Sopha Selbsthilfe

Aktuell (Archiv 2012-Q1)

27.03.12 :: Prokrastination

Was ist denn das für ein Wort? Es steht für eine Verhaltensweise, die wohl alle Menschen irgendwie kennen. Man kann es auch als Aufschieberitis bezeichnen: Dinge, die eigentlich wichtig sind und eine Bedeutung haben, verschiebt man immer wieder. Warum? Weil die Dinge irgendwie unangenehm sind. Man muss sich überwinden, sie zu tun. Sie lösen Unlust, Widerwille und Desinteresse in einem aus. Durch die Aufschiebung entstehen aber Nachteile, die dem Betroffenen bekannt sind.

Hier entsteht eine interessante Psychodynamik: Etwas, was einem sowieso schon unangenehm ist, wird durch das Aufschieben noch mehr mit unangenehmen Gefühlen beladen: Angst und Schuldgefühle entstehen, weil man es eigenlich schon viel zu lange vor sich hergeschoben hat. Und das kann dann zu noch mehr Verdrängung führen, womit die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass man die Dinge mal angeht.

Bei einer Angsterkrankung hat man immer wieder im besonderen Maße unangenehme Situationen vor sich. Diesbzüglich mehr, als ein Normalmensch. Es sind all die Situationen, die verstärkt Angst machen, die man aber bewältigen muss oder will. Mit einer Angsterkrankung kommt man also häufig auch in Kontakt mit dem Phänomen der Prokrastination.

Der erste Schritt zur Bewältigung ist, dass man ein Phänomen mal klar erkennt und benennen kann. In einer Klinik arbeiteten die Therapeuten mit uns immer wieder in die Richtung, unsere Schwierigkeiten klar benennen zu können. Wörter können da eine große Hilfe sein. In etwa so, wie zu uns auch immer wieder Menschen kommen und sagen, es hätte ihnen viel geholfen, endlich zu wissen, dass sie unter einer Sozialphobie leiden. Das Wort Sozialphobie benennt das klar, was man so lange nicht klar benennen konnte. Und es zeigt gleichzeitig, dass viele weitere Menschen genau dieses Phänomen kennen. Man ist nicht alleine.

Mit Prokrastination ist man garantiert auch nicht alleine. Von daher gibt es auch unzählige Ansätze, wie man das Problem in den Griff bekommt und unendlich viele Bücher, die dieses Thema aufgreifen, auch wenn sie andere Begrifflichkeiten verwenden.

Beim Baden in kaltem Wasser kann man 2 Bewältigungs-Strategien beobachten. Es gibt einige, die rennen möglichst schnell hinein. Nach dem Motto, wenn schon unangenehm, dann will ich es schnell hinter mich bringen. Nach kurzer Zeit im kalten Wasser fühlt man sich ja auch wohler. Die anderen machen es langsam und schrittweise. Sie dosieren das Unangenehme, brauchen zwar länger aber sind auch irgendwann im Wasser. Sie haben nicht den großen unangenehmen Moment, sondern teilen den auf.

Ganz ähnlich ist das übrigens, wenn man sich ein Pflaster abzieht, manche bevorzugen die Schnell-Methode und andere knibbeln es behutsam langsam herunter. Beides sind mögliche Alternativen, die beide eine gewisse Attraktivität haben.

Wer Themen erst gar nicht an sich heranlässt und sie ganz weit aus seinem Bewusstsein verbannt, kann sich einen festen Rahmen schaffen, der hilft, Unangenehmes zumindest erstmal zu durchdenken. Man kann z.B. einen Termin mit sich vereinbaren, an dem man sich einem Thema zuwendet. Hier kann man auch versuchen, es sich angenehm zu gestalten. Für manch einen hat die wöchentliche Therapiestunde einen ähnlichen Sinn: Sich den Dingen zuzuwenden, die man sich sonst nicht anguckt. Und auch die Selbsthilfegruppen dienen oft dem gleichen Zweck: Man hat einen Termin, zu dem man sich mal Dinge anschaut, die sonst keinen Raum bekommen. In dieser Art kann man sich dann auch mit sich selbst Termine vereinbaren, wo man zu den unangenehmen Dingen hinschaut.

Wenn man mit unangenehmen Dingen weiter kommen will, braucht es klare und konkrete Vereinbarungen mit sich selbst. Es reicht nicht, sich zu sagen: "Wenn Zeit ist, werde ich mich mal drum kümmern." Solche Sätze sind nicht konkret, in ihnen ist sozusagen die Vermeidung gleich eingebaut. Ein guter Satz wäre: "Morgen nach der Arbeit werde ich mich darum kümmern." Das ist eindeutig und klar. Man muss sich nichts Großes abverlangen, wenn man nicht will, aber wenn man sich überhaupt dazu entscheidet, irgendwas tun zu wollen, dann muss die Entscheidung eindeutig und klar sein.

