Sopha Selbsthilfe

Fred's Sozialphobie-Weblog (Archiv 2005)

12.12.2005 :: Emotionale Intelligenz

Ist die Ursache für Sozialphobie fehlende emotionale Intelligenz? Dieser Begriff - Emotionale Intelligenz - war ja in den letzten Jahren ziemlich in Mode. Es ist so eine Gegenbewegung zur nüchtern wissensorientierten Ausrichtung.

Wissen ist nämlich nicht alles, viel wichtiger scheint es im Leben zu sein, dass man auf emotionaler Ebene Kontakt miteinander aufbauen kann. So gibt es einige sehr intelligente Menschen, die aber gesellschaftlich nicht ihre gebührende Anerkennung oder ihren rechten Platz finden, weil sie emotional nicht recht in Kontakt treten können. Ein ähnliches Dilemma, wie man das ja auch bei sozialen Ängsten findet.

Nun passt es aber gar nicht recht in die Männerwelt, über Gefühlsregungen zu sprechen. Das Thema muss vernünftig verpackt werden, wenn es zu großer Aufmerksamkeit führen soll. Und da ist "Emotionale Intelligenz" eine ausgesprochen schöne Wortschöpfung. Gut eingeschlagen hat sie ja auch.

Brauchen Menschen mit sozialen Ängsten nun mehr emotionale Intelligenz? Ich denke, man muss da genauer hinschauen, woher die Probleme kommen. Manche Betroffene können nämlich emotional sehr gut wahrnehmen, Stimmungen erspüren, Wünsche und Bedürfnisse des Gegenüber erkennen, sich auf den anderen einschwingen. Und sie wissen auch über ihre eigenen Gefühle bescheid. Ebenso haben sie ein Wissen darüber, wie man sich in sozialen Situationen richtig verhält. Hier gibt es also eher keinen vordringlichen Nachholebedarf. Lediglich im Bereich "Emotionen ausdrücken" bräuchte es vielleicht Anschub.

Es gibt aber auch Betroffene, die von ihren Gefühlen abgeschnitten sind. Das kann sich z.B. darin äußern, dass man versucht, durch reines Lernen von Verhalten richtig zu funktionieren. Der Kopf will alles kontrollieren, damit man alles richtig macht. Man analysiert vielleicht vieles und versteht nicht, warum manches schief geht. Man kann es nicht verstehen, wenn man es nicht fühlen kann. Der Kopf kann das Gefühl nicht ersetzen.

Wer sich also emotional abgeschnitten fühlt (oder eine Ahnung hat, dass ihn das betreffen könnte), könnte vom Thema emotionale Intelligenz inspiriert werden. Vielleicht erstmal mit dem Kopf, Ziel ist jedoch, sich den Gefühlen zu öffnen. Die Blockade zwischen Kopf und Bauch aufzulösen. Der Bauch kann fühlen und interessanterweise gehen mehr Signale vom Bauch zum Kopf als umgedreht. Der Bauch ist das zweite Gehirn, vielleicht könnte man sagen, ist das emotionale Gehirn.

Hier zeigt sich auch wieder: Weder Gefühl noch Denken ist schlecht, es geht vielmehr darum, mit beidem im Kontakt zu sein. Heilung ist oft Integration und nicht wegmachen von irgendetwas.

Weiterführendes:

01.12.2005 :: Selbstbewertung und Selbstannahme

Wie gehe ich mit mir selbst um, in und nach beängstigenden Situationen? Kann ich mich annehmen, mit all dem, was war? Oder lehne ich mich ab, mag bloß schnell verdrängen, weil ich so nicht sein möchte?

Ich glaube, es ist sehr wichtig, sich annehmen zu lernen. Und das ist eines der schwierigsten Übungen. Ich halte es aber für die "halbe Miete", für einen wichtigen Teil der Angstbewältigung.

Den Weg, sich selber anzunehmen, habe ich als einen langwierigen Prozess kennengelernt. Ungünstige Charakterstrukturen, die sich im Laufe der Jahre verfestigt haben, lassen sich nicht mal eben auflösen. Für mich war es eher ein fortlaufender Prozess über Jahre.

Jede Alltagssituation kann dabei wieder zum Lernobjekt werden. Immer, wenn ich merke, ich lehne mich für etwas ab, kann ich wieder versuchen, auf eine bessere Weise mit mir umzugehen. Meist behandelt man sich automatisch so, wie man früher von Bezugspersonen behandelt wurde. Was die abgelehnt haben, haben sie auch an uns abgelehnt und so lehnt man sich vielleicht heute genauso ab. Beständiges üben, mich hier anders zu verhalten, bei all den kleinen Begebenheiten des Tages, war für mich hilfreich.

Die Veränderung kann dabei so langsam vonstatten gehen, dass man sie gar nicht mehr bewusst wahrnimmt. Wenn man aber mal zurückschaut, wie man sich vor 1-2 Jahren noch verhalten hat, dann werden einem schon Unterschiede deutlich. Schön ist sowas zu erleben, wenn man noch alte Tagebücher hat und dort ältere Einträge liest.

Interessant ist, dass manche Ängste sich auflösen, wenn man sich wirklich gut annehmen kann. Man erlebt beängstigende Situationen auch als nicht mehr so belastend. Manchmal ist nur deshalb so große Angst vor einer Situation da, weil man so destruktiv mit sich selber umgeht.

Auch das Verständnis für die erlebten Ängste kann wachsen. Denn in dem Moment, wo ich mich wirklich annehmen kann, kann ich wirklich erkennen und begreifen, was da so vor sich geht. Das, was ich zuvor immer verdrängen musste und mir nie richtig angeschaut haben, kann jetzt einfach da sein und ich kann es betrachten. So können Erkenntnisse und Einsichten entstehen, die mir auf dem Weg der Angstbewältigung weiterhelfen.

30.11.2005 :: Herzlichkeit in der Selbsthilfe

Angeregt durch die Diskussion im Selbsthilfenetz Sozialphobie find ich dies ein interessantes Thema. Ist Herzlichkeit, ein wohlwollendes Bemühen umeinander, ein heilsamer Faktor? Lässt sich Herzlichkeit entwickeln und fördern? Was passiert, wenn Herzlichkeit fehlt?

Andere Begriffe für dieses Thema sind Herzebene oder Herzöffnung oder ein liebevoller Umgang miteinander.

Ich habe beides erleben dürfen: In einer Klinik konnte ich eine herzliche Atmosphäre erfahren und sie hat mich zutiefst berührt und verändert. Durch einen Freund, der mehrere Monate in einer Psychiatrie war, konnte ich auch das Gegenteil kennenlernen - ein Mangel an Liebe, Achtsamkeit, Fürsorge, Interesse und Wertschätzung. Die meisten dort waren sich selbst überlassen, Pfleger und Ärzte hatten keine Zeit für ihre Patienten. Begegnungen, wenn sie stattfanden, waren kühl und funktional. Genauso, wie die grauen und sterilen Betonbauten, in denen die Menschen funktionierten.

Ich will damit nichts verallgemeinern, es gibt auch umgekehrt gute Psychiatrien und schlechte psychosomatische Kliniken. Mir ging es eher um das Erlebnis, in einem Fall Herzlichkeit erleben zu dürfen und im anderen Fall, wo nur kühle Nüchternheit existierte, die mir fast das Herz zerriss.

Herzlichkeit macht vieles möglich, die Frage ist nur, wie kann man diese Haltung in der Selbsthilfe fördern? Der erste Schritt ist sicherlich, sich überhaupt mal mit diesem Thema auseinanderzusetzen, darüber zu reden, zu träumen und in sich hineinzuspüren.

Für die Sozialphobie-Selbsthilfe hat Herzlichkeit eine besondere Bedeutung. Viele Betroffene leiden darunter, sich selbst zu wenig annehmen zu können, wenig herzlich mit sich umzugehen. Wie im Innen so im Außen: Übe ich aufrichtige Herzlichkeit anderen gegenüber, kann ich vielleicht lernen, mich selbst herzlich anzunehmen. Herzlichkeit bedeutet auch, mich wohlwollend den anderen zuzuwenden, was Kontakt schafft. Eine Förderung des Kontaktes ist ja etwas wichtiges im Sozialphobie-Umfeld.

25.11.2005 :: Prinzip "Dranbleiben"

Wie können wir etwas erreichen, was uns wirklich wichtig ist? Dranbleiben heißt das Schlüsselwort, wie mir oft in Selbsthilfe bewusst geworden ist. Es sind nicht die großen und spektakulären Erfolge, nicht die Wunder-Therapien oder Wunder-Medikamente. Erfolgversprechend ist vielmehr, wenn man gelassen dranbleibt, an dem, was einem wichtig ist.

Jemand, der ein Musikinstrument gut spielen kann, ist drangeblieben am regelmäßigen üben, vielleicht über Jahre hinweg. Wer aus autogenem Training, progressiver Muskelentspannung, Yoga, Meditation oder Tai Chi seinen Nutzen ziehen will, muss dranbleiben und regelmäßig üben. Gleiches gilt für viele sportlichen Betätigungen.

In der Selbsthilfe kann Dranbleiben bedeuten, regelmäßig dabei zu sein. In der Gruppe kann man an Themen dranbleiben, die einem wichtig sind. Oder an Übungen, die einen weiterbringen.

Dranbleiben heißt, dass einen das Leben nicht hin- und herwirft, sondern dass es einen roten Faden bekommt - dass, woran man dran bleibt. Fertigkeiten und Fähigkeiten entwickeln sich durch Dranbleiben. Charakter verändert sich durch Dranbleiben.

Da passte es gut, dass ich vor ein paar Wochen in Lindau das Buch "Dranbleiben - die gelassene Art, Ziele zu erreichen" von Wolfgang Schmidbauer entdeckte. Es beleuchtet das Thema aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln. Der Titel hat mir geholfen, dass Buch auch wirklich zu lesen - ich bin drangeblieben. Es geht in dem Buch nicht um konkrete Ratschläge, wie man besser an Dingen dran bleibt. Es sind eher vielerlei Erfahrungen und Geschichten, die zeigen, wo Dranbleiben geholfen hat und wichtig war. Das kann helfen, das eigene Dranbleiben zu entwickeln.

Dranbleiben ist für viele verdammt schwer. Und trotzdem würde sich einiges verwirklichen, wenn man dranbleiben könnte. Vielleicht ist es ja möglich, sein Dranbleiben zu entwickeln. Das Buch ist für mich jedenfalls ein guter Impuls in diese Richtung. Öfters erwische ich mich jetzt dabei, dass ich mir innerlich sage: "Gelassen Dranbleiben!"

Buchempfehlung:

  • Wolfgang Schmidbauer; Dranbleiben - die gelassene Art, Ziele zu erreichen; Herder
  • Roberto Assagioli; Die Schulung des Willens; Junfermann

14.07.05 Abenteuer menschlicher Kontakt

In lebendigem Kontakt mit anderen zu sein, kann unglaublich spannend sein - ein echtes Abenteuer. Und es kann Stress und Angst bedeuten. Beides liegt so nahe beeinander. Kontakt ist, wenn er noch eine lebendige Form hat, nie voraussehbar. Das macht ihn ja gerade so spannend. Spannend und lustbringend kann Unbekanntes aber nur sein, wenn es nicht zu bedrohlich ist. Der Kontakt mit einem Grizzlybären wird für die meisten Menschen nicht lustvoll und spannend sein, es wird eher Angst im Vordergrund stehen, die Kontakt aufs Überlebensnotwendige beschränkt.

Angst und Furcht vor Menschen wird weniger in den Genen verankert sein. Es wird vielmehr darauf ankommen, wie ich Kontakt in meinem Leben erfahren habe. Und das geht natürlich schon sehr früh los. In den ersten Lebensjahren kann sich viel entscheiden. Anfangs werden die meisten Kinder eine natürliche lustvolle Neugier für andere entwickeln. Da ist also zuerst einmal Offenheit da. Und dann kommt es auf die Erfahrung an, die man macht. Und die entscheidet dann schon sehr früh darüber, ob man später im Leben Stress und Angst bekommt, wenn man auf andere Menschen trifft oder ob man mit Menschen schnell zu einem lustvollen Kontakt finden wird.

Da wir nicht entscheiden können, in welcher Familie und welchen Bedingungen wir aufwachsen, ist die Prägung Schicksal. Manche haben das Glück, nur gute Erfahrungen im Kontakt mit anderen zu machen oder zumindest keine tief Erschütternden. Sie erleben dann auch später Kontakt immer wieder als ein spannendes und lustvolles Abenteuer. Und sie haben oft keinerlei Vorstellung davon, wie unangenehm und belastend der Kontakt mit anderen aus sein kann.

Wer das Glück nicht hatte, der hat Erfahrungen gemacht, die das Vertrauen, was zuerst da war, erschüttert haben. Es sind tief verankerte Erfahrungen, die erneute Angst auslösen, wenn man in menschlichen Kontakt tritt. Nicht jeder menschliche Kontakt ist von dieser Angst begleitet und hier gibt es auch die großen Unterschiede bei Menschen mit sozialen Ängsten. Jeder hat seine speziellen Bereiche, die er angstvoll erlebt. Wo der eine sich in der Disco als einzigen Ort guter menschlicher Beziehung sehr wohl fühlt, ist es für den anderen die totale Hölle und unvorstellbar. Der nächste fühlt sich mit fremden Menschen wohl, nicht aber mit Vertrauten. Für den nächsten ist es wieder genau umgekehrt. Jeder hat seine speziellen Verletzungen und negative Erfahrungen im Kontakt mit Menschen.

Viele haben damit aber auch gesunde Bereiche - dort wo Kontakt mit Menschen noch als reizvoll und bereichernd erlebt wird, wo keine oder nur wenig Ängste entstehen. Ich denke, es ist gut, immer wieder zu schauen, wie kann ich solche Kontakte für mich schaffen, in denen ich mich wohl fühle. Vielleicht gelingt es auch, dieses Wohlgefühl auf andere Formen von Kontakt auszudehnen.

Wichtig finde ich, immer wieder zu sehen, dass hinter der Angst vor Kontakt auch immer die Lust und die Freude auf Kontakt zu finden ist. Ich habe es selber öfters erlebt, dass eine für mich angstvolle Situation sich wandelte und auf einmal die Lust, die Herausforderung, die Neugier hervortrat. So wurde aus etwas, was ich eher vermieden habe, nun etwas, was eine anziehende Wirkung auf mich hat.

Mut braucht es ganz bestimmt, um dort nach Lust Ausschau zu halten, wo bisher nur Angst spürbar ist. Ein guter Umgang mit sich selbst, eine entwickelte Selbstliebe, ebenso. Denn wenn ich in die Angst gehe, werde ich vielleicht erstmal nicht so schöne Erfahrungen machen. Vielleicht werde ich ein paar mal scheitern. Vielleicht erlebe ich Verhalten an mir, was in der Gesellschaft nicht als cool oder interessant angesehen wird, sondern eher als schwach, peinlich, unangenehm. Vielleicht werde ich belächelt oder komisch angeschaut. Ich muss es schaffen, mich auch in diesem So-Sein anzunehmen, Ja zu sagen zu mir, so wie ich gerade bin. Das ist eine hohe Herausforderung, weitet jedoch auch den eigenen Horizont. Und je öfters man es schafft, sich ein Stück mehr anzunehmen, um so leichter fällt es beim nächsten mal.

Erfahrungen kann man nie rückgängig machen. Erfahrenes wirkt. Man kann nicht den Zustand vor dieser Erfahrung wieder herstellen. Man muss vielmehr die Erfahrung in sein Leben integrieren, ihr den rechten Platz geben. Und Wege finden, wie man mit dieser Erfahrung ein gutes Leben führen kann. Wer leibhaftig die Bösartigkeit von Menschen erlebt hat, kann nicht genauso leben, wie jemand, der solche Erfahrungen nicht gemacht hat. Man kann dieser Sache aber den rechten Platz geben. Mit Geschick und Kreativität werde ich nämlich trotz dieser schlimmen Erfahrungen Bereiche entdecken, wo ich guten Kontakt mit Menschen leben kann, wo ich die Sicherheit spüre, nicht mehr Opfer dieser Bösartigkeit zu werden. Oft dehnt sich Angst auch auf viele Bereiche aus, wo sie gar nicht hingehört. Besonders dann, wenn man nicht genau verstanden hat, was denn nun das Bedrohliche in einer Erfahrung war. Durch Erkenntnis und Verstehen kann man sie wieder dort hin verweisen, wo sie hingehört. Klar, dass ein guter Psychotherapeut dabei eine wertvolle Hilfe sein kann.

Man muss auch sehen, dass diese verletzenden Erfahrungen oft in einer Phase gemacht wurden, wo man bei weitem nicht die Möglichkeiten hatte, die man heute hat. Als Kind kann ich mich oft nicht aus einem schlechten Umfeld retten. Jetzt, als Erwachsener kann ich es jedoch tun. Ich kann mich besser schützen, kann besser ausweichen, kann besser erkennen, wann und wo wirkliche Gefahr droht. Ich habe viel mehr Möglichkeiten, mich vor unguten Erfahrungen zu schützen. Und das schafft gleichzeitig die Möglichkeit, mich wieder einiges zu trauen. Die Welt, in der ich jetzt lebe und die Bedingungen haben sich gewandelt. Die Angst dagegen ist oft zementiert und aus einer früheren Zeit mitgenommen. Ich muss jetzt aktiv was unternehmen, meine Ängste zu überprüfen und sie an die jetztige Welt anpassen.

13.06.05 Therapie wie oft und wie lange?

Wie lange sollte eine Therapiesitzung dauern? Und wie oft sollte ich zum Therapeuten gehen? Die meisten Therapeuten organisieren es so, dass man wöchentlich seine 50 Minuten Therapie hat. Das scheint ein guter Kompromiss zu sein.

Viele erleben es so, dass man erstmal eine gewisse Redezeit braucht, bis man mit dem Therapeuten "warm wird". Hat man z.B. nur 30 Minuten Therapiezeit, reicht das dann nicht aus, um richtig ins Gespräch zu kommen. Bei sozialen Ängsten ist diesem Aspekt besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Ist es dabei doch vielmals das Problem, sich öffnen zu können, Vertrauen zu fassen, warm zu werden.

Genauso ist es mit der Frequenz - weniger als einmal wöchentlich kann bedeuten, dass der Abstand zum Therapeuten wieder zu groß wird, dass man dann stark fremdelt, zu lange braucht, um sich mit dem Therapeuten wohl zu fühlen.

Als sozial ängstlicher Mensch muss man also dem Thema, wie lange und wie oft, mehr Bedeutung beimessen. Wenn man das Gefühl hat, nicht genügend Vertrauen in den Stunden aufbauen zu können oder merkt, dass man immer erst am Schluß einer Sitzung zu dem wirklich Wesentlichen kommt oder kurz davor steht, ist ein anderes Setting evtl. besser. Vielleicht ist es günstiger, 1,5 Stunden miteinander zu arbeiten oder sich 2 mal wöchentlich zu treffen. Wichtig ist, dass sich ein gutes Vertrauensverhältnis aufbaut und man sich öffnen kann. Zumindest ist das wichtig, wenn es in der Therapie darum geht, schwierige Erfahrungen aufzuarbeiten bzw. in die Tiefe zu gehen. Man kann sich hierzu ja einfach mal selber fragen: "Was würde möglich, wenn ich meinem Therapeuten voll und ganz vertrauen könnte? Was würde geschehen, wenn ich mich gut aufgehoben und geborgen und liebevoll angenommen fühle? In etwa so, wie bei einem guten Freund, dem ich einfach alles erzählen kann, was mich bewegt."

Mitunter ist das therapeutische Setting einfach nur ungünstig, weil organisatorisch etwas schlecht läuft. Ein Therapeut hat vielleicht nicht genügend Freiraum, um einem wöchentliche Termine zu geben. Oder er kann nur 25-Minuten-Termine geben, weil mehr im Moment einfach nicht drin ist. Wenn man in so einem Setting nicht richtig arbeiten kann, dann sollte man lieber rechtzeitig die Notbremse ziehen: Mit dem Therapeuten besprechen, dass man in dieser Form nicht arbeiten kann und schauen, wann der Therapeut genügend Zeit hat, um ein angemessenes Setting zur Verfügung zu stellen. Denn es kann sonst passieren, dass man 3 Jahre halbherzig Therapie macht und mit wesentlichen Dingen nicht weiterkommt, weil die Therapie nie die nötige Tiefe erreicht. Alle verschwenden so ihre Zeit und Energie, ohne das viel dabei heraus kommt.

Mitunter kann es auch sein, dass so eine Therapie überhaupt nicht ausreicht, dass man also in einem ambulantem Rahmen das Problem nicht angehen kann. Dann braucht es vielleicht einen stationären Klinikaufenthalt oder eine Tagesklinik. Aber auch dort muss man wieder genauer hinschauen. Die Behandlungsintensität ist von Klinik zu Klinik sehr unterschiedlich. Und auch das Behandlungsangebot kann für sozialphobische Menschen ungünstig sein. Was nützt es z.B., wenn eine Klinik nur Gruppentherapie anbietet, in der fast immer die Menschen arbeiten, die sich durchsetzen können und andere immer nur passiv davon profitieren. Was nützt es, wenn man sich in einem Gruppenrahmen nie richtig öffnen kann, die eigenen Probleme jedoch nur bearbeitet werden können, wenn man sich öffnet.

Gerade wenn man unter sozialen Ängsten leidet, muss man genauer hinschauen, ob die therapeutischen Angebote für einen überhaupt nutzbar sind. Natürlich kann man von allem etwas lernen, und wenn es das Durchsetzen in einer Gruppe ist. Wenn jedoch gerade die vordringlichste Sache ist, in einer vertrauten Atmosphäre in die Tiefen seiner Seele hinabzusteigen, dann machen solche Angebote wenig Sinn.

13.06.05 Inkompetente Ärzte

Wenn es um Ängste geht, sind manche Ärzte, ja selbst Neurologen oder Psychiater ziemlich inkompetent. Öfters höre ich von Mitgliedern in der Selbsthilfe von Erfahrungen mit Ärzten, die haaresträubend sind. Oft ist es eine total verkürzte Trivialpsychologie, mit der man da konfrontiert wird.

Ein Psychiater meinte zu einem Patient: "Sowas wie Sozialphobie gibt es überhaupt nicht. Sie sind einfach nur ein bisschen schüchtern. Und das liegt nur daran, weil sie sich nicht genügend mit angstmachenden Situationen konfrontieren. Sie müssen sich regelmäßig damit konfrontieren und dann geht das schon weg." Natürlich könnte man sowas als eine Form therapeutischer Konfrontation verstehen, wo der Wahrheitsgehalt der Aussage nicht so die Rolle spielt. In diesem Fall deutete aber alles darauf hin, dass der Arzt wirklich diese einfache Sichtweise auf Ängste hat: "Alle Ängste werden dadurch gelöst, dass man sich damit konfrontiert. Je mehr Konfrontation, um so besser."

Ein so wenig differenziertes Bild ist typisch für Menschen, die sich wenig mit dem Thema Angst auseinandergesetzt haben und in ihrer selbstverliebten arroganten Weise nicht fähig sind, zu sehen, was wirklich ist. Sie sind nicht offen, dazuzulernen, sondern vertreten irgendeine festgefahrene Meinung, die sich aus einem oberflächlichen Kontakt mit der Materie einmal gebildet hat.

Gerade das Thema Konfrontation lässt sich nämlich nicht so einfach packen. Zu uns fanden z.B. Betroffene, die einen regelrechten Sport daraus gemacht hatten, sich mit allem zu konfrontieren, die aber so auch nicht ihre Ängste überwinden konnten. Im Gegenteil, sie wurden z.B. noch unfähiger, echte Beziehungen aufzubauen und verloren den Kontakt zu sich selbst. Vermutlich lag es u.a. daran, dass sie eigentlich nicht wirklich in der Situation waren, mit der sie sich konfrontierten, mit all ihren Gefühlen. Augen zu und durch war eher die Devise, nicht fühlen, sich nicht spüren. Und später diese Situation bloß schnell verdrängen, weil sie ja so peinlich war. Das sind äußerst ungünstige Konstellationen, die mehr Leid und Gespaltenheit bringen als Chance auf Heilung. Dies zeigt, so einfach ist das nicht mit der Konfrontation. Es braucht fachkundigen Rat und fachkundige Begleitung. Und keinen Behandler, der auf seinem gut gepolsterten Chefsessel mal eben verlauten lässt: "Konfrontieren sie sich mit allem, das kann nicht schaden."

Auch hören ich immer wieder von Betroffenen, dass trotz immer wieder gemachten Konfrontationen sich eben rein gar nichts ändert. Konfrontation ist sicherlich wichtig und notwendig, aber nicht das einzige, was zählt, es braucht viele andere Dinge im Zusammenspiel, ohne die Konfrontation sinnlos, hohl und leer ist, ja sogar ungünstige Auswirkungen haben kann. Eine wichtige Komponente dabei ist sicherlich die heilsame Integration und Verarbeitung der gemachten Erfahrung. Und dazu braucht es oft einen guten Therapeuten, der sofort nach einer Erfahrung helfend zur Seite steht, nicht erst zur nächsten Therapiestunde. Es ist nämlich oft die ungünstige eigene Bewertung der Situation, die sie zu einem schwierigen Ereignis macht. Hier ist es wichtig, neue Bewertungen zu finden, ein neues Selbstbild zu finden, was mehr dem entspricht, was wirklich ist. Und hier spielt auch die Liebe eine große Rolle: Die Fähigkeit, sich selbst wertzuschätzen, zu mögen, anzunehmen. Sich und das Leben zu lieben. Für manchen verkopften Therapeut oder Arzt ist die Kraft Liebe völlig aus dem Bewusstsein verbannt, weil es nicht bis zum Herzen hinunterreicht.

Eine weitere verkopfte Geschichte: Ich war mal bei einem Neurologen. Beim Erstgespräch teilte ich ihm meine Ängste mit, die mich seit vielen Jahren begleiten. Er schaute mich an, und sagte freudestrahlend, so als hätte er die ultimative Lösung parat: "Kennen sie das Modell der Angstkurve?" Ich wusste nicht genau, worauf er hinaus wollte, und verneinte. "Ach so! Ja dann will ich ihnen das mal zeigen. Angst ist im Grunde kein großes Problem. Schauen sie mal..." Er holte ein Blatt Papier vor und malte mir eine Kurve auf. "So ist das mit der Angst. Die fängt an, steigt bis zu einem bestimmten Level. Schlimmer kann es nie werden. Und dann nach ein paar Minuten fällt die Angst zwangsläufig wieder ab. Sie brauchen also eigentlich überhaupt keine Bedenken zu haben, nach ein paar Minuten ist alles wieder weg. Das sie das noch nicht wussten..." Er sagte das so, als hätte er mich darüber aufgeklärt, dass Selbstbefriedigung doch nicht zu Knochenmarksschwund führt und nun alles gut ist. Er machte wirklich den Eindruck, als sei er der Meinung, durch seinen kurzen Vortrag mir all meine Angstprobleme genommen zu haben. Für solche Menschen müsste es erfahrungsorientierte Fortbildungsseminare geben, wo Angst erlebt wird. Ganz schnell relativieren sich dann solche Hirngespinste. Für mich ist das jedenfalls immer wieder eine gute Therapie, wenn ich von einer Sache zu theoretisch und losgelöst von der Erfahrung diskutiere.

Über Ängste wissen grundsätzlich schonmal viele Ärzte bescheid, wenn mitunter auch nur sehr oberflächlich. Bei Sozialphobie ist es nochmal anders. Nicht selten kommt es vor, dass Ärzte noch nicht einmal das Wort kennen. Ein Betroffener berichtet uns, dass sein Arzt erstmal in einem Buch nachschlagen musste, um zu verstehen, was er meinte. Einem anderen Betroffenen ging es bei einem Therapeuten genauso.

Obwohl die Sozialphobie eines der häufigsten Angsterkrankungen ist, ist sie noch so wenig bekannt. Natürlich kennen alle schüchterne Menschen, dass so eine Ängstlichkeit sich aber soweit steigern kann, dass man z.B. nicht mehr zum Arbeitsamt oder zur Krankenkasse gehen kann, oder dass man nicht mehr an Ampeln stehen kann, weil man sich beobachtet fühlt, davon wissen viele Ärzte nichts.

Gut, wenn Ärzte zumindest zugeben, dass sie sich darin wenig auskennen. Schlimmer sind da die, die so tun, als hätten sie alles im Griff und von allem Ahnung und geben dann völlig falsche Ratschläge und Empfehlungen. Da Ärzte oft zu dieser "Ich weiß alles" Haltung tendieren, darf man sich hier nicht emotional verwirren lassen, und nur wegen dieser Haltung den Aussagen mehr Bedeutung beimessen.

Schon Buddha sagte sinngemäß: "Glaube nichts, sondern prüfe alles selber nach." Und das geht am besten in der bewusst erlebten eigenen Erfahrung. Und im Vertrauen, dass die eigene Erfahrung eine wichtige und wertvolle Quelle für das eigene Wachstum darstellt.

24.04.05 Konfrontationstraining und Selbstschädigung

Das Thema Konfrontation mit beängstigenden Situationen begegnet mir immer wieder in der Selbsthilfe. Zu diesem Thema muss mal was geschrieben werden, weil oft falsche und gefährliche Vorstellungen existieren.

Da gibt es z.B. zu optimistische Therapeuten, die in der Konfrontation ein Allheilmittel sehen. Getreu dem Motto: "Konfrontation ist immer gut." Und auf der anderen Seite gibt es Klienten, die meinen, wenn ich mir nur alles zumute, wird es schon besser werden. "Viel hilft viel, Augen zu und durch. Was mich nicht umbringt, macht mich stärker!" - so könnte man es beschreiben.

Und dann gibt es auch noch all die Menschen, die durch den Alltag gezwungen, sich oft beängstigenden Situationen aussetzen müssen. Und obwohl sie das nun schon seit Jahren tun, wird es nicht besser, manchmal sogar schlimmer.

Was stimmt denn nun? Ist Konfrontation nun gut oder schlecht, heilsam oder destruktiv?

Ich glaube, wir müssen die Sache mit der Konfrontation genauer verstehen lernen. Es gibt in diesem Bereich ganz sicher etwas, was heilsam wirkt und was auch nötig ist. Es dürfte ziemlich klar sein, dass ein Mensch, der Angst hat, Vorträge zu halten, irgendwann sich in die Situation begeben muss. Es ist in den meisten Fällen so, dass man irgendwann mal genau das tun muss, wovor man Angst hat. Und hier gibt es ein Vermeidungsverhalten bei vielen Betroffenen - dieses Unangenehme möchte man nicht tun. Insofern sind Ermutigungen nützlich, sich diesen Situationen zu stellen.

Auf der anderen Seite kennen wir Situationen, wo Menschen die gezwungen worden, etwas für sie Beängstigendes zu tun. Und dadurch wurde die Angst noch viel schlimmer, das Vermeidungsverhalten entsprechend größer. Auch wenn uns keine anderen Menschen zwingen, können wir uns auch selber zwingen. So, wie mit uns einmal umgegangen wurde, so begegnen wir uns heute selber. Das gleiche Muster wirkt durch uns selbst und die Auswirkungen sind dann ähnlich.

In der Selbsthilfegruppe wird dieses Thema immer wieder kontrovers diskutiert, weil eben diese widersprüchlichen Erfahrungen gemacht wurden: Manche sagen, Konfrontation war wichtig und gut, andere sagen, es hat mir geschadet, ja vielleicht habe ich erst dadurch starke Ängste entwickelt.

Auch Therapeuten können hierbei falsche Vorstellungen haben. Besonders gefährlich ist das immer dann, wenn Therapien sehr hart sind. Manchmal kann man mit einer harten Konfrontation schnelle Ergebnisse erzielen, die Gefahr steigt aber auch, dass eine falsche Einschätzung der Situation zu einem großen Schaden führt. Wo starke Energien wirken, kann diese auch ins Gegenteil umschlagen und genauso heftig wirken. Wenn der Erfolgsdruck eines Therapeuten oder einer Institution zu falschem Eifer antreibt, kann das unangenehme Folgen für die Gesundheit des Klienten haben.

In den letzten Jahren Selbsthilfe, Therapie und Selbsterfahrung bin ich zu einigen Vorstellungen gekommen, die mir bei Konfrontationsübungen wichtig sind:

  • Je härter, um so gefährlicher. Je stärker man sich mit etwas konfrontiert, je höher also auch die Ängste werden, um so gefährlicher wird die Übung. Wer sich auf so gefährliches Terrain begeben will, sollte sich selber gut kennen und/oder einen guten Therapeuten haben, der die Situation gut einschätzen kann. Es gibt sicherlich Konstellationen, wo eine starke Konfrontation etwas bringt, aber sie sollte nicht blind gemacht werden sondern getragen von einem sehr erfahrenen Therapeuten.
  • Extreme Konfrontation sinnvoll? Es gibt so eine Idee, dass extreme Konfrontation von Ängsten befreien kann. Eine Vorstellung dahinter ist, dass Ängste nicht ins Beliebige ansteigen sondern man die Erfahrung macht, dass irgendwo ein Limit erreicht ist, was man aushalten kann und das Ängste sich von ganz alleine nach einer gewissen Zeitdauer wieder minimieren. Die Erfahrung, dass man selbst schlimmste Ängste aushalten kann, soll dabei heilsam sein. Das unvorstellbar Schlimme wird zu einer aushaltbaren und vorstellbaren Bedrohung. Es mag sein, dass dies funktionieren kann, die Gefahr ist allerdings recht groß, dass es schief geht. Und damit ist die Frage, ob man sich auf so eine riskante Behandlungsmethode einlassen sollte. Wenn überhaupt, dann nur mit bester therapeutischer Begleitung. Wir haben leider keine breiten Erfahrungen auf diesem Gebiet, weil sowieso die wenigsten sich so einer Behandlung unterziehen. Es gibt jedoch vereinzelte Berichte in beide Richtungen: erfolgreich und auch schädigend.
  • Mich in der Situation spüren. Ich habe sehr gute Erfahrungen mit der Haltung gemacht, wie sie auch in der Fachklinik Heiligenfeld eingenommen wird: Es geht nicht darum, mit "Augen zu und durch" zu agieren. Es geht vielmehr darum, das Hier und Jetzt zu spüren. Mich in der Situation zu erleben. Zu lernen, mich anzunehmen, so wie ich gerade da bin. Die Angst zu spüren. Jetzt sagen zu können: "Ja, ich spüre diese Angst. Und trotz dieser Angst bin ich jetzt hier." Und da sein kann ich nur, wenn die Angst nicht zu groß ist. Ich muss das richtige Maß finden. Ein Stück beängstigend aber nicht so stark, dass ich innerlich schon längst ausgestiegen bin. Soviel Angst, dass ich immer noch da bleiben kann, mit meiner Aufmerksamkeit, mit meiner Wahrnehmung. Hinter dieser Haltung steckt ein gänzlich anderes Konzept, welches auch für die Weiterentwicklung außerhalb der Therapie geeignet ist. Übrigens: Es ist oft schwieriger, in der Situation zu bleiben, es auszuhalten, als z.B. die Flucht nach vorne anzutreten. Man überfordert sich lieber, ohne hinzuschauen, als die Angst im Hier und Jetzt wirklich zu erleben.
  • Mich so annehmen, wie ich bin. Manche neigen dazu, sich nicht so annehmen zu können, wie sie in einer schwierigen Situation waren. Sie verdrängen die Situation schnell, weil die Erinnerung unangenehm oder gar unannehmbar ist. Zurück bleibt also die Erfahrung, dass ich durch eine Situation gegangen bin, die für mich unannehmbar ausging. Und damit besteht die gleiche Angst oder die unangenehme Erwartung vor dem nächsten mal. Oft kommt es dabei sogar noch vor, dass es nur an den völlig überzogenen eigenen Erwartungen an sich selbst hängt - die meisten anderen haben die Situation als völlig in Ordnung wahrgenommen. Zu lernen, sich so anzunehmen, wie man ist, mit all seiner Unperfektheit, ist wichtig. Und zu begreifen, dass das Leben generell nicht perfekt ist, egal wie sehr man sich bemüht. Es ist einfach eine falsche und anstrengende Vorstellung, dass das Leben nach so einem Perfektheitsanspruch verlaufen sollte. Ich erinnere mich an den Ausspruch eines Therapeuten, der mir sagte: "Ich wünsche Ihnen möglichst viele peinliche Situationen!". Und das hab ich mir zu Herzen genommen - zu lernen, dass etwas nach meinem alten Denken nicht perfekt und gut läuft und mich trotzdem gern zu haben. Ich setze mich dann manchmal hin und versuche bewusst, die Erinnerung an die Situation auszuhalten und anzunehmen, anstatt sie zu verdrängen. Das ist für mich ein ganz heilsamer, wenn auch schwieriger Weg.
  • Lernen, gut mit mir umzugehen. Manche sind gewaltsam gegen sich selbst. Diese Gewalt verängstigt und spaltet innerlich. Ich kann mir nicht mehr vertrauen, weil ich nicht gut für mich sorge. Im Gegenteil, ich liefere mich Situationen aus, die mich zutiefst beängstigen. Und weil ich das weiß, misstraue ich mir immer mehr. Gutes Leitbild ist viel mehr, ein guter Erwachsener für mich oder mein inneres Kind zu sein. So, wie ich mit einem Kind umgehen würde - beschützend, kümmernd, wachsam, wertschätzend - so gehe ich mit mir um. Das bedeutet nicht, mir nie was abzufordern. Ein Kind braucht auch Herausforderungen, muss sich Situationen stellen, die nicht leicht sind. Ein Kind braucht aber die Sicherheit, dass der Erwachsene sich um einen Rahmen kümmert, der nicht überfordert, der nicht zerstörerisch wirkt.
  • Verlockung der schnellen Heilung. Die Verlockung ist immer wieder groß, Wegen zu folgen, die schnelle Heilung versprechen. Schnell und schmerzhaft wird viel lieber gewählt, als lange ausdauernde Arbeit an sich mit ganz kleinen Schritten. Deshalb gibt es einen Hang dazu, solchen Wegen zu folgen. Schnell und schmerzhaft führt aber oft nicht zu Erfolg, so verlockend es klingt.
  • Änderung der Sicht auf die Situation. Manche gehen tagtäglich in Situationen, die ihnen schwer fallen, ohne das sich das Angstgefühl ändert. Es ist die Sicht auf die Situation, die die Angst aufrecht erhält. Wer es sich nicht zugestehen kann, Fehler zu machen, wird immer wieder Angst verspüren, wenn er auch kleinste Unzulänglichkeiten wahrnimmt. Hier muss also die Sicht auf die Dinge verändert werden, z.B. mit so Sätzen wie: "Es ist in Ordnung, dass ich Fehler mache.". Es geht dabei viel um Annehmen, wie ich bin, um das Ablegen falscher Erwartungen und Vorstellungen. Es ist also ganz wesentlich, sich begreifen zu lernen, was einen ausmacht, was für Vorstellungen einen treiben, wer man ist, was man will, was man nicht will, was die anderen von einem wollen und wollten, wem man dient, welche alten Verstrickungen in der Familie weiterwirken usw. Damit ist klar, dass neben der Konfrontation eben therapeutische Arbeit und/oder Selbsterfahrung nötig ist. Verstehen, begreifen, Erkenntnisse, Einsichten und Orientierung sind von zentraler Bedeutung. Neben Therapie kann Selbsthilfe ein wichtiger Ort solcher Erkenntnisse sein. Solche Dinge brauchen Zeit, man kann sie nicht in einer Kurzzeittherapie erzwingen.
  • Enttäuschung und Trauer. Wenn man beginnt, sich so anzuschauen, wie man ist, auch in beängstigenden Situationen, dann wird man zwangsläufig vieles entdecken, was einem nicht schmeckt. Man ist doch nicht der tolle Hecht oder die Unfehlbare. Man ist manchmal ziemlich blöd und manchmal benimmt man sich peinlich. Auch diese Seiten von sich anzunehmen, fällt oft nicht leicht. Das Bild von mir selbst, fängt an zu bröckeln. Man wird im wahrsten Sinne des Wortes Ent-Täuscht. Das kann Traurigkeit und Trauer hervorrufen. Oder Wut und Ärger. Wie auch immer, in solchen Phasen ist es gut, einen Therapeuten zu haben, der einem Halt, Mut und Hoffnung gibt. Der einem klar macht, dass man sich von seinem falschen Bild verabschieden kann und das das, was man dahinter entdeckt, sehr reizvoll ist. Ja, dass es etwas ganz wunderbares ist, wenn man sich ehrlich und offen selbst begegnet.
  • Kleine Schritte. Ausdauernd. Ein Therapeut sagte mir mal, dass viele dazu neigen, sich zu überfordern. Anstatt einen Schritt nach dem anderen zu machen, wollen sie sofort zum Ziel. Das ist auch meine Erfahrung, man wird ungeduldig, möchte zu viel auf einmal. Ausdauernd kleine Schritte wagen, erscheint mir als richtig. Und die kleinen Erfolge auch wertzuschätzen. Ausdauernd zu sein, bedeutet auch gute Planung. Es ist wie mit dem Lernen einer Sprache oder eines Musikinstrumentes - man muss beständig dran bleiben. Stetig Tropfen hölt den Stein.
  • Beobachten. Jeder ist einzigartig und jeder lernt auf seine Weise. Es ist deshalb gut, den eigenen Prozess des Lernens zu beobachten. Wahrzunehmen, was gut funktioniert, was schwierig ist, was bisher nichts brachte, Impulse und Ideen, was man vertiefen oder ausprobieren sollte usw. Ein Therapeut kann einen darin unterstützen. In einem Klinikprospekt las ich mal, dass man zum Experten seiner Erkrankung werden sollte. Ich fand das eine schöne Formulierung, unterstützt es doch die Eigenverantwortung und die wirkliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Problemen.
  • Liebevolles Handeln. Liebe - ein so oft gebrauchtes Wort für alles Mögliche. Was liebevolles Handeln bedeutet, lässt sich nur schwer beschreiben. Man kann es trotzdem herausfinden, in dem man sich (liebevoll) beobachtet. Dann fällt einem schon irgendwann auf, wo man offenherzig, mitfühlend, sensibel und wach ist. Wo man Dinge tut, die einem gemäß sind, die sich rund anfühlen, die sinnvoll und wertvoll sind. Es gibt auch viele Bücher, die liebevolles Handeln beschreiben (z.B. Nina Larisch-Haider, Von der Kunst, sich selbst zu lieben, Kösel).

13.04.05 Angst vor distanzierten Beziehungen

Durch einen Bekannten bin ich auf ein sehr interessanten Aspekt sozialer Angst aufmerksam gemacht worden. Er erlebte eine Situation, die ihn ziemlich verärgerte. Da war ein Mensch, den er zum ersten mal sah. Und in solchen Situationen braucht er erst mal einiges an Anlauf- und Kennenlernzeit, bis da eine vertrautere Atmosphäre entsteht.

Der andere dagegen behandelte ihn nach kürzester Zeit wie eine ganz vertraute Person, klatschte ihm z.B. aufs Bein oder stieß ihn an der Schulter an. Also körperliche Gesten, die man ja in unserem Kulturkreis erst dann macht, wenn man jemanden näher kennt. Ihm gefiel das gar nicht, weil er sich vereinnahmt fühlte, ja er wurde sogar ziemlich wütend und ärgerlich darüber.

Das bei dem anderen auch eine soziale Angst dahintersteckt, würden viele nicht vermuten. Aber auch hier könnte die Angst eine Rolle spielen, dass man es nicht aushält, in eine distanzierte Beziehung einzutreten. Das sind dann die typischen Kumpeltypen, die mit jedem ein kumpelhaftes Verhältnis haben, die man öfters auch als offene und warmherzige Menschen erlebt. Und man fragt sich, mit welchem Geschick die es immer wieder schaffen, allen Menschen in kürzester Zeit vertraut zu sein.

Ich kenne es dann auch öfters, dass mich dieses Hineingezogenwerden in solche Nähe erstmal verunsichert und ich da auch abblocke. Und bisher dachte ich immer, ich wäre da nicht in Ordnung, ich wäre der Depp in der Beziehung, der da jetzt nicht auf den anderen zugehen kann. Ich konnte bisher gar nicht sehen, dass es auch völlig in Ordnung sein kann, wenn ich erstmal eine distanziertere Ebene brauche, bevor ich mich drauf einlasse. Und ich konnte da nicht sehen, dass der andere es genauswenig aushalten kann, in eine distanzierte Beziehung einzusteigen.

Das ist mal wieder typisch für soziale Ängste - man entdeckt sie an Punkten, wo man sie gar nicht vermutet. Die Vermeidung einer distanzierten Beziehung und die Flucht in Nähe und Vertrautheit ist dafür ein gutes Beispiel. Auch deshalb, weil es dieses Vorwärtsvermeiden gut zeigt. Die Flucht nach vorne. Anstatt sich zurückzuziehen oder zu flüchten, flüchtet man in die Vertrautheit hinein.

Ich glaube, dass Menschen, die sowas tun, sich dabei auch nicht nur wohl fühlen. Denn da sind ja die eigenen Grenzen, die vielleicht sagen, das ist mir zu viel Nähe. Und dann die andere Seite in einem, die sagt, diese Distanziertheit halte ich nicht aus. Vielleicht tendieren solche Menschen dann dazu, sich öfters mit Nähe zu überfordern, mehr Nähe aufzubauen, als im Moment einem eigentlich gemäß wäre.

13.04.05 Wie wurde ich begleitet in beängstigenden Situationen?

Als ich jemanden gerade in einer beängstigenden Situation begleitete, wurde mir klar, wie wesentlich das auf die Entwicklung eines Menschen ist. Ich frage mich ja immer wieder, was führte eigentlich dazu, dass mir heute so manche zwischenmenschliche Situation Angst macht. Oft denke ich darüber nach, was für Situationen es gab, die mich beängstigten.

Da gibt es aber auch den anderen Ansatz, der da wichtig ist: Was war nicht da, was ich hätte gebraucht? Also einfach etwas, was mir z.B. meine Eltern hätten entgegenbringen müssen, damit ich mich gesund entwickeln hätte können, damit ich vor bestimmten Situationen die Ängste hätte verlieren können, die erstmal ganz natürlich entstehen.

Und so erlebte ich das heute - eine ganz natürliche Angst eines Menschen vor einer Situation, die ihm nicht sehr geläufig ist. Bei einer Behörde anzurufen. Ich baute Brücken und machte dem anderen im Gespräch Mut, dass ich das auch kenne, dass das erstmal ganz normal ist, wenn man in neue Situationen reinkommt und dass man ruhig mal auch Blödsinn reden darf. Es geht ja so um das Gefühl, dass erstmal alles passieren darf und man so Stück für Stück lernen kann, besser in so Situationen zu werden. Und das auch das Gefühl von anfänglicher Angst völlig ok ist und ganz normal zum Leben dazugehört.

Anders war es bei mir, fiel mir da auf. Ich musste immer alles perfekt und selbstverständlich können. Wenn dem nicht so war, wurde sich lustig drüber gemacht oder ich wurde abgeurteilt. Ich hatte keinen Raum, um zu wachsen, es wurden der Prozess des Wachsens nicht unterstützt, ja nicht mal geduldet. Perfekt oder garnichts. Und das ist ein wesentliches Problem, ein wesentliche Ursache, warum mir heute so manches Probleme bereitet. Wie sehr hätte ich mir, jetzt im Nachhinein kann ich das spüren, gewünscht, es wäre jemand dagewesen, ein liebevoller Erwachsener, der mich an die Hand genommen hätte, mir Mut gemacht hätte. Der mir zu verstehen gegeben hätte, dass alles in Ordnung ist und mich ermutigt hätte, zu lernen.

Das ist also was ganz wesentliches: Wie wurde ich in beängstigenden Situationen, die das Leben automatisch bietet, begleitet, gestützt und gehalten?

Andersherum ist aus diesen Erfahrungen in mir eine Stärke entstanden: Die Fähigkeit sensibel für solche Schwierigkeiten anderer zu sein und ihnen da auch hilfreich begegnen zu können. Und ich glaube, dass die oft auch wirklich hilfreich ist und nicht nur ein neurotisches Abbild meiner Probleme.

Zu wissen, dass andere distanzierte Beziehungen oder z.B. auch Unsicherheit in Beziehungen nicht aushalten, hilft einem auch, so manchen Beziehungsabbruch oder Rückzug oder Ausgegrenztwerden besser zu verstehen. In Wirklichkeit haben die Menschen gar nichts gegen einen, sie können es lediglich nicht aushalten, in so eine Art von Beziehung einzutreten. Sie sind nicht so flexibel oder fähig, es mit dieser Art aufzunehmen. Es kann heilsam sein, dass auch mal zu sehen und nicht immer nur die eigene Unfähigkeit für das Scheitern einer zwischenmenschlichen Situation verantwortlich zu machen.

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