Sopha Selbsthilfe

Aktuell (Archiv 2010-Q3)

30.09.2010 :: Das Ungute als Chance begreifen

Die normale Reaktion auf Ungutes, was einem widerfährt ist, zu leiden, sich darüber zu ärgern oder sich als hilfloses Opfer zu fühlen. Man kann im Leid baden oder sich sogar noch Selbstvorwürfe machen.

Ich erinnere mich immer wieder an einen Vortrag von Viktor Frankl, den wir vor einem Jahr in der Gruppe hörten. Eine Kernaussage, die für mich große Bedeutung hatte war:

Du musst dem Leben einen Sinn abringen!

Es ist dieses stetige intensive Bemühen darum, ganz aktiv allem, was einem im Leben begegnet, einen Sinn zu geben. Mir wurde dabei auch klar: Sinn haben die Dinge nicht automatisch. Es ist vielmehr ein kreativer Prozess, um dem Material, was einem zufliegt, Sinn zu geben. Wenn jemand aus einem Trümmerhaufen sein neues Haus baut, dann hat er den Steinen wieder einen neuen Sinn gegeben.

Die Frage ist also immer, wozu kann ich all das benutzen, was mir widerfährt, um einen Sinn daraus zu kreieren? Der Sinn ist nicht offensichtlich und wird einem nicht auf dem Silbertablett serviert. Wenn man sich aber mit der Frage beschäftigt, wie man das, was ist, sinnvoll nutzen kann, wird man früher oder später eine Antwort bekommen.

Sinn kann dabei ganz praktischer Natur sein, dass etwas direkt nützlich wird. Sinn kann aber auch ein Ausdruck davon sein, dass ich meinen guten Kräften folge. Das ich etwas dafür nutze, mich weiterzuentwickeln. Für spirituelle Menschen kann es bedeuten, das GROßE GANZE zu entdecken, was hinter allen Erscheinungen durchschimmert.

Mir ist aufgefallen, dass man für jede Angst, die aufkommt, auch dankbar sein kann. Sie erzählt einem eine Geschichte, wenn man anfängt, zu lauschen. Ich habe oft große Probleme, einen Zugang zu meiner Vergangenheit zu bekommen. Aber wenn so urplötzlich eine Situation eine Angst auslöst, dann bin ich auf einmal ganz nahe dran, an meiner Vergangenheit. Dann tauchen alte Bilder auf und ich begreife, was der Ursprung dieser Angst ist.

Umgedreht sagte mal ein Therapeut zu mir: "Sie können sich drauf verlassen, alles was wichtig ist, wird wieder auftauchen." Er meinte damit all die unerledigten Dinge und Verletzungen, die man mit sich rumträgt.

Ich hab gestern eine Fernsehsendung gesehen, in der ein Vater seinen Sohn massiv angegriffen hat. Er hat ihn heruntergeputzt und entwürdigt. Weil der Sohn einen eigenen Weg gehen wollte, den der Vater nicht teilen konnte. Über Nacht hatte ich dann einen Traum, der mir offenbarte, was das mit mir zu tun hat. Es rührte eine alte Erfahrung an, die nun präsent wurde. So begriff ich, warum bestimmte Dinge in mir massive Scham auslösen. Ich konnte auch erkennen, dass Scham etwas erlerntes ist und jeder seine eigenen Schamerfahrungen hat. Es sind aber wohl immer Erfahrungen, dass man in seiner ganzen Persönlichkeit massiv angegriffen und entwürdigt wird.

Schwierigen Situationen und Gefühlen einen Sinn abzuringen, das braucht Übung. Heraus zu kommen aus einer Opferhaltung und stattdessen heraus zu finden, was man damit anfangen kann: Interessiert, offen und neugierig.

Ich hatte mal einen Therapeuten, der mir diese Haltung eingeimpft hat. Bei vielen Dingen, die ich einfach nur fürchterlich fand, sagte er: "Interesssant, was da passiert, spüren sie mal hin. Wie fühlt sich das genau an?" Es war nicht so sehr der Inhalt der Sätze, es war die freundliche, offene und neugiere Art, dem er allem gegenüber stand. Das konnte ich für mich ein Stück verinnerlichen.

-- Fred

30.09.2010 :: Lied der Woche

Annett Louisan - Das Gefühl

Wer hat einen Vorschlag für nächste Woche? Schreibt uns, welches Lied euch berührt und hilft.

23.09.2010 :: Sich selbst auf den Füßen stehen

Wie löst man Probleme? Vor allem, in dem man sich engagiert.

Letztens hat mir ein Freund seine Leidensgeschichte mit seinem gebrochenen Arm erzählt. Es hätte passieren können, dass er dadurch dauerhaft stark bewegungseingeschränkt gewesen wäre. Die Kassenleistungen zur Reha reichten bei weitem nicht aus. Er musste vielmehr täglich üben und den Arm trainieren. Täglich 2-4 Stunden Arbeit. Auch hatte er das Glück, gute Experten zu finden, die ihm dabei halfen. Nach 4 Monaten hatte er es geschafft, sein Arm ist nun wieder nahezu so flexibel einsetzbar, wie vor dem Unfall. Ohne dieses intensive Engagement hätte er jetzt recht sicher eine massive Bewegungseinschränkung.

Hier zeigt sich, dass die Lösung von gesundheitlichen Problemen auch ganz viel von bestimmten Fähigkeiten abhängt:

  • seine Kraft und Energie auf die Lösung zu konzentrieren
  • dranzubleiben
  • auf vieles zu verzichten, um sich einer Sache intensiv widmen zu können
  • ehrgeizig zu sein oder eine Willenskraft aufzubringen
  • intellektuelle Auseinandersetzung: Bücher lesen, im Internet recherchieren, Behandlungsmethoden herausfinden, Behandlungs-Institutionen finden, sich verstehen lernen
  • in Kontakt gehen: Behandler anrufen, Termine machen, mit Experten reden
  • sich durchsetzen: Kostenübernahmen durch die Krankenkasse erkämpfen, seine Rechte durchsetzen, einen begehrten Behandlungsplatz bekommen
  • an sich zu glauben, an den Erfolg zu glauben, hoffnungsvoll zu sein

Will man seine Sozialphobie angehen, steht man sich oft selbst auf den Füßen. Denn die Symptome der Sozialphobie zeigen sich gerade in einer Einschränkung der Fähigkeiten, die man braucht, um das Problem zu lösen.

Das perfide an Sozialphobie ist auch noch, dass oftmals kein konkreter Druck da ist, das Problem zu lösen. Man kann es viele Jahre verdrängen und eingeschränkt leben. So ist es nicht verwunderlich, dass manche Betroffene neben der Vermeidung eigentlich auch den Wunsch haben, eine gewisse Autorität würde sie an die Hand nehmen und nicht locker lassen, bis man das getan hat, was man für seine Gesundung braucht. Eine führende Hand, die sich nicht einlullen lässt und die die ganzen Vermeidungstrategien durchschaut.

Es wird noch etwas sichtbar: Wer beginnt, sich mit seinen Problemen auseinanderzusetzen, startet einen Turbo: Die neuen Fähigkeiten, die man sich erarbeitet, sind gleichzeitig direkte Helfer, um wieder einen Schritt weiter zu kommen. Wer erstmal lernt, fremde Menschen anzurufen, hat damit gleichzeitig das Handwerkszeug, z.B. Therapeuten oder Kliniken zu kontaktieren, um den nächsten Schritt zu machen. Man sollte immer mal wieder schauen, was mit den neu erworbenen Fähigkeiten nun alles möglich ist.

Zu schauen, was möglich ist, ist ja immer auch wieder Thema in unseren Selbsthilfegruppen. Es kommt öfters vor, das Betroffene Möglichkeiten finden, an die sie selber noch nicht gedacht haben. Da war z.B. letztens jemand, der große Probleme hat, sich durchzusetzen, aber noch nie ein Buch zu dieser Thematik gelesen hat. Dabei kann manches Buch eine große Hilfe sein, wie wir immer wieder erleben.

Immer wieder entwickeln sich auch Fähigkeiten jenseits der konkreten Beschäftigung mit Sozialphobie. Ich erinnere mich an eine Betroffene, die irgendwann mit Kampfsport angefangen hat. Dieser Sport fördert auch Durchsetzungsvermögen, Konzentration, kraftvolles Auftreten und Geschicklichkeit. Durch die Schulung dieser Fähigkeiten war sie ganz verblüfft, als sie in einem Gespräch in der Gruppe bemerkte, dass sie zahlreiche Sozialphobie-Probleme gar nicht mehr hat.

Natürlich sind die Möglichkeiten und Ideen immer ganz individuell. Herauszufinden, was bei einem selber gerade geht, ist aber immer reizvoll.

-- Fred

20.09.2010 :: Übung

Wenn ihr einkaufen geht oder durch die Stadt lauft, dann schaut mal den Menschen, die euch begegnen ins Gesicht. Und dann versucht, eine Antwort darauf zu finden: Was hat diesen Mensch geprägt? Was strahlt dieser Mensch aus?

Wenn man das etwas trainiert, ist es verblüffend, was man aus einem ersten kurzen Blickkontakt so herauslesen kann. Da gibt es z.B. aufgeschlossene oder verschlossene Blicke, ängstliche oder mutige Blicke, präsente oder abwesende Blicke, interessierte oder gelangweilte Blicke, weiche oder harte harte Blicke, angrifflustige und zurückhaltende Blicke, extrovertierte oder introvertierte Blicke. Manche lächeln, andere schauen ernst. Es gibt viel zu entdecken und zu benennen.

Diese Übung bringt einiges: Man nimmt Blickkontakt auf. Man erkennt, das Menschen ganz unterschiedlich sind. Man erkennt, welche Menschen einen eher ängstigen und zu welchen man sich hingezogen fühlt. Man bekommt einen besseren Kontakt zu seinen Gefühlen, denn um sich einfühlen zu können, braucht man einen Kontakt zu seinen Gefühlen. Auch fördert es die Achtsamkeit im Hier und Jetzt. Aus Angst haben viele schon lange aufgehört, Menschen wirklich anzugucken und sich für Menschen zu interessieren. Dies kann wieder ein Zugang dazu sein.

20.09.2010 :: Lied der Woche

Herman van veen - Könntest du zaubern

Wer hat einen Vorschlag für nächste Woche? Schreibt uns, welches Lied euch berührt und hilft.

19.09.2010 :: Sich durchsetzen

Eine zentrales Thema bei Sozialphobie und Schüchternheit ist die Schwierigkeit, sich nicht durchsetzen zu können. Wir beschäftigen uns gerade mit diesem Thema, weil es in die nächste Projektgruppe mit einfließen soll. Ich hab mir mal einige Bücher aus der Bibliothek geliehen, die das Thema aufgreifen.

Sich durchzusetzen ist gerade ein Thema im Geschäftsleben, so findet man hier auch viele Bücher. Hier findet man allerdings auch eine ganz üble Situation vor, die in manchen Büchern ganz ausgeprägt ist: Man bekommt Techniken und Strategien vermitteln, um Menschen zu täuschen und zu manipulieren. Das zentrale Ziel ist, Seins durchzusetzen und da ist jedes Mittel recht. Hier zeigt sich, das man das Thema "Sich durchsetzen" nie losgelöst betrachten darf. Das Menschen- und Weltbild, was dahinter steht, ist ganz entscheidend. Es macht einen Unteschied, ob man nur Firmengewinn oder Karriere-Chancen optimieren will, oder ob man sich als Mensch unter Menschen wohlfühlen möchte, dabei aber auch Seins genügend mit einbringen möchte. Es macht einen Unterschied, ob man das Ganze sehen kann, oder nur Seins.

Ich glaube sowieso, dass alle Techniken, Menschen zu manipulieren und zu täuschen, langfristig nicht gut gehen. Sie fliegen ganz schnell auf und solche Menschen mag dann auch keiner. Keiner fühlt sich gerne benutzt. Es deformiert einen auch als Mensch. Man züchtet sich ein Bewusstsein, bei dem es nur noch darum geht, seine (vielleicht kranken) Ziele durchzusetzen und Menschen wollen nur dann etwas mit einem zu tun haben, wenn wir materiell oder für die Karriere nützlich für sie sind. Ich kenne eine Therapeutin, die viel mit Menschen arbeitet, die völlig krank davon geworden sind, weil sie im Geschäftsleben so deformiert wurden.

Wir wollen uns deshalb beim Thema Durchsetzen auf all das konzentrieren, was zu einem humanistischen Menschenbild passt und das Ganze sieht. Es geht darum, gute und ehrliche Kontakte zu anderen Menschen zu fördern. Dabei dann aber genügend gesehen, gehört und gewürdigt zu werden. Hier gibt es jede Menge zu tun, hier herrscht oft großer Mangel.

Hier einige Beispiele, worum es bei dieser Auseinandersetzung geht:

  • Ich möchte mir meiner Wünsche, Ziele und Bedürfnisse bewusst werden.
  • Ich möchte Meins hinreichend gut mitteilen können.
  • Ich möchte andere von meinen Vorstellungen überzeugen, wenn ich von dem Sinn und Nutzen überzeugt bin.
  • Ich möchte in aufrichtigen Diskussionen lernen, meins in gebührender Weise mitzuteilen, damit es Teil der Diskussion wird.
  • Ich möchte meinem Standpunkt Nachdruck verleihen können, wenn ich merke, dass der nicht gebührend berücksichtigt wird.
  • Ich möchte klar und deutlich werden können, wenn ich merke, dass meine Wünsche übergangen werden.
  • Ich möchte berechtigte Ansprüche durchsetzen und nicht sofort einknicken, wenn jemand gegen mich argumentiert. Ich will mich nicht einlullen lassen, was ich später bereue.
  • Ich möchte dranbleiben an dem, was mir wichtig ist. Beharrlichkeit zahlt sich oft aus.
  • Ich möchte kraftvoll auftreten können.
  • Durchsetzen nicht um jeden Preis: Mal ist es gut, sich für etwas einzusetzen, mal ist es gut, die Dinge anzunehmen, wie sie sind. Auch annehmen will gelernt sein.
  • Ich möchte viel Wut, Ärger und Enttäuschung hinter mir lassen, weil ich mich jetzt gebührend für mich einsetzen kann.

Gerade dieser letzte Aspekt ist der große Lohn, wenn man gelernt hat, sich gut zu vertreten: Wenn wir es nicht können, wachsen Wut, Ärger, Verbitterung oder auch Resignation in uns. Kein Mensch kann es auf Dauer aushalten, wenn er immer zu kurz kommt und keine Berücksichtigung findet. Wir müssen uns diese Anerkennung und diesen Lebensraum erarbeiten. Vielleicht geht es ja im Leben auch schlussendlich darum, spürbar zu werden und Seins sinnvoll ins Ganze mit einzubringen.

Es gibt übrigens zahlreiche Bücher in Sachen Durchsetzungsvermögen, die für Frauen geschrieben sind. Gerade im Geschäftsleben haben es Frauen oft schwer, sich gegen durchsetzungsfähige Männer zu behaupten. Unsere Gesellschaft fördert Durchsetzungsfähigkeit bei Männern einfach mehr oder unterdrückt sie bei Frauen. Meist sind solche Ratgeber von Frauen geschrieben, die selber erst lernen mussten, sich durchzusetzen. Diese Praxisnähe mit eigenem durchlebten Leid macht diese Bücher wertvoll. Deshalb nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer sehr interessant. Man findet hier auch viele Verhaltensweisen, die bei sozialen Ängsten ganz typisch sind.

Weblinks:

-- Fred

17.09.2010 :: Schwächen ganz auskosten

Wer selber oft Wortfindungsstörungen hat oder beim Reden ins Hängen kommt, sollte sich mal den Komiker Johann König anschauen. Man könnte annehmen, dass er aus einer durchaus vorhandenen Schwäche mittlerweile ein echtes Markenzeichen gemacht hat. Sein Witz basiert oft darauf. Ich finde das sehr erfrischend, wenn Eigenarten, auf die sonst viele eher peinlich berührt reagieren, mal komisch und lustig erlebt werden können. Manche haben sich tatsächlich aus ihren Schwächen befreit, in dem sie sie angenommen und sogar humorvoll weiterentwickelt haben.

In Rollenspielen kann es eine gute Übung sein, mal alle Unsicherheiten absichtlich zu spielen, die man ansonsten am liebsten vermeidet. Das entspannt die Situation und schafft einen entkrampfteren Umgang damit, auch später im Alltag. Denn durch die Rollenspiele hat man sich spielend dem genähert, was man sonst fürchtet. Johann König ist eine gute Vorlage dazu, wie man all das spielen kann.

Weblinks:

16.09.2010 :: Projektgruppe

Lange ist's her, das wir eine Projektgruppe gemacht haben. Jetzt soll es wieder soweit sein. In Projektgruppen geht es vor allem um einen praktischen Zugang. Über Rollenspiele kann man neue Verhaltensweisen direkt ausprobieren. So kann man z.B. üben, sich besser durchzusetzen, selbstbewusster zu kommunizieren oder sich auf Smalltalk einzulassen. Projektgruppen werden von uns selbst organisiert, es gibt keine professionelle Begleitung. Jeder kann Ideen mit einbringen.

Über Vorträge kann man üben, vor zahlreichen Menschen zu reden. Vielfach braucht man dies in Schule, Studium und Beruf. Aber selbst diejenigen, die im Alltag keine Reden halten müssen, kann dies eine gute Sozialphobie-Übung sein: Sich zu trauen, in eine exponierte Position zu gehen, um dort dann etwas zu präsentieren.

Achtsamkeitsübungen können helfen, sich selbst und die Umwelt besser wahrzunehmen. Wer einen guten Zugang zu seinen Gefühlen und Körperempfindungen hat, kann einen besseren Umgang mit sich finden und bekommt frühzeitig wichtige Signale, die helfen, sinnvoll zu agieren.

Wir würden auch gerne das Tanzen mit in die Projektgruppe nehmen. Beim Tanzen gibt es oft große Vorbehalte. Dabei geht es typisch um Körperschamgefühle - andere könnten sich über meine Bewegungen lustig machen. Oder man findet keinen Zugang zu seinem Rhythmus und zur Bewegungslust. Und doch gibt es die große Chance, Widerstände zu überwinden und im Tanzen etwas Wunderbares für sich zu entdecken. In einer geschützten Atmosphäre ist das leichter möglich.

Idee ist, die ersten 30-45 Minuten zu tanzen, um danach mit Rollenspielen, Vorträgen und sonstigen Ideen weiterzumachen. Wer nicht tanzen mag, kommt einfach später hinzu. Genauso ist es möglich, nur zum Tanzen zu kommen.

Wir werden vermutlich Anfang Oktober beginnen, Termine werden 14tägig Mittwoch von 18:30 - 21:30 Uhr sein.

Wer Interesse hat, melde sich bei uns.

-- Fred

13.09.2010 :: Die falschen Fragen

Mitunter sind es die falschen Fragen, an denen man festhält. "Warum muss gerade ich so ein Schicksal haben?" wäre solch eine Frage, die oftmals zu Verbitterung und Stillstand führt. Alle Gedanken um diese Frage führen einen dann nicht weiter.

Vielleicht gibt es Fragen, die wir aufgrund unseres begrenzten Bewusstseins nicht beantworten können. Vielleicht auch nicht jetzt, aber später irgendwann einmal.

Fragen fokussieren den Blick und die Aufmerksamkeit zu einer Sache hin. Nur in diese Richtung, in die man da schaut, ist vielleicht keine Erlösung zu finden. Stattdessen findet man Erlösung, wenn man die richtigen Fragen stellt.

Die Frage: "Was mache ich aus dem, was ich jetzt bin?", wäre vielleicht erfolgsversprechender und lenkt uns auf das unerschöpfliche Potenzial, was trotz allem Schicksal auch immer da ist.

Bei Sozialphobie geht es oft um die Frage: "Was denken die anderen wohl über mich?" Man kann viel Zeit damit verbringen, sich darüber Gedanken zu machen. Warum ist diese Frage so anziehend? Unter der gedanklichen Oberfläche geht es vor allem um starke Gefühle: Angst vor Ablehnung, Angst, nicht angenommen zu werden. Statt darüber nachzudenken, was die anderen wohl über mich denken, könnte es besser sein, diese Gefühle zu spüren. Meiner ganz ursprünglichen Angst zu begegnen. Man kann lernen, mit der Angst sein zu können. Und interessanterweise können Ängste sich so auch wieder lösen. Vielleicht erkennt man auch, dass es eine alte Angst ist, geboren aus alten Erfahrungen. Das das aktuelle Erlebnis also lediglich Auslöser für eine alte Erfahrung ist. Auslöser für eine alte gewohnte Angst.

Manchmal können auch paradoxe Herangehensweisen helfen. Sich innerlich zu sagen: "Ich gestatte euch, dass ihr alles über mich denken dürft, was ihr wollt. Es sind eure Gedanken und ihr seid frei, zu denken, was ihr wollt. Ich bleibe der, der ich bin, wie auch immer eure Gedanken zu mir sind."

Es kann sehr reizvoll sein, die anderen mit ihren vermeintlichen Gedanken wirklich mal zu lassen. Das geht am besten, wenn ich gleichzeitig versuche, mich liebevoll anzunehmen, so wie ich bin. Es ist in Ordnung, wie ich bin. Mit all meinem Potenzial und all meinen Begrenzungen.

Übrigens: Menschen denken oft nicht so einfältig, wie unsere Ängste uns meinen lassen. Jeder Mensch ist einzigartig und es gibt unglaublich viele Gedanken und Möglichkeiten, wie Menschen uns sehen können. Millionen von Gedanken, die wir selber noch nie gedacht haben. Aber unsere Angst reduziert die Vorstellung davon auf einige wenige beängstigende Gedanken. Lass dich überraschen, was Menschen wirklich über dich denken, wie sie dich wirklich sehen. In der Selbsthilfegruppe kannst du hierzu immer wieder Feedback bekommen.

-- Fred

13.09.2010 :: Lied der Woche

Stoppok - den anderen Weg

Wer hat einen Vorschlag für nächste Woche? Schreibt uns, welches Lied euch berührt und hilft.

12.09.2010 :: Feedback geben

Feedback geben heißt, dem anderen mitzuteilen, wie ich ihn erlebe. Wozu sollte das gut sein?

Wir brauchen alle Klarheit darüber, wie wir bei anderen ankommen. Kommunikation verfolgt ja einen Zweck, wir haben ein Anliegen und wollen verstanden werden. Und es geht noch um mehr: In jedem menschlichen Kontakt nehmen wir uns wahr und reagieren aufeinander. Oft sind es ganz subtile Signale, auf die andere reagieren.

Wenn schlussendlich unser Ziel ist, in einem guten Miteinander mit anderen zu leben und Möglichkeiten zu erschließen, dann ist wichtig zu wissen, was im zwischenmenschlichen Kontakt eigentlich passiert. Was wir im anderen bewirken und warum das so ist.

Erst wenn man etwas darüber weiß, was man im anderen auslöst, kann man es mit seinem Wollen abgleichen. Ganz oft ist es ja so, dass wir eigentlich dies wollen, durch unser Handeln aber was ganz anderes erreichen. Vielleicht, weil uns nicht bewusst ist, wie wir überhaupt beim anderen ankommen. Auch gibt es oft eine große Diskrepanz zwischen innerem Erleben und äußerem Ausdruck, der für andere sichtbar wird.

Vieles kann man nicht aus sich heraus begreifen und verstehen. Man braucht den anderen, der einem mitteilt, wie ich bei ihm ankomme. Darum geht es bei Feedback.

Feedback ist ein ganz wichtiges Werkzeug, mit dem man in Selbsthilfegruppen viele Fortschritte machen kann. Und Feedback ist gleichzeitig etwas, was gerade bei Sozialphobie so selten genutzt wird. Mit Feedback geht man nämlich aktiv auf den anderen zu, wohingegen Sozialphobie oft dazu verleitet, jeglichen Kontakt zu vermeiden. Hinzu kommt, dass Feedback mitunter keine einfache Sache ist. Feedback kann schnell mal verletzen, weil man Wunden des anderen trifft oder zu grob rüberkommt.

Feedback geben meint übrigens nicht nur die Seite, wo einem etwas unangenehm auffällt. Feedback meint vor allem auch, Angenehmes und Gutes zurückzuspiegeln. Also auszusprechen, wenn man sich darüber freut, dass jemand einen Schritt weitergekommen ist. Zu sagen, wenn einem etwas Wertvolles auffällt.

Positives Feedback wirkt auch direkt wieder auf unsere Entwicklung zurück. Wer nämlich lernt, aufmerksam auf das Gute zu achten und es auszusprechen, würdigt dies in besonderer Weise. Dies wird zu einer inneren Haltung, die man dann auch auf eigene Entwicklungsschritte anwendet. Meist ganz automatisch. Positives Feedback wirkt motivierend, einen guten Weg weiter zu gehen.

Bei Sozialphobie ist es gleichzeitig eine grundlegende Kommunikationsübung. Es hilft, mehr in Kontakt miteinander zu kommen. Es öffnet für weitere Kommunikation, so entsteht mehr Gesprächsdynamik.

Wir wollen uns deshalb in den nächsten Wochen mehr mit dem Thema Feedback in den Gruppen auseinandersetzen.

Weblinks:

-- Fred

06.09.2010 :: Lied der Woche

Wir sind Helden - Bring mich nach Hause

Wer hat einen Vorschlag für nächste Woche? Schreibt uns, welches Lied euch berührt und hilft.

04.09.2010 :: Angst vor Kernspin

Angst vor körperlichen Untersuchungen ist auch immer wieder Thema in der Gruppe. Psyche und Körper lässt sich ja nicht trennen: Ängste können psychosomatische Auswirkungen haben. Missempfindungen und Schmerzen können im Körper entstehen. Neben der psychotherapeutischen Bearbeitung gehört auch immer eine körperliche Abklärung dazu. Häufig sind Magen- und Darmprobleme, Kopfschmerzen, Schwindel, Sehstörungen und Muskelschmerzen durch permanente Anspannung und damit verbundenen Fehlhaltungen.

Manche Untersuchungen sind unangenehm und doch auch sehr erleichternd, wenn man sie erst einmal gemacht hat und so mehr Klarheit bekommt. Das kann Ängste lösen.

Letztens ging es in der Gruppe um die Kernspinuntersuchung. Hier muss man in eine enge Röhre, was Platzängste auslösen kann. Dazu passt ein Artikel in der heutigen Zeitung: Das St.-Johannes-Hospital in Dortmund hat eines der modernsten Kernspingeräte (Magnetresonanztomograph) angeschafft. Es ist das erste Gerät, was europaweit für Patienten verfügbar ist. Nennt sich "Magnetom Aera" und kommt von Siemens. Damit ist es möglich, sehr detailierte 3-dimensionale Bilder von körperinneren Strukturen zu erhalten. Das neue Gerät hat eine größere Röhre (70cm Durchmesser), so dass man sich nicht so beengt fühlt. Auch wird man bei Untersuchungen außerhalb des Kopfbereiches nicht mehr mit dem Kopf zuerst hineingeschoben. Zudem ist die Zeitspanne der Untersuchung kürzer.

Moderne bildgebende Verfahren sind ein enormer Fortschritt in der Medizin. Man damit heutzutage in großer Detailiertheit innere Strukturen des Körpers erfassen und so Ursachen für Probleme finden. Früher war dies nicht möglich und Ursachen von Problemen konnten nicht klar erkannt werden. Oder man musste erst operativ eingreifen, um Ursachenforschung zu betreiben.

Es lohnt sich bei vielen körperlichen Problemen, Ausschau zu halten, welche technischen Möglichkeiten es gibt, um möglichst körperschonend zu Ergebnissen zu kommen. Oft gelingt auch ein Recherche, welches Krankenhaus über welche Geräte verfügt.

Nachtrag: Es gibt in Dortmund auch Radiologen mit sogenannten Offenen MRT-Geräten. Hier gibt es keine Röhre, man hat rechts und links von sich Platz, was Menschen mit Platzangst sehr entgegenkommt.

Weblinks

-- Fred

02.09.2010 :: Das Eigene stärken

Wenn man ein Bild malt, kann man sich daran orientieren, was wohl anderen am besten gefallen wird. Man kann z.B. Bilder kopieren, von denen man weiß, dass die gut ankommen. Oder man beobachtet das Feedback, was man bekommt, um ein immer besseres Gefühl dafür zu erlangen, was die Leute wollen. Man bedient so möglichst gut die Bedürfnisse der anderen. Lob und Tadel, Angenommensein und Ablehnung sind die Richtschnur meines Handelns.

Es gibt eine andere Form, ein Bild zu malen. Man spürt in sich hinein, was für Impulse man hat. Man lässt seiner eigenen Phantasie freien Lauf und schaut, was einem selbst gefällt, was man gerne malen möchte. Was ist dann ein gutes Bild? Wenn man spürt, dass es so geworden ist, wie man sich das vorgestellt hat. So wie man es wollte. Ganz egal, was andere davon halten.

Was wirklich das Eigene ist, ist manchmal gar nicht so leicht zu erkennen. Im Laufe seines Lebens hat man viele Bewertungen in sich aufgenommen und zu seinen eigenen gemacht. Es sind aber nicht die ureigenen Dinge und vielleicht hat man sich etwas zueigen gemacht, was einem nicht wirklich schmeckt.

Das wirklich Eigene, was mich zu einem unverwechselbaren Original macht, ist eine kostbare Sache. Es will entdeckt, begriffen, durchdrungen und ent-wickelt werden. Jeder kennt Menschen, die etwas ganz Eigenes leben, anstatt konform irgendwelchen Massenströmungen zu folgen.

Das Eigene kann einem Stabilität, Selbstwert, Hoffnung und Lebenssinn geben. Die Bewusstheit über das Eigene kann eine so große Lebensmotivation sein, das sie alles andere in den Schatten stellt. Im Eigenen liegt ein wunderbarer Schatz, der in die Welt hinausstrahlen will.

Wenn man keinen Zugang zum Eigenen hat, ist man sehr stark abhängig von den Meinungen und Bewertungen der anderen. Dann zählt nur noch, ob man anderen gefällt, ob andere einen annehmen, ob andere einem die Lebensberechtigung geben. Andere können einen durch Schuldgefühle und Abwertungen manipulieren. Andere machen einen zum Spielball ihrer Vorstellungen und Wünsche. Wir spielen mit, weil wir keine Ahnung vom Eigenen haben.

Das Wichtigste in meiner ersten Therapie war die Entdeckung des Eigenen. Noch nie in meinem Leben hat ein Mensch sich so für das interessiert, was mich ausmacht: Was ich denke, fühle und will. Er hat mir zugehört, hat sich meinem Eigenen herzlich zugewandt, war ehrlich und offen. Sein Interesse an meinem Eigenen hat mein Interesse an mir geweckt. Vieles, von dem ich dachte, das wäre ich, konnte ich als fremd begreifen und ausspucken. Manches hat mich auch immer wieder eingeholt, weil es über lange Zeit so gewohnt war. Die Jahre haben es mit sich gebracht, immer mehr davon loszulassen.

Wer das Eigene entdecken will, braucht einen Therapeuten, der vor allem lauschen kann und am Eigenen interessiert ist. Statt jenen, der einen mit Ratschlägen abfüllt und uns sein Weltbild aufpfropft. Der uns mit Lob in eine Richtung lockt, die seinen Vorstellungen entspricht, aber nicht das Eigene trifft.

Das Eigene will entdeckt werden. Es ist das, was hervortritt, wenn alles Müssen und Sollen zur Ruhe kommt. Und später: Wer mit dem Eigenen verbunden ist, kann sich ins Ganze einbringen.

Wer das Lernen übt, vermehrt täglich.
Wer den Sinn übt, vermindert täglich.
Er vermindert und vermindert,
bis er schließlich ankommt beim Nichtsmachen.
Beim Nichtsmachen bleibt nichts ungemacht.
Das Reich erlangen kann man nur,
wenn man immer frei bleibt von Geschäftigkeit.
Die Vielbeschäftigten sind nicht geschickt,
das Reich zu erlangen.
(Tao te King)

-- Fred

30.08.2010 :: Deutlich sprechen lernen

Manchmal sind es ganz einfache Dinge, die zwischenmenschliche Beziehungen wesentlich verbessern können. Zu lernen, deutlich zu sprechen, wäre so etwas.

Viele sozialen Kontakte gelingen besser, wenn die anderen mich gut verstehen können. Missverständnisse und Unsicherheiten entstehen hingegen, wenn der Gegenüber mich nicht versteht. Und es strengt meinen Gesprächpartner auch an. Die Erfahrung, dass andere öfters nachfragen müssen, kann einem zudem selber schnell frustrieren.

Auch eine angenehmen Stimme ist etwas, was dazu einlädt, zuzuhören. So gelingen Gespäche besser.

Bei Sozialphobie muss man unterscheiden: Einerseits gibt es die reine Angewohnheit, undeutlich oder zu leise zu sprechen. Diese Angewohnheit hat keine Bedeutung, man hat lediglich noch nie sonderlich auf eine deutliche Aussprache geachtet. Hier lassen sich durch Üben relativ schnell Fortschritte erzielen.

Andererseits kann leises und undeutliches Sprechen ein Sympton der Angst sein - es schnürt einem den Hals zu oder ein Druck auf der Brust lässt einen nicht richtig sprechen. Oder man spricht aus Aufgeregtheit viel zu schnell, verschluckt Silben oder Wörter. Hier gibt es Betroffene, die in entspannten Situationen laut und deutlich sprechen können, in Angst-Situationen aber nur noch leise und undeutlich sind. Trotzdem kann es auch hier helfen, das deutliche Sprechen zu üben, weil man so aus dem, was die Angst an Sprachmöglichkeit übrig lässt, mehr herausholen kann. Genauso kann eine deutliche Aussprache wiederum das Selbstwertgefühl stärken und Ängste auf diese Weise reduzieren. Man spürt sich und sein Potenzial und das überzeugt einen beim sprechen sozusagen von sich selbst.

Oft wird einem übrigens auch nicht mitgeteilt, wenn man nicht verstanden wird. Die Leute nicken einfach und stimmen einem zu, weil sie zu bequem sind, nochmal nachzufragen. Wenn man oft nicht verstanden wird, kann es passieren, dass andere einen ignorieren und sich keine Mühe mehr geben, zuzuhören. Auch das führt wieder zu Frustration und der Erfahrung, abgelehnt zu werden.

Neben der deutlichen Sprache geht es auch um Stimme. Viele Menschen nutzen ihre Stimme nicht richtig, weil man das nie geschult oder gelernt hat. So braucht man viel Energie und Kraft, um Laute zu produzieren. Vielleicht auch, weil die Stimmhöhe gar nicht zu einem passt, man also seine Stimmbänder nicht optimal nutzt.

Wie übt man? Es gibt viele Bücher in Sachen Sprechtraining. Auch im Internet findet man jede Menge über "deutlich sprechen", "Sprechtraining" oder "Stimmbildung". Daneben ist auch die Entwicklung der Stimme wichtig, also die Art, wie man Töne und Laute erzeugt und damit seine Stimmbänder gebraucht. Unter dem Stichwort "Stimmtraining" findet sich einiges. Sänger trainieren regelmäßig ihre Stimme, um mit wenig Kraftaufwand Töne produzieren zu können. Insofern kann man sich auch aus diesem Bereich viele Übungen abschauen. Ideal, wenn man professionelle Stimmtrainer zur Seite hat, die einem dabei helfen, seine Stimme zu entwickeln. Eine gute Stimme zu entwickeln ist etwas, was einem das ganze weitere Leben über hilft. Eine wunderbare Investition in die Zukunft.

Einfache Übungen sind:

  • Regelmäßig laut lesen üben. Am besten noch mit einem Diktierer aufnehmen und sich die eigene Stimme anhören. Hierdurch hat man ein direktes Feedback, wie man wirkt.
  • Einen Korken zwischen den Schneidezähnen einklemmen und so laut sprechen üben. Weil der Korken einen sehr einschränkt, trainiert man die Gesichtsmuskeln und Intonation.
  • Richtige Stimmlage: Um seine richtige Stimmlage zu finden, kann man an etwas Leckeres denken und dann genüsslich und natürlich "Mmmmh!" machen. Dies ist ungefähr unsere mittlere Stimmlage, die man auch beim sprechen nutzen sollte.

Wer Lust hat, sich darin zu üben, melde sich bei uns. Dann können wir in diese Richtung mal ein Projekt organisieren oder einen Stimmtrainer einladen.

Übrigens: Fast jeder, der öffentlich viel spricht, hat ein professionelles Stimmtraining durchlaufen. Natur-Talente gibt es nur wenige.

Bücher mit Web-Vorschau zum Probelesen:

Weblinks:

-- Fred

26.08.2010 :: Das, was nicht war

Wenn man sich tiefenpsychologisch mit sich auseinandersetzt, fokussiert man sich oft auf die Frage: "Was hab ich eigentlich erlebt, dass ich heute solche Probleme habe?" Und ganz sicher wird man auch eine Menge schwieriger Lebenserfahrungen finden, die man nicht richtig verarbeitet hat. Insofern ist es gut, in diese Richtung zu schauen.

Eine andere Richtung ist aber auch wichtig und diese springt einem nicht sofort ins Auge: "Was habe ich nicht erlebt, hätte es aber eigentlich gebraucht?" Was man nicht erlebt hat, kennt man nicht. Manches, was man nicht kennt, vermisst man auch nicht. Es gibt aber ganz grundlegende menschliche Bedürfnisse, gerade in der frühen Kindheit. Etwa die Erfahrung von wohliger körperlicher Nähe. Oder immer wieder zu spüren, dass man gemocht wird und das die Eltern an einem interessiert sind. Auch braucht man Anregung - einen Menschen, der einem die Welt zeigt. Kinder sind neugierig und diese Neugier braucht Entdeckungsräume. Lebendigkeit braucht Bewegung, Kinder tanzen und lachen gerne.

Mitunter fehlen solche wichtigen Grunderfahrungen fast völlig, man hat es nicht kennengelernt. Da waren vielleicht Eltern, die immer nur kontrolliert und distanziert mit einem umgegangen sind. So spürt man für sich vielleicht nur, dass irgendwas im Leben fehlt und so Lebenslust verloren geht. Man kann es aber gar nicht benennen, was fehlt.

Insofern ist es gut, immer mal wieder Neues im Leben auszuprobieren, um für sich herauszufinden, was denn früher gefehlt hat. Um dies nachnähren zu können, hier Erfahrungen nachzuholen. Bei manchen Dingen können auch innere Widerstände auftauchen. Innere Widerstände sind immer interessant, wenn man sie an sich wahrnimmt. Reflektiert man sie, kann man hier Lösungen für seine Probleme finden. Nicht selten wehren wir genau das ab, was wir am dringendsten brauchen. Therapeutische Hilfe ist bei der Erkundung sinnvoll.

-- Fred

25.08.2010 :: Böse Gedanken - ein Beitrag auf WDR5

24.08.2010 :: Misstrauen

Misstrauen ist ein Thema, dem man bei sozialer Phobie besondere Beachtung schenken sollte. Für manch einen dreht sich sogar fast alles darum. Misstrauen und Sozialphobie können stark zusammenhängen, müssen aber nicht.

Misstrauen wächst fast immer dort, wo zuvor Vertrauen da war. Man hat einem Menschen oder einer Gruppe vertraut. Dieses Vertrauen wurde dann aber missbraucht oder für egoistische Zwecke ausgenutzt. Auch massive Grenzverletzungen führen dazu, dass man Menschen misstraut, weil man Angst hat, wieder zum Opfer zu werden.

Hier zeigt sich auch ein Zusammenhang zu Schüchternheit: Wer zurückhaltend ist, sich nicht wehrt und keine Grenzen setzt, wird schnell Opfer von Grenzüberschreitungen und Bösartigkeiten.

Gerade die frühen massiven Erfahrungen, dass Menschen einem etwas angetan haben, sind prägend für das ganze weitere Leben. Aber auch später können z.B. anhaltende Mobbing-Situationen große seelische Wunden hinterlassen.

Die Situation ist schwierig. Man hat schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht, wurde zum Opfer. Da ist es nur zu verständlich, sich fortan gut zu schützen und allem zu misstrauen. Es ist eine Form der Vorsicht, dass einem sowas nicht nochmal passiert.

Je nach Verletzung achten Betroffene dann ganz sensibel auf bestimmte Signale. Da gab es z.B. jemanden, der immer wieder die Erfahrung machte, das Jugendliche über ihn lachen, wenn er durch die Stadt geht. Obwohl er keinerlei Auffälligkeiten an sich hatte. Eine andere Person berichtet, dass im Haus die Nachbarn immer über sie tuscheln. Und das passiert immer wieder, obwohl sie schon unzählige male umgezogen ist. Auch hier ist es einem Außenstehenden überhaupt nicht erklärlich, warum ausgerechnet diese Person immer zur Zielscheibe wird. Weil auch sie recht unauffällig und umgänglich ist.

Man hat nicht nur seine Antennen selektiv ausgefahren, man interpretiert auch alles in diese Richtung. Jedes Lachen wird dann zum Lachen über mich. Und weil man das glaubt und so empfindet, bekommt man immer wieder die Bestätigung, dass man irgendwie nicht in Ordnung ist. Oder man bekommt bestätigt, dass die Welt sehr bösartig ist.

So verständlich Misstrauen auch ist, es hat einen hohen Preis. All das, was durch Vertrauen entstehen könnte, kann man nicht leben. Stattdessen erlebt man eine wesentlich feindlichere Welt, als sie real ist. Gerade in Partnerschaft kann starkes Misstrauen zu einer Zerreißprobe werden. Auch kann man sich so nicht hingeben, muss stattdessen alles kontrollieren. Viele schöne und angenehme Dinge des Lebens werden so nicht möglich. Auch steht man unter Dauer-Anspannung.

Leben ist immer Risiko. Wenn es gut läuft, geht man überschaubare Risiken ein, und erntet damit Gutes. Wenn es schief läuft, kann man bei einem überschaubarem Risiko mit den Folgen leben. Dann ist man traurig und enttäuscht, aber nicht entwurzelt.

Übertriebenes Misstrauen beruht meist auf einer Verwechselung von heute und damals. Damals war etwas existenziell bedrohlich. Aber heute - mit all meinen Fähigkeiten und Möglichkeiten - bin ich viel mehr in der Lage, für mich zu sorgen, mich zu schützen und Dinge zu verarbeiten, die nicht so laufen, wie geplant. Als kleines Kind ist man sehr verletzlich und völlig abhängig von den Eltern. Jetzt aber als Erwachsener kann man viel für sich tun. In der Therapie hörte ich öfters: "Du bist nicht mehr das Kind von damals!"

Der Ansatz wäre hier also, sich wieder in ganz kleinen Schritten etwas zu trauen. Und es auch annehmen zu können, wenn man scheitert. Wer das Scheitern nicht annehmen kann, wird keine Risiken eingehen und lebt nicht wirklich. Ein Therapeut sagte mal zu mir: "Wenn du eine Frau um einen Tanz bittest, ist die wichtigste Lernerfahrung, eine eventuelle Zurückweisung auszuhalten. Um es dann bei nächster Gelegenheit wieder zu probieren." Den Mut zu haben, die Zurückweisung auszuhalten, diese Idee hat mich damals sehr viel weitergebracht und war neu für mich.

Es geht auch darum, zu lernen, wie man sich kontrolliert in Risiken begibt. Wer klettern lernt, steigt eine Wand nicht ungesichert hoch. Er sichert sich gut ab, so dass er fallen darf. Würde man einfach leichtsinnig sein Misstrauen übergehen und sich in wirklich heikle Situationen begeben, sorgt man nur dafür, wieder massiv verletzt zu werden. Es geht darum, zu lernen, gut für sich zu sorgen.

Ganz wichtig ist auch, wieder einen Bezug zur Realität zu bekommen. Die eigene Psyche spielt einem hier nämlich oft einen Streich. Man glaubt wirklich, die anderen lachen über mich, aber in Wirklichkeit ist es gar nicht so. In Therapie wird deshalb immer wieder die Realitätsprüfung praktiziert. In der Selbsthilfe kann man z.B. konkret nachfragen, wie etwas gemeint war. Man kann immer wieder die anderen fragen, um zu erkennen, wo man Dinge anders erlebt. So kommt man sich mit der Zeit auf die Schliche. Es bedarf aber des dringenden Wunsches, wirklich an der Wahrheit interessiert zu sein. Auch wenn die Wahrheit manchmal schmerzt.

Auch braucht es eine Gruppenatmosphäre, in der Wahrhaftigkeit gepflegt wird. Beschwichtigungen der Art "Das war doch bestimmt nicht so gemeint..." sind nur billiger Ersatz. Es braucht eine tiefe ehrliche Aussage, wie etwas gemeint war oder wie man empfindet. Ehrlichkeit wirkt ansteckend, wer es praktiziert, ermutigt andere in der Gruppe.

Im Buch "Sein Leben neu erfinden" wird gar von der Lebensfalle Mißtrauen gesprochen. In einer Falle ist man gefangen und kann nur schwer entkommen. Wer in einer Falle sitzt, kann sein eigentliches Leben nicht leben. In dem Buch wird auch angesprochen, dass starkes Misstrauen in der Regel eine gute therapeutische Unterstützung braucht. Hier ist der Aufbau einer guten Vertrauensbeziehung zum Therapeuten natürlich besonders wichtig.

Weblinks:

-- Fred

23.08.2010 :: Lied der Woche

Ton Steine Scherben: Land in Sicht

Wer hat einen Vorschlag für nächste Woche? Schreibt uns, welches Lied euch berührt und hilft.

22.08.2010 :: Weinen können

Eine Sendung über das Weinen:

21.08.2010 :: Eigentlich greifbar nah

Es ist schon verblüffend, wie greifbar nah Lösungen bei Sozialphobie sind. Es braucht oft nur einen klitzekleinen Schritt, den der Betroffene machen muss. Gerade für Außenstehende wirkt es so, dass doch die Lösung total einfach ist. Aber genau für diesen klitzekleinen Schritt braucht der Betroffene vielleicht Jahre.

Diesen Doppel-Charakter, dass die Lösung scheinbar so greifbar nahe ist und doch nicht zugegriffen wird, erlebe ich sehr häufig. Es ist, als würde man stundenlang am Strand langlaufen und sich nicht ins Wasser trauen. Doch dann ist irgendwann der Mut da, man springt ins Wasser und erkennt auf einmal, dass doch alles so einfach war. Warum dann nicht schon viel früher?

Warum hab ich so lange einen großen Bogen um die direkte und einfache Lösung gemacht? Manchmal macht man jahrelang eine Therapie, weil man noch hofft, der Therapeut könnte einem eine bequemere Lösung präsentieren. Dann dreht man sich jahrelang im Kreis, um schlussendlich doch zu der Erkenntnis zu kommen: Nimm deinen Mut zusammen und spring einfach ins Wasser.

Doch der direkte Weg mitten durch das Unangenehme muss oft erst lange erarbeitet werden. Es ist nicht einfach, den direkten Weg zu gehen. Eine Therapie anzufangen, in eine Selbsthilfegruppe einzusteigen, einen Passanten nach dem Weg fragen - all das können Dinge sein, die eine gewisse Hürde darstellen. Eine Erfahrung, die man gerne weit in die Zukunft schiebt.

Oft sind es die Dinge, um die man den größten Bogen macht, die eigentlich das größte Wachstumspotenzial beinhalten: Die Auseinandersetzung mit unseren Verletzungen, Ängsten und Schamgefühlen. Doch hier fällt es schwer, die Verantwortung für sich zu übernehmen und zielgerichtet an sich zu arbeiten.

Manchmal braucht es wirklich viel Zeit, um sich den Zugang zu der eigentlich einfachen Lösung erst zu erarbeiten. Und manchmal hängt alles nur daran, aufzuwachen, eine Entscheidung zu treffen und mutig einfach zu machen.

-- Fred

16.08.2010 :: Lied der Woche

Rosenstolz - Lachen

Wer hat einen Vorschlag für nächste Woche? Schreibt uns, welches Lied euch berührt und hilft.

16.08.2010 :: Angst, nicht zu genügen

Soziale Ängste sind ja sehr vielschichtig und unterschiedlich ausgeprägt. Ein Muster, dem man immer wieder begegnet, ist die Angst, nicht zu genügen. Wenn der andere mich erstmal genügend kennengelernt hat, wird er mich zurückweisen. Ich hab irgendwas an mir, was andere nicht akzeptabel finden.

Aus Selbstschutz geht man dann keine tieferen Beziehungen mehr ein. Einerseits könnte der andere einen tiefer kennenlernen und dann doch noch etwas finden, was nicht akzeptabel ist. Und auch der Schmerz wird zu groß, wenn ein Mensch, auf den man sich eingelassen hat, einen dann doch irgendwann ablehnt.

Um realistisch zu bleiben, muss man ja sehen, dass es wirklich manche Angewohnheiten und Seinsweisen von Menschen gibt, die nur schwer erträglich sind. Das kann eine überdrehte, destruktive, aggressive oder grenzüberschreitende Art sein. Genauso wie es Menschen gibt, die aus ihrer Vergangenheit heraus sehr sensibel auf bestimmte Eigenarten reagieren. So kann es mir passieren, dass mich die meisten Menschen so in Ordnung finden, einige wenige mit mir aber nicht zurecht kommen.

Die Angst, nicht zu genügen, ist aber oft inhaltslos. Es gibt im Hier und Jetzt gar keinen wirklichen Grund, nicht zu genügen. Alles ist in völlig akzeptablen Rahmen, aber die Angst ist riesengroß, dass es vielleicht nicht so ist. Die Angst ist groß, dass die anderen jederzeit etwas finden könnten, was mich völlig inakzeptabel macht.

Oftmals entstehen solche Ängste aus frühen Bindungsstörungen. Bindung ist ein ganz zentrales Thema, will man viele psychische Erkrankungen verstehen. Bindung - also der verlässliche Bezug zu anderen Menschen - ist gerade in den ersten Lebensjahren überlebenswichtig. Die Mutter ist hier von zentraler Bedeutung. Wenn es gut läuft, schafft die Mutter eine tragfähige und verlässliche Beziehung. Man spürt als Kleinkind, dass die Mutter immer für einen da ist und bedingungslos liebt. Bedingungslos heißt, dass man uneingeschränkt angenommen ist, ganz egal, wie man auch immer ist. Man muss spüren, dass der Kontakt tragfähig und belastbar ist. Dann kann ein Kind so sein, wie es ist, ohne Angst vor Zurückweisung.

Wird diese bedingunglose Annahme nicht empfunden, setzen große Ängste ein. Dabei muss man sehen, dass ein Kleinkind von seiner Entwicklung noch gar nicht so weit ist, um zu begreifen, wann man es lieb hat und wann nicht. Es spürt nur, manchmal werde ich angenommen und manchmal nicht. Und wenn man nicht weiß, woran es liegt, entwickelt sich eine generelle Ängstlichkeit. Man kann nicht wie ein Erwachsener reflektieren, woran es liegen mag, um solche Situationen zu vermeiden. Man spürt nur, das man immer mal wieder abgelehnt wird und die Bindung zur Mutter abbricht. Später entwickelt sich daraus oft die Überzeugung, man wäre selbst der Grund dafür, weil man eben irgendwie unannehmbar ist.

Hier liegt der zentrale Irrtum: Die Mutter war nicht fähig, eine stabile Bindung aufzubauen. Die Erfahrung, bedingungslos angenommen zu sein, konnte ich nicht machen. Die Unzulänglichkeit der Mutter übernehme ich nun für mich, in dem ich fühle, ich wäre nicht annehmbar.

Frühe Bindungsstörungen brauchen eine tiefenpsychologische Aufarbeitung. Mitunter reicht es hier auch nicht, darüber zu reden. Weil die Störungen in einer Zeit entstanden, wo man selber noch gar nicht sprechen konnte. Es ist dann sehr schwer, einen verbalen Zugang zu finden. Hier können Körpertherapien helfen, in dem sie einen unmittelbaren Zugang über den Körper herstellen. Die ersten Lebenserfahrungen sind ja alle stark körperbezogen: Man wird im Arm gehalten, gewiegt, gestreichelt, gespiegelt.

Die große Schwierigkeit für Betroffene liegt darin, den Irrtum, der so in Fleisch und Blut übergangen ist, nicht nur vom Kopf her zu verstehen, sondern auch ein verlässliches Selbstvertrauen aufzubauen, das man immer genügt. Erst wenn dies da ist, wird der Schmerz auch erträglich, wenn Menschen einen real einmal ablehnen. Dies wird dann nicht mehr damit verwechselt, dass man als Mensch grundsätzlich unannehmbar ist. Der Schmerz, von einem Menschen enttäuscht zu werden, kann dann zwar immer noch groß sein, er ist aber nicht mehr so existenziell. Damit wird es wieder möglich, sich auf andere Menschen einzulassen und die guten Seiten tiefer Beziehungen auszukosten.

Vielen ist übrigens nicht bewusst, dass so frühe Bindungsstörungen eine große Rolle spielen. Alle späteren Erfahrungen von massiven Ablehnungen können Re-Inszenierungen des alten Traumas sein. Man sorgt unbewusst dafür, dass dieses emotionale Grundmuster von Ablehnung sich wiederholt. Da gibt es z.B. Menschen, die sich auf einen zubewegen, man signalisiert aber nicht, dass man auch Interesse hat. Obwohl man das vielleicht in sich spürt. Früher oder später wenden die anderen sich ab und das nimmt man dann als Hinweis, dass man abgelehnt wird. So inszeniert man sich sein Drama immer wieder neu, in dem man unbewusst dazu beiträgt, dass die Situation eine bestimmte Richtung bekommt.

Weblinks:

-- Fred

15.08.2010 :: Warum Heilung scheitert

Warum scheitern immer wieder Therapien und Heilungsversuche bei Sozialphobie? In den Selbsthilfegruppen hören wir, das zahlreiche Therapien anscheinend nichts gebracht haben. Auch haben sich viele schon lange Zeit mit dem Problem auseinandergesetzt, finden aber keinen befriedigenden Weg heraus.

Sozialphobie und viele weitere psychischen Erkrankungen sind alles andere, als leichte Probleme, die man standardisiert in den Griff bekommen könnte. Ein Knochenbruch zum Beispiel kann nach einem bestimmten Verfahren therapiert werden und in nahezu allen Fällen ist Erfolg garantiert. Der Patient muss hierfür noch nichtmal Besonderes tun, er ist lediglich für eine Zeit eingeschränkt.

Kommt bei körperlichen Leiden ein großes Eigen-Engagement hinzu, zeigt sich auch hier ein öfteres scheitern. Man weiß eigentlich, wie man richtig hebt, tut es bei nächster Gelegenheit aber doch nicht und der Hexenschuß ist da. Man weiß eigentlich, dass man genügend Sport machen sollte, um den Rücken zu stärken, lässt aber auch dies gerne schleifen. Wer zu dick ist, weiß eigentlich, dass er abnehmen sollte - das erfordert aber großes Eigen-Engagement und Durchhaltevermögen. Das bringt einen schnell an die persönlichen Grenzen. Ganz ähnlich ist es beim Rauchen - viele wissen um die Schädlichkeit und würden es auch gerne abstellen, aber wie schwer fällt es, diesen Schritt auch wirklich zu vollziehen. Manche wollen schon seit 20 Jahren aufhören. Ich glaube, jeder hat seine Bereiche, bei denen er eigentlich weiß, wie es besser geht, aber...

So ist es dann auch bei Sozialphobie - man möchte sich eigentlich daraus befreien. Aber der Weg ist nicht einfach, er fordert einem eine Menge ab. Man braucht Willenskraft, Mut und Ausdauer. Man muss verzichten können oder diszipliniert sein. Dabei aber auch nicht zu verbissen sein, weil man damit die Lebenslust verliert.

Um überhaupt erstmal an seinen Problemen arbeiten zu können, braucht es Freiraum. Den muss man sich mitunter erstmal schwer erkämpfen, wenn der ganze Alltag aus Arbeit, Familie und Verpflichtungen einen erdrückt. Desweiteren schränkt einen die Erkrankung selber auch ein und raubt einen Kraft und Lust, an sich zu arbeiten.

Die passenden therapeutischen Angebote sind ein weiterer wichtiger Baustein. Wir haben schon von Therapeuten gehört, die selbst das Wort Sozialphobie erstmal nachschlagen mussten. Auf der andere Seite gibt es Therapeuten, die sich seit vielen Jahren mit dieser Thematik auseinandersetzen, eine dahingehend spezialsierte Ausbildung und viele praktische Erfahrungen haben.

Therapie muss auch immer ganzheitlich gesehen werden. Es kann nämlich sein, dass man erstmal andere Themen bearbeiten muss, ehe man sich der Sozialphobie zuwendet. So wird man z.B. von vielen Kliniken abgelehnt, wenn man noch eine Suchtproblematik hat. Dann muss erst diese bearbeitet werden. Sozialphobie kann auch sehr unterschiedliche Ursachen haben, an die man erstmal ran muss. Hierfür braucht es dann keinen Therapeuten, der sich auf Sozialphobie spezialisiert hat.

Die Person des Therapeuten ist ebenso von entscheidender Bedeutung. Denn eine gute heilsame Beziehung kann oft mehr bewirken, als Techniken und Methoden. Hier geht es vor allem darum, dass die Chemie stimmt und man den für sich Passenden findet. Leider sucht man sich unbewusst gerne die Therapeuten aus, wo es vermeintlich einfach wird. Doch der leichte Weg führt oft nicht zum Ziel. Dann macht man eine Therapie, um sein Gewissen zu beruhigen, ahnt aber, dass das nicht wirklich was bringt.

Um die richtigen Therapien für sich zu bekommen, braucht man mitunter Durchsetzungsvermögen. Kostenträger wollen Kosten sparen und denken dabei nicht unbedingt langfristig. So muss man sich manch sinnvolles Therapieangebot erkämpfen. Gerade bei Sozialphobie eine große Herausforderung.

Der richtige Zeitpunkt spielt auch eine Rolle. Es gibt Zeiten im Leben, da kann man sich zu nichts aufraffen. Es gibt aber auch immer wieder Momente, da spürt man die starke Kraft, dass man unbedingt etwas an seinem Leben ändern möchte. Nicht selten verebbt diese Kraft wieder, wenn es einem ein wenig besser geht. Großer Leidensdruck ist nicht selten eine starke Triebfeder, mit einer Therapie zu beginnen. Man muss sich dann aber auch andere Quellen erschließen, um dran zu bleiben. In der Selbsthilfegruppe erleben wir immer wieder Menschen, die bei starkem Leidensdruck kommen, um dann, wenn es etwas besser ist, die weitere Arbeit an sich selbst aufgeben.

Wie man sieht, ist das Vorhaben, sein Leben grundlegend zu verändern, die anspruchsvollste Aufgabe, der man sich stellen kann. Vieles muss zusammenspielen, damit es gelingt. Und es braucht oft auch viele Anläufe, um eine Problematik wirklich zu verändern. Auf der anderen Seite ist es von unendlicher Schönheit, wenn man erlebt, wie ein Mensch sich selbst befreit hat. Dann ist man sich ganz sicher, es war jeder Mühe wert!

Werden kennt kein Ende
Der Strom fließt weiter
Jeder Augenblick neu
Der Schmerz des Wachsens:
Der Mühen wert

(Bruno-Paul de Roeck aus: Gras unter meinen Füssen)

-- Fred

12.08.2010 :: Perfektionismus und starre Charakterstrukturen

Was ist eigentlich verkehrt, Dinge perfekt zu machen oder haben zu wollen? Perfektion an sich ist kein Problem und oftmals kann man sich an perfekten Dingen auch erfreuen.

Das Problem ist dort, wo Menschen zu sehr daran hängen, das alles mögliche perfekt sein muss. Perfektion ist etwas ganz besonderes, sie zu erreichen braucht viel Kraft und Anstrengung. Wenn wir zu viel im Leben perfekt haben wollen, überanstrengen wir uns schnell.

Perfektionismus ist eine Tendenz, das Perfektion sein muss. Weil man sonst unglücklich oder stark frustriert ist. Oder weil man Angst, Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle bekommt. Damit ist Perfektionismus eine starre Charakterstruktur. Man ist nicht mehr flexibel und kann sich an allem möglichen erfreuen. Man kann sich nicht an konkrete Anforderungen und Gegebenheiten anpassen. Nein, es muss genau das sein, was man an Vorstellung hat, sonst ist es nichts wert.

Je mehr starre Charakterstrukturen wir haben, um so schwieriger wird das Leben. Alles muss nach diesen Vorgaben laufen, alles andere ist Leiden. Das macht sehr unflexibel und sorgt dafür, dass das Leben oft unbefriedigend ist.

Es führt auch dazu, dass wir oftmals mehr tun, als für einen Zweck nötig wäre. Wo eine Arbeit in einer halben Stunde erledigt wäre, braucht man dann 3 Stunden, damit auch jede Kleinigkeit stimmt. Kleinigkeiten, die niemanden sonst interessieren und die auch keinen Nutzen entfalten. Der einzige Nutzen besteht darin, unsere Vorstellung, wie etwas zu sein hat, zu befriedigen.

Perfektionismus kann sich auch in Unbarmherzigkeit gegen sich selbst zeigen. Ist der Körper gerade nicht so perfekt, wie man sich das vorstellt, leidet man und das Selbstwertgefühl ist weg.

Wenn Perfektionismus dafür sorgt, dass wir uns unter zu großen Druck setzen, können wir viele Fähigkeiten verlieren. Gerade, wer im kreativen Bereich arbeitet, kann die Erfahrung machen, dass Druck einem sämtliche Ideen und kreativen Impulse raubt. Druck reduziert uns auf überlebenswichtige Funktionen, andere Bewusstseinsbereiche werden gehemmt.

Starre Charakterstrukturen machen das Leben eng, sorgen für Überforderung, binden Energie an unnütze Dinge und lassen eine Menge Leid aufkommen.

Ich glaube, das ein großer Wert darin liegt, charakterlich flexibler zu werden. Ich sehe darin ein wichtiges Ziel in der Persönlichkeitsentwicklung, ob nun durch Therapie, Selbsterfahrung oder Selbsthilfearbeit. Flexibler zu werden bedeutet vor allem innere Freiheit. Und innere Freiheit bedeutet weniger Angst und eine gelöstere Stimmung.

Meistens haben starre Charakterstrukturen eine leidvolle Vorgeschichte. Sie bilden sich in bedrohlichen Notsituationen. Oder in der Erfahrung des Nicht-so-sein-Dürfens. Hier ist es gut, nochmal zurückzuschauen, zu begreifen, wofür es nötig war. Um dann die Sache aus heutiger Sicht nochmal neu bewerten zu können und zu erkennen, wo man wieder flexibler und lockerer mit sich und der Welt umgehen kann.

-- Fred

09.08.2010 :: Feste Kommunikationsmuster durchbrechen

In unseren Selbsthilfegruppen wird gut sichtbar, wie sich von Sozialphobie Betroffene in Gruppen verhalten. Das Gruppenverhalten ist oftmals anders, als das Verhalten im Zweierkontakt. Bei Sozialphobie ist ein Muster häufig anzutreffen: In der Gruppe gehen Betroffene sofort in eine passiv-zurücknehmende Position. Sie bleiben im Hintergrund und werden nicht spürbar.

Diese Grundhaltung bildet sich oft schon früh aus. In den ersten Gruppenerfahrungen, die man im Leben macht. Es ist eine Haltung, mit der man in Gruppen gut mitschwimmen kann. Man fällt nicht auf und wird so nicht zur Zielscheibe von Angriffen. Man gehört irgendwie dazu, ohne sich der Gefahr von Angriffen auszusetzen. Es gibt immer Leute, die in Gruppen gerne reden und sich daran erfreuen, den ganzen Rederaum für sich einnehmen zu dürfen.

Ich war öfters verblüfft - wenn ich in der Öffentlichkeit irgendwo mal Gruppen beobachte, die scheinbar sehr lebendig sind. Auch dort sind meist ein paar Leute darunter, die so gut wie nie was sagen. Sie schwingen höchstens mit, lächeln im passenden Moment oder spiegeln andere Gefühle, die gerade in der Gruppe aufkommen.

So sicher diese Rolle auch ist, es bleibt eine unbefriedigende Rolle. Denn das, was man denkt, fühlt, meint und will, kommt in der Gruppe nicht zum Ausdruck. Dies ist aber das eigentlich Interessante in einer Gruppensituation: Sich wirklich als Teil der Gruppe zu fühlen, weil auch das Eigene mit einfließt. So spürt man sich in der Auseinandersetzung mit anderen. So lernt man sich auch kennen.

Weil diese passiv-zurückhaltende Rolle schon so lange praktiziert wird, ist ein starker Automatismus vorhanden. Man erlebt es als völlig selbstverständlich, in so eine passive Rolle zu gehen. Alles andere ist nicht vorstellbar. Es ist auch nicht einfach, eine andere Rolle einzunehmen, weil das erstmal sehr viel Mut bedeutet.

Geht man diese Problematik nicht aktiv an und achtet darauf, kann es passieren, dass auch in Selbsthilfegruppen diese Rolle über Jahre weiter praktiziert wird. Jeder bleibt so gerne in Gewohntem stecken.

Wir achten in den letzten Wochen vestärkt darauf, Passive in der Gruppe öfters mal anzusprechen. Dabei zeigt sich, dass dies meist gerne angenommen wird. Denn die Betroffenen haben eigentlich auch Lust, etwas zu sagen. Wer es hingegen nicht mag, wird auch nicht weiter angesprochen.

Menschen mit diesem zurückhaltenden Muster haben auch gelernt, sämtliche Rede-Impulse in sich durch eigene innere Gedanken abzuarbeiten. Der ursprüngliche Rede-Impuls wird umkanalisiert und in eigenen inneren Gesprächen ausgetragen. Nicht selten erlebt man hier auch, dass diese Menschen dann gedankenversunken einem inneren Geschehen nachgehen und nicht mehr im Hier und Jetzt sind. Es ist eine erlernte Form, eine äußere Anregung selber innerlich durchzukauen. Ganz ähnlich, wie man das beim Fernsehen oder beim lesen tut.

Hier muss also erst wieder gelernt werden, den ursprünglichen Impuls auch wieder nach außen zu bringen. Das Ansprechen kann dabei als Krücke angesehen werden, ein erster Impuls, der noch von außen kommt. Damit gelingt es, überhaupt erstmal mit seinen Gedanken in die Gruppe zu kommen. Doch leider ist man hier nicht frei, man muss warten, bis man mal wieder gefragt wird. Auch ist man abhängig davon, überhaupt gefragt zu werden. Mit der Zeit ist es auf jeden Fall besser, seine eigenen Redeimpulse wahrzunehmen und sich direkt ins Gespräch einzumischen.

Umgedreht muss man als Moderator auch aufpassen, dass die, die das Reden in Gruppen gewöhnt sind, nicht den ganzen Rederaum für sich beanspruchen. Es braucht immer wieder Freiräume, in denen dann Zurückhaltende ohne viel Durchsetzungsvermögen sich einmischen können.

Es ist übrigens nicht die alleinige Aufgabe des Moderators, Stillere anzusprechen. Das kann jeder in der Gruppe tun. Auch das kann man als Übung betrachten, mal in eine Führungsrolle zu gehen.

Wer sich in der passiven Rolle wiedererkennt, kann immer mal wieder darüber nachdenken, ob es gut wäre, diese Situation zu verändern und wie das gehen könnte. Es hilft oft schon, sich vorzustellen, wie es wäre, wenn man aktiv in Gesprächen ist. Fühlt sich das gut an, so sollte man gucken, wie das gelingen kann.

Wir können euch gerne auch helfen, in einem Einzelgespräch außerhalb der Gruppe nach Lösungen zu suchen. Sprecht hierfür einfach den Gruppen-Moderator mal an.

-- Fred

04.08.2010 :: Neue Haltungen zu sich finden und festigen

Die therapeutische Auseinandersetzung mit sich selbst läuft in der Regel erstmal so ab, dass man sich besser verstehen lernt. Es geht darum, zu begreifen, was man denkt, fühlt und wie man sich verhält.

Durch diese Selbstanalyse wird einem auch klar, wo eigene Problempunkte liegen. Man erkennt überzogene Forderungen an sich, falsche Erwartungen an andere, unpassende Verhaltensweisen, die nicht zielführend sind, alte Wunden, die zu immer wieder leidvollem Erleben führen. In diesem Prozess ist es gut, einen erfahrenen Begleiter zu haben, der die problematischen Muster gut kennt.

Hat man sich so erstmal verstanden, braucht es neue Ideen und Vorstellungen, was denn gut, passender und zielführender wäre. Es ist manchmal gar nicht so leicht, die richtige Lebensorientierung zu finden. Eine Lebensorientierung, die wirklich trägt und nicht schon wieder irgendeine Illusion ist. Auch hier ist es wieder gut, einen helfenden Menschen an seiner Seite zu haben, der ein Gefühl für tragfähige und dem Leben zugewandte Haltungen hat.

Eine Selbsthilfegruppe kann auch immer wieder Orientierung und Anregung geben. Man erfährt, wie andere mit ihren Problemfeldern umgehen und kann sich dadurch inspirieren lassen. Wir lernen ja vor allem durch Vorbild.

Und dann kommt etwas, was beständige Arbeit über lange Zeit erfordert. Die neue Orientierung, die neuen inneren Haltungen müssen nun eingeübt und gefestigt werden. Sie stehen in direkter Konkurenz zu den alten Mustern, die weiterhin einen festen Griff haben. Was so lange gelebt wurde, hat sich tief in uns verankert. Es reicht nicht, einmal eine neue Erkenntnis zu haben, man muss Neues immer wieder praktizieren, sonst verblasst es schnell wieder.

An dem Punkt ist eine Selbsthilfegruppe von zentraler Bedeutung. Sie hilft, dran zu bleiben und mich regelmäßig mit mir auseinanderzusetzen. Es gibt viele Therapien, die ihre Wirksamkeit nicht entfalten, weil nach Beendigung man vergisst, dran zu bleiben. Gerade auch nach Klinikaufenthalten besteht hier eine große Gefahr. In der Klinik hat man in kurzer Zeit einen intensiven Prozess durchlaufen, dessen Früchte aber vor allem danach reifen müssen.

Ein Beispiel für eine neue Orientierung: Wer sich selbst runterputzt, weil ein Gespräch mit anderen nicht optimal gelaufen ist, erkennt in Therapie dieses selbstschädigende Verhalten und den unglaublich hohen Anspruch an sich selbst. Er erkennt, dass er eine falsche Vorstellung davon hat, was man leisten muss. Das neue Bild wäre dann, zu begreifen, dass Gespräche mit anderen Menschen eine große Spannbreite an Qualität haben können und das man selber mal gut, mal weniger gut drauf sein kann. Er versteht, dass es vollkommen in Ordnung ist, wenn Gespräche auch mal nicht so perfekt laufen und dies sein darf.

Trotzdem - nach einem Gespräch, was nicht so gut lief, spürt man vielleicht wieder diese Selbstverurteilung. Und dann ist es hier wichtig, diese neue Haltung zu sich selbst wieder zu aktivieren. Sich zu sagen: "Das ist schon in Ordnung, ich möchte mich so annehmen, genau so, wie es war! Ich genüge immer!" oder "Wie viel angenehmer ist doch das Leben, wenn ich mich in meiner ganzen Bandbreite annehmen kann."

Es kann hilfreich sein, sich neue Haltungen in ein Buch aufzuschreiben. Dieses Buch kann zu einem wichtigen Begleiter werden. Man nimmt es immer mal wieder zur Hand und liest sich seine neuen Haltungen durch, die man pflegen möchte. Diese Erinnerung und das regelmäßige Üben lässt Neues gedeihen. Die erste Erkenntnis ist der Samen, aus der regelmäßigen Übung wird aus dem zarten Pflänzchen ein starker Baum. Doch das dauert, man muss Geduld haben. Und zwischendurch immer mal wieder gießen.

Manche gefundene Haltung erweist sich mit der Zeit als noch nicht passend oder sorgt für Widersprüche. Dann muss man sich nochmal mit dem Thema beschäftigen, um eine passendere Orientierung zu finden. Es ist typisch für den Weg des inneren Wachstums, dass alles nur vorläufig ist und man durch Weiterentwicklung zu besseren Konzepten und Vorstellungen gelangt. Leben heißt immer wieder, neues finden und altes loslassen.

Stillstand ist der Tod,
geh voran,
bleibt alles anders.
(Herbert Grönemeyer in "Bleibt alles anders")

-- Fred

30.07.2010 :: Das Leben ist ein Risiko

Wer nichts riskiert, lebt sehr riskant!

Das ganze Leben ist ein Risiko. Wir können immer und überall Schaden erleiden, gekränkt, getäuscht, hintergangen oder verletzt werden. Oder wir können Fehler machen. Leben ist ohne Risiko nicht vorstellbar. Wer leben will, muss was riskieren.

Ist es bei all den Risiken nicht erstaunlich, wie gut die meisten Menschen doch halbwegs unbeschadet durchs Leben kommen? Das Fernsehen verzerrt da ein wenig die Sicht - es gibt nur Katastrophen-Nachrichten. Nachrichten, die aufzeigen, was heute alles geklappt und funktioniert hat und wo Menschen unbeschadet glücklich durchs Leben gehen, das ist uninteressant, wird nicht gezeigt. Wie schön war doch die Zeit, wo man nur die Katastrophen seines Dorfes erfahren hat. Heute erfahren wir geballt alle Bedrohungen der ganzen Welt. Als wäre das nicht schon genug, werden jeden Abend noch einige hundert Menschen in Spielfilmen ermordet oder gequält...

Und doch ist es so, dass die meisten Menschen in Europa doch recht alt werden - etwa 80 Jahre. Ist das nicht sehr tröstlich? Und zeugt es nicht von großer Intelligenz, die in unserem Organismus steckt? Bewusste und unbewusste Prozesse sorgen dafür, dass wir am Leben bleiben. Unbewusste Prozesse, auf die wir uns einfach so verlassen können, haben daran vermutlich einen höheren Anteil. Natürlich haben wir in Europa auch das besondere Glück, sehr gute Lebensumstände zu haben.

Übersteigerte Ängste, die uns am Leben hindern und als krankhaft eingestuft werden, sind fast immer das Resultat von bedrohlichen Lebenserfahrungen. Erfahrungen, in denen mein Leben oder meine Integrität stark bedroht waren. Ich habe am eigenen Leibe kennengelernt, wie verletzlich mein eigenes Leben auch ist. Vielleicht bin ich nochmal mit dem Schrecken davongekommen, vielleicht war es auch eine längere Qual. Ich bin dem Lebensbedrohenden sehr nahe gekommen. Und solche bedeutenden Erfahrungen vergisst man nicht mehr. In gewissem Sinne ist das auch wieder Selbstschutz, damit man nicht nochmal in die selbe Bedrohung hinein gerät.

Mit solchen Erfahrungen im Gepäck ist es schwer, wieder in dem Bereich ein Risiko einzugehen. Doch genau das braucht es eigentlich für ein gesundes Leben. Gerade bei Sozialpbobie zeigt sich das überdeutlich: Wer hier keine Risiken mehr eingehen will, müsste ab sofort jeden menschlichen Kontakt meiden. Müsste sich in die Einsamkeit zurückziehen, wo er keinem Menschen begegnet. Wir sind aber auch soziale Wesen und brauchen den Kontakt und ziehen große Befriedigung daraus. Für viele sind zwischenmenschliche Beziehungen das Wichtigste im Leben.

Hier zeigt sich, dass auch ein großes Risiko darin besteht, das Leben zu vermeiden. Dann fehlen uns nämlich Lebenslust, Sinn und tiefere Gefühle. Dann wird das Leben uninteressant und man wird depressiv verstimmt. Bei Sozialphobie ist es nicht selten, dass auch Depressionen auftauchen oder diese überhaupt erst der Auslöser sind, warum man zu einem Therapeuten oder Psychiater geht.

Hier zeigt sich dann eine wichtige, dem Leben zugewandte Orientierung: Wir müssen trotz unserer Ängste uns wieder hineintrauen - ins Leben.

Nun wäre es natürlich dumm, gegen seine Ängste zu handeln und genau wieder die gleichen Verletzungen zu erfahren, die zu den Ängsten führten. Wir müssen es diesmal schlauer und achtsamer anstellen. Wir wollen nicht wieder ins gleiche Loch fallen, sondern diesmal einen Bogen drumrum machen. Anstatt gar nicht mehr aus dem Haus zu gehen, weil da draußen irgendwo ein Loch ist, wo man reinfallen kann. Wer ein richtiger Lebenskünstler wird, schafft es sogar, sicher am Rand des Loches zu balancieren...

Hier gilt es, zum Experten einer gefährlichen Erfahrung zu werden, die man gemacht hat. Es ist wichtig, zu begreifen, warum einem das passiert ist und was man zukünftig tun kann, damit es einem nicht mehr passiert. Je genauer wir die Problematik begreifen, um so zielsicherer können wir uns davor schützen, ohne das halbe Leben ausklammern zu müssen. Denn das ist das große Problem von unreflektierten Ängsten: Man klammert viel zu viel aus seinem Leben aus, weil man keine genaue Vorstellung hat, wo wirklich Gefahr droht.

Vieles hat sich auch überlebt. Etwas, was früher als kleines Kind Gefahr bedeutete, stellt heute keine Gefahr mehr dar. Wir haben so viele neue Fähigkeiten erlernt, mit denen wir uns schützen können. So ist es gar nicht mehr nötig, sich rigide und weit im Vorfeld abzusichern. Man kanns riskieren, weil man weiß, dass man auch dann seine Möglichkeiten hat, wenns schief geht.

Auch ist es wichtig, sich wieder zu trauen, Schmerzliches erleben zu dürfen. Sich wirklich zu verlieben geht z.B. nicht ohne das Risiko, enttäuscht und verletzt zu werden. Man kann sich hier nicht völlig absichern. Man kann nur seine Menschenkenntnis schulen, aber dann heißt es irgendwann: "Riskiere es!" Und Risiko heißt immer, dass es auch schief gehen kann. Die Fähigkeit, im Schmerz stehen zu können, es auszuhalten, kann auch erlernt werden. Wer einmal eine schwere Phase durchlebt hat, fühlt sich oft gestärkt, weil er weiß, auch dies aushalten zu können.

Wer wieder riskiert, macht auch beglückende Erfahrungen. Und die sind es, die unglaublich motivieren können, erneut zu riskieren.

Auf dem Übungsweg heraus aus seinen Ängsten, betonen Verhaltenstherapeuten immer wieder, sich in kleinen Schritten vor zu wagen. Man soll schon Risiken eingehen, aber nur so viel, dass man auch ein Scheitern ertragen kann. Oftmals wird es nach ersten Erfolgserlebnissen übertrieben, dann fällt man evtl. hart und verstärkt so nur alte Ängste.

Risiko hat übrigens noch einen angenehmen Aspekt: Sich zu öffnen für das unvorhersehbar Nicht-Kontrollierbare hat seinen ganz eigenen Reiz. Das ist wirkliches Leben, wenn man nicht weiß, was im nächsten Moment passiert und sich überraschen lassen kann. Tod wird das Leben hingegen, wenn alles vorausgedacht und geregelt nach Plan verläuft.

-- Fred

28.07.2010 :: Opfer-Inszenierung

Es ist manchmal verblüffend, welche Wege die Psyche einschlägt. Menschen passiert in ihrem Leben etwas schlimmes, sie werden z.B. Mobbingopfer. Eigentlich müsste man meinen, dass solche Erfahrungen einen vorsichtiger werden lassen. Das man also geschickt agiert, um nicht wieder zu einem Mobbingopfer zu werden. Mitunter erlebt man aber, dass stattdessen aktiv-unbewusst dahingearbeitet wird, wieder Mobbingopfer zu werden. Ist das nicht verrückt? Genau das, was man nicht will, bereitet man selber mit vor! Ein unbewusster Teil in einem selbst will, dass man zum erneuten Opfer wird und lädt andere dazu ein, draufzuhauen. Mitunter durch ganz geschickte Verführung der anderen, die einem selbst auch nicht auffallen darf. Denn solche unbewussten Prozesse wollen unerkannt bleiben.

Im Laufe meiner Therapie ist mir selber so ein Verhalten aufgefallen. Ich merkte, dass mir eine wichtige Information auf der Arbeit vorenthalten wurde. Jetzt im Nachhinein denke ich, dass das wirklich ein Versehen war. Damals dachte ich hingegen, "Was für eine Sauerei!" und nahm es als Anfang für eine weitere Inszenierung. Ich wollte irgendwie in diese leidvolle Rolle, dass man mich hintergeht. Ich wollte eine große Sache daraus machen, weshalb ich es auch nicht gleich auflösen wollte. Ich lauerte förmlich auf alles, wie durch diese vorenthaltene Info nun ein noch größeres Drama entstehen könnte. Ein Drama, in dem ich zu einem großen Opfer werde. Ein Drama, in dem ich mich wieder massiv ausgegrenzt fühlte, wie ich das von früher schon kannte. Und ich wollte vor allem die anderen zu Tätern machen.

In der psychologischen Forschung sind solche widersprüchlichen Handlungsimpulse hinlänglich bekannt. Man stellt sich öfters mal selbst ein Bein, um absichtlich persönliches Leid zu inszenieren. Man sorgt genau dafür, dass einem das passiert, was man nicht mehr erleben möchte. Man verführt andere dazu und gestaltet eine Situation, in der man schlussendlich als Opfer herausgeht. Oder in der man andere anklagen kann, weil sie zu Tätern wurden. Manchmal ist die Genugtuung darüber der Gewinn, den man daran hat. Nach dem Motto: "Schaut her, ich habe recht, die Welt ist schlecht!"

Funktionieren tut das nur, weil man innerlich gespalten ist und unbewusste Teile in einem ein Eigenleben führen. Das, was sich gegen einen selbst wendet, kann man auch als Bewältigungsversuch begreifen. Man will eine alte Erfahrung irgendwie verarbeiten. Doch wird es durch solches Verhalten nicht wirklich funktionieren.

Die tiefenpsychologischen Therapieformen versuchen, diese unbewussten Strukturen ins Bewusstsein zu heben. Damit einem klar wird, was man tut und wozu das dient. Wenn einem erstmal klar wird, wie man selber immer wieder dafür sorgt, dass einem Leid zustößt, kann man sich daraus befreien und nach besseren Lösungen suchen.

Am Anfang ist es mir sehr schwer gefallen, nicht mehr in die gewohnt alte Inszenierung einzusteigen, stattdessen sofort dafür zu sorgen, dass ich eine Situation kläre und so größeren Schaden abwende. Mir kam das zuerst so vor, als ob ich einen Triumph damit verliere. Und doch half mir das intellektuelle Verständnis darüber, mich nicht wieder in das alte Verhalten verleiten zu lassen. Mit der Zeit wurde es immer leichter und die alten Inszenierungen wurden immer unwichtiger.

Es fühlt sich schlussendlich besser an, gut für sich zu sorgen.

-- Fred

26.07.2010 :: Labyrinth

In der Petrikirche in Dortmund (gegenüber Saturn Warenhaus) liegt derzeit ein großes Labyrinth mit Steinen auf dem Kirchenboden ausgelegt. Es hat geschätzt etwa 10 Meter Durchmesser. Es ist für alle öffentlich zugänglich und kostenlos. Wer also in der Stadt ist, kann da einfach mal einen Abstecher hin machen.

Das Labyrinth ist kein Irrgarten. Die Intension ist eine andere. Es hat einen Eingang und man kommt garantiert ins Zentrum, weil es keine Irrwege gibt. Es geht darum, innerlich von allem loszulassen und meditativ langsam durch das Labyrinth zu schreiten. Man geht einen Weg und man beobachtet einfach, was an Gedanken, Gefühlen, Bildern in einem aufsteigt, wenn man diesen Weg geht. Hierzu ist es wichtig, dass man innerlich erstmal ein wenig zur Ruhe kommt.

Bei Sozialphobie könnte das auch bedeuten, genauer zu beobachten, wie es sich anfühlt, wenn man Menschen näher kommt, die auch das Labyrinth durchschreiten. Es gibt selten Gelegenheit, mal so bewusst hinzuspüren. Je langsamer man geht, um so feinfühliger kann man in der Regel wahrnehmen.

Das Labyrinth ist geschickt in der Wegführung. Mal wird man recht nahe ans Zentrum herangeführt und man denkt, man hätte die Mitte schon fast erreicht. Doch dann wird man wieder ganz nach außen geführt. Durch diese Wegführung können alle möglichen Dinge in einem ausgelöst werden. Aber ganz egal, was es auch immer ist, es wahrzunehmen, ohne sich darin zu verstricken - darum geht es.

In so ein Labyrinth kann man auch mit einem zuvor gewählten Thema hineingehen. Themen können z.B. sein:

  • Was brauche ich?
  • Wohin soll sich mein Leben entwickeln?
  • Was will ich im Leben?
  • Wie finde ich Orientierung?
  • Was brauche ich, um ganz zu werden?
  • Wer bin ich?
  • Mein Lebensweg

Mit diesem Thema im Bewusstseins-Hintergrund durchschreitet man dann das Labyrinth und schaut, was auftaucht.

Die Länge des Weges durchs Labyrinth sollte man nicht unterschätzen. Wer das Labyrinth in recht langsamen Schritten durchwandert, kann durchaus 20 Minuten brauchen, um von außen nach innen und wieder zurück zu gelangen. Eine Zeitspanne, die für eine meditative Übung durchaus sinnvoll ist.

Wer die Gehmeditation kennt, wird sich hier gleich zu Hause fühlen.

Öffnungszeiten Labyrinth:

  • dienstags - donnerstags 12 – 18 h
  • freitags 12 – 18 h
  • samstags 11 – 16 h
  • sonntags 14 – 18 h

Weblinks:

-- Fred

25.07.2010 :: Gefühle bewusst erleben

Gefühle begleiten uns von der ersten Stunde unseres Lebens. Sie sind ganz wesentlich und bedeutsam. Was wäre ein Leben ohne Gefühle? Das ist kaum vorstellbar.

In den ersten Lebensjahren erfahren wir einfach Gefühle, ohne uns darüber bewusst zu sein. Später kann man lernen, Gefühle wahrzunehmen und zu benennen. Man kann unterschiedlichste Gefühlsqualitäten erspüren und differenzieren. Dafür braucht es auch Übung. In etwa so, wie ein geschultes Ohr Töne erkennen und unterscheiden kann.

Ein gut geschultes Gefühlsbewusstsein ist sehr viel wert. Es hilft uns bei allen Anforderungen des Lebens. Es hilft uns auch, genießen zu können oder lebendig zu werden. Es ist von zentraler Bedeutung in den meisten Therapien, sich seiner Gefühle bewusst zu werden. Auch in den Selbsthilfegruppen achten wir verstärkt auf die Gefühle, um uns in der Wahrnehmung zu schulen.

Obwohl ein Gefühlsbewusstsein so wichtig ist, leben wir in einer Gesellschaft, in der dieser Aspekt wenig Beachtung findet. In der Schule gibt es kein Unterrichtsfach, in dem wir die Achtsamkeit auf die Gefühle erlernen. Auch später im Leben gibt es keine Angebote in der Breite, so dass viele Menschen erst in Krisenzeiten etwas über Gefühle lernen. Frauen verstehen es noch besser, sich mit Freundinen über Gefühle auszutauschen. Männer hingegen reden oft nicht über ihre Gefühle.

Mitunter sind echte Gefühle auch stark abgespalten. Man ist auf einer Party, bei der man sieht, dass eine gute Stimmung ist und redet später darüber: "Das war eine voll geile Party. Hat einen riesen Spaß gemacht." Diese Aussage ist aber nur etwas, was im Kopf entstanden ist. Wie man wirklich an diesem Abend gefühlt hat, kann etwas ganz anderes sein. Auch sind Gefühle nicht konstant, im Laufe des Abends wird es sich verändert haben. Wenn jemand sagt: "Als ich ankam, fühlte ich mich noch etwas verlassen, weil ich keinen kannte. Aber nach etwa einer Stunde hat mich die Stimmung angesteckt und dann hatte ich richtig Lust, mit den anderen zu feiern." hört sich viel mehr nach einem authentischen Gefühlsbericht an.

Wer in Therapie und Selbsthilfe seine Achtsamkeit auf die Gefühle schult, hat schon viel gewonnen. Mitunter ist es ein jahrelanger Schulungsweg, immer klarer zu spüren, was man fühlt und dies auch in Sprache kleiden zu können. Hier ist die Selbsthilfegruppe ein regelmäßiges Übungsfeld. Immer wieder über seine Gefühle zu reden hilft. Auch das wirkliche Hinspüren ist wichtig, damit es nicht nur wieder eine Kopfsache wird. Deshalb ist es auch gut, wenn wir uns in der Gruppe Zeit lassen, um sich der eigenen Gefühle gewahr zu werden. Und erstmal Worte dafür zu finden, die passen.

Oftmals sind Gefühle auch unterdrückt oder abgespalten. Wir sind uns dessen nicht bewusst und es gibt Abwehrmechanismen, die dafür sorgen, dass sie uns verborgen bleiben. Es braucht Zeit, bis man sie wieder in sein Erleben integriert. Hier braucht es oftmals auch therapeutische Unterstützung. In der Selbsthilfe kann Feedback uns darin unterstützen, unsere blinden Flecke zu erkennen. Wie ich mich sehe und wie andere mich sehen, kann abgeglichen werden (Selbstwahrnehmung - Fremdwahrnehmung). Natürlich muss man hier sehr behutsam und einfühlsam miteinander umgehen. In den Kerngruppen, wo man sich besser kennt und mehr Vertrauen zueinander hat, gelingt das meist recht gut.

Das Leben wird ein anderes, wenn man gelernt hat, seine Gefühle wahrzunehmen. Dann bezieht man seine Gefühle mit in die Lebensgestaltung ein. Dann erkennt man die Zusammenhänge, was zu Leid führt und findet Wege, sich daraus zu befreien.

-- Fred

24.07.2010 :: Schematherapie

Die Schematherapie ist eine recht neue Therapierichtung. Sie integriert verhaltenstherapeutische und tiefenpsychologische Ansätze.

Hauptaugenmerk sind die sogenannten Schematas. Viele kennen es, dass man in manchen Situationen des Lebens in alte Verhaltensmuster hineinrutscht. Man reagiert, denkt und fühlt dann so, wie es sich früher irgendwann mal ausgeprägt hat. Gerade die schwierigen Lebenserfahrungen haben sich so als immer wiederkehrende Muster in uns festgesetzt, die im Alltag immer mal wieder aktiviert werden. Es läuft dann sozusagen ein alter Film in uns ab, aus dem wir nur schwer oder gar nicht aussteigen können.

Ziel der Therapie ist es, belastende Schematas zu erkennen und sich daraus zu befreien. So werden wir wieder freier: Wir sind nicht mehr Sklave alter Erfahrungen, die sich immer wiederholen. Stattdessen können wir neue Erfahrungen machen und neues Verhalten erlernen. Etwas, was passender ist und uns das Leben erleichtert.

Viele Schematas werden uns zu Beginn der Therapie noch nicht bekannt sein, sie fallen erst auf, wenn man sich genauer beobachtet und Erfahrungen mit dem Therapeuten reflektiert. So werden unbewusst ablaufende Muster ins Bewusstsein gehoben. Der Therapeut kennt viele typische Schematas, die bei vielen Menschen auftreten, ist also dafür sensibilisiert.

Bei Sozialphobie könnte ein Schema z.B. sein, dass man bei Menschen, die sich forsch und stark im Kontakt geben, man sich selbst als klein und minderwertig fühlt. Man rutscht sozusagen in ein Empfinden hinein, als wäre man ein kleines hilfloses Kind. Ziel der Therapie wäre es dann, dieses Schema tiefer zu verstehen und alternative Muster auszubilden, die angemessener sind. Sich also als ein gleichwertiger freier Mensch zu erleben, der im Kontakt mit dem anderen über das redet, was er denkt und fühlt. Solche neuen Muster können in der Therapie in Form von Rollenspielen geübt werden. Es entsteht so eine erste Vorstellung davon, die man im Alltag weiter einüben kann.

In der Schematherapie geht es auch darum, die problematischen Eltern-Kind Beziehungen aufzuspüren, wie man sie in seinem frühen Leben kennengelernt hat. So, wie uns die Eltern früher behandelt haben, so gehen wir später ganz oft mit uns selbst um. Wenn der Umgang problematisch war, dann werden wir so auch weiterhin problematisch mit uns umgehen. Wir haben die Eltern internalisiert. In der Therapie geht es darum, einen guten inneren Erwachsenen in sich auszubilden. Der Therapeut kann hierbei Modell sein, er nährt damit sozusagen die Erfahrung von guten Eltern nach. Gute Eltern sind fürsorglich und emotional zugewandt, können aber auch klar Grenzen setzen. Diese Fürsorge kann man übernehmen, um selbst mit sich gut umzugehen.

Da die Schematherapie noch sehr neu ist, gibt es noch wenige Therapeuten, die diese Form anbieten. Auch ist sie noch nicht Bestandteil der Kassenversorgung. Es kann jedoch sein, dass in manchen stationären Einrichtungen diese schon praktiziert wird. Therapeutenlisten scheint es derzeit noch nicht zu geben, sie sind aber in Vorbereitung.

Sehr gute einführende Artikel findet man auf der Homepage von Eckhard Roediger, der auch einige Bücher über die Schematherapie geschrieben hat: http://www.schematherapie-roediger.de/info/index_info.htm

Bücher:

Weblinks:

-- Fred

22.07.2010 :: Angst in öffentlichen Verkehrsmitteln

Angst und Unwohlsein in öffentlichen Verkehrsmitteln ist immer wieder ein Thema in der Selbsthilfegruppe. Wenn man genauer hinschaut, gibt es viele ganz unterschiedliche Gründe, warum hier Ängste entstehen:

  • Angst vor körperlicher Gewalt: In öffentlichen Verkehrsmitteln erlebt man öfters aggressive Menschen. Dies triggert dann auch Ängste, selbst Opfer von Gewalt zu werden. Auch der Weg zur Haltestelle, besonders wenn es dunkel ist, kann als risikoreich erlebt werden.
  • Angst vor körperlicher Nähe: Viele können Menschenmengen um sich herum nicht ertragen. Menschliche Nähe ist sehr polarisierend: Auf der einen Seite eine sehr angenehme Erfahrung von Verbundenheit und sich geborgen fühlen. Auf der anderen Seite tragen viele frühkindliche Verletzungen mit sich rum, wo Nähe als massiv bedrohlich erlebt wurde. Man findet hier deshalb oft eine grundsätzliche Angst vor Nähe.
  • Angst, aufzufallen: Ein Bus oder eine Bahn ist eine Gruppe von Menschen, die einen beobachten und geringschätzen können. Oder Menschen, die sich über einen lustig machen. Manche haben z.B. ein Problem, mit einer großen Tasche unterwegs zu sein, weil man so Angriffsfläche gibt und auffällt. Alles, womit man irgendwie auffallen könnte, wird vermieden. Und trotzdem kommt das Gefühl auf, beobachtet und negativ durch andere bewertet zu werden. Wird irgendwo im Bus gelacht, meint man, die lachen über mich. Auch die Angst, vielleicht ohnmächtig zu werden und dadurch in den Mittelpunkt des Geschehens zu kommen, wurde in der Selbsthilfegruppe erwähnt. In Bus und Bahn kommt auch noch hinzu, dass man sich recht nahe gegenüber sitzt und so Blicken nur schwer ausweichen kann. Auch fühlt man sich so noch stärker beobachtet. Ganz ähnlich, wie im Wartezimmer eines Arztes.
  • Angst, nicht flüchten zu können: In öffentlichen Verkehsmitteln ist man für eine gewisse Zeit "eingesperrt". Flucht ist ein Urinstinkt, der unter massiver Angst eine wichtige Alternative darstellt. Wird diese Alternative unterbunden, kommt schon deshalb stärkere Angst auf. Es ist die gleiche Angst, warum Menschen sich in öffentlichen Gebäuden (Kneipe, Kino, etc) in die Nähe von Türen setzen, damit sie im Falle eines Falles schnell flüchten können. Meist gibt es auch eine Verbindung mit Panikattacken, die ja urplötzlich entstehen können. Man muss also zu jeder Zeit die Möglichkeit zur Flucht haben können.
  • Angst vor Unvorhersehbarem: Auf einer Fahrt kann alles mögliche Unvorhersehbare passieren. Züge können ausfallen, man weiß nicht, wie man nun weg kommt, ist gefordert zu reagieren. Es wird peinlich, irgendwo zu spät anzukommen. Es ist schwierig, evtl. Leute ansprechen zu müssen, um sich Hilfe oder Rat zu holen. Das Unvorhersehbare wird so zum beängstigenden Element.
  • Angst, Bekannten zu begegnen: In der Öffentlichkeit irgendwelchen Bekannten zu begegnen, mit denen man sich dann vielleicht angestrengt unterhalten muss, kann Unwohlsein auslösen. Auch kann es als peinlich empfunden werden, wenn man sich in der Öffentlichkeit mit einem Bekannten austauscht: Andere in der Umgebung hören mit zu, beobachten einen vielleicht beim Gespräch. Oder der Bekannte redet zu offen und zu laut über persönliche Dinge, die einen betreffen.
  • Angst vor Überforderung: Angst, nicht zu wissen, welchen Zug man genau nehmen muss, wann man wo umsteigen muss. Angst, die Zielhaltestelle zu verpassen und zu spät auszusteigen. Angst, dass die Türen nicht öffnen oder der Busfahrer nicht anhält.

Es hat sich übrigens herausgestellt, dass das eigene Selbstbild starken Einfluss darauf hat, wie man in öffentlichen Verkehrsmitteln klar kommt. Es wurde öfters berichtet, dass in Zeiten, wo man ein gutes Selbstbild hatte und Selbstvertrauen spürte, öffentliche Verkehrsmittel kein sonderliches Problem darstellten. In Zeiten hingegen, wo man sich sehr wackelig, sensibel und minderwertig fühlte, war auch die Konfrontation mit dieser Situation sehr schwierig.

-- Fred

21.07.2010 :: Den unsicheren Moment willkommen heißen

Was Angst macht, will man nicht erleben. So werden um alles, was Angst machen könnte, Bollwerke errichtet: Alle möglichen Strategien und Taktiken, um eine beängstigende Situation sicher zu vermeiden.

Bei Sozialphobie typisch ist z.B., dass man Tage vorher schon genau durchgeht, was alles passieren könnte und schon genau plant, was man zu wem sagen würde, wenn diese oder jene Frage kommt. Im vorhinein soll jede Eventualität schon durchgeplant sein, um nicht in eine unvorhersehbare Situation zu kommen. Natürlich kann sowas nur sehr eingeschränkt funktionieren.

Auch wenn solche Strategien entlasten können, so belasten sie doch andererseits stark. Man wird zum Sklaven seiner Angst. Diese beschäftigt einen Tag und Nacht, um Vorbereitungen zu treffen, damit ungünstige Situationen erst gar nicht entstehen.

Das nächste mal, wenn du in eine angstbesetzte Situation kommst, könntest du paradox agieren. In dem du dir innerlich sagst: "Jetzt bin ich in einer unsicheren Situation. Herzlich willkommen! Es ist sehr gut, dass mir das jetzt passiert." Koste es in vollen Zügen aus, was es heißt, sich gerade unsicher zu fühlen oder peinlich berührt zu sein.

In der Klinik hatte ich den Vorteil, einen Therapeut zu haben, der mir immer wieder Mut gemacht hat, mich auf die nächste beängstigende Situation zu freuen. In etwa so, wie man sich freut, wenn man 20 Euro findet. Genau der Moment, wo es passiert, dass ist der spannenste Moment. Und den kann man nur in dem Moment erleben. Nicht später, da kann man sich nur noch daran erinnern. Wenn man in dem Moment wirklich wach und offen ist, neugierig auf die Erfahrung, dann geschieht Wandlung. Dann läuft eine peinliche Situation nicht nach altbekanntem Muster automatisch ab, dann passiert stattdessen was völlig Neues.

Also, lasst euch überraschen und bleibt wach für die nächste peinliche oder beängstigende Situation. Genau in diesem Moment kann das Wunder geschehen, alles nochmal neu zu begreifen.

In der Gruppe könnt ihr die Eröffnungsrunde dazu nutzen, nicht schon alles vorauszuplanen, was ihr sagen wollt. Stattdessen auf den Moment warten, bis man dran ist und dann ganz spontan zu gucken, was kommen mag. Spiel mit deiner Angst :-)

-- Fred

19.07.2010 :: Vogelsbergklinik

In der letzten Offenen Gruppe wurde uns von einer Betroffenen die Vogelsbergklinik empfohlen. Sie hat sich dort sehr wohl gefühlt, die Atmosphäre war gut, die Therapeuten sehr engagiert und das Therapieangebot vielfältig.

Hier der Link zur Klinik: http://www.vogelsbergklinik.de/

Gleichzeitig lohnt es sich, mal unter Klinikbewertungen.de verschiedene Meinungen zu lesen. Natürlich muss man bei solchen ganz subjektiven Meinungsbildern etwas vorsichtig sein. Es ist völlig normal, dass psychische Erkrankungen die Wahrnehmung mitunter massiv verzerren können. Insofern wird man bei solchen Bewertungen auch viel Widersprüchliches finden.

http://www.klinikbewertungen.de/klinik-forum/erfahrung-mit-vogelsbergklinik-grebenhain

Mit einer Gesamtzufriedenheit von 5 Sternen bei 106 Bewertungen erscheint sie in einem guten Bild.

15.07.2010 :: Nicht ärgern, ändern!

Manche behaupten, Ärger wäre eines der unnützesten Gefühle. In der Tat kommt es häufig vor, dass Menschen in ihrem Ärger festhängen. Sie quälen sich damit und ihre Energie erschöpft sich in einem Zustand, der nichts bewirkt.

Ärgern kann man sich nicht nur über die Welt und andere Menschen, ärgern kann man sich auch über sich selber. Man macht sich dann Selbstvorwürfe und greift sich selbst an. Die eigene Kraft richtet sich gegen sich selbst.

Ayya Khema, eine buddhistische Nonne, sagte öfters: "Nicht ärgern, ändern!" Vielleicht ist dies ein wichtiger Schlüssel im Umgang mit Ärger: Ihn wahrzunehmen, aber dann auch recht zügig dieses Gefühl in eine konstruktive Handlungsenergie umzuwandeln.

Die wichtigste Frage dabei ist:

Was hätte ich gerne?

Bei Ärger läuft immer irgendetwas nicht so, wie ich das gerne hätte, wie ich es will oder mir wünsche. Genau zu erkennen, was ich eigentlich will, macht klarer, worum es eigentlich geht.

Dann einfach alles für dieses Ziel zu tun, kann oft schon die Lösung sein. Wenn mich jemand im Gespräch nicht zu Wort kommen lässt, kann ich es ansprechen. Es ist ganz oft so, dass Menschen eigentlich was ändern oder sich für ihr Bedürfnis einsetzen könnten, sie veharren aber im Ärger.

Man möchte Opfer bleiben und nicht Gestalter werden.

Wenn einem bewusst wird, was einen ärgert, man aber keinerlei Möglichkeit sieht, etwas zu ändern, dann kann man es als ein wichtiges Lebensthema definieren, mit dem man sich tiefergehend auseinandersetzt. Die Selbsthilfegruppe oder auch eine Psychotherapie kann eine Hilfe sein, sich mit solchen Themen zu beschäftigen.

Bei der Auseinandersetzung mit Ärger geht es nicht immer nur darum, das zu bekommen, was man gerne hätte. Der Dalai Lama sagte mal:

Nicht zu bekommen, was man will, ist manchmal ein großer Glücksfall!

Auch unser Wille und unsere Vorstellungen, wie die Welt zu sein hat, können fehlgeleitet sein. Wir wollen dann etwas in einer Art, die eigentlich nicht gut ist. Wenn man tiefer über etwas nachdenkt, erkennt man vielleicht, welche falschen Ansprüche, Wünsche oder Forderungen man hat. Oder man erkennt seine Verletzungen, die zu Intoleranz und falschem Willen führten.

Beim Ärger gegen sich selbst wird oft der Widerspruch deutlich zwischen dem Menschen, der man in seiner Vorstellung sein will und dem Menschen, der man ist. Hier geht es oftmals darum, sich näher kennenzulernen und Verständnis für sich zu entwickeln. Viele Menschen tragen Bedürfnisse in sich, die sie sich nicht zugestehen. Oder man hat Verhaltensweisen, die aus alten Verletzungen heraus verständlich werden, die aber oberflächlich betrachtet einfach nur ärgerlich sind.

Das meiste tut man nicht grundlos und es ist wichtig, in der Tiefe zu erkennen, warum man so ist, wie man ist. Selbsterkenntnis kann viel dazu beitragen, das eigene Ärgerpotenzial abzubauen. Gleichzeitig gilt: Wer selber liebevoller und toleranter mit sich umgehen kann und seine Macken kennt, kann auch gelassener mit anderen Menschen sein. Gelassenheit und Humor ersetzt dann in vielen Situationen den sonst so schweren Ärger.

Die Bewegung der Anonymen Selbsthilfegruppen kennen einen Gelassenheitsspruch, den sie bei jedem Treffen vorlesen:

Gott gebe mir die Gelassenheit,
die Dinge hinzunehmen,
die ich nicht ändern kann,
den Mut die Dinge zu ändern,
die ich ändern kann,
und die Weisheit,
das eine vom anderen zu unterscheiden.

Gott gebe mir Geduld mit Veränderungen,
die ihre Zeit brauchen,
und Wertschätzung für alles,
was ich habe,
Toleranz gegenüber jenen
mit anderen Schwierigkeiten
und die Kraft,
aufzustehen und es wieder zu versuchen,
nur für heute.

(http://de.wikipedia.org/wiki/Gelassenheitsgebet)

-- Fred

13.07.2010 :: Und ich machs trotzdem...

Gestern lief eine Reportage über die Folk-Sängerin Joan Baez, die in den 60er Jahren sehr berühmt wurde und auch zusammen mit Bob Dylan auftrat.

Sie erzählte, dass sie bei den ersten größeren Auftritten unglaubliche Ängste erlebt hat. So große Ängste, wie bisher nie zuvor in ihrem Leben. Ihr zitterten die Beine, kurz bevor sie auf die Bühne wollte, sie hatte keine Kontrolle mehr darüber. Und doch war auf der anderen Seite die große Sehnsucht, dort im Rampenlicht zu stehen und so geballt Aufmerksamkeit zu bekommen. Angst und Lust waren ganz eng beieinander. Die ersten 2 Lieder waren noch sehr schwierig, doch dann lief es irgendwann von selbst und sie war nur noch bei der Musik. Sie vergaß die Angst und die Anspannung.

Manchmal passierte es auch, dass sie auf der Bühne so aufgeregt war, dass sie mitten im Lied von der Bühne verschwand. "Von der Bühne runter bin ich immer gekommen." Hinter der Bühne erfrischte sie sich mit Wasser, weinte und versuchte, irgendwie ihre Angst in den Griff zu bekommen. Dann ging sie wieder auf die Bühne und machte genau dort im Lied weiter, wo sie aufgehört hatte.

Später hatte sie durch die öffentliche Vereinnahmung und den Erfolg auch Panikattacken und konnte kaum noch ihr zu Hause verlassen. Und doch war auch hier die Lust und der Wille, es doch zu tun, größer.

Ich fand das sehr interessant zu hören, wie es auch ihr nicht leicht fiel, diese starke Aufmerksamkeit der Menschen auszuhalten, wie aber gleichzeitig auch ein großes Bedürfnis und eine Lust daran vorhanden war, sich zu zeigen. Und welches Geschenk sie der Welt damit gemacht hat, in dem sie das Risiko eingegangen ist und ihr Talent entwickelt und gezeigt hat. Hier zeigt sich auch, Menschen, die im Mittelpunkt stehen, haben nicht unbedingt weniger Angst. Sie können eher genug Mut aufbringen, trotz Angst in eine Situation hineinzugehen.

Weblinks:

-- Fred

08.07.2010 :: Die falsche Last, die man trägt

Wir alle tragen eine Grundfähigkeit in uns, zu erspüren, was richtig, sinnvoll und gut ist. Wenn alles gut läuft, werden wir von früher Kindheit darin gefördert, dieses Instrument zu schärfen. Eltern sind dann daran interessiert, wie Kinder etwas empfinden, wie sie denken, was für eine Meinung sie haben. So entwickelt das Kind eine eigene Persönlichkeit mit eigenen Werten und Überzeugungen. So entsteht auch Selbstwert, in dem das eigene Selbst gefühlt und erlebt wird und man danach handelt.

Anders sieht es aus, wenn das Eigene zu wenig Beachtung und Wertschätzung erfahren hat. Wenn es nur wichtig war, das zu tun, wovon die Eltern überzeugt waren. Wenn es nur darum geht, den Eltern zu gefallen und so zum Slaven ihrer Weltsicht und Überzeugungen zu werden. Man dient dann anderen Menschen oder einem Familien-System und das eigene Selbst geht unter.

Noch schwieriger wird es, wenn man zum Schuldigen für all das erklärt wird, was in der Familie schief läuft. Es ist eine ganz typische Konstellation, dass eine Gruppe von Menschen all das Schlechte und die inneren Widersprüche projeziert, anstatt sie sinnvoll zu lösen. Es wird also nicht erkannt, wo genau etwas schief läuft und wer dafür verantwortlich ist. Stattdessen muss einer herhalten, den man für alles verantwortlich macht. Das passiert in Familien und eine Zuspitzung ist die Rolle des schwarzen Schafes. Und es passiert auch in größeren Kollektiven, wenn man z.B. Ausländer in einer Gesellschaft attackiert.

Ein ganz praktisches Beispiel in der Familie wäre der jähzornige Vater, der es nicht ertragen kann, wenn ihm irgendwas mißlingt. Schnell ist dann aber irgendjemand in der Familie verantwortlich, warum ihm das misslungen ist. Die anderen übernehmen so Schuld und Verantwortung für etwas, was ihnen gar nicht gehört.

Das Schlimme daran ist, dass das oft so früh und selbstverständlich passiert, dass man selber daran glaubt. Man ist fest davon überzeugt, dass man selber wirklich der Schuldige ist und leidet fürchterlich darunter. Weil man oft noch nicht mal eine Möglichkeit hat, etwas im positiven Sinne zu verändern, entstehen so hoffnungslose innere Überzeugungen: "Ich bin ein schlechter Mensch. Ich bin zu nichts zu gebrauchen."

Wenn in Therapie diese falsch übernommenen Schlechtigkeiten bewusst werden, kommt oft eine unglaubliche Wut hoch. Man hat so lange gelitten, war so lange davon überzeugt, dass man selbst der Schuldige ist. Und jetzt erkennt man, das alles gar nicht wahr ist, das in Wirklichkeit es andere waren, die sich schuldig gemacht haben und man selber als Projektionsfläche missbraucht wurde. Jemand anderes tut Unrecht und schiebt es mir unter. Und ich glaube auch noch daran. Das ist wirklich bitter, wenn man erstmal zu dieser Erkenntnis gelangt.

Aber es ist auch befreiend. Denn solche falsche Schuld kann einen auch ziemlich verwirren. Das eigene Gefühl dafür, was richtig und falsch ist, kann völlig abhanden gekommen sein. Denn es steht ja im Widerspruch zu dem, was mir von außen aufoktroyiert wurde. Wenn nun alles wieder richtig geordnet wird und die Wahrheit zum Vorschein kommt, bekommt man auch wieder ein Gefühl für sein inneres Instrument, was einem sagt, was wahr, richtig und sinnvoll ist.

Es ist kein leichter Weg, so innerlich aufzuräumen. Es braucht viel Zeit und Mut, um seiner eigenen inneren Stimme zu vertrauen und die Macht aufzulösen, die äußere Glaubenssysteme noch auf einen haben.

Auch muss man sich schützen, erneut Opfer für solche Angriffe zu werden. Es ist nicht selten, dass Menschen, die früh so eine Form von Missbrauch erlebt haben, auch später immer wieder ähnliche Erfahrungen machen, wo sie zur Zielscheibe von Projektionen werden. Es gibt da irgendwelche Anziehungskräfte, das frühe Opfer auch später immer wieder Opfer werden.

Das, was man erreicht, wenn man sich befreit, ist sehr kostbar. So kann ein tief empfundenes Selbstwertgefühl entstehen. In einer Klinik sagte ein Patient: "Jetzt mit 47 Jahren erlebe ich meine eigentliche Geburt. Jetzt weiß ich wirklich, wer ich bin und was mich ausmacht. Verdammte Scheiße, ist das geil!"

-- Fred

06.07.2010 :: Den inneren Bewerter konfrontieren

In der Selbsthilfegruppe ist öfters eine Zurückhaltung zu spüren, sich einfach ins Gespräch einzumischen. Ein Grund dafür ist, dass der innere Bewerter tausende Bedenken hat:

  • Das könnte andere langweilen.
  • Ich bin nicht interessant genug.
  • Was ich sage, interessiert doch bestimmt keinen.
  • Das ist nicht intelligent genug.
  • Das wäre jetzt bestimmt unpassend.
  • Jemand anderes möchte jetzt bestimmt was sagen.
  • Meins ist nicht so wichtig.
  • Ich kann mich nicht sonderlich gut mitteilen.
  • Für meine Meinung interessiert sich eh keiner.

Die Gruppe kann ein Rahmen sein, in dem man all das auch sein darf. Geh das Risiko ein! Du darfst andere langweilen, du darfst uninteressante Sachen von dir geben. Du darfst einfach daher reden.

TROTZDEM! - heißt das Zauberwort!

Es geht nicht darum, alle Bedingungen des inneren Bewerters zu erfüllen, ehe man etwas sagt. Gerade bei Sozialphobie geht es darum, sich mehr innere Freiheit zu gönnen. Also einfach spontan mal drauf los zu reden, weil man gerade einen Impuls spürt. Ohne erst alles abzuchecken. Es ist gut, wenn du Dinge sagst, die dein innerer Bewerter vielleicht unterbunden hätte.

Die Gruppe ist dafür ein gutes Übungs- und Experimentierfeld. Hier darf man einfach mal aus sich heraus kommen und auch mal daneben liegen. Nur wenn wir uns eingestehen, wieder lockerer und gelassener miteinander zu kommunizieren, kann man seine ursprünglichen Impulse besser kennenlernen. Und diese nochmal neu bewerten.

Der innere Bewerter ist nämlich oftmals überholt oder falsch programmiert. Vieles von dem, was er nicht zulässt, ist heute nicht mehr gültig.

Anstatt den Bewerter so wichtig zu nehmen, kann man sich mehr darauf konzentrieren, was in einem entsteht: Gefühle, Impulse, Gedanken, Meinungen. Und diese teilt man einfach mit. Nicht, um zu gefallen oder auf eine spezielle Weise zu wirken. Nur aus dem Grund, das innere Geschehen mitzuteilen. Auszusprechen, was ist.

Wenn man Dinge ausspricht, die der innere Bewerter eigentlich unterdrückt hätte, kann Angst aufkommen. Das kann dich verunsichern. Versuche am besten im Austausch mit der Gruppe, herauszufinden, wo deine Sorgen unbegründet sind.

-- Fred

<< Archiv 2010 Quartal 4 | AktuellArchiv | Archiv 2010 Quartal 2 >>