Sich immer mal wieder etwas abzuverlangen, was nicht angenehm ist, ist ein wichtiger Beitrag für psychische Gesundheit. Sonst wird man nämlich geistig zu träge und bequem. Und dann verkümmern wichtige geistige Fähigkeiten, vor allem die Willenstärke. Und daran kann dann auch das Selbstwertgefühl gebunden sein: Wer seine geistigen Kräfte nicht spürt, traut sich nichts zu. Wenn wir dagegen Kraft und Kompetenz in uns spüren, wenn wir Dinge geregelt bekommen, dann baut das auf.

Prokrastination kann für manche Menschen zu einem zentralen Problem werden. Dann ist es wichtig, sich hier therapeutische Hilfe zu holen. Einerseits kann man schauen, was die Ursachen für die ständige Aufschieberei sind. Und andererseits kann man sich unterstützen lassen, Bewältigungsstrategien zu erlernen. Letzeres lernt man vor allem bei einem Verhaltenstherapeuten, der sich nicht um den Finger wickeln lässt. Der nicht 3 Jahre immer wieder die unzähligen Gründe schluckt, warum wir etwas nicht tun konnten. Ein scharfsinniger Mensch, der uns genau an den Punkt führt, der so schwer ist und uns dort hilfreich zur Seite steht.

Chuck Spezzano brachte es mal so auf den Punkt: "Nach zehnjähriger Therapeutentätigkeit bin ich allmählich auf einen Sachverhalt aufmerksam geworden, der mir bis dahin entgangen war, nämlich daß es sich bei den Problemen, mit denen sich meine Klienten abzugeben schienen, größtenteils um Ablenkungs-, Verzögerungs- und Täuschungsmanöver handelte."

Wenn es gelingt, in Therapie zum Eigentlichen hervorzudringen und dort auch wirklich etwas zu verändern, dann ist etwas Wertvolles geschafft.

Weblinks:

20.03.12 :: Dem Leben eine eigene Richtung geben

Gestern lief im Fernsehen eine Sendung über Glück. Ein Therapeut sagte zu einem Patienten etwas für mich Interessantes: Du kannst dich entscheiden, ob du deinem Leben eine Orientierung gibst. Dann bist du es, der bestimmt. Oder aber das Leben wird dir ständig Druck machen und das fühlt sich nicht gut an.

Diese Aussage war natürlich sehr konkret auf die Situation des Patienten abgestimmt, der sich gerade sehr treiben lies und den Mut verloren hatte, was Eigenes zu machen. Ich fand die Aufmunterung aber gut, das eigene Leben zu gestalten und ihm so eine Richtung zu geben.

Bei sozialen Ängsten gibt es eine große Tendenz, nicht anzuecken und es allen anderen Recht zu machen. Man ist überangepasst. Der Überangepasste schwimmt mit der Masse mit und bringt so keinen eigenen Impuls mit hinein. Gleichzeitig ist er oft still oder sehr im Hintergrund. Auch das ist eine Strategie, nicht mit etwas Eigenem anzuecken.

Möchte man sich aus seinen sozialen Ängsten befreien, ist es gut, seine Angewohnheiten zu konfrontieren, die aus den sozialen Ängsten entstanden sind. Angewohnheiten, die zwar Ängste und Risiko vermeiden, die aber unglücklich machen, weil sie für einen großen Mangel sorgen. Man lebt sozusagen ein Leben, dem Wesentliches fehlt.

Hier wäre dann die Frage: Wie kann ich im Kontakt mit anderen mehr die Seite zeigen, die nicht konform mit anderen ist? Wie wird meins spürbar, was vom anderen abweicht? In dieser Hinsicht sind viele Betroffene wenig geübt.

Ich finde es immer wieder faszinierend, wenn Menschen klar etwas Eigenes vertreten können und sich so aus der Masse hervortun. Und dies gleichzeitig herzlich und freundlich tun. Freundlich, aber klar und bestimmt. Darin sehe ich eine echte Kunstfertigkeit, die viel Übung braucht. Denn darum geht es ja: Die anderen mit dem eigenen nicht vor den Kopf zu stoßen und Gräben zu errichten. Sie stattdessen einzuladen, sie für die eigene Meinung zu gewinnen oder zumindest ein Verständnis füreinander zu entwickeln. Wie kann das Verschiedene gesehen, gehört und gewürdigt werden, ohne das gleich Frust, Verärgerung oder Hass daraus entsteht? Wie ist genug Raum für jeden mit seiner eigenen Meinung und seinem eigenen Willen?

Hier zeigt sich, dass Selbsthilfearbeit nicht nur Problembearbeitung ist. Es geht auch darum, dass jeder herausfindet, was ihn ausmacht, was er will, welcher Orientierung er folgen möchte. Dies klar herauszuarbeiten und zu üben, dies auch zu vertreten. Interessanterweise bringt gerade dieser Aspekt das von vielen so ersehnte Selbstvertrauen bzw. Selbstärke. Das ist auch ganz logisch, weil nur ein Selbst, was sich deutlich und klar im Kontakt mit anderen erlebