Sopha Selbsthilfe

Aktuell (Archiv 2019)

14.12.2019 :: Was hab ich da bloß wieder erzählt?

Viele Betroffene kennen dieses Phänomen: Man ist in einer beängstigenden Situation, die einen Stress macht. Und dann redet man komische Sachen oder tritt in manches Fettnäpfchen. Später ärgert man sich darüber oder geht gedanklich nochmal alles durch, was man gesagt hat und wie es auf andere gewirkt haben muss.

Es gibt mehrere gut nachvollziehbare Gründe, warum das so ist. Bei einer stärkeren Angst dominieren Gehirnregionen, die nur noch unserem Schutz dienen, die also für Flucht oder Angriff stehen. Oder wir werden eher passiv, frieren ein, weil auch das ein guter Schutz sein kann. Die Gehirnregionen, die für Kreativität, Sprachvermögen und logisches Denken zuständig sind, sind in solchen Situationen gedrosselt, funktionieren nicht mehr richtig. Eigentlich ist das eine schlaue Schutzfunktion des Organismus, in der modernen Zeit behindert sie uns aber auch oft.

Eine wichtige Sache geht bei stärkeren Ängsten auch verloren: Unsere emotionale Empfindsamkeit. Wir können nicht mehr emotional mit der Situation schwingen. Doch gerade diese emotionale Ebene ist es, die uns bei jeder Kommunikation unterstützt.

Während wir sprechen, können wir emotional schon erspüren, wie das Gesagte wirkt. Einerseits, weil wir uns selbst zuhören, andererseits, weil wir die Reaktionen der anderen wahrnehmen. Und so können wir blitzschnell korrigieren oder das Gesagte nochmal besser abstimmen, so dass wirklich das ankommt, was wir meinen und ausdrücken wollten. Wir machen es sozusagen emotional stimmig.

Fehlt diese emotionale Abstimmung nun, sind wir wie im emotionalen Blindflug. Wir erspüren nicht mehr, wie das Gesprochene wirkt und so entsteht schnell eine emotionale Unstimmigkeit, die wir mitunter auch zurückgespiegelt bekommen. Das wiederum verunsichert zusätzlich, so dass die Angst weiter steigt. So verstärkt sich diese Problematik von selbst.

Wichtig ist, zu erkennen, dass das eigentlich alles ganz gesund ist. Jeder Mensch, der in eine starke Angst hinein gerät, funktioniert dann so. Das ist sozusagen in unserem menschlichen Erbgut festgelegt. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass Menschen ohne ausgeprägte soziale Ängste in vielen Situationen innerlich noch relativ gelassen sind. Angstfrei sind sie meist auch nicht, was das Thema Lampenfieber gut zeigt. Kaum ein Künstler, der auf der Bühne frei von Lampenfieber ist. Und Lampenfieber ist nichts anderes, als eine Angst.

Dies zeigt dann auch die Lösung: Es macht keinen Sinn, gegen diese Mechanismen zu kämpfen. Starke Angst löst diese Mechanismen in jedem Menschen aus, dass ist ziemlich festgelegt. Die Lösung muss vielmehr lauten, den Angstlevel zu reduzieren, gelassener mit vielen Situationen des Alltags umgehen.

Oft entstehen überzogene Ängste deshalb, weil die Erwartungshaltung an uns selbst zu hoch ist. Seine Erwartungen zu reduzieren, kann viel bewirken, ist allerdings nicht einfach. Es ist ein Prozess des Loslassens. Ich muss nicht der sein, den ich mir vorstelle.

Das dieses Loslassen so schwierig ist, hat etwas mit unserem Selbstbild zu tun. Wir wollen auf bestimmte Weise sein, weil das unser Selbstbild ist. Mit dem Selbstbild ist es oft eine heikle Geschichte. Gerade dann, wenn man sich in seinem Selbstwert wenig gefestigt fühlt, ist die Arbeit am Selbstbild nur schwer möglich. Wir haben das Gefühl, noch mehr unser Selbst oder Daseinsberechtigung zu verlieren, wenn wir übertriebene Vorstellungen aufgeben.

Es ist häufig so, dass von Sozialphobie Betroffene auch sehr perfektionistisch sind. Darauf will man seinen Selbstwert bauen, doch genau das führt dazu, noch mehr Angst vor dem Scheitern zu entwickeln. Auch das ist ein sich selbst verstärkender Prozess.

Hier zeigt sich, dass die Lösung oft dort zu finden ist, wo die größte Angst sitzt und was wir eigentlich gerade am Allerwenigsten tun wollen.

Wenn es gelingt, einen Selbstwert aufzubauen, der sich nicht so sehr aus Leistungen nährt, dann fällt es leichter, von seinen Erwartungshaltungen an sich loszulassen. Damit reduzieren sich Ängste und wir ertragen es besser, wenn die Dinge mal nicht so gut laufen. Das wiederum reduziert die Ängste vor dem nächsten Mal. Gleichzeitig machen wir die Erfahrung, dass andere oft gar nicht so viel von uns erwarten. Wir erkennen, dass der schärfste Richter wir selbst waren. Mit der Zeit normalisiert und reguliert sich dann alles wieder, die Ängste, der Selbstwert, die emotionale Empfindungsfähigkeit und die Offenheit.

-- Fred

20.10.2019 :: Depression durch Stillstand

Viele Depressionen haben klare Ursachen, die man persönlich erforschen kann. Das ist ja auch der Sinn der meisten Therapien, die Zusammenhänge zu verstehen, warum man depressiv geworden ist.

Eine wichtige Ursache hängt an etwas, was nur schwer durchschaubar ist. Denn es fehlt an etwas, was normal fast unbewusst vorhanden ist.

Leben ist ein Prozess. Vieles an Bewegung in unserem Leben entwickelt unbewusst. Es ist so, als gäbe es tief in uns etwas, was sich fortentwickelt und sich ausdehnen möchte. Wer gesund ist, der spürt vielleicht öfters so ein schönes und inspirierendes Zufriedenheitsgefühl, weil man ein Stück mehr weiß, mehr kann, etwas geschafft hat oder etwas durchschaut.

Ich glaube, wir brauchen diesen inneren Prozess der Weitung unbedingt für unser Leben. In etwa so, wie Essen und Trinken. Wer immer genug Nahrung hat, der kennt das Gefühl von Hunger nicht. Dann ist man sich auch nicht so bewusst, wie dringend nötig man diese regelmäßige Nahrung eigentlich hat.

Mit der Depression könnte es ähnlich sein. Wenn tief in mir etwas blockiert ist, wodurch keine natürliche Weiterentwicklung mehr möglich ist, dann entsteht ein immer stärkeres Mangelgefühl. Und dann ist man in einer depressiven Gemütslage, die mit Resignation, Sinnlosigkeit und Niedergeschlagenheit einhergeht.

Aus einer sozialen Angst kann sich eine Depression entwickeln. Und dies lässt sich so auch verstehen: Wenn die soziale Angst die natürliche Entwicklung in uns zu stark blockiert, dann entsteht dieser Mangelzustand, der sich zugespitzt in einer Depression zeigt. Und weil fast alles in unserem Leben mit sozialer Interaktion zusammenhängt, sind die Einschränkungen bei sozialen Ängsten auch oft weitreichend.

Für die Behandlung von Depressionen, die eigentlich durch soziale Ängste ausgelöst wurden, ist dann auch der Weg klar: Es braucht Räume der Entfaltung auf allen Ebenen.

Einerseits kann man hier schauen, ob es neue Entfaltungsräume gibt, die man sich noch gar nicht erschlossen hat und die nichts mit der Angstvermeidung zu tun haben. Das kann schon helfen, eine Depression zu überwinden und neue Energien zu mobilisieren. Insofern sind z.B. künstlerische oder tiergestützte Therapien sinnvoll. Im Grunde ist alles sinnvoll, was das eigene Potenzial erschließt.

Andererseits braucht es natürlich auch die konkrete Angstüberwindung. Ziel ist, dass man in Zunkunft das tun kann, was man heute noch aus Angst vermeidet. Dabei muss es nicht immer darum gehen, seine Angst gänzlich zu verlieren. Es geht eher darum, sie auf einen akzeptablen Level zu reduzieren, das ein Handeln ermöglicht.

Der Suche nach Sinn im Leben und nach Chancen und Möglichkeiten spielt bei Depressionen eine große Rolle, die aufgrund des inneren Stillstandes ausgelöst wurden. Wir brauchen wieder Perspektiven, innere Spielräume, Hoffnung und Felder, die wir gerne beackern wollen.

Zum Thema Sinn gab es letztens im WDR ein interesssantes philosophisches Gespräch mit Christoph Quarch:

-- Fred

17.10.2019 :: Scheitern üben

Da war dieser Mann, der nie mehr etwas verschenkte. Warum? Er hatte mehrfach die Erfahrung gemacht, dass ein Geschenk nicht so richtig gefiel. Das fand er so peinlich und schlimm, dass er nie wieder diese Erfahrung machen wollte. Dann lieber ab und zu mal für geizig gehalten werden.

Solche und ähnliche Erfahrungen gibt es bei sozialen Ängsten häufig. Es geht immer wieder darum, dass die Erfahrung vom Scheitern als zu belastend erlebt wird.

Genau hier kann man ansetzen, um sein Leben grundlegend zu ändern.

Es geht um die Neubewertung dieser Situation: Es ist gut und normal, immer mal wieder zu scheitern. Klopfe dir auf die Schulter, wenn du merkst, dass etwas schief läuft. Gerade jetzt, wo es ums Üben geht. Wer scheitern üben will, sollte sich über jede Situation freuen, die schief läuft. Genau jetzt kannst du lernen, anders damit umzugehen. Verabschiede dich von Perfektionismus und der Idee, nie scheitern zu dürfen. Es ist ok und es ist gut so.

Es ist nämlich ein Irrglaube, dass Perfektion ein Optimum ist. Perfektionsansprüche sind lähmend. Wer sich nicht mehr zugesteht, regelmäßig Fehler zu machen, vermeidet alles, was schwierig ist oder setzt sich irre unter Druck. Unter Druck kann man aber nicht gut agieren. Und so zieht man an, was man eigentlich vermeiden wollte: Man macht Fehler. Daraus kann dann ein Teufelskreis entstehen.

Entwickle eine schöne Kultur des Scheiterns für dich. Such nach Möglichkeiten, wie du dich damit gut annehmen kannst. Um dann auch Ideen zu entwickeln, wie es in Zukunft besser laufen kann. Denn darum gehts ja vor allem bei Fehlern: Eine Lust darauf entwickeln, es in Zukunft besser zu machen. Nicht weil man muss und auch nicht, um unangenehme Gefühle zu vermeiden. Es geht mehr um ein spielerisches Lernen, weil das Leben angenehmer wird, wenn man geschickter agieren kann.

Scheiter heiter!

-- Fred

15.10.2019 :: Beziehung und Beziehungsarmut

Der wirklich echte menschliche Kontakt ist etwas sehr Wertvolles. Gleichzeitig leidet unsere Gesellschaft immer mehr unter Beziehungsarmut. Den Zauber eines wirklichen Kontaktes vom Ich zum Du kennen viele gar nicht mehr, weil wir so oft von Zweckhaftigkeit geprägt sind.

Der Philosoph Christoph Quarch hat es hier schön zusammengefasst und rüttelt auf, wieder mehr in echten Kontakt zu treten:

12.09.2019 :: Nähe Allergie

Ein interessanter Blog-Beitrag:

31.08.2019 :: Meditieren lernen mit App

Die App 7Mind ist eine Meditations-App, mit der man seine regelmäßige Meditation durchführen kann. Es sind geführte Meditationen, die über jeweils 7 Minuten gehen. Die App ist mittlerweile recht gut am Markt etabliert und auch die meisten Krankenkassen unterstützen die kostenpflichtigen Versionen über einen gewissen Zeitraum.

Wer sich die App installieren will, sollte aber über genügend freien Speicher verfügen. Ingesamt 1,7GB werden benötigt! Bei vielen Geräten vermutlich im internen Speicher.

Weblink:

31.08.2019 :: Tagebuch schreiben

Hast du Lust, deine persönliche Entwicklung durch Tagebuchschreiben zu unterstützen? Hier findest du ein paar Anregungen:

https://schreibenwirkt.de/

Wer eine vorstrukturierte Form fürs Tagebuchschreiben sucht, kann sich mal das "6-Minuten-Tagebuch" anschauen. Dazu findet man jede Menge im Netz. Sollte auch jede größere Buchhandlung vorrätig haben.

19.08.2019 :: Ablehnung annehmen

Wenn man sich nicht angenommen fühlt, ist das für viele Menschen schwer zu ertragen. Es gibt eine Form von sozialer Angst, wo man eine sehr große Empfindlichkeit gegenüber Ablehnung entwickelt hat. Und weil diese Angst so groß ist, deutet man jede kleinste Regung anderer in Mimik und Gestik gleich in diese Richtung. So entsteht ein verzerrtes Bild der Realität, man hat viel öfter das Gefühl, abgelehnt zu werden, als es real der Fall ist.

Ein Beispiel: Ein Kollege ist genervt, weil er ein schwieriges Problem in seinem Tätigkeitsfeld hat. Er begegnet uns auf dem Flur und er grüßt nur mürrisch. Gleich beziehen wir es auf uns: "Der hat etwas gegen mich. Ich bin nicht in Ordnung."

Unsere Angst hat uns dahin gebracht, so zu erleben und je länger wir so wahrnehmen, um so mehr sind wir davon überzeugt, dass es so ist.

Es gibt einen anspruchsvollen Weg, wie man sich daraus befreien kann. Und der geht mal wieder, wie so oft, mitten durch die Angst. Wir müssen uns sozusagen voll und ganz einer Erfahrung stellen, die schmerzlich ist.

Es geht darum, Ablehnung anzunehmen. Also zu einer tief empfundenen innerlichen Haltung zu kommen: "Es ist ok, dass du mich gerade ablehnst oder zurückweist." Es geht darum, diese Situation mit ihren entstehenden Gefühlen auszuhalten. Und diese Gefühle sind in der Regel schmerzlich und schwer zu ertragen.

Üben lässt sich das in jeder Situation, wo man sich abgelehnt fühlt. Wie wir oben schon gesehen haben, werden wir oft gar nicht abgelehnt, empfinden lediglich so. Für das Üben ist es aber egal. Wir können uns einfach vorstellen, es wäre so und jetzt möchte ich das auch annehmen. Einfach, um es zu üben.

Ich kann auch Mitgefühl für Menschen entwickeln, die mich ablehnen. Sie können mir jetzt gerade nicht liebevoll annehmend zu mir sein, warum auch immer. Das ist in Ordnung. Es ist eine gute Übung für mich.

Was daraus entsteht, ist vor allem Gelassenheit gegenüber Ablehnung. Gelassenheit löst Ängste auf. Wir müssen uns dafür auch nicht entwertet fühlen, wir lassen die Ablehnung einfach als einen Mangel an Empathie beim anderen.

Man stelle sich das wirklich mal für einen Moment vor, wie es wäre, wenn man Ablehnung auch mal ganz gelassen betrachten könnte. Einfach als Verhalten eines anderen Menschen, was nichts mit uns zu tun hat.

Wenn wir über die Zeit gelernt haben, Ablehnung anzunehmen und gelassen darauf zu reagieren, löst sich auch die Angst auf. Und wenn sich die Angst auflöst, verändert sich auch die Wahrnehmung. Wir brauchen gar nicht mehr so auf diesen Aspekt zu achten, ob wir angenomen oder abgelehnt werden. Einfach, weil es nicht mehr so bedrohlich wirkt. Und das wiederum kann unseren Blick in die Welt verändern, wir können realistischer erkennen, wann wir wirklich mal abgelehnt werden und wie oft es andere Gründe hat, warum Menschen mal mürrisch reagieren.

Dieser emotionale Prozess ist nicht leicht und braucht viel Übung über Jahre. Denn die Art unserer bisherigen Wahrnehmung sowie die Denk- und Verhaltensmuster haben sich ja auch über viele Jahre eingeschlichen. Gerade auf emotionaler Ebene geschieht ein Umlernen langsam, alles andere würde uns auch zu sehr beunruhigen. Wer aber beständig dranbleibt, Ablehnungserfahrungen anzunehmen, wird sich hier weiter entwickeln und befreien.

Wichtig ist, keine Kopfgeburt daraus zu machen. Sie also einzureden, dass einen Ablehnungen nichts ausmachen, aber eigentlich ganz anders zu fühlen. Es geht eher um eine emotionale Arbeit. Also Gefühle zuzulassen, sie bewusst zu erspüren und ihnen den rechten Platz zu geben.

-- Fred

12.07.2019 :: Selbsthilfejahrbuch 2019

Das Selbsthilfejahrbuch 2019 der Nationalen Kontaktstelle für Selbsthilfe (Nakos) ist erschienen. Alle Beiträge sind auch Online abrufbar:

Auch die Beiträge der vorherigen Jahre sind hier zu finden:

15.06.2019 :: Stationäre Krankenhausbehandlung zu Hause

Die LWL-Klinik in Dortmund experimentiert derzeit mit einer neuen Behandlungsform, die sich stationsäquivalente psychiatrische Behandlung, kurz STÄB nennt.

Wer aufgrund seiner psychischen Verfassung eigentlich eine stationäre Behandlung bräuchte, kann sich darüber auch intensiv zu Hause behandeln lassen. Ärzte, Therapeuten und Pfleger kommen einfach bei einem vorbei. Hierüber hat man also eine intensive stabilisierende Versorgung, ohne in die fremde Umgebung eines Krankenhauses gehen zu müssen. Pro Tag gibt es mindestens 1 Stunde Behandlungsangebote.

Eine Betroffene, die wir kennen, hat damit sehr gute Erfahrungen gemacht und sich darüber einen Klinikaufenthalt erspart.

Interessenten finden hier weitere Infos:

13.06.2019 :: Lied der Woche

LOT. feat. Alin Coen - Nische

08.06.2019 :: Bloß nie wieder doof dastehen

Keiner mag es, doof dazustehen und von anderen ausgelacht zu werden. Eine spezielle Ausprägung sozialer Angst ist die große Anstrengung, bloß nie wieder vor anderen negativ aufzufallen. Negativ, weil man sich ungeschickt anstellt, weil man unklug gehandelt oder etwas nicht richtig verstanden hat.

Der Grund dafür sind in der Regel Erfahrungen dieser Art, die sehr stark schmerzten. Sie schmerzen deshalb so sehr, weil sie direkt unser Ich und unser Selbstwertgefühl angreifen. Menschen, die sowieso schon ein labiles Selbstwertgefühl haben, treffen solche Situationen besonders.

Die Entscheidung ist dann, nie wieder in so eine Situation hinein zu geraten. Es darf einfach nie passieren, wieder diese Demütigung zu erleben.

So eine Entscheidung ist kritisch. Immer dann, wenn wir uns dafür entscheiden, dass etwas nie wieder sein darf, was eigentlich normal zum Leben gehört, wirds problematisch. Hier sind wir auch ganz nahe an den Zwangserkrankungen dran. Wenn etwas in der Art keinesfalls mehr sein darf, dann kann man nicht mehr entspannt genug leben. Dann muss man sich ständig anstrengen, kontrollieren und auf der Hut sein.

Verrückterweise führt genau diese angestrengte Art oft dazu, dass wir nun doch Fehler machen. Denn Körper und Geist funktionieren dann am Besten, wenn sie sich sicher fühlen und ohne Angst entfalten können.

Die Entscheidung, bloß nie wieder einen Fehler zu machen oder dumm dazustehen, haben wir in der Regel nicht bewusst getroffen. Es war eine unbewusste Reaktion auf das, was uns widerfahren ist. Doch wenn man jetzt nachspürt, kann man für sich erkennen, dass man sich auf diese Weise innerlich ausgerichtet hat.

Wichtig ist zu erkennen, dass diese Ausrichtung nicht wirklich was taugt. Ja, sie verhindert, dass wir wieder diese schwere emotionale Erfahrung machen. Aber das hat eben auch einen hohen Preis, einen zu hohen Preis. Diese Entscheidung wirkt sich auf unser ganzes Leben aus, weil man eben immer und überall Fehler machen kann. Und weil jede menschliche Begegnung auch wieder die Möglichkeit beinhaltet, Fehler zu machen und dafür verurteilt oder angegriffen zu werden.

Die Lösung aus dem Dilemma kann nur lauten, diesen emotionalen Schmerz so zu verarbeiten, dass wir es wieder zulassen können, auch mal von anderen Menschen kritisiert zu werden. Nehmen wir einmal an, das würde gelingen, dann bräuchten wir all diese Anstrengung der Kritikvermeidung nicht mehr. Dann könnten wir es immer und immer wieder riskieren, auch mal kritisiert zu werden. Dann würde Kritik ein normaler Teil unserer alltäglichen Erfahrung. Etwas, worunter wir nicht mehr leiden, sondern mit dem wir umzugehen gelernt haben. Und das macht uns viel freier, es ist eine tiefe Befreiung.

Ist so eine emotionale Verarbeitung möglich? Viele Betroffene haben es in einer therapeutischen Auseinandersetzung erfahren können, dass dies möglich ist. Manchen gelingt es auch ohne therapeutische Hilfe. In de Regel geht es darum, sich nochmal diesem alten Schmerz zu nähern. Genügend Gelegenheit dazu gibt es in der Regel, weil der Alltag uns immer wieder Situationen beschert, wo der alte Schmerz getriggert wird. Sich jetzt Zeit zum nachspüren zu nehmen, auch wenn das sehr unangenehm ist, kann helfen, diesen Schmerz auf neue Weise zu verstehen.

Hier ist Selbstannahme auch wichtig, in solchen Momenten fürsorglich für sich da zu sein. Sich zu trösten, sich Halt zu geben, sich aufzubauen. Es geht sozusagen um eine herzlich-wohlwollende Begleitung im Angesicht dieser schwierigen Erfahrung. Oft fehlte nämlich genau diese Fürsorge damals. Es war niemand da, der einem genügend Hilfestellung gegeben hat, mit dieser emotionalen Erfahrung fertig zu werden. Und so blieb nur der Weg, sie zu verdrängen und dafür zu sorgen, dass man möglichst nie wieder so etwas erlebt.

Hier gilt auch wieder der Satz: "Wo die Angst ist, ist der Weg." Das ist das Paradoxe, dass man genau damit in einen Gefühlskontakt kommen muss, was man am meisten fürchtet. Und weil das oft so schwierig ist, kann eine professionelle Begleitung hier sehr hilfreich sein.

Ein erster Schritt könnte sein, die Scheu vor Fehlern abzubauen. Man kann sich hier eigene Affirmationen überlegen, z.B. das es gut ist, sich unvollkommen zu erleben. Eine Trainerin sagte in einem Workshop gerne "Fail and be Happy." Und so gingen wir in dem Workshop auch immer wieder miteinander um. Das war eine schöne Ermutigung, sich wieder zu trauen, Fehler zu machen.

-- Fred

03.06.2019 :: Angehörigen-Selbsthilfegruppe

Ab und zu melden sich bei uns Angehörige. In der Regel sind es Eltern, deren Kinder von einer sozialen Angst betroffen sind.

Im Bereich Sucht-Selbsthilfe haben sich Angehörigengruppen seit vielen Jahren etabliert. Im Bereich soziale Ängste gab es solche Angebote bisher nicht. Jetzt bin ich aber auf die - nach eigener Aussage - einzige bundesweite Angehörigengruppe aufmerksam geworden, die wohl seit etwa 3 Jahren existiert. Und die hat ihren Sitz sogar ganz in der Nähe, in Krefeld. Sie heißt "Elternkreis Soziale Angst". Kontaktinfos gibt es im Selbsthilfe-Verzeichnis des VSSP.

15.04.2019 :: Erotische Irritation

Viele sozial ängstliche Menschen kennen dieses Problem: In dem Moment, wo man einem Menschen gegenübersteht, der grundsätzlich auch ein Beziehungspartner sein könnte, entsteht eine Irritation oder Befangenheit. Dabei spielt es oft überhaupt keine Rolle, ob man auf bewusster Ebene ein Interesse an dieser Person hat. Das Unbewusste hat vielmehr den Wunsch nach einem Beziehungspartner oder einem erotischen Erlebnis und dann bekommt dieser Kontakt eine besondere Bedeutung.

Bekommt mein Gegenüber so eine besondere Bedeutung, ist die Frage, wie wir damit umgehen. Sozial ängstliche Menschen sind dann oft ganz irritiert. Sie spüren einen Druck, gefallen zu müssen, sich vorteilhaft zu verhalten, witzig und intelligent zu wirken und vieles mehr. Das alles kann einen so unter Druck setzen, dass genau das Gegenteil passiert: Wortfindungsstörungen, man redet komische Dinge oder verstummt gänzlich. Blickkontakt fällt schwer. Man kann sich nicht mehr unbefangen bewegen und denken. Man ist völlig irritiert.

Bei Menschen, die man realistisch betrachtet gar nicht als Beziehungspartner haben kann oder will, entsteht zumindest eine Störung im Kontakt, die Schwierigkeit, einen entspannten Kontakt entstehen zu lassen.

Wenn mein Gegenüber aber in der Tat auch offen für einen näheren Kontakt ist und sich etwas daraus entwickeln könnte, führt diese Störung im Kontakt oft dazu, dass nichts an Nähe und Sympathie entstehen kann. Die innere Befangenheit macht es scheinbar unmöglich.

Eigentlich betrifft dieses Thema "erotische Anziehung" erstmal alle Menschen. Aber bei sozialen Ängsten kommt eine besondere Problematik hinzu. Diese Angst ist oft damit verbunden, Menschen gefallen zu müssen, es anderen Menschen möglichst immer recht zu machen, also eine Überangepasstheit, um nirgends anzuecken. Wenn es dann um etwas so Wichtiges wie einen möglichen Beziehungspartner geht, schlägt diese Angstprägung besonders zu. Man will dann alles richtig machen.

Bei allem, was uns sehr wichtig ist, haben wir Angst, Fehler zu machen. Und diese Angst blockiert.

Viele sozial ängstliche Menschen haben es deshalb schwer, mit dem Menschen in einen näheren Kontakt zu kommen, den sie mögen und zu dem sie sich hingezogen fühlen.

Was kann man da tun? Wichtig erscheint mir erstmal, ein annehmendes Bewusstsein dafür zu entwickeln. Und dann steht die Frage im Raum, wie man diese spürbare Erregung in etwas Positives verwandeln kann. Man arbeitet also nicht gegen diese Erregung, sondern mit ihr.

Menschen zu beobachten, wie sie damit umgehen, kann auch helfen, neue Ideen zu entwickeln.

Innere Leitsätze können helfen, schädliche Prägungen abzubauen. So kann man sich z.B. sagen: "Ich darf sein, wie auch immer ich bin. Authentisch sein reicht völlig!" Hier kann jeder für sich erkunden, welche Prägungen eher ungünstig sind und welche Entwicklungsrichtung günstig wäre.

Darüber reden, wie es einem damit geht, ist auch sehr hilfreich. Das kann man in Selbsthilfegruppen oder mit einem guten Freund. Vielleicht kann es auch gelingen, mit jemanden darüber zu reden, der einen so irritiert. Hierfür brauchts natürlich schon eine gewisse Nähe und Vertrauensbasis. Und ein Gegenüber, der mit solch persönlichen Themen auch umgehen kann.

In Selbsthilfegruppen kann ein Gespräch darüber leichter fallen, wenn man die Gruppe in Frauen und Männer aufteilt. Das machen wir ab und zu mal, um einen Raum zu öffnen, wo Frauen und Männer unter sich sind.

Manche erleben solche Irritationen auch in der Psychotherapie. Das sich Klienten in den Therapeuten verlieben, ist gar nicht so selten. Gerade dann, wenn ein Therapeut sehr empathisch ist und so auch viel Nähe herstellt, kann das schnell passieren. In so einem Fall hat man ein Gegenüber, was mit solchen Gefühlen umgehen können sollte. Also eine gute Gelegenheit, direkt darüber mit dem Therapeuten zu sprechen. Das ist eine gute Chance, diese Gefühle für sich zu klären und neue Ideen zu entwickeln, wie man damit umgehen möchte.

-- Fred

18.02.2019 :: Quellen für Selbstwert

Das Thema Selbstwert ist doch recht stark mit unserem Grundthema soziale Ängste oder selbstunsichere Persönlichkeit verbunden. Viele leiden darunter, phasenweise oder generell zu wenig Selbstwert zu empfinden.

Was sind eigentlich Quellen, die unseren Selbstwert nähren? Was braucht ein Mensch, um sich wertvoll zu fühlen?

Dieser Fragestellung können wir uns annähern, wenn wir erstmal wertfrei darauf schauen, was Menschen so tun, um sich einen Wert zu geben:

  • Ich bin, was ich habe. Besitz scheint etwas zu sein, wodurch sich zahlreiche Menschen definieren. Der Besitz ist Teil des Ichs geworden. Ist es ein großer und glänzender Besitz, bin auch ich groß und glänzend.
  • Ich bin, was ich erlebe. In letzter Zeit scheint es einen Wandel zu geben. Besitz zählt immer noch, aber Facebook und Instagram scheinen so gut zu funktionieren, weil man hier zeigen kann, was man alles erlebt. Und wer ein erlebnisreiches Leben führt, ist jemand. Man definiert sich also über den Lebensinhalt.
  • Ich bin, was ich leiste und was ich kann. Hier werde ich in der Regel wertvoll, weil ich wertvoll für andere werde. Ich leiste etwas in meinem Job und bekomme dafür Anerkennung. In seltenen Fällen reicht es Menschen auch, zu wissen, dass sie intelligent, fähig und kompetent sind, ohne dass sie für andere nützlich sein müssen. Der Wert ist in beiden Fällen vor allem an meine Fähigkeiten und Charaktereigenschaften gebunden. Auch körperlich-sportliche Leistungen können einen mit Wert erfüllen.
  • Ich bin, wie mein Umfeld mich sieht. Meinen Wert ziehe ich aus dem, wie mein Umfeld mich spiegelt. Hier spielt die Beziehung zu anderen Menschen eine große Rolle. Werde ich hier geschätzt und mag man mich, dann fühle ich mich als wertvoller Teil dieses Beziehungsfeldes. In der Regel leben wir in zahlreichen Umfeldern, die uns alle positive Beachtung schenken können: Beruf, Familie, Verein, Bekannte und Freunde.
  • Ich bin, welchen Status ich habe. Status ist die Stellung, die ich in einem sozialen Gefüge habe. Bin ich der Chef, schauen meine Angestellten vielleicht zu mir ehrfürchtig herauf. Ich habe weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten und Macht. Ich bin der, der das Sagen hat. Ich muss mich nicht unterordnen. Wer Status hat, wird von anderen zuvorkommend behandelt und auf ein Podest gestellt. Dies kann das Gefühl von Wertigkeit hervorrufen.
  • Ich bin, wie ich beschenke. Ich bin wertvoll, weil sich andere mit mir wohl fühlen. Weil ich ihnen etwas geben kann, was ihnen gut tut. Weil sie sich an mir erfreuen. Wenn wir uns anschauen, warum uns Haustiere so erfreuen, dann ist dies oft so, weil sie uns beschenken. Ein Hund freut sich, wenn wir nach Hause kommen, er ist gern mit uns zusammen und das spüren wir. Genauso erfreuen wir uns an Menschen, die uns emotional nähren oder für uns da sind. In der Regel ist das ein beidseitiges Glücksgefühl, man schenkt und wird beschenkt. Mitunter ist es aber auch ein Aufopfern für andere.
  • Ich bin, was ich hervorbringe. Weil ich kreativ und schöpferisch bin, fühle ich mich wertvoll. Ich bin begeistert, was durch mich in die Welt kommt. Ich erfreue mich an meiner Kraft, schöpferisch zu sein. Künstler, Musiker, Schriftsteller, Wissenschaftler oder Softwareentwickler nähren sich oft aus diesem Bereich, weil sie viel kreativ tätig sind. Und man hört auch von tiefen Selbstwertkrisen, wenn es Blockaden im schöpferischen Bereich gibt.
  • Nur weil ich bin, bin ich wertvoll. Einfach nur, weil ich da bin, fühle ich mich wertvoll. Ich erkenne das Wunder des Lebens. Ich kann mich an mir erfreuen, einfach weil ich bin. Ich kann mich lieben ohne Bedingungen. Ich kann das Kostbare eines jeden Lebens erkennen.

Der letzte Grund geht in den spirituellen Bereich hinein. Ich glaube daran, dass das die eigentliche Quelle für Selbstwert ist, die uns ganz natürlich geschenkt wird. Doch irgendwas im Leben hat uns davon entfremden lassen, wir können es nicht mehr spüren. Und weil man nicht mehr in dieser tiefen Quelle verankert ist, braucht man auf Ebenen, die weiter von unserem Kern entfernt sind, Kompensationen. Doch je weiter man nach außen geht, um seinen Selbstwert zu suchen, um so instabiler und unbefriedigender wird es.

Es ist sicherlich schön, für seine Leistung gelobt zu werden. Doch es ist auch eine Gefahr, seinen Selbstwert ganz daraus zu schöpfen. Dann wird man so abhängig vom Lob und man identifiziert sich mit etwas, was ganz wichtig wird. Aber was wird sein, wenn ich nicht mehr leistungsfähig bin? Auch wenn es nur eine Episode meines Lebens ist, z.B. durch eine Depression, ich werde sehr darunter leiden. Mein ganzer Selbstwert bricht zusammen, wenn das wegbricht, wo ich meinen Selbstwert verorte.

Noch weiter außen wäre der materielle Besitz. Wie werde ich mich fühlen, wenn ich mir mein tolles Auto nicht mehr leisten kann? Werde ich dann ein Nichts sein?

Viele spirituelle Traditionen und Weisheitslehren warnen vor einem Ich, was nur daraus entsteht, weil wir uns mit allem Möglichen identifizieren. Sie zeigen uns, dass das Ich eigentlich gar nicht existiert, keine wirkliche Substanz hat. Es scheint aber etwas zu geben, was Substanz hat und was zum Vorschein kommt, wenn wir all unsere Identifikationen loslassen. Mitunter wird das als Selbst bezeichnet oder als Seele. Zumindest muss es jenseits des Egos eine Welt geben, die sich auftut, wenn man dahinter oder tiefer schaut. Eine Welt, die mehr Substanz hat und die Fülle bedeutet.

Dieser spirituelle Aspekt des Selbstwertes wird leider oft nicht bemerkt oder betrachtet. Das ist schade, weil es die tiefste Quelle für Wertempfinden ist. Eine Quelle, die auch wirklich trägt und von keinen Bedingungen abhängig ist.

Viele Menschen haben dieses Wertempfinden, obwohl sie sich noch nie Gedanken darüber gemacht haben und es auch nicht als spirituell benennen würden. Es ist einfach so selbstverständlich da, wie die Luft zum Atmen. Erst dann, wenn man diese natürliche Quelle für Selbstwert verloren hat, wird man sich das bewusst machen müssen, um darüber irgendwann wieder einen Zugang zu dieser tiefen Quelle zu finden.

Die Liebesfähigkeit scheint uns an diesen Kern heranzuführen. Die Entwicklung von Selbstliebe wird von vielen Therapien als ganz essentiell angesehen. Ebenso die Fähigkeit, in einen liebevollen Kontakt zu anderen Menschen zu gehen. Und in Phasen von Verliebtheit erleben viele Menschen dieses bedingungslose Angenommensein. Verliebtheit ist dabei wie ein Geschenk, was uns erahnen lässt, was sein könnte, wären wir mit unserem Kern verbunden. Ein Kern, für den sich die Frage nach Selbstwert überhaupt nie gestellt hat, weil ihm ein Mangel an Selbstwert völlig unbekannt ist.

-- Fred

05.02.2019 :: Wer lebt, stört!

Hörte ich vor vielen Jahren mal von einem Therapeuten. Das ist ein guter Satz für zurückhaltende Menschen. Heute hab ich einen ganz guten Artikel dazu gefunden:

https://krankenhauspfarrer.net/2015/01/04/wer-lebt/

03.02.2019 :: Verständnis wichtiger als Ratschläge

In Selbsthilfe kann es schnell zu folgender Dynamik kommen: Jemand steht in seinem Leben vor einem Problem, was er nicht bewältigt bekommt. Andere sagen ihm, er müsse nur dies oder jenes tun und dann wäre das Problem gelöst. Oft klingt das auch vernünftig und logisch, was einem geraten wird. Aber man kann es irgendwie nicht umsetzen. Und dann kommt vielleicht noch Druck, man möge doch diese einfache Sache endlich mal umsetzen.

Dies kann das eigene Unverständnis verstärken. Man versteht nicht, warum man scheinbar solch einfachen Lösungen nicht umsetzen kann. Dieses Unverständnis kann sich zu Selbstablehnung ausweiten, gerade bei Menschen mit einem schwachen Selbstwertgefühl. Oft gibts da alte Geschichten, wo man schon so oft von anderen Menschen wegen seiner scheinbaren Unfähigkeit abgewertet wurde. Und nun wiederholt sich dies in der Selbsthilfegruppe wieder. Welche ein Drama!

Was eigentlich heilen könnte, ist, sich selber besser verstehen und annehmen zu lernen. Mit all seinem Unvermögen und mit dem, wo man gerade steht. Und hierfür brauchts vor allem Menschen, die verständnisvoll zuhören. Wer mich wohlwollend verstehen will, der hilft mir, mich selbst zu verstehen. Wer mich in meinem Sosein annimmt, der hilft mir, mich selbst anzunehmen.

Wir verstehen oft nicht, warum wir vieles nicht so umsetzen können, was scheinbar so logisch und einfach klingt. Aber Menschen, die sich tiefer erforschen, machen oft diese Erfahrung: In der tieferen Auseinandersetzung entsteht auf einmal eine Erkenntnis: Jetzt weiß ich, warum mir das bisher nicht gelungen ist! Und daraus entsteht ein warmes Selbstmitgefühl.

Diese Form von Selbstannahme bedeutet nicht, dass man nun nichts ändert. Das ist ein Paradox, was zahlreiche Therapieschulen herausgefunden haben: Erst wenn man sich wirklich versteht, legt man die Grundlage für Veränderung.

Ein Mensch, der nicht versteht, warum ihn manches so unmöglich erscheint und der dann einfach durch viel Druck versucht, es doch zu erreichen, erreicht oft nichts. Oder es bleiben nur kurzfristige Erfolge. Gleichzeitig entsteht eine Gespaltenheit, weil man gegen nicht verstandene Persönlichkeitsanteile ankämpft. Das kostet alles viel Energie und Lieblosigkeit breitet sich in einem aus. Und das widerum nimmt einem Lebensglück und Lebensfreude.

Hat ein Mensch hingegen wirklich verstanden, was ihm im Wege steht und warum er bisher nicht wirksam ein Problem lösen konnte, dann entstehen daraus wirklich sinnvolle Ideen, sich aus diesem Dilemma zu befreien. Und zwar Ideen, wie man als ganze Persönlichkeit zu einer neuen Orientierung findet, ohne Teil von sich abzuspalten oder gegen sie anzukämpfen.

Einfach nur zuhören und verstehen, fällt vielen Menschen schwer. Wir sind fast alle schnell dabei, dem anderen Lösungen und Ratschläge zu geben. Und doch glaube ich, es tut gerade Selbsthilfegruppen gut, wenn sie üben, sich gegenseitig mehr zuzuhören und Verständnis füreinander zu entwickeln.

-- Fred

26.01.2019 :: Harmoniesucht

Man stelle sich ein Kind vor, was immer wieder seine streitenden Eltern miterlebt hat. Es hat schwierige Zeiten durchlebt und später haben sich die Eltern auch getrennt. Das alles hat tiefe Spuren in der Seele dieses Menschen hinterlassen. Später im Leben war ihm Harmonie ganz besonders wichtig. Ja, es kam regelrecht Panik auf, wenn soziale Spannungen in seinem Umfeld entstanden.

An die Vergangenheit erinnert er sich nicht mehr wirklich. Er ärgert sich hingegen über diese blöde Angst, die immer wieder in ihm aufkommt. Diese Angst versteht er nicht, er findet sie nur lästig und will sie loswerden. Dann liest er etwas über Harnomiesucht und erkennt sich darin wieder. Diese blöde Harmoniesucht, wie bekomme ich die nur los? Wie kann man sich das abtrainieren?

So in der Art läuft es ganz häufig. Wir sind uns unserer leidvollen Erfahrungen gar nicht bewusst, weil zu lange her und zu tief in uns vergraben. Und weil wir dazu keinen Kontakt mehr haben, kommt uns die Situation so vor, als hätten wir da was Unangenehmes an der Backe, was nicht zu uns gehört und wir möglichst schnell wieder loswerden müssen.

Viele Begriffe aus dem psychologischen Umfeld nähren genau diese falsche Sicht. Harmoniesucht, Vermeider, Neurosen, unsichere Persönlichkeitsstörung - in allem schwingt eine gewisse Abwertung von dem mit, was man da hat.

Wenn man wirklich tief verstehen würde, was einem da widerfahren ist, kann man nur mitfühlend begreifen, wie sinnvoll das heutige Verhalten ist, warum also z.B. Ängste auftauchen. Ein Mensch, der eine so schwierige Zeit in der Kindheit durchlebt hat, muss doch auch heute wieder die selben belastenden Gefühle erleben, wenn er in eine ähnliche Situation kommt.

Hier fällt mir auch ein großer Unterschied auf: Menschen, die sich tiefenpsychologisch mit sich auseinandergesetzt haben, gelingt dieses Verständnis zu sich selbst oft. Sie schaffen wieder eine Verbindung zu dem Leid, was damals war und können so Selbstmitgefühl entwickeln. Diese Verbindung erscheint mir ein heilsamer Schritt, weil es diese Abspaltung seiner scheinbar "störenden Seiten" heilt.

In der Verhaltenstherapie hingegen wird dieser Integration kein Wert beigemessen, es geht vielmehr um ein konkretes Ablegen störenden Verhaltens und störender Gefühle. Woher sie kommen und wie sinnig sie doch auch sind, wird in der Regel nicht beleuchtet, maximal kurz angeschnitten. So zumindest die Erfahrungen vieler, die solch eine Therapie gemacht haben.

Hier zeigen sich auch die Stärken beider Therapieformen. Geht es darum, ein paar Fertigkeiten und neue Sichtweisen einzuüben, ist die Verhaltenstherapie optimal. Im Bereich der sozialen Kompetenz kann sie z.B. gut punkten. Wer z.B. aus Gewohnheit nur selten Blickkontakt aufnimmt oder zu leise spricht, kann das relativ schnell lernen. Mit einem Therapeuten kann man diese Verhaltensweisen schnell erkennen und dann neues Verhalten einüben. Und oft genug klappt das genau so: Erkennen, neues Verhalten üben, besser im Leben klarkommen.

Geht es jedoch darum, das es tiefere Gründe hat, warum man so ist, wie man ist, muss man auch tiefer schauen. Nur wenn man diese tieferen Gründe versteht, kann man der Selbstablehnung und der inneren Spaltung entgegenwirken. Und dann gilt es, zu schauen, wie man trotz schwieriger Lebenserfahrungen seinen Weg finden kann. Hier ist eine Neubewertung der alten Situation oft zielführend. Man erkennt das alte Leid und sieht gleichzeitig, dass man heute jemand anderes ist. Als Erwachsener kann ich einen neuen Umgang mit schwierigen Lebenssituationen finden. Oder ich kann erkennen, dass bestimmte Situationen heute nicht mehr so belastend sein müssen. Ab dem Punkt gehts dann eigentlich auch wieder um das, was die Verhaltenstherapie zu bieten hat: Neues Verhalten, neue Strategien und neue Sichtweisen verinnerlichen, üben und leben.

Dies zeigt auch sehr schön, dass beide Therapieformen wichtig sind und wir eigentlich Therapeuten bräuchten, die in beiden Ansätzen gut ausgebildet sind. Sie können erspüren, bei welcher Problematik welcher Ansatz der Richtige ist. Leider ist es selten, dass sich Therapeuten in beiden Therapieformen verankert fühlen. Und damit erleben wir in den Gruppen recht häufig die Situation, dass Betroffene sagen: "Tiefenpsychologische Therapie hat mir null gebracht." oder "Verhaltenstherapie hat mir nichts gebracht."

Wir müssen wegkommen von der Idee, dass Therapieform A oder Therapieform B beides gleichwertige Ansätze sind. Wir müssen vielmehr dahin, dass zahlreiche therapeutische Ansätze wichtig sind, je nachdem, wie das aktuelle Problem gerade gelagert ist. Man kann hier auch weiter denken, ob neben den wenigen kassenzugelassenen Therapieformen nicht zahlreiche weitere Ansätze wichtig sind, die es braucht, weil nur diese bestimmte Probleme sinnvoll heilen können. Von den Erfahrungen einiger Betroffener, die alternative Therapieformen ausprobiert haben, scheint es naheliegend, dass auch jenseits der kassenfinanzierten Therapien viel heilsames Potenzial zu finden ist.

Konkret sind dies zum Beispiel:

  • Gestalttherapie
  • Klientzentrierte bzw. personzentrierte Gesprächstherapie
  • körperorientierte Therapieformen
  • Schematherapie
  • Familientherapeutische Ansätze / Systemische Therapie
  • hypnotherapeutische Verfahren
  • Akzeptanz-Commitment-Therapie (ACT)
  • Traumatherapeutische Ansätze
  • Theatertherapeutische Ansätze
  • Ego-State-Therapie, Arbeit mit Persönlichkeitsanteilen
  • Achtsamkeitstraining (MBSR)

-- Fred

02.01.2019 :: Mischgefühle entwirren

Gefühle treten in der Regel nicht in Reinform auf, es sind oft Mischungen aus verschiedenen Gefühlen. So können sich auch häufig unangenehme mit angenehmen Gefühlen mischen. Ein typisches Beispiel ist die soziale Angst, die man erlebt, die aber in Wirklichkeit auch positive Gefühle enthalten kann: Positive Erregung, Interesse und Lust an Mittelpunkts-Situationen, Stolz usw. Man ist sich dessen aber nur selten bewusst.

Wichtig ist es, diesen Gefühlsmischmasch zu erkennen und zu entwirren. Denn die normale Reaktion ist doch die: Wenn irgendwas mit Angst belegt ist, weicht man dieser Erfahrung aus. Wenn nun aber auch angenehme Gefühle an dieser Erfahrung hängen, vermeidet man auch diese. Und damit fehlen einem dann die guten Erfahrungen.

Ein Beispiel: Jemanden ist es unangenehm, wenn er gelobt wird. Das Unangenehme ist die Mittelpunkt-Situation, die Angst und "verstecken wollen" in ihm auslöst. Aber eigentlich ist es auch schön, gelobt zu werden, es erfüllt einen mit Stolz oder Freude.

Als Gefühlsmischmasch würde man diese Erfahrung einfach nur abwehren. Stattdessen wäre es aber gut, differenziert darauf zu schauen. Nachzuspüren, wie dieser freudige Anteil sich anfühlt. Und nachzuspüren, wie diese Angst da mit reinspielt. Es ist beides da. Bei der Angst wäre es gut, sie überflüssig zu machen. Bei der Freude wäre es gut, sie in sein Herz zu lassen und vielleicht auch dafür zu sorgen, dass man öfters mal diese gute Form von Anerkennung bekommt. Sich überhaupt erstmal darüber bewusst werden, dass einem das gut tut und man das vielleicht auch irgendwie braucht.

Was kann man tun? Bei allen emotionalen Erfahrungen sollte man davon ausgehen, dass vieles drin steckt. Statt eine Erfahrung gleich abzuwehren, kann man sich Zeit nehmen, um dieser Erfahrung mal genauer nachzuspüren. Gibt es vielleicht etwas Positives oder Angenehmes zu entdecken? Steckt da auch etwas drin, was mir gut tut?

Bei ausgeprägt negativ empfundenen Emotionen wird einem das anfangs schwer fallen, überhaupt irgendwas Positives zu entdecken. Deshalb ist es besser, erstmal mit den leichteren emotionalen Erfahrungen zu beginnen. Wenn man spürt, dass sich ein wenig in einem regt, ein wenig Angst, ein wenig Wut, ein wenig Ärger. Wenn man nicht so überfüllt ist von dem Gefühl, gelingt es leichter, die verschiedenen Aspekte einer emotionalen Erfahrungen zu ergründen.

In der Vortragsgruppe haben wir schon öfter mal die Erfahrung reflektiert, dass hinter der Angst, einen Vortrag zu halten, auch eine Lust da ist, sich zu zeigen, mit dem was man weiß, was man kann oder was einen interessiert. Und wenn die Angst mit der Zeit weniger wird, zeigen sich diese positiven Emotionen deutlicher. Das ist eine wirklich gute Erfahrung und wichtige Erkenntnis zugleich.

Hinter positiven Emotionen stehen auch Bedürfnisse, etwas was wir brauchen, damit wir uns wohl fühlen. Und darum gehts doch auf der Suche nach einem guten Leben: Was brauche ich, um mich wohl zu fühlen?

Bei der Vortragsgruppe konnte sich bei einem Teilnehmer auch folgendes Gefühl entwirren: Er beschrieb das Gefühl vor einem Vortrag lange Zeit mit "Große Angst", die er weg haben wollte. Später entdeckte er, dass das, was er da erlebte auch eine positive Aufgeregtheit ist. Und die darf ja da sein. Damit veränderte sich seine Vorstellung, worum es eigentlich geht: Es ging jetzt nicht mehr darum, jede emotionale Erregung "weghaben" zu wollen. Es ging jetzt darum, diese positive Aufregung zu kultivieren, die ihn auch wach und präsent machte. Und es ging darum, die überzogene Angst, die sich darüber legt, etwas loszuwerden. Was früher eins war, differenzierte sich jetzt aus und erschien ihm viel sinniger. Denn an der Aufgabe, alles an emotionaler Erregung "wegmachen" zu wollen, wäre er eh gescheitert, weil ihm das gar nicht als Mensch entsprach. Und selbst wenn das gelungen wäre, wäre doch auch etwas Gutes verloren gegangen.

Es gibt übrigens auch schwierige Gefühle, die eigentlich gut und wichtig sind. Angst vermischt sich zum Beispiel gerne mit Wut. Wut ist ein gesundes und wichtiges Gefühl. Menschen, die in Momenten der Wut stark bestraft oder zurückgewiesen wurden, unterdrücken ihre Wut und darüber legt sich dann die Angst. Es ist eigentlich die Angst vor der eigenen Wut. Hier besteht die Chance, seine Wut wieder mehr zuzulassen und sie zu erkunden. Man kann lernen, Wut auf erwachsene Weise in die Welt zu bringen, nicht destruktiv, sondern konstruktiv. Wut hilft einem, sich auch mal durchzusetzen oder für etwas zu kämpfen, was einem wichtig ist. Unterdrückte Wut aber nimmt einem die eigene Energie und macht einen kraft- und wirkungslos. Und wer das häufig erlebt, kann davon auch depressiv werden.

-- Fred

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