Sopha Selbsthilfe

Aktuell (Archiv 2012-Q2)

25.06.12 :: Lied der Woche

Taizé - Meine Hoffnung

Liedertext:
Meine Hoffnung und meine Freude,
meine Stärke, mein Licht.
Christus, meine Zuversicht,
auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht,
auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht.

Für viele Menschen ist eine spirituelle Öffnung - in welcher Form auch immer - eine Hilfe bei der Bewältigung schwieriger Lebensumstände. Von daher beziehen wir Spiritualität auch immer mal wieder in unsere Gruppen ein. Überkonfessionell und ungebunden.

Die Erfahrung zeigt aber auch, dass nur ein Teil von Betroffenen mit Spiritualität etwas anfangen kann. Von daher ist es nicht immer leicht, sich diesem Thema zu widmen, es polarisiert die Gruppe. Wir versuchen es, in dem wir ab und zu mal ein spirituelles Element aus verschiedensten Traditionen einbringen. Auch neue Gruppenmitglieder bringen immer mal wieder einen anregenden spirituellen Impuls mit rein.

Es ist auch möglich, spirituelle Impulse für sich passend zu machen. Im obigen Liedtext kann vielleicht jemand mit Christus nichts anfangen, hat vielleicht sogar Aversionen dagegen. Vielleicht ist es aber möglich, loszulassen von seinen Christus-Vorstellungen und sich stattdessen einfach eine universelle Lebenskraft im Universum vorzustellen, auf die man vertrauen kann. Es gibt sozusagen etwas, was über mich hinausreicht und in dem ich mich gut aufgehoben fühlen kann. Man kann sich auch in der Gruppe einigen, Christus z.B. durch "Das Große" zu ersetzen. Das schafft Raum für alle möglichen spirituellen Vorstellungen.

Durch wirkliche Hingabe können solche Lieder heilsam in uns wirken. Doch dafür müssen sie in einer Form verfasst sein, der wir uns wirklich hingeben können.

-- Fred

17.06.12 :: Offene Gruppe fällt aus

Wg. Fußball scheint keiner Lust zu haben, zur Gruppe kommen zu wollen. Nur 3 Personen hatten sich nach einer Umfrage angemeldet. Wir haben auch das zusätzliche Problem, dass direkt vor der Kontaktstelle der ganze Friedensplatz wg. Fußball public viewing abgesperrt ist, dort heute große Menschenmassen auflaufen werden und es sehr laut wird.

Die Gruppe fällt heute also definitiv aus.

-- Fred

15.06.12 :: Eingeschränkte Wahrnehmung

Starke Ängste verändern unsere Wahrnehmung. Unser Gehirn blendet in bedrohlichen Situationen alles Nebensächliche aus. Die Konzentration ist nur noch auf überlebensnotwendige Dinge gerichtet. Ältere Gehirnareale (Reptiliengehirn) übernehmen die Kontrolle und reduzieren unsere Möglichkeiten, zu denken und wahrzunehmen.

Dieser Mechanismus ist bewusst kaum steuerbar. Es läuft vielmehr bei stärkeren Ängsten automatisch in uns ab. Diese Wahrnehmungseinschränkung ist dann ein Symptom der Angst.

Viele Betroffene kennen diesen Zustand. Manche sagen: "Ich bekomme kaum noch was mit.", "Ich bin völlig zu im Kopf." oder "Ich bin überhaupt nicht richtig in der Welt." Auch der sogenannte Tunnelblick beschreibt dieses Phänomen. Man hat in diesen Momenten ein verändertes Bewusstsein, alles fühlt sich irgendwie anders und eingeschränkter an. Man kann auf viele seiner normalen Bewusstseins-Fähigkeiten nicht mehr zurückgreifen.

Bei sozialen Ängsten können aus dieser Einschränkung dann wieder Schwierigkeiten entstehen, die einen belasten. Bei einer Begrüßung z.B. sagt einem jemand seinen Namen und 3 Sekunden später weiß man schon nicht mehr, wie derjenige heißt. Macht jemand einen Scherz oder erzählt einen Witz, versteht man ihn nicht. Für das Verstehen eines Witzes braucht es nämlich oft mehr, als das gerade dominierende Reptiliengehirn in der Lage ist.

Menschliches Miteinander ist auch stark geprägt von feinen Signalen und Schwingungen, zu denen man nur mit einer weiten und offenen Wahrnehmung Zugang hat. Von all dem fühlt man sich abgeschnitten und so versteht man vieles nicht, was gerade passiert oder kann nicht mitschwingen. Man fühlt sich abgeschnitten von dem, was gerade ist. Und das führt dann wieder zu Verhaltensweisen, die andere als merkwürdig empfinden, weil sie nicht so recht ins Geschehen hineinpassen. Irritierende Signale können Betroffene dann noch weiter verunsichern.

Ich finde es sehr hilfreich, überhaupt erstmal über solche Mechanismen bescheid zu wissen. Es hätte mir viel Leiden erspart, hätte ich diese Erkenntnis schon früher gehabt. Statt es als ein ganz normales (eigentlich gesundes) Symptom einer Angst zu begreifen, habe ich meine ganzen Einschränkungen in sozialen Situationen auf mich bezogen und gedacht, ich bin irgendwie minderwertig oder nicht ganz helle im Kopf. Ich hab mich abgewertet und bin ärgerlich auf mich geworden, obwohl doch eigentlich ganz normale Dinge passieren und jeder Mensch, der stärkere Ängste hat, erlebt dies innerlich dann ähnlich.

Auch in Arbeitszusammenhängen kann diese Bewusstseins-Einschränkung unangenehme Folgen haben. Man ist nicht mehr in der Lage, komplexe Zusammenhänge zu begreifen und macht mehr und mehr Fehler. Besonders bei solchen Arbeiten, die man nicht aus einer Routine heraus macht. Andere werten mich dann vielleicht als dumm und unfähig ab. Das wiederum untergräbt den Selbstwert und sorgt für noch mehr Verunsicherung. Und doch macht man vielleicht die Erfahrung, dass man in Ruhe und alleine sehr fähig ist.

Bei manchen Tätigkeiten kann so eine Bewusstseinseinschränkung sogar richtig gefährlich werden. Wenn man z.B. an gefährlichen Maschinen arbeitet oder im Straßenverkehr unterwegs ist, steigt die Gefahr von Unfällen.

Kann man überhaupt etwas gegen diese Einschränkungen tun? Ja, jede Menge. Es geht vor allem darum, gar nicht erst in so starke Ängste hineinzugeraten. Wahrnehmungseinschränkungen sind ein klares Symptom dafür, dass wir schon in starken Ängsten drinstecken. Sich dessen bewusst zu werden, wann starke Ängste in einem auftauchen und wodurch sie ausgelöst werden, ist ein erster wichtiger Schritt. Viele Ängste basieren darauf, das man an Grenzen herangeführt wird, in Bereiche, wo man noch keine klaren Verhaltensweisen kennt. Neue Verhaltensweisen können erlernt und geübt werden, so dass hier Ängste verschwinden können. Ängste können auch durch seelische Verwundungen entstehen, basierend auf alten schmerzlichen Erfahrungen. Dies kann aufgearbeitet werden, so dass solche Erfahrungen wieder integriert werden können. Das Schmerzgebiet muss nicht mehr aus dem Leben ausgeklammert werden, sondern man kann es wieder betreten. Und dann gibt es noch den weiten Bereich unseres Bewertungssystems. Wir können vieles im Leben nochmal detailiert betrachten und neue Bewertungen finden. Diese helfen uns, eine passendere Weltsicht zu entwickeln, durch die sich gleichzeitig viele Ängste auflösen.

Viele Anregungen, sich mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen, findet man in Gesprächen in der Selbsthilfegruppe. Denn jeder ist ja schon ein Stück weit durch seine Probleme hindurchgegangen und kann davon berichten. Bücher können helfen und werden auch öfters in den Gruppen empfohlen. Psychotherapie kann eine konzentrierte Arbeit an seinen Schwierigkeiten sein, in der ein Profi uns unterstützt und lenkt. In der Rolle des Außenstehenden kann er zudem vieles erkennen, was uns selbst nicht auffällt und hier dann Feedback geben.

-- Fred

03.06.12 :: Bestätigung, Anerkennung, Ermunterung

Ich glaube, wir brauchen alle irgendwie das Gefühl, das es gut ist, das wir da sind und das es gut ist, was durch uns entsteht. Diese regelmäßige positive Bestätigung erzeugt Lust und Freude in uns und gibt uns Orientierung im Leben.

Wenn man etwas Neues beginnt, ist man vielleicht noch unsicher und weiß nicht so recht, ob man es richtig macht. Diese Unsicherheit auszuhalten, ist nicht einfach. Da hilft es, von anderen Bestätigung für das zu bekommen, was man tut. Ein typisches Beispiel wäre die Moderation der Gruppe. In den Kerngruppen lassen wir diese rotieren, so dass jeder mal diese Aufgabe übernimmt. Bestätigung ist sozusagen ein Feedback, was in die richtige Richtung geht, was gut war und wo die weitere Entwicklung hingehen könnte.

Die Lebensenergie in uns braucht genügend Bestätigung. Bestätigung ist eine Einladung an unsere Lebendigkeit. Wir wollen das, wo wir einen Sinn drin sehen, wo etwas Interessantes entsteht, womit Hoffnungen verknüpft sind. In uns ist vielleicht eine Kraft, die sich permanent entfalten will.

Wenn wir über längere Zeit zu wenig Bestätigung bekommen und alles, was wir tun, irgendwie auf Ablehnung stößt, werden wir frustriert und irgendwann ist man resigniert. Dann zieht sich die eigene Lebendigkeit zurück, weil es so scheint, dass alles keinen Sinn macht.

Es ist ein interessanter Blickwinkel, mal sein Leben zu betrachten und zu gucken, wo überall man Bestätigung und Anerkennung bekommt. Und auch, von welchen Menschen man ein grundsätzliches Angenommensein erfährt. Wo das Gefühl entsteht, ich bin in Ordnung, wie ich bin, ohne irgendwas dafür tun zu müssen.

Meist sind es vor allem die vielen nonverbalen Signale, die man erfährt und die einem das Gefühl von Angenommensein vermitteln. Auch hier kann man sich bewusster darüber werden, welche Signale einem dieses positive Gefühl vermitteln. Oft wird man nämlich unbewusst genährt. Wenn man sich bewusster ist, was einem gut tut, kann man auch mehr dafür tun, es zu bekommen.

In der Selbsthilfegruppe könnte man überlegen, wie wir eine Kultur verfeinern, wo wir dieses Bedürfnis mehr berücksichtigen. Was können wir füreinander tun, damit dieses Bedürfnis mehr Befriedigung erfährt? Wie können wir uns gegenseitig positive Aufmerksamkeit schenken? Das ist gerade bei Sozialphobie auch eine Herausforderung, weil es heißt, herauszukommen, aus seiner Passivität und Zurückgezogenheit. Stattdessen wendet man sich anderen auf positive Weise zu. Mitunter kennt man diese Art des aufeinander zugehens noch gar nicht und muss erstmal anfangen, damit zu experimentieren.

Ganz konkret würde das z.B. bedeuten, in Gruppengesprächen die positiven Dinge, die einen ansprechen, durch ein Feedback nochmal deutlich zu machen. Also nicht mehr nur selber zu denken: "Das finde ich gut", sondern es auch auszusprechen und so wieder in die Runde zurückzugeben.

Vermutlich werden schon automatisch jede Menge Ideen kommen, diesen Aspekt der gegenseitigen Bestätigung und Anerkennung zu fördern, wenn man einfach seine Aufmerksamkeit für ein paar Gruppenabende dahin lenkt.

-- Fred

26.05.12 :: Waffen im Zwischenmenschlichen

Soziale Ängstlichkeiten entstehen oft in einem feindlichen Umfeld. Für die spätere Aufarbeitung seiner Problematik ist es wichtig, die Waffen und Angriffsstrategien zu kennen und sich bewusst zu machen. Nur wenn man sich bewusst ist, was gerade abläuft und in welcher Art man gerade angegriffen wird, kann man sich auch gegen wehren und alternative Bewältigungsstrategien finden. Andernfalls fällt man immer wieder in alte schmerzliche Muster.

Eine beliebte Waffe ist der Entzug von Anerkennung. Diese Waffe wirkt auf der Beziehungsebene. Man signalisiert dem anderen: "Du interessierst mich nicht." oder noch stärker: "Du bist Luft für mich.". Diese Waffe basiert darauf, den anderen zu ignorieren und ihm die wohlwollenden Signale einer guten Beziehung vorzuenthalten. Ich strafe dich, in dem ich dich ignoriere.

Diese Waffe wirkt subtil und meist versteckt. Man wird nicht durch offene Aggression angegriffen, stattdessen wird etwas zurückgehalten. Das Gefühl, dass man in einem Umfeld von mehreren Personen nicht gemocht und angenommen wird, kann unerträglich sein. Viele Menschen leiden stark darunter, wenn sie spüren, dass die Beziehungsebene gestört ist. Oft ist entscheidender, wie etwas gesagt wird, als das, was gesagt wird. Denn darin findet man Beziehungsbotschaften, ob jemand einem wohlgesonnen ist oder eher ablehnend entgegentritt.

Menschen, die durch diese Waffe stärker geschädigt sind, achten sehr gezielt auf die Beziehungsebene. Sie hören genau hin und überprüfen jede Aussage dahingehend, ob nicht doch irgendwo ein versteckter Angriff darin steckt. Dies kann krankhafte Züge annehmen, wenn man in allem nur noch Angriff vermutet und die positiven Kontaktangebote gar nicht mehr wahrnehmen kann. Dann entsteht ein permanentes Misstrauen, was wohlwollende und herzliche Beziehung verhindert.

Dies ist auch ein Grund, warum die Aufarbeitung wichtig ist: Wer die positive Seite wohlwollender Beziehungen erleben will, braucht wieder Vertrauen, muss wieder etwas riskieren und darf nicht auf jede Kontaktaufnahme ausschließlich mit Misstrauen reagieren.

Mobbing enthält typisch diese Waffe des Entzuges von Anerkennung. Mitunter wird es auch als Liebesentzug bezeichnet, weil Wertschätzung und Anerkennung eine Form der Liebe ist. Liebesentzug kann einen stark verunsichern und greift direkt den Selbstwert an. Vor allem dann, wenn man diese Verletzung nicht aufgearbeitet hat. Und genau darauf basieren auch viele Manipulationsversuche anderer Menschen. Sie laufen nach der Strategie: "Nur wenn du das machst, was ich will, bekommst du meine Anerkennung. Im anderen Fall wird meine Ablehnung dir das Leben schwer und unerträglich machen." Aus der Praxis sind mir viele Beispiele bekannt, wo Menschen Unglaubliches tun und sich verleugnen. Sie tun das, um das unangehme Gefühl nicht zu spüren, was Ablehnung auslöst.

Menschen, die diese Verletzung aufarbeiten, können diesen Knoten immer öfter lösen. Es geht im Grunde um eine Trennung zwischen dem, wie Menschen mich behandeln und dem, wie ich mich dabei fühle. Ich muss mich nicht schlecht fühlen, wenn andere mich ignorieren. Wenn ich mich in der Art akzeptiere, dann kann ich die Ablehnung beim anderen lassen. Sie trifft mich dann nicht mehr.

Bei der Auflösung solcher Verstrickungen ist es wichtig, sich nicht immer wieder in die alten emotionalen Muster zu verfangen. Hierfür kann man erstmal nüchtern analysieren: Da ist jemand, der mir deutlich spürbar Ablehnung entgegenbringt. Ist das wirklich so? Wenn ja, womit hat das wohl zu tun? Um was geht es jetzt hier konkret? Wie kann ich mich vergewissern, dass es wirklich darum geht? Und wenn es um diese konkrete Sache geht, was habe ich für eine Haltung dazu? Empfinde ich in dieser Sache, genauso, wie der andere Mensch oder habe ich eine ganz andere Meinung dazu?

Wenn man sich so einer Situation stellt, wird man vom Leben auf eine neue Weise gefordert: Es geht nicht mehr darum, unangenehme Gefühle loszuwerden. Es geht jetzt darum, Verantwortung für sich und sein Handeln zu übernehmen. Abzuwägen, wie man auf all das reagieren will, was einem im Leben begegnet. Und wie man das Leben gestalten will. Eigene Überzeugungen und Meinungen bekommen mehr Bedeutung. Und das schafft wieder mehr Selbstwertgefühl, weil man unabhängiger von anderen Menschen seinen eigenen Weg lebt. Die eigene Persönlichkeit wird spürbarer, weil sie gelebt wird.

Menschen, die sich so wandeln, haben am Anfang oft Probleme, die richtige Balance zu finden. Wenn man sich zuvor stark untergeordnet hat und sich manipulieren lies, lebt man nun den anderen Pol: "Ihr seid mir scheißegal, ich mach jetzt nur noch mein Ding." Damit ecken sie dann sehr oft an und ernten verstärkt Aggression und Ablehnung. Sie finden keinen guten Platz mehr in Gemeinschaften, weil sie sich nicht integrieren können. Der eigentlich positive Impuls, auf sich zu achten, führt in dieser Form dazu, sich noch getrennter von allen anderen zu erleben.

Der gute Weg liegt vermutlich dort, wo man sich klar bewusst ist, was man will und welche Überzeugungen man hat. Das man für sich zu diesen Überzeugungen stehen kann. Das diese aber nicht in Stein gemeißelt sind, sondern sich immer wieder wandeln können, weil man offen ist für neue Erkenntnisse. Das man gleichzeitig auch offen ist für die Meinungen und Vorstellung der anderen und auch sie anerkennen kann. Und das man dann einen guten Weg findet, sich immer mal wieder mit seinen Vorstellungen einzubringen, ohne zu stark zu dominieren. Die richtige Balance sozusagen, in der jeder seinen Raum bekommt und seinen Platz findet.

Selbsthilfegruppen sind ein Ort, wo man diese gute Gemeinschaft üben kann. In Gesprächen kann man seinen Standpunkt rüberbringen und sich gleichzeitig auch in die Standpunkte der anderen hineinfühlen. Man kann erkennen, wo man ähnlich denkt und fühlt und wo man ganz anderer Meinung ist. Und all das darf so sein. Als Gruppe ist es wichtig, eine gute Kultur des gemeinsamen Umgangs zu etablieren. Dies ist immer auch wieder eine Herausforderung, weil man sich lösen muss aus alten verletzenden Beziehungsstrukturen.

-- Fred

20.05.12 :: Projekt Theaterworkshop

Seit Wochen laufen die Vorbereitungen für einen Theaterworkshop. Über den Mailverteiler hatten wir ja auch schon mehrfach davon berichtet und eingeladen.

Unter professioneller Begleitung wollen wir uns über 10-12 Abende in Bereiche hineinwagen, die angstbesetzt sind, aber auch eine Menge Spaß und Freude mit sich bringen. Gestern war der erste Informationsabend, zu dem wir eine Theatertherapeutin / Theaterpädagogin eingeladen hatten. Mit 12 Interessierten war der Abend recht gut besucht. 10-12 Personen ist auch eine optimale Größe für die weitere Arbeit.

Am gestrigen Abend haben wir ein paar Übungen/Spiele gemacht, bei denen es darum ging, mal etwas mit Selbstausdruck zu experimentieren. In Feedbackrunden kamen beide Seiten zum Ausdruck: Einerseits Spaß und Freude an dem Geschehen, andererseits wurden auch Ängste und Unsicherheiten berührt. Vielfach ist auch das Leistungsdenken verinnerlicht - die Vorstellung, es gäbe etwas richtig zu machen und wenn man eine Leistung nicht erbringt, wäre das beschämend. In diesem Workshop soll es aber gerade darum gehen, seine Freude am Selbstausdruck und am Spielen neu zu entdecken, jenseits aller Leistungsgedanken. Denn diese sind es oft, die unsere Spontanität und Ursprünglichkeit einschränken, die uns hemmen und blockieren. Einfach wieder unbefangen wie ein Kind spielen zu können und sich daran zu erfreuen, darum geht es. Gleichzeitig lernt man sich mit seinen vielen Facetten kennen, übt sich in Selbstausdruck, nähert sich unterschiedlichen Gefühlen und Rollen. Es kann sein, dass man hier mal in Rollen schlüpft, die man bisher noch nie ausprobiert hat. Und das kann das eigene Reportoire erweitern.

Der Workshop trifft in einen Kernbereich sozialer Ängste: Menschen, die eigentlich in Ordnung sind, so wie sie sind. Die aber im Leben verunsichert wurden und so nun viel zu viel an sich und ihrer Art zweifeln. Sie brauchen Ermutigung und Unterstützung, sich wieder in ihrer Art zu zeigen und zu erkennen, wie wertvoll und bereichernd sie damit sind.

Das Fazit dieses Abends war recht positiv. Die meisten sehen ein Potenzial in dieser Arbeit und wollen am Workshop teilnehmen. Geplant ist, das wir uns für 10-12 Abende alle 14 Tage treffen. Vermutlich wird es der Samstag Abend werden. Der Workshop wird sich damit über etwa 6 Monate, bis Ende des Jahres erstrecken.

Wir haben das Glück, dass wir über einen Projektantrag für diesen Workshop, Fördergelder von den Krankenkassen bekommen. So fällt der Eigentanteil mit etwa 30-50 Euro für den kompletten Workshop relativ gering aus.

Wer jetzt noch Interesse hat, an dem Workshop teilzunehmen, kann sich auf eine Nachrückliste setzen lassen.

-- Fred

07.05.12 :: Grübeln durchbrechen

Ich denke über alles mögliche viel zu viel nach...

Wenn jemand in unserer Gruppe so etwas sagt, schaut er in viele zustimmende Gesichter. Zu viel über alles mögliche nachzudenken, ist ein in unseren Gruppen typisches Phänomen. Vermutlich gibt es hier eine Verbindung zur Introvertiertheit. Man macht alles mit sich aus und versucht durch viel Beschäftigung mit sich selbst sein seelisches Gleichgewicht zu finden.

Über etwas nachdenken kann in der Tat bei vielen Dingen eine Hilfe sein, mitunter entstehen aber Gedankenschleifen. Man denkt immer wieder über die selbe Sache nach und kommt zu keinem Ergebnis. Das Nachdenken wird unproduktiv und immer mehr als Belastung wahrgenommen.

Ein paar Tipps, was man hier machen kann:

  • Gedanken identifizieren: Oft laufen Denkprozesse unbewusst ab. Man denkt stundenlang über irgendwas nach, ist sich aber nicht dessen bewusst, worüber man nachdenkt. Um Gedanken zu identifizieren, setzt man sich bewusst z.B. 30 Minuten zum Nachdenken hin und hat Papier und Bleistift neben sich liegen. Man notiert sich immer wieder ganz kurz, über was man nachdenkt. Es geht nicht darum, alles haarklein aufzuschreiben, sondern z.B. nur: "Sorgen Vorstellungsgespräch in 2 Wochen." oder "Zukunftssorgen" oder "Wie kann es mir nur gelingen, fremde Menschen anzusprechen?". Man sucht also eine kurze und prägnante Überschrift für das, worüber man gerade nachdenkt. Dann lässt man den Gedanken los und wartet wieder darauf, was als nächstes ins Bewusstsein kommt. Wer Schwierigkeiten hat, zu bemerken was er denkt, stellt sich einen Kurzzeitwecker z.B. auf 5 Minuten. Wenn dieser piept, kann man sich zurückerinnern, was man die letzten 5 Minuten gedacht hat. Kommt ein Gedanke erneut, macht man hinter der notierten Überschrift einen Strich. Damit zählt man, wie oft man an einen Gedanken gedacht hat.
  • Zentrale Gedanken diskutieren: In der Selbsthilfegruppe kannst du mit anderen über deine zentralen Gedanken, die immer wieder auftauchen, diskutieren. In diesem Prozess bekommst du Anregung von außen. Dies ist ganz wichtig, denn kreisende Gedanken zeigen an, dass dein Gedankensystem es mit seinen bekannten Strategien nicht lösen kann. Du brauchst also Anregung von außen, damit neue Herangehensweisen entstehen. Gerade introvertierten Menschen kann es helfen, mehr nach außen mit ihren Problemen zu gehen. Es kann sein, das man hierin wenig geübt ist und die anfänglichen Erfahrungen nicht sonderlich hilfreich. Es braucht hier Durchhaltevermögen, um zu lernen, Anregung von außen auch sinnvoll für sich verarbeiten zu lernen.
  • Konzentration auf die Gefühle: Gedanken tauchen nie alleine auf, parallel dazu gibt es Gefühle. Man kann üben, innerlich bewusst umzuschalten und sich auf die Gefühle zu konzentrieren, die bei einem Gedankenmuster auftauchen. Man zieht seine Aufmerksamkeit also vom Gedanken weg und spürt in seinen Körper hinein. Welche Gefühle und Empfindungen kann ich gerade wahrnehmen? Auch diese Gefühle kann ich mir notieren. Wie schwer sind diese Gefühle auszuhalten?
  • Rückschau in die Vergangenheit: Kenne ich diesen Gedanken und diese Gefühle von früheren Situationen? Notiere dir ein paar Situationen aus der Vergangenheit. Kannst du dich an das Ereignis erinnern, wo dieses Gefühl zum ersten mal aufgetaucht ist? Welche Menschen waren an der Situation beteiligt und wie war die Beziehung zu ihnen?
  • Hineinatmen in das Gefühl: Mitunter können wir uns entspannen, wenn wir ruhig in das Gefühl hineinatmen. Man stellt sich dabei vor, wie beim Einatmen der Atem zu der Körperstelle hinfließt, wo man etwas fühlt. Beim Ausatmen atmen wir die Luft von dieser Stelle her aus. Der Atem fließt dabei ruhig, natürlich und sanft. Man kann auch mit heilsamen Ideen arbeiten: "Schmerz atme ich aus." und "Heilende Energie atme ich ein." Zur Unterstützung kann man auch seine Hand auf die Körperstelle legen, wo man das Gefühl wahrnimmt.
  • Anregung durch Weisheiten: Man schaut, ob man zu seiner Problematik irgendwelche Weisheiten finden kann. Das Internet ist voll mit "Sprücheseiten" und über Google kann man gut recherchieren. Hat man z.B. das Thema Zukunftssorgen, googelt man z.B. nach "Zukunft sorgen Zitate". Vielleicht findet man so Weisheiten, die einem neue Denkrichtungen oder Einsichten eröffnen können.
  • Zufallsanregung: Man sucht sich zuerst einen Problemgedanken aus, den man oft denkt. Dann nimmt man sich ein Buch und schlägt irgendwo zufällig eine Seite auf und sucht sich dort eine zufällige Textstelle. Man hat also z.B. das Thema "Angst vor Smalltalk" und schlägt dann ein Buch auf und findet dort den Satz: "Diese Risikofaktoren können wir einteilen in solche, die wir beeinflussen können, und solche die wir nicht beeinflussen können." Beides hat erstmal überhaupt nichts miteinander zu tun und es ist eine zufällige "Begegnung". Doch wir können nun etwas daraus basteln, mit Phantasie. Man könnte z.B. zu der Einsicht gelangen, dass Smalltalk nie vorausberechenbar ist und aus der Spontanität etwas entsteht. Man kann es nicht planen oder kontrollieren und das ist es vielleicht, was mir Angst macht.
  • Der innere Weise: Man stellt sich vor, in einem existiert eine weise Person, die einen in schwierigen Situationen helfen kann. Man macht eine kleine Phantasiereise. Die weise Person wohnt z.B. im Wald, man reist gedanklich dahin, stellt sie sich vor und befragt sie dann nach diesem Problem. Vielleicht bekommt man eine Anwort, die einen ein Stück weiter bringt.
  • Absprachen mit sich selbst: Ständiges Grübeln ist sehr nervenaufreibend. Man kann eine Absprache mit sich treffen, um Grenzen zu setzen. Man vereinbart z.B., dass man am Tag nur zu einem genau definierten Zeitraum über diese Dinge nachdenken wird. Man vereinbart also Nachdenktermine mit sich selbst. Außerhalb dieses Termines unterbricht man das Nachdenken darüber, sobald es einem bewusst wird. Als Hilfestellung kann man sich auf einem Blatt notieren, worum es ging und kann dies dann in der Nachdenkzeit wieder aufnehmen. Dies hat einen weiteren Vorteil: Viele Gedanken entstehen lediglich aus einer momentanen Erregung. Es kann sinnvoller sein, im Moment der Erregung mit einem neutralen Blick beim Gefühl zu bleiben und dieses nicht durch Gedanken wegzumachen. Gedanken sind nicht selten eine Flucht vor den Gefühlen.
  • Auslöser identifizieren: Gibt es einen aktuellen Auslöser, warum bestimmte Gedanken dich gerade beschäftigen? Manchmal reicht schon eine Schlagzeile in einer Zeitung oder ein Beitrag im Fernsehen. Oder eine kleine Begebenheit mit anderen Menschen. Es ist gut, die Auslöser für Gedanken zu kennen. Und dann kann man noch unterscheiden lernen: Es gibt reale Schwierigkeiten im Hier und Jetzt, die einen gedanklich nicht loslassen. Und es gibt alte Wunden und Unerledigtes, was lediglich angetriggert wird und so wieder ins Bewusstsein kommt. Es ist gut, wenn man sich hier Klarheit verschafft.

Diese Tipps sind als Anregungen zu verstehen. Jeder Mensch ist anders und braucht auch etwas anderes. Finde für dich heraus, was hilfreich ist. Falls du eine Psychotherapie machst, kannst du auch dort klären, welche dieser Anregungen sinnvoll für dich sind. Genauso kannst du die Grübelproblematik zum Thema einer Therapiesitzung machen.

-- Fred

03.05.12 :: Interesse

Interesse ist eine ganz fundamentale Emotion im Leben eines jeden Menschens. Die Frage, wofür man sich gerade interessiert, ist spannend und zumeist auch Anknüpfungspunkt für lebendige Gespräche. Denn das, wofür wir uns interessieren, dafür sind wir offen, daran entwickelt sich eine Lust und eine Freude, daran hängt unser Herz. Im Moment. Interessen verändern sich nämlich typischerweise im Leben.

Man könnte mal seine Biografie schreiben nach dem Motto: Wo war mein Interesse in bestimmten Lebensphasen? Dies kann eine sehr spannende Analyse sein und vielleicht ergeben sich hieraus wichtige Erkenntnisse, was einen ausmacht und wo die weitere Reise hingehen könnte.

Interessen ziehen uns nämlich im Leben. Von unseren Interessen hängt viel ab, wer wir heute sind. Interessen bewirken, das wir uns bestimmten Dingen zuwenden und sie verfolgen. Mit welcher Ausdauer und welcher Intensität, das ist sehr verschieden. Manches weckt kurz unsere Neugier und ist dann schnell wieder vergessen. Anderes verfolgen wir längerfristig und es wird zu einem wichtigen Lebensinhalt.

Das wäre eine weitere interessante Frage: Wie habe ich meine Interessen im Leben verfolgt? Wie tief bin ich also hineingegangen, wie lange hat das Interesse angehalten, was hat mich vielleicht frustriert? Oder welche sonstigen Gründe haben dazu geführt, dass ich ein Interesse nicht weiter verfolgt habe?

Was ist eigentlich ein gesundes Interesse? Kann man sich für zu viel interessieren? Ist ein Desinteresse an all dem, was das Leben zu bieten hat, ein Alarmzeichen? Bietet mir mein Leben nicht genug? Müsste ich mich vielleicht umorientieren oder mir neue Möglichkeitsräume erschließen? Oder hat mich im Leben etwas resigniert, so dass ich kein Interesse mehr an irgendetwas aufbringen kann?

Interesse bedeutet, dass man sich etwas zuwendet und seine Energie da hinein gibt. Das Merkwürdige daran ist: Engagiert man sich im rechten Maß für etwas, dann baut einen das auf und vitalisiert. Dann wird man lebendiger. Man gibt also und bekommt was zurück, was einen noch mehr Energie gibt.

Gibt man zu viel, überfordert man sich. Burnout oder eine Depression kann die Folge von massiver Überforderung sein.

Hat man zu wenig Interesse, fließt auch wenig zurück. Das Leben wird langweilig, man fühlt sich schlaff und kraftlos. Ein zu wenig an Interesse kann aber auch die Folge ungünstiger Erfahrungen sein: Das man im Leben immer wieder die Erfahrung gemacht hat, dass aufkommendes Interesse sich nicht zu einer vitalen Energie entfalten und durch einen hindurchfließen konnte. Man konnte nicht auf der Welle des Interesses surfen. Das beglückende Erleben, welches durch Interesse ausgelöst werden kann, konnte nicht entstehen. Oder es entstand, war aber auch gleich wieder bedroht oder gefährlich.

Vielleicht gibt es ja auch Lebensphasen, wo es durchaus sinnvoll für das seelische Gleichgewicht ist, sein Interesse für die Welt zurückzuziehen. Um innerlich etwas zu verdauen, z.B. einen Schicksalsschlag. Trauer ist typischerweise damit verbunden, dass man sein Interesse an der Außenwelt zurückfährt. Wer intensiv Therapie macht, kann auch solche Phasen haben, wo die Aufmerksamkeit bei eigenen inneren Prozessen und weniger in der Außenwelt ist. Es kann aber auch sein, dass man dadurch erstmal Interesse für ganz alltägliche Dinge entwickelt, sich z.B. an der abendlichen Atmosphäre bei einem Sonnenuntergang erfreut.

In der Gruppenarbeit wird auch manchmal deutlich: Es gibt Interessenkiller. Das Fernsehen zum Beispiel erleben manche als eine einfache Form, sich interessiert zuzuwenden. Das ganze Interesse fließt dann ins Fernsehen. Und obwohl man hier auch etwas Unbefriedigendes spürt, kommt man doch nicht von los. Man schafft es nicht, davon loszulassen, um Raum für andere Interessen zu machen. Auch das Internet ist ähnlich verführerisch. Manche sitzen von früh bis abends vor dem Computer und geben ihre ganze Energie da hinein. Beides scheint spielend leicht unser Interesse zu wecken, zieht aber unser Interesse eben auch von anderen sinnvollen Dingen ab. Daraus kann dann ein Gefühl von Sinnlosigkeit resultieren, weil unser Interesse zu wenig in sinnerfüllte Zusammenhänge fließt.

Wie auch immer, es kann eine produktive Auseinandersetzung mit sich selbst sein, wenn man sein Leben mal durch den Blickwinkel "Interesse" betrachtet.

Buchtipp:

  • Verena Kast; Vom Interesse und dem Sinn der Langeweile

-- Fred

28.04.12 :: Broschüre: Wege zur Psychotherapie

Der Bundespsychotherapeutenkammer hat eine Aufklärungs-Broschüre zum Thema Psychotherapie herausgebracht.

Hier der Link:

26.04.12 :: Eigene Bedürfnisse kennenlernen

Sozialphobie heißt sehr oft Überangepasstheit. Das ganze Leben ist daraufhin ausgerichtet, es den Menschen recht zu machen, mit denen man im Kontakt ist. Man möchte nirgends anecken und möchte sich angenommen fühlen. Das scheint nach diesem Lebensmodell nur so zu funktionieren, in dem man alles dafür tut, die Wünsche und Bedürfnisse des anderen zu erkennen und diese dann zu bedienen. Natürlich passiert das oft genug völlig unbewusst.

Das Eigene erstmal wieder spüren zu lernen, ist ein wichtiger Schritt. Denn das bedeutet einen radikalen Aufmerksamkeitswechsel - weg vom anderen und hin zu mir. Was will ich jetzt eigentlich? Was täte mir jetzt gut? Was brauche ich eigentlich? In unseren Gruppen ist regelmäßig zu spüren, dass diese eigenen Bedürftigkeiten viel zu selten kommuniziert werden. Maximal kommen Bedürfnisse vorsichtig in Fragen verpackt zum Ausdruck, z.B. "Wollen wir jetzt oder später Pause machen?" Das eigentliche Bedürfnis könnte stattdessen lauten: "Ich bin nicht mehr aufnahmefähig und die Luft hier ist aufgebraucht, ich brauch mal eine Pause."

Ich glaube, es kann einen sehr viel unterstützen, wenn man in den Selbsthilfegruppen bewusst übt, seine Bedürfnisse zu äußern. Dies braucht anfangs großen Mut und wird einem völlig ungewohnt vorkommen. Vermutlich werden auch Ängste aufsteigen oder grundlegende Zweifel: Steht mir das überhaupt zu? Darf ich das? Bin ich nicht unverschämt?

Wichtig ist auch, aus der eigenen Biografie herauszufinden, warum man diesen Weg der starken Zurückhaltung seiner Bedürfnisse gewählt hat. Und ob die Gründe heute noch gelten. Oder könnte man heute eigentlich ein ganz anderer Mensch sein?

Sich um die eigenen Bedürfnisse zu kümmern, hat jedenfalls einen großen Vorteil: Man wird wesentlich öfters das bekommen, was man braucht. Und man macht sich unabhängiger von anderen. Ich erinnere mich da an ein Gruppenmitglied, was mir mitteilte, dass es sauer auf den Moderator war, weil der nicht für eine Pause gesorgt hat. Weil er sich nicht selber um sein Bedürfnis kümmerte, war er abhängig vom Moderator. Diese Form von Abhängigkeit durchzieht oft viele Situationen des Alltags - immer wieder hofft man darauf, andere Menschen mögen einen was anbieten, mögen die Befindlichkeit erkennen und für einen passend reagieren. Wie viel einfacher wäre das Leben, wenn man sich um all das selber kümmern könnte, was man gerade braucht.

Wer für sich klar hat, in welche Richtung er sich verändern will, kann sich positive Leitsätze suchen, die ihn unterstützen.

Beispiele für solche Sätze:

  • Ich darf mich zumuten
  • Ich darf etwas wollen
  • Was brauche ich jetzt?
  • Ich will meine Bedürfnisse mitteilen
  • Wichtig bist du und wichtig bin auch ich
  • Ich bleib bei dem, was ich denke und fühle
  • Was will ich jetzt eigentlich?
  • Was tut mir jetzt gut?
  • Die anderen werden es aushalten, wenn ich anderer Meinung bin

Das sind Ermutigungs- und Orientierungssätze. Denn es ist nicht leicht, sich aus einem alten und gut gewohnten Verhaltensmuster zu lösen. Es braucht Kräfte, die einen da hinausführen. Wenn man sich einen Satz durch die Woche mitnimmt und ihn bei vielen Gelegenheiten des Alltags innerlich wiederholt, kann das Veränderungen im Verhalten bewirken. Man experimentiert und probiert sich in neuen Verhaltensweisen aus. Es geht hier um kleine Schritte, die einen noch nicht zu stark beängstigen, die aber etwas Spannung aufbauen.

Das große Ziel wäre ein neues grundlegendes Lebensmodell. Nicht mehr nur für die Bedürfnisse der anderen zu leben und sich zu vergessen. Sondern sich als gleichwertiger Mensch wahrzunehmen, der Bedürfnisse, Wünsche, Ideen, Meinungen und Ziele hat und sich für diese auch einsetzt. Der Lohn dafür ist, wesentlich häufiger satt und zufrieden zu sein.

Gleichzeitig entsteht ein großes Selbstwertgefühl durch die Kompetenz, sich um seine Bedürfnisse und sein Leben kümmern zu können. Wer sich seiner Bedürfnisse bewusst ist und sie ausspricht, erlebt sich als gleichwertiger und eigenständiger Mensch. Das ist Selbstwert.

-- Fred

23.04.12 :: Bedingungslose Selbstannahme

In unseren Gruppen sprechen wir immer wieder über mangelndes Selbstwertgefühl. Eine Hauptursache für einen Mangel an Selbstwert ist, dass man nicht im Frieden mit sich selbst ist. Man mag sich nicht, lehnt Teile von sich ab, kann sich nicht annehmen. Das, was man an sich ablehnt, kann von Person zu Person ganz unterschiedlich sein, aber die innere Haltung der Selbstablehnung funktioniert immer nach dem gleichen Prinzip.

Es ist zu vermuten, das Selbstablehnung ein Introjekt ist: Wir sehen uns so, wie die Menschen um uns herum uns sehen oder gesehen haben. Wir glauben daran, das die Urteile der anderen Menschen über uns stimmen und haben sie verinnerlicht. Meist werden Urteile und Abwertungen über uns früh im Leben verinnerlicht. Und sind sie erstmal verinnerlicht, bekommen wir sie nicht mehr so einfach los. So kommt es, dass Abwertungen aus längst vergangenen Tagen auch heute noch so eine Macht auf uns haben.

Dies hat auch damit zu tun, dass wir soziale Wesen sind. In unseren Genen ist fest verankert, dass wir ein großes Interesse haben, friedlich und nahe mit anderen Menschen zusammenzuleben. So reagieren wir entsprechend empfindlich gegenüber allem, was andere Menschen an uns nicht mögen. Denn das ist ja eine Bedrohung für unser soziales Integriertsein.

Der Abwertungs-Mist muss wieder raus aus uns! Dafür braucht es ein längerfristiges Engagement und Training, weil dieses Abwertungs-Zeugs in uns so widerspenstig ist. Ich habe Menschen in Selbsthilfe und Therapie kennengelernt, die in dieser Kunst der Selbstannahme sehr weit gekommen sind. Sie hatten alle ein längeres Abenteuer der persönlichen Auseinandersetzung hinter sich, bei dem sie stark gefordert waren, aber auch sehr gereift sind.

Zur Selbstannahme gibt es eine geläufige Theorie: Jeder Mensch ist vollkommen wertvoll. In Wirklichkeit gibt es keinen Grund auf dieser Welt, warum man das Selbst eines Menschen in irgendeiner Form abwerten oder angreifen kann. Diese Weisheit ist sogar in unserem Grundgesetz zu finden: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."

Wenn ich mich also trotzdem entwertet und angegriffen fühle, dann muss das eine Täuschung sein. Menschen haben mir etwas glaubhaft gemacht, was so gar nicht sein kann. Von dieser Täuschung muss ich mich wieder befreien.

Es geht also immer wieder darum, meinen unbedingten Wert zu begreifen und den Irrtum aufzudecken. Das ist bedingungslose Selbstannahme.

Für die bedingungslose Selbstannahme braucht es eine klare Unterscheidung: Unsere Unzulänglichkeiten haben nichts mit unserem Selbstwert zu tun. Beides existiert eigentlich unabhängig, aber es vermischt sich so oft: "Weil du deine Suppe nicht gegessen hast, bist du ein schlechtes Kind!" und später "Weil du diese Arbeit nicht gut gemacht hast, taugst du nichts!" Viele Angriffe auf unseren Selbstwert basieren auf der Vermischung dieser beiden Ebenen. Wenn ich irgendwelche Anforderungen oder Wertmaßstäbe nicht erfülle, dann ist es nur das. Nicht mehr und nicht weniger und mit meinem Selbstwert hat das rein gar nichts zu tun. Das ist erstmal schwer verstehbar.

Genauso ist es mit Ansprüchen an uns selbst: Ein Scheitern heißt lediglich, dass das, was wir gewollt oder erwartet haben, nicht erfüllen konnten. Dies darf sich aber nicht mit dem Selbstwert vermischen. Dieser existiert unabhängig von allen Leistungen oder Seinsweisen.

Für die bedingunglose Selbstannahme gilt es also zu lernen, dass jede Nichterfüllung irgendeines Wertmaßstabes rein gar nichts mit unserem Selbstwert zu tun hat. Es bleibt lediglich die Nichterfüllung eines Wertmaßstabes. Wie dumm oder sinnvoll dieser Wertmaßstab auch sein mag.

Viele Wertmaßstäbe und Anforderungen an uns sind übrigens dumm und gefährlich. Bei jeder Form von Bewertung sollte man sehr achtsam sein. Sind das wirklich meine eigenen Maßstäbe, die ich für gut und sinnvoll annehmen kann? In der Regel laufen wir mit einer Menge falscher Vorstellungen rum, von denen wir uns erstmal reinigen müssen. Falsche Vorstellungen passen nicht wirklich zu uns, doch sie müssen reflektiert werden, damit wir das erkennen können.

Das Leiden vieler Menschen besteht hauptsächlich darin, dass sie ständig glauben, sie wären nichts wert, weil sie irgendwelche abstrusen Wertmaßstäbe nicht erfüllen. Das beschäftigt sie Tag für Tag und Stunde für Stunde. Und das Verrückte daran ist, das alles einfach nur eine Verwechselung bzw. Selbsttäuschung ist.

Eine Selbsttäuschung allerdings, die nicht so leicht zu knacken ist.

Buchtipp:

-- Fred

20.04.12 :: Hast du Ziele im Leben?

Wie fühlt sich diese Frage für dich an? Ist das eine Frage, die du spannend findest? Oder macht dir das eher Druck und löst unangenehme Gefühle aus? Oder hast du keinen Bezug zu Zielen und hast dir noch nie Gedanken darüber gemacht?

Fragt man Lebensberater, so sagen die fast alle: "Du brauchst klare Ziele im Leben. Ziele haben eine zentrale Bedeutung für dein Leben."

Und dann erstellt man jede Menge Zielformulierungen für die berufliche Karriere, für die Partnerschaft, für sportliche Betätigungen und sogar für Hobbys.

Ziel heißt immer, dass man irgendwo hin will. Und um dort hinzukommen, braucht es fast immer auch Anstrengung. Insofern kann die Frage nach Zielen unangenehme Gefühle auslösen, weil ja große Anstrengung und Entbehrung liebgewonnener Gewohnheiten da mitschwingt. Für die Erreichung des Ziels muss man das eine tun und das andere lassen. Das fällt nicht immer leicht.

Das Ziel selbst ist dann oft die Belohnung. Man wünscht sich ja, dort hin zu kommen, weil man irgendwelche positiven Dinge damit verbindet. Wer studiert, freut sich über einen interessanten Arbeitsplatz, der auch noch gut bezahlt wird. Gute Bezahlung macht dann z.B. schöne Urlaube möglich.

Das ist oft der Deal, den man bei Zielverfolgung eingeht: Man verzichtet kurzfristig auf Annehmlichkeiten und nimmt Anstrengung auf sich, um in der Zukunft dann Angenehmes zu ernten.

Wenn es um Erfolg in einer Leistungsgesellschaft geht, ist es ziemlich offensichtlich: Es braucht Ziele, die man systematisch, ausdauernd und geschickt verfolgt, um erfolgreich zu werden. Höchstleistungen entstehen nur, wenn man sein Tun konsequent zu einem Ziel hin ausrichtet. Ohne klare Zielverfolgung ist man gerade in beruflichen Zusammenhängen einer Leistungsgesellschaft verloren.

Unabhängig von den gesellschaftlichen Vorgaben könnte man auch fragen, ob Ziele wichtig und sinnvoll sind. Im Sinne eines guten Lebens sozusagen. Hier kommt es sicherlich auf die konkreten Lebensumstände an. Wer sich im Moment gerade wohl fühlt, bräuchte eigentlich auch kein Ziel. Denn da, wo er gerade ist, ist es ja gut. Wer hingegen wie Robinson auf einer einsamen Insel festsitzt, der muss sich Gedanken darüber machen, wie er von dort wieder wegkommt. Weg von einen einsamen Ort, hin zu etwas, was sich viel besser anfühlt.

Uns Menschen zeichnet die besondere Fähigkeit aus, eine Idee oder Vorstellung zu entwickeln und dann alles dafür zu tun, um dies Wirklichkeit werden zu lassen. Das ist eigentlich eine große Bereicherung, was das Leben hier hervorgebracht hat. Aufgrund dieser Fähigkeit haben viele Menschen Pläne umgesetzt und das Realität werden lassen, was zuvor nur in Gedanken da war. Gleichzeitig hat die Zielvorstellung große Energien mobilisiert und war sinnstiftend. Menschen, die sich mit einer Aufgabe verbunden fühlen, ziehen daraus oft eine große Zufriedenheit.

Umgedreht ist es so, dass Menschen, die keine Orientierung oder Aufgabe haben, Sinnlosigkeitsgefühle oder Langeweile in sich verspüren. Auch Trägheit macht sich breit, die langfristig auch zu Unzufriedenheit führt. Natürlich ist auch das Selbstwertgefühl direkt damit verbunden. Es gibt nur wenige Menschen, die dauerhaft untätig sein können und sich dabei wertvoll fühlen. Schnell kommt man dann auch zu der Frage: Warum bin ich überhaupt hier auf dieser Welt?

Vielleicht könnte man es so beantworten: Wir haben alle Lebenszeit geschenkt bekommen und wir können diese Lebenszeit auch gestalten. Es gibt immer auch Vorgaben, die wir im Moment oder auch dauerhaft nicht verändern können. Und es gibt den Bereich, den wir frei gestalten können.

