hände bewegt hat, wird ihm das nur selten bewusst sein. Es läuft automatisch einfach so ab, wie man es irgendwann einmal erlernt hat. Oder es hat sich intuitiv von selbst entwickelt. Man denkt nicht darüber nach, man beobachtet es nicht. Es passiert einfach und das Bewusstsein beschäftigt sich nicht damit. Es bleibt außerhalb meiner Bewusstheit. Ich weiß nichts darüber. Oder ich weiß maximal sehr unscharf, dass ich irgendwie meine Hände bewegt haben muss, aber sonst nichts.

Im Alltag läuft ganz vieles automatisch. Wir denken nicht darüber nach und sind uns dessen nicht gewahr. Insofern kann man dies als unbewusste Prozesse bezeichnen. Das ist nichts spektakuläres und es kann uns ganz einfach zugänglich werden. Wir brauchen uns lediglich vorzunehmen: "Ich achte jetzt mal beim Sprechen darauf, wie ich meine Hände bewege."

So bald sich das Bewusstsein einschaltet und darauf achtet, entsteht aber meist ein Nebeneffekt. Wir sind irritiert, wenn wir uns beobachten, können auf einmal nicht mehr ungezwungen so weitermachen, wie es unbewusst ablief. Das hat was mit der Bewertung des Bewusstseins zu tun. Es bewertet und fängt an, zu kontrollieren. Man wird vielleicht befangen, bewegt sich steif. Das ist übrigens etwas, was Sozialphobiker ganz oft kennen: Dieses Gefühl, sich zu beobachten und dadurch irgendwie unnatürlich zu werden. Die Beobachtung ist hier ein Resultat, weil man seinen unbewussten, automatischen Prozessen nicht genügend vertraut und sich so nicht einfach machen lassen kann.

Das ist schon eine Kunst, automatisch ablaufende Prozesse zu beobachten, ohne sich einzumischen. Es ist etwas, was einem die meditative Praxis lehrt: Nimm wahr, ohne dich einzumischen. Nicht wertend. Vorbehaltslos. Nicht wollend. Einfach nur sehen, was ist. Reiner Beobachter. Sich in allem lassen.

So lange automatische Prozesse gut funktionieren, stört es nicht, wenn sie unbewusst ablaufen. Es ist aber oft so, dass Automatisiertes nicht optimal ist. Oder dass es mittlerweile sogar eher belastend oder störend ist. Rollen sind ein schönes Beispiel. Da ist jemand, der sich mit jemand anderem wunderbar unterhalten kann. Kommt ein Dritter oder Vierter mit ins Gespräch, sagt er kein Wort mehr. Er hat die Rolle verinnerlicht: "Wenn sich andere unterhalten, hast du den Mund zu halten." Sobald eine Gruppe entsteht, wird unbewusst ein Schalter in ihm umgelegt und er verhält sich nun so, wie seine verinnerlichte Gruppenrolle ihm das vorschreibt. Vielleicht war das mal in seinem Leben sehr sinnvoll, um in einem destruktiven Umfeld nicht angegriffen zu werden. Jetzt aber gibt es genügend Situationen, wo sein Wort gewünscht wäre, er aber weiterhin der alten Prägung folgt. Durch Angst geprägte Formen sind oft starr und langlebig. Man riskiert keine Veränderung.

Am Anfang einer Therapie sind einem viele dieser Automatismen nicht bewusst. Man macht sich gar keine Gedanken darüber, warum man mal so und mal so ist. Man lebt einfach so. Genauso, wie man ganz selbstverständlich damit lebt, dass abends die Sonne untergeht und morgens wieder aufgeht. Vieles können wir erst dann wahrnehmen, wenn uns jemand mal drauf stößt. Denn Außenstehenden ist das, was für mich gewohnt ist, eben ungewohnt. Und so fällt es ihnen auf. Feedback kann helfen, Unbewusstes zu erkennen, ohne das es dazu Experten bräuchte. Jedem fällt Ungewohntes einfach auf.

Die Experten hingegen sind sensibilisiert für unbewusste problematische Prozesse, die sich bei vielen Patienten ähneln. Die psychologische Forschung hat ganz viele Denk- und Verhaltensmuster erkannt, die Menschen gerne für die Lösung ihrer Probleme gebrauchen, die aber nicht wirklich funktionieren. Geht man also zu einem Therapeuten, kann der einem helfen, Dinge an mir zu erkennen, die unzweckmäßig sind und zu Leid führen. Und er kann Alternativen aufzeigen, wie es besser geht.

Es gibt auch ganz komplizierte und ausgefuchste unbewusste Strukturen, die zudem die Eigenart haben, nicht entdeckt werden zu wollen. Sie erfüllen einen Zweck, haben einen Nutzen, sie funktionieren aber nur, wenn sie nicht enttarnt werden. Denn sie stehen oft im Widerspruch mit dem bewussten Wollen. Das macht Psychotherapie oft so unendlich schwierig, weil das, was man erkennen könnte, gar nicht erkannt werden will. Manches darf auch gar nicht gesehen werden, weil es zu viel Angst macht oder weil alter Schmerz wieder hochkommen würde.

Das Unbewusste ist sehr vielschichtig und verschiedenartig. Mit einer konstruktiven Achtsamkeit lässt sich im Alltag aber schon vieles entdecken. Entdeckungen die einem helfen, besser mit sich und der Welt umzugehen. Es ist oft Wirkung einer Psychotherapie, das Menschen nachfolgend bewusster leben und genauer hinschauen. In einer wohlwollend akzeptierenden Haltung. Das ist eine gute Grundlage, sich permanent weiter zu entwickeln.

Weblinks:

-- Fred

12.10.2010 :: Achtsamkeit auf das, was ich zurückhalte

Manche können immer und überall drauf losreden. Wenn denen irgendwas gut gefällt, sagen sie's sofort. Ebenso, wenn etwas stört oder ärgert. Genauso sagen sie zu allem etwas, wenn die Situation dazu anregt.

Sozial ängstliche Menschen behalten öfters Dinge für sich. Zwar kommt auch ein innerer Impuls, aber der führt nicht zum Selbstausdruck. Er bleibt in einem. Und das ist mitunter so gewohnt, dass es nicht mal mehr auffällt.

Deshalb kann es gut sein, diese Gewohnheit mal näher zu beleuchten. Im Alltag kann man achtsam werden für all das, was zwar etwas in einem auslöst, was man aber nicht nach außen bringt. Interessant ist erstmal, all das wieder kennenzulernen. Ein nächster Schritt könnte dann sein, sich öfters mal dafür zu entscheiden, auszusprechen, was man sonst nur für sich behält.

11.10.2010 :: Bildungsabend

Am gestrigen Bildungsabend wollten wir eigentlich den Vortrag von Boglarka Hadinger über das Selbstwertgefühl hören. Doch zum zweiten mal wollte die Technik nicht mitspielen und die neu gebrannten CD's waren nicht lesbar. Also sind wir ausgewichen auf einen anderen Vortrag: "Erich Fromms kleine Lebensschule" Ein Vortrag von Rainer Funk, der sehr eng mit Erich Fromm zusammengearbeitet hat.

Erich Fromm ging es darum, das Leben als eine Kunst zu begreifen, die man mit Leidenschaft betreibt. Sich nicht abzulenken in einem Animationszeitalter, wo wir ständig abgefüllt werden mit Unterhaltungsangeboten. Das interessierte ihn nicht. Er beschäftigte sich mit der Frage, was eigentlich ist, wenn all diese Unterhaltung verstummt.

In dem Moment, wo alles verstummt, besteht die Chance, dass wir uns als Menschen wirklich begegnen. Und diese direkte und innige Begegnung ist das Hauptanliegen des Vortrags und auch des Wirkens von Erich Fromm.

Wie kann ich mich ganz auf einen Menschen einlassen, intensiv an seinem Sein teilhaben? Fromm war weniger an den Inhalten der Gespräche interessiert, vielmehr an dem dahinterliegenden, was die Menschen antreibt. Er wollte die Leidenschaft der Menschen verstehen und sich damit verbinden. Er war damit direkt an dem dran, was die anderen im Herz berührt. Und wenn so ein intensiver, direkter Kontakt entsteht, dann ist es etwas Wunderbares. Dann entsteht das Gefühl tiefer Verbundenheit, dem Einssein mit dem anderen.

Eine wichtige Qualität solcher Begegnung ist, dass alles urteilen aufhört. Das Urteil ist das größte Hindernis, sich wirklich zu begegnen. Wenn wir den anderen im Vorfeld abwerten oder in eine Schublade stecken, hören wir gar nicht mehr, was wirklich ist. Aber genau darum ging es Fromm, direkt und unverzerrt zu erleben: "Dies bist du" So, wie ich dich jetzt erlebe. Ohne Vorurteil, ohne Schublade, ohne Wertung. Einfach zu sehen, was ist, mehr nicht.

Und genauso kann man auch sich selbst begegnen. Das tat Fromm täglich, in dem er sich eine Stunde zurückzog und sich selbst genauso vorurteilsfrei und offen begegnete. Er hatte ein großes Interesse, einfach zu erkennen "Das bin ich." Ohne jegliches Urteil, einfach nur zu sehen, was ist. In dieser Form erkundete er sich und lernte sich in der Tiefe kennen, auch mit seinen Schattenseiten und den Teilen, die er eigentlich nicht mochte. Denn wenn jedes Urteil aufhört und man nur daran interessiert ist, was ist, können auch verdrängte Seiten auftauchen und erkannt werden.

Wenn Fromm von Interesse spricht, meint er ein tatsächliches Interesse am Menschen. Es geht nicht um ein zweckgebundenes Interesse. Es geht nur darum, zu verstehen und zu erfühlen, wer der andere Mensch ist.

In der nachträglichen Diskussion wurde deutlich, dass das ein ganz schön hoher Anspruch ist, Menschen so intensiv begegnen zu wollen. Und das das eigentlich im krassen Gegensatz zu Sozialphobie steht, wo man Begegnung oft vermeidet. Aber vielleicht liegt auch gerade darin eine große Chance: Wenn man versucht, sich auf die wirkliche Begegnung zu konzentrieren und damit seine Erfahrungen macht, vielleicht vergisst man dann ganz nebenbei seine Ängste.

Dann kam auch die Frage auf, ob man nun überhaupt nicht mehr im Leben urteilen sollte oder ob es nur um das Urteil in solchen Gesprächen geht. Es wurde deutlich, dass wir auf viele Urteile verzichten können. Oftmals beurteilen wir andere Menschen und uns selber, weil wir mit einem tieferliegenden Thema nicht im Reinen sind. Da muss z.B. ein Gegenüber abgewertet werden, weil man sich selbst minderwertig fühlt. Wo es doch eigentlich darum ginge, auch den eigenen Wert zu erkennen.

Viele sind auch mit ständiger Selbstbeurteilung zu Gange: Spreche ich richtig? Falle ich gerade auf? Sieht man mir was an? Bin ich in Ordnung? Könnte ich gerade Anlass zu Ärger geben? Gefällt jemanden was an mir nicht? Warum guckt der so komisch?

All diese Fragen haben viele eigentlich satt. Weil sie oft zu nichts führen. Groß ist der Wunsch, mal ganz loslassen zu können und einfach nur da zu sein. Ich bin der, der ich gerade bin, Punkt! Ich muss nichts können, ich muss nichts darstellen, ich muss nichts sein. Ich will einfach nur der sein, der ich im Moment bin.

Eine große Last würde einem so genommen, wenn man sich und andere einfach mal lassen könnte.

Das mit den täglichen Übungen fand ich sehr interessant. Ich glaube an die große Wirkung, sich täglich 30-60 Minuten Zeit zu nehmen und sich in irgendeiner Form konstruktiv mit sich auseinanderzusetzen. Und da finde ich es einen guten Ansatz, erstmal zu lauschen, wer man eigentlich gerade ist, was man fühlt, was man denkt, was man will und wo man gerade steht. Viele Dinge tauchen in einem von ganz alleine auf, wenn man sich Zeit gibt und achtsam wird. Tagebuch schreiben kann einen hierbei auch unterstützen.

Weblinks:

-- Fred

07.10.2010 :: Tag der Angstbewältigung

Das Marien-Hospital in Dortmund Hombruch bietet eine Informationsveranstaltung zum Thema Angstbewältigung am 12.11.2010 an.

Hier mehr dazu...

07.10.2010 :: Nachverarbeitung wichtig

Situationen, in denen die Angst mal wieder richtig zuschlägt, sind schwer zu überstehen. Der ganze Körper reagiert, Herzrasen, schwitzen, schnelle Atmung, Hitzegefühle, Druckgefühle in Brust und Bauch - es gibt viele Symptome, die bei akuter Angst auftreten können.

In einer guten Nachverarbeitung solcher Erlebnisse steckt eine große Chance. Manchmal ist es sogar der zentrale Zugangsweg, um sich aus einer Angststruktur zu befreien.

Was ist mir widerfahren? Was ist da genau passiert? Es geht hier um eine Situationsklärung. Es geht darum, zu verstehen, wie das alles so entsteht und welche Auslöser es für meine Ängste gibt. Ungewisse Ängste, wo man nicht genau weiß, warum man überhaupt in Panik verfallen ist, sind viel belastender, als Ängste, wo man ganz genau den Auslöser kennt. Denn wenn etwas konkret wird, weiß man auch, wann es auftreten kann und wann nicht. Es braucht dann keine generalisierte Angst, die Angst beschränkt sich auf das Konkrete, was man als angstauslösend erkannt hat.

Ist die Angst der Situation angemessen? Es gibt Situationen im Alltag, da ist Angst durchaus angemessen. Wenn jemand vor großem Publikum spricht, ist eine stärkere Aufgeregtheit nichts ungewöhnliches und nachvollziehbar. Wenn jedoch scheinbar einfache Situationen starke Ängste auslösen, ist zu vermuten, dass alte stark prägende Erfahrungen getriggert werden. Es ist wichtig, hier zu unterscheiden.

Was bedeutet diese Erfahrung für die Zukunft? Sollte ich vielleicht bestimmte Situationen meiden? Oder sollte ich gerade diese Erfahrung öfters suchen, weil ich diese Angst durch Konfrontation überwinden will? Sicherlich macht es in vielen Fällen keinen Sinn, sich freiwillig in ein massiv mobbendes Umfeld zu begeben. Wer nur schwer aus der Wohnung gehen kann, tut sicherlich gut daran, es irgendwie zu üben, auch wenn es in gewissem Umfang Ängste auslöst. Einfach weil man sich so wichtige Möglichkeiten erschließt.

Wenn man eine beängstigende Situation im Nachhinein analysiert, könnten auch eigene Verhaltensweisen zu Tage treten, die nicht sehr dienlich sind oder sogar Ängste fördern. Wenn man sich z.B. schlecht abgrenzen kann und zu Dingen Ja sagt, obwohl man Nein meint. Hier könnten Ängste sich dann reduzieren, wenn man lernt, besser für sich zu sorgen.

Wie gehe ich nach so einer Erfahrung mit mir um? Weit verbreitet ist, dass man sich ablehnt oder gar hasst für die Art, wie man sich erlebt hat. Selbstliebe ist etwas, was in mancher Therapie über viele Jahre gepredigt werden muss, bis sie wirklich das eigene Herz berührt. Wo eigentlich Mitgefühl mit sich selbst wichtig ist, fühlen sich viele schuldig und ablehnenswert. Das ist ein sehr trauriger Aspekt. Meist bekommt man schon früh im Leben Schuld zugewiesen, weil andere Menschen Schuld auf einen projezieren. Schuld weißt jeder gerne von sich und die Gefahr ist groß, dass man Opfer von Schuldzuweisung wird. Irgendwann glaubt man auch selber dran und verurteilt sich ohne zutun der anderen.

Sich nach einer beängstigenden Erfahrung Zeit zu nehmen, um sie wirklich zu verdauen, finde ich ganz wichtig. Jede unverdaute Angsterfahrung hat große Chancen, dass sie sich in Zukunft in ähnlicher Art wiederholt. Wir sind durchaus in der Lage, tausend mal etwas zu wiederholen, ohne etwas daraus zu lernen. Ohne das Erlebte zu reflektieren und zu fühlen.

Verdauen könnte auch bedeuten, dass man sich bewusst macht, dass eine Situation zwar beängstigt hat, dass man aber durchaus gut in der Lage war, sie zu meistern. Also zu erkennen, dass man mittlerweile gut gelernt hat, damit umzugehen. Wenn man sich das nicht bewusst macht, bleibt die alte Angst bestehen. Ängste neigen dazu, beständig zu bleiben, selbst wenn sich vieles mittlerweile geändert hat und die Welt heute gar kein Anlass mehr dazu gibt.

Mitunter wird einem auch auffallen, dass es durchaus gute Gründe gibt, warum die Angst weiterhin ihren Sinn hat. Da gab es z.B. einen Betroffenen, der öfters in Vortrags-Situationen war und immer wieder starke Ängste verspürte. Er bekam es immer hin, ohne das jemanden die Angst auffiel. Und doch ließen seine Ängste nicht nach. Warum nicht? Weil er eine panische Angst hatte, dass irgendwann mal jemanden auffallen könnte, dass er Angst hat und unsicher ist. Er konnte noch so oft die Erfahrung machen, dass man ihm nichts anmerkte, es half nicht. Denn die Möglichkeit, dass er sich mal nicht so kontrollieren kann und alles offenkundig wird, die war immer da. Insofern hatte seine Angst auch recht und blieb. Erst als er durch Therapie lernte, das es vollkommen in Ordnung ist, auch mal zu versagen, konnte sich hier etwas ändern. Er lernte ein paar Techniken, wie er auch mit Situationen umgehen kann, wenn er mal in einem Vortrag versagt. Er entwickelte Vorstellungen davon, wie er sogar mal einen ganzen Vortrag mittendrin abbrechen könnte, wenn es denn zu schwierig wird. Etwas, was zuvor für ihn völlig undenkbar gewesen wäre. Erst dadurch, dass er eine annehmbare Vorstellung entwickelte, was er im schlimmsten Fall auch tun kann, konnten sich seine Ängste lösen. Massive Angst entsteht immer dort, wo wir keine Handlungsalternativen mehr haben.

Nicht zuletzt ist es auch ganz wichtig, sich immer wieder auf die Schulter zu klopfen und auch kleine Erfolge anzuerkennen und wahrzunehmen. Das muss auch erst gelernt werden, viele nörgelt viel zu oft an sich rum, können aber das Gute nicht sehen. In jeder Situation lässt sich Konstruktives und Gutes finden. Man muss nur seinen Blick schulen. Das erkannte Gute ist der Ausgangspunkt für Wachstum.

-- Fred

06.10.2010 :: Projektgruppe

Wir starten heute mal wieder eine Projektgruppe. Nach längerer Pause. In dieser geht es vor allem darum, Erfahrungen zu machen und zu experimentieren. In Rollenspielen kann man neues Verhalten ausprobieren oder sich über sein gegenwärtiges Verhalten mehr Klarheit verschaffen. Das Thema "Sich durchsetzen" steht auch auf der Ideenliste. Wir haben hierfür ein recht gutes Buch als Leitfaden gefunden (Dieses hier...). Ein oft gewünschtes Standard-Thema ist Smalltalk. Auch da haben wir ein gutes Buch zu gefunden (Jenes hier...).

Bewegung macht auch oft Angst, weshalb wir die intuitive Bewegung nach Musik mit einbauen wollen. (Sowas in der Art...).

Als Auflockerung gibt es jede Menge Gruppenspiele, die man machen kann, die gleichzeitig lehrhaft sein können. Wir haben in den letzten Wochen einiges gesammelt.

Immer wieder gibt es auch Interesse an Außenübungen. Vorteilhaft ist, dass die Selbsthilfe-Kontakstelle direkt in der Innenstadt liegt, also damit guter Ausgangspunkt für Übungen in der Stadt.

Auf was wir uns gemeinsam konkret festlegen, wird sich heute am ersten Abend entscheiden. Die Gruppe soll 14tägig Mittwoch stattfinden und voraussichtlich bis Ende des Jahres laufen. Interessenten können evtl. später noch hinzukommen. Das hängt etwas von der Gruppengröße ab, wir wollen diese auf möglichst 12-14 Teilnehmer begrenzen. Voranmeldungen gab es schon wesentlich mehr.

Ein großes Dankeschön geht an das Netzwerk Selbsthilfe Soziale Phobie. Das Forum für Gruppen-Organisatoren ist mittlerweile ein großer Schatz, um sich bei der Vorbereitung von Projekten inspirieren zu lassen.

-- Fred

04.10.2010 :: Lied der Woche

Herbert Grönemeyer - Ich dreh mich um dich

Wer hat einen Vorschlag für nächste Woche? Schreibt uns, welches Lied euch berührt und hilft.

03.10.2010 :: Die großen Versprechen von Lebenshilfe-Büchern

Ich war mal wieder in einer Buchhandlung, die eine riesengroße Ecke an Lebenshilfe-Büchern hatte. Die Titel sind schon sehr beeindruckend. Am liebsten hätte ich mir 10 Stück davon eingepackt und wäre nach 14 Tagen reich und glücklich geworden, könnte regelmäßig Wunschlisten ans Universum schreiben, die mir prompt erfüllt werden, hätte eine Menge lieber und aufrichtiger Freunde, die richtigen Beziehungen und könnte mich in jeder Lebenslage durchsetzen - kurzum, ich wäre wunschlos glücklich.

Mit den Wünschen und Sehnsüchten der Menschen lässt sich ein gutes Geschäft machen. So Titel in der Machart "In 14 Tagen selbstbewusst und durchsetzungsfähig" sind schon echt verlockend.

In den letzten 20 Jahren habe ich mich immer mal wieder verlocken lassen, solche Bücher zu lesen. Manches, was drin steht, ist wirklich ein Impulsgeber. Und doch erfüllten sich Versprechungen der reißerischen Titel nie. Vielfach findet man hingegen eine Aneinandereihung von Plattitüden, die in sich hohl sind und nichts bewirken. In einem las ich z.B.: "Ob sie selbstbewusst sind oder nicht, hängt von ihrer Einstellung ab. Ändern sie ihre Einstellung und sie sind selbstbewusst!" Ach so ist das. Na dann mal los...

Wie soll man all das bewerten, kann ein Buch mich überhaupt wesentlich verändern? Gibt es ein Buch, was durchschlagenden Erfolg bei Sozialphobie hat?

Vielleicht nähert man sich einer Antwort, wenn man trennt zwischen Gedanken und Gefühlen. Wie man denkt, welche Einstellungen man zu etwas hat, wie man etwas bewertet, welchen Vorstellungen man gedanklich folgt - an dem lässt sich in einem gewissen Umfang recht gut direkt arbeiten. Das ist auch der Hauptzugangsweg der meisten Bücher. Und in der Tat profitiert jemand davon, dem z.B. nicht klar ist, dass seine Gedanken nicht viel mit der Realität zu tun haben. Wenn man darüber erfährt und beginnt, seine Gedanken zu erkennen und bewusst mit der Realität abzugleichen, dann führt das zu einer Verbesserung. Wer automatisch meint "Die lehnen mich alle ab!" wird nach so einer Prüfung recht wahrscheinlich feststellen, das dem gar nicht so ist. Ich glaube auch, es ist eine lebenslange Aufgabe, immer wieder zu schauen, was wirklich ist und damit seine Wahrnehmung zu schärfen. Insofern können auch "Alte Hasen" immer wieder von solchen Impulsen profitieren.

Auch gut, wenn man lernt, gedanklich mit sich positiver umzugehen, sich also öfters mal wertschätzt, anstatt sich (automatisch) niederzumachen und abzuwerten. Viele können das durchaus lernen, wenn sie es längere Zeit üben.

Es gibt aber auch schon auf gedanklicher Ebene eine ganze Menge festsitzendes "Material", was sehr unbeeindruckt von solchen Versuchen ist. Wenn ein abwertender Umgang in einer frühen Prägungsphase sich tief ins Bewusstsein eingegraben hat, bewirken solche Versuche oft nur wenig.

Noch schwieriger ist es mit den Gefühlen. Ich kann mir tausend mal einreden, dass mir real in einer Situation gar keine Gefahr droht, dem Gefühl ist das oft ziemlich egal. Da ensteht einfach Angst, lässt einen angespannt sein oder zittern. Gefühle lassen sich in der Regel nicht mal eben verändern oder manipulieren. Sie sind sehr beständig und jenseits der bewussten Kontrolle.

Vielleicht könnte man sagen, in jedem Menschen ist eine innere Struktur entstanden. Von ihr hängt es ab, wie man fühlt, denkt, bewertet, wahrnimmt und erlebt. Sie macht auch den Charakter aus. Diese Struktur - so ungemütlich sie auch sein mag - ist oft in großen Teilen sehr festgelegt und kann nicht mit ein paar einfachen Interventionen verändert werden. Das zeigen auch Ergebnisse der Charakterforschung, wo man feststellte, dass der Charakter sich im Laufe des Lebens vieler Menschen kaum verändert. Oder die Widerspenstigkeit, mit der sich manche ungesunden Angewohnheiten halten. Wer schonmal versucht hat, abzunehmen, mit dem Rauchen aufzuhören, auf Süßigkeiten oder Fernsehen zu verzichten, weiß, wie schwer Veränderungen im eigenen Leben einem fallen.

Bei Büchern gibt es noch einen interessanten Aspekt. Ich glaube mittlerweile, dass es viel wichtiger ist, im richtigen Moment zum richtigen Buch zu greifen. Jeder Moment hält eine Entwicklungschance bereit. Man ist dann irgendwie offen für eine bestimmte Entwicklung, man ist bereit für etwas. Und wenn einem dann genau ein passendes Buch in die Hände kommt, kann es diesen Veränderungsprozess gut unterstützen und anregen. Damit wäre zu erklären, warum manches Buch bei dem einen große Begeisterung auslöst, den anderen aber gar nicht anspricht. Oder das man ein Buch mal begeistert gelesen hat, es einen später aber kaum noch anspricht.

Bücher hin oder her: Man sollte sich nicht verrückt machen lassen oder an sich selbst zweifeln, wenn die hohen Versprechen bei einem nicht fruchten. Vielen anderen geht es ähnlich, weil die Versprechen oftmals nur Illusionen sind. Ein großer Jahrmarkt der Illusionen...

Für mich bleibt Persönlichkeitsentwicklung eine Reise, die mühsam und langwierig ist. Wie ein mühsamer Aufstieg auf einen hohen Berg. Aber immer wieder gibt es auch saftige Wiesen, schöne Aussichten, nette Begegnungen, Almhütten zum verschnaufen, etwas zu lachen und wärmende Sonnenstrahlen.

-- Fred

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