Mach was draus! Gestalte den Tag! Warum? Weil es dich bereichern könnte. Und weil es die Welt grundsätzlich bereichern könnte. Umgedreht erfreut man sich an vielem. Wo kommt das her, woran man sich erfreut? Es kommt sehr oft daher, das Menschen Ziele hatten und diese beständig verfolgt haben. Sie haben etwas draus gemacht. Sie haben etwas ins Leben geholt, was vorher noch nicht da war. Und das erfreut nun viele Menschen. Das trifft für Künstler genauso zu, wie für Ingenieure, die Autos entwickelt haben. Wir profitieren alle tagtäglich von so vielen Errungenschaften, die nur durch Zielverfolgung entstehen konnten.

Manche Menschen hatten das Glück, das schon ihre ersten Erfahrungen von Zielverfolgung zu genügend Erfolg führten. Wer die große Freude erlebt hat, die durch Zielerreichung entstehen kann, ist infiziert davon. In ihm steigt immer wieder große Tatenkraft auf, wieder und wieder Ziele zu verfolgen. Und jeder Erfolg stärkt dieses Muster und gibt der Zielerreichung Kraft.

Andere hatten nicht so ein Glück und haben sich der Zielverfolgung vielleicht abgewandt. Zielverfolgung ist mit unangenehmen Gefühlen verknüpft, die vermieden werden wollen. Damit realisiert sich aber im eigenen Leben auch vieles nicht, was einen nähren könnte und was einem Lebenssinn gibt. Auch wird das große kreative Potenzial nicht erschlossen. Es ist irgendwie auch traurig, wenn Potenzial nicht gelebt wird.

Sozialphobie kann eine große einschränkende Kraft sein, die der Zielverwirklichung entgegensteht. Das Gefährliche daran ist auch: Ideen, Träume und Vorstellungen entstehen immer nur in dem Möglichkeitshorizont, der uns zur Verfügung steht. Wir denken also oft nicht über unsere Einschränkungen hinaus. Unsere Ideen entwickeln sich nur in unserem, von Sozialphobie eingeschränkten Vorstellungsraum.

Von daher kann es gut sein, sich mal zu fragen: Was würde ich im Leben alles tun, wenn ich mal alle meine Einschränkungen beiseite lasse? Mal ganz verrückt darüber nachdenken, was man alles tun würde und könnte. Ohne sich gleich wieder auf den Boden der Realität zurückzuholen. Wenn man nämlich in diesem Bereich seiner Phantasie erstmal freien Lauf lässt, kann sich etwas entfalten. Etwas, was zuvor nicht denkbar war, gestaltet sich nun in unseren Köpfen. Es nimmt Form an, wird konkreter. Innere Bilder entstehen. Vielleicht wird einem hierüber das eigene Potenzial bewusst oder die eigenen Träume und Sehnsüchte. Es ist gut, davon zu wissen und sich hier kennenzulernen.

Mit der Beschäftigung, was jenseits seiner Einschränkungen sein könnte, entsteht auch eine Kraft, seine Einschränkungen zu überwinden. Es ist doch total langweilig, lediglich seine Sozialphobie loszuwerden. Das motiviert doch nicht wirklich. Was motiviert sind die vielen interessanten Dinge, die ich dann tun kann, wenn ich nicht mehr so eingeschränkt bin. Und die muss man sich erstmal vorstellen, um eine Sehnsucht dafür zu entwickeln. Der neue Möglichkeitsraum ist das, was motiviert und uns die Kraft geben kann, über unsere Einschränkungen hinauszuwachsen.

-- Fred

09.04.12 :: Lied der Woche

Rüdiger Bierhorst - Frühling

07.04.12 :: Die Angst vor Abweichung

Es ist eine interessante Frage, was passierte, wenn wir im Leben abgewichen sind. Abgewichen von definierten oder vorgegebenen Wegen. In der frühen Kindheit, etwa vom 2. bis zum 4. Lebensjahr, gibt es die sogenannte Trotzphase. Hier versuchten wir, verstärkt unseren Willen durchzusetzen und uns gegen vieles aufzulehnen, was auf uns zukam. Später ist die Pubertät eine ähnliche Lebensphase, wo es darum geht, sich von Vorgaben zu lösen und eigene Wege auszuprobieren.

Die Frage ist hier, wie günstig oder ungünstig diese Phasen verlaufen sind. Denn das hat tiefgreifende Auswirkungen auf das weitere Leben. Auch später gibt es immer wieder Lebenserfahrungen, wo man von Vorgaben abwich und eigene Wege beschritt.

Eine typische Ausprägung ist, dass Menschen an diesen Punkten der Abweichung dramatische oder furchtbare Erfahrungen machten. Erfahrungen, die mit Angst und Schmerz verbunden waren. Das passiert z.B. dann, wenn strenge Eltern jede Abweichung von Vorgaben hart bestrafen. Man lernt als Kind: Tue genau das, was die Eltern von dir erwarten, ansonsten droht großes Unheil.

Mit der Kindheit ist diese Erfahrung nicht vorbei, auch später im Erwachsenenalter gilt dieses tief verinnerlichte Muster: Ängste kommen auf, wenn man in irgendeiner Form von den ebenso verinnerlichten Spielregeln, Normen und Leitideen abweicht. Diese Ängste und Selbstvorwürfe können so stark werden, dass eine Abweichung von den Normen nicht möglich ist und man so weiter konform nach den alten Vorgaben leben muss. Man ist sozusagen gefangen in den Normen und Verhaltensweisen, die man irgendwann mal in sich aufgenommen hat.

Auch wenn das Befolgen von Normen und Vorgaben manchmal sehr hilfreich und entlastend sein kann, so bringt es ein großes Problem ins eigene Leben: Unflexibilität. Man kann seine Verhaltensweisen nicht mehr den Gegebenheiten und den Veränderungen des Lebens anpassen. Man ist nicht mehr anpassungsfähig und das ist eine große Bedrohung für alles Leben. Man kann nur noch nach festen Mustern agieren.

Interessant ist, dass nicht einmal direkte Bedrohungs- oder Strafszenarien einen selbst geprägt haben müssen. Eltern, die selbst autoritär aufgewachsen sind und diese Angst und Unflexibilität verinnerlicht haben, geben dies an die Kinder weiter. Auch wenn sie selber keinen autoritären Erziehungsstil haben. Kinder beobachten, wie Eltern panisch auf jede Abweichung bestimmter Normen reagieren und übernehmen diese Ängste auf diese Weise.

Menschen, die so geprägt sind, können oft in vielen Zusammenhängen gut funktionieren. Je nach Prägung können sie sehr zuverlässig sein und erfüllen alle Aufgaben zu großer Zufriedenheit. Sie funktionieren sozusagen gut innerhalb ihrer Prägung. Sie können aber aus dieser Prägung nicht heraus und leiden oft darunter. Und wenn gesellschaftliche Werte oder Anforderungen sich ändern, fallen sie schnell aus dem System raus. Sie sind nicht mehr anpassungsfähig, weil die Angst jede Anpassung verhindert.

Im Alltag muss alles nach Plan laufen, Chaos oder Spontanität wird als Bedrohung erlebt. Meist läuft der Tag auch nach einem festen Schema ab, Struktur gibt Halt.

Eigentlich könnte man davon sprechen, dass es eine lange Zeit versteckte Angsterkrankung ist. Diese fällt erst dann auf, wenn man diese festen Strukturen nicht mehr leben kann. Wenn man abweichen muss von dem, was als halbwegs angstfrei lebbar ist. Erst dann wird einem das Gefängnis bewusst, in dem man die ganze Zeit lebte.

Wie findet man wieder zu seiner Flexibilität zurück? So verschieden die therapeutischen Wege auch sind, es braucht immer den Mut, Angstgrenzen zu überwinden. Also Wege einzuschlagen, die bisher durch eine Angstbarriere verschlossen blieben. Das macht Angst und man tut es trotzdem. Mit der Zeit entsteht ein Erfahrungswissen, wie man Angstgrenzen durchschreitet. Man wird sozusagen zum Helden, der mutig, aber nicht leichtsinnig, voranschreitet. Man lässt sich nicht mehr einschüchtern, von Angstgrenzen, sondern fängt an, mit ihnen zu spielen. Hat man erstmal ein paar Angstgrenzen überwunden und sich Freiheit erobert, wächst die Lust und die innere Kraft, es noch mit vielen weiteren Angstgrenzen genauso zu tun. Natürlich gehört auch das Scheitern dazu. Manche Angstgrenze entpuppt sich als sinnvoll, die man hätte besser nicht überschreiten sollen. Oder man muss erst einen anderen Weg finden, geschickter werden, um sie überschreiten zu können.

Natürlich wird man auch eingeschüchtert und der Mut verlässt einen immer wieder mal. Hier braucht es hilfreiche Wegbegleiter. In Selbsthilfegruppen findet man Menschen, die ähnliche Wege gegangen sind. Und Therapeuten können einen immer wieder ermutigen und Rückhalt geben.

Der Rebell in uns kann zu einem wichtige Verbündeten werden. Dabei geht es aber nicht darum, gegen alles zu rebellieren. Das wäre auch wieder unreif und einseitig. Spielregeln können gut sein, weil sie das Miteinander und das eigene Leben wesentlich vereinfachen. Es geht vielmehr darum, die nicht mehr sinnvollen Normen, Vorstellungen, Glaubenssätze und Verhaltensweisen zu erkennen und sich davon zu befreien. Um ein selbstbestimmtes Leben zu führen und wieder anpassungsfähig zu werden.

Die gewonnene Flexibilität erhöht übrigens auch die Lebenslust. Denn die Lust speist sich oft aus dem Spontanen, aus dem Unvorhersehbaren. Wer wieder offen für das ist, was sich jenseits des Gewohnten ereignet, hat sich dem Leben geöffnet. Und das ist die Quelle für Lebenslust.

-- Fred

05.04.12 :: Überstehen wollen: Ein zentraler Fehler bei der Angstbewältigung?

Hoffentlich hab ich das hier bald überstanden und bin wieder in meinem sicheren zu Hause!

Ich kenne diese Denkart sehr gut und doch erscheint es mir immer häufiger so, dass es genau der verkehrte Ansatz ist, den man da praktiziert. Das Unangenehme bleibt das Unangehme und die Energie konzentriert sich darauf, da möglichst bald heraus zu kommen. Soll denn Angstbewältigung in die Richtung zielen, sich möglichst schnell allem Unangenehmen wieder zu entziehen?

Es gibt eine lohnende Angstbewältigung, die in eine andere Richtung zielt. Es geht darum, aus Scheiße Gold zu machen. Die Frage lautet: Wie kann ich mich in dem wohl fühlen, was ich jetzt noch als unangenehm erlebe? Also keine Flucht vor dem Unangenehmen, sondern eine Wandlung: Das Unangenehme soll lebbar werden. Immer mehr Situationen des Lebens sollen eine Qualität bekommen, in der ich mich wohl fühle. Oder zumindest sollte ich sie gut durchstehen können. Wie kann das gelingen?

Schon alleine dieser Gedankenwechsel kann in Zukunft bewirken, anders mit unangenehmen Situationen umzugehen. Wie kann es mir gelingen, die gerade unangenehme Situation als angenehmer zu erleben? Was ist eigentlich im Moment so unangenehm? Das sind wichtige Fragen, die sich erst dann entwickeln, wenn man nicht einfach nur raus will aus einer Situation. Gleichzeitig wird jede unangenehme Situation zu einem interessanten Übungsfeld. In einer Klinik ermunterten uns die Therapeuten öfters: Wenn wir auf etwas zusteuerten, was eigentlich unangenehm war, sagten sie: Wunderbar, das ist genau das, woran du jetzt üben kannst.

Hineinzuspüren, Gefühle zuzulassen, auch wenn sie unangenehm sind, zielt auch in diese Richtung. Ich flüchte nicht mehr vor dem, was gerade da ist, sondern entspanne mich sozusagen in das unangenehme Gefühl hinein. Ich sage innerlich ja zu diesem Gefühl, es ist schön, dass du jetzt da bist, ich will dich mal völlig auskosten. Das klingt verrückt, aber wer durch Angst entrückt ist, braucht verrückte Ideen, um wieder in die Normalität zurück zu finden.

Unsere Bewertung, wie wir Situationen nehmen, hat großen Einfluss darauf, wie wir sie erleben und welche Gefühle in uns aufsteigen. Wenn es regnet, kann man sich darüber ärgern und aufregen. Man kann auf das Scheißwetter schimpfen und schlechte Laune bekommen. Was in Wirklichkeit ist, sind ein paar Regentropfen, die auf meine Haut fallen. Man kann lernen, von seinen ganzen Bewertungen mal loszulassen, die Situation anzunehmen und einfach mal zu spüren, wie genau sich etwas anfühlt. Ist man mit der Aufmerksamkeit auf das konkrete Erleben, ist man weg von der Bewertung. Und das verändert schon viel.

Achte mal auf Momente in deinem Alltag, denen du am liebsten entfliehen möchtest. Und dann probiere mal aus, wie es ist, es anzunehmen - genau das, was jetzt da ist. Konzentriere dich auf die konkrete Erfahrung im Hier und Jetzt. Ohne es irgendwie verändern zu wollen. Das wirklich zu können, ist eine lange Reise, aber jede Reise beginnt mit einem Schritt.

-- Fred

01.04.12 :: Sexualbegleitung bei Sozialphobie

Seit einigen Jahren gibt es sie, die Sexualbegleitung. In der Altenpflege ist schon längere Zeit die Problematik bekannt, dass sexuelle und körperliche Bedürfnisse natürlich auch im Alter genauso vorhanden sind, aber keine Möglichkeit mehr besteht, diese auszuleben. Vor ein paar Jahren sah ich zum ersten mal eine Reportage über Catharina Koenig aus Bochum, die eine Sexualbegleiterin ist. Sie fährt zu ihren Klienten, z.B. ins Altersheim. Dort sorgt sie sich um die sinnlichen und sexuellen Bedürfnisse. Hierbei geht es nicht um den schnellen Sex, wie es bei der Prostitution typisch der Fall ist. Es geht vielmehr um einen sinnlich-erotischen Erfahrungsraum, der sich auch zeitlich mehr ausdehnen kann. Geschlechtsverkehr und Küssen werden hier auch typisch ausgeschlossen. Ihr Angebot kostet 100 Euro pro Stunde.

In unseren Gruppen haben wir auch immer wieder das Thema Partnerschaft und Sexualität. Es ist nachvollziehbar, dass von Schüchternheit Betroffene oft auch Probleme haben, sich dem anderen Geschlecht zu nähern und Partnerschaften aufzubauen. Insofern haben wir auch bei unserer Problematik ein großes Defizit an sexuell-sinnlichen Erfahrungsräumen.

Dieser Mangel hat weitreichende Folgen, wie Studien von Krankenkassen belegen. Ein Mangel in diesem Bereich kann Depressionen und Ängste begünstigen oder auslösen. Auch das Selbstwertgefühl kann betroffen sein. Schlussendlich entstehen ganz nüchtern betrachtet für die Krankenkassen hohe Kosten aufgrund mangelnder sinnlicher Erfahrungsräume.

Obwohl Krankenkassen der Sexualbegleitung bisher sehr skeptisch gegenüberstehen, waren bisherige Studien dazu so überzeugend, dass nun im Juli ein Pilotprojekt starten soll. Männer, die noch nie einen Sexualpartner hatten, über 25 Jahre alt sind und schonmal wegen sozialer Phobie in psychologischer Behandlung waren, können an diesem Pilotprojekt teilnehmen. Sie bekommen alle 14 Tage die Möglichkeit, sich mit einer Sexualbegleiterin für 1 Stunde zu treffen. Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet. Ziel ist es herauszufinden, wie die Lebensqualität durch diese Maßnahme gesteigert wird und so behandlungsbedürftige psychische Erkrankungen abnehmen. Es könnte nämlich sein, dass diese Form der Hilfe sich als wesentlich wirksamer und günstiger erweist, als jahrelange Psychotherapie.

Das Projekt soll über ein Jahr laufen. In dieser Zeit müssen die Teilnehmer regelmäßig Fragebögen ausfüllen, die dann ausgewertet werden. Insgesamt können in Dortmund 20 von Sozialphobie Betroffene an diesem Pilotprojekt teilnehmen. Die Krankenkassen haben sich an uns gewendet, um so in Kontakt mit Betroffenen zu kommen. Es wird derzeit noch nach einem Weg gesucht, wie man die Kontaktaufnahme diskret gestalten kann. Wir informieren euch, sobald der Zugangsweg klar ist.

-- Fred

Weblinks:

Nachtrag: Auch wenn so ein Angebot vielleicht sehr hilfreich wäre, so war es leider nur unser Aprilscherz für dieses Jahr. Wer also Interesse hat, müsste es selber finanzieren.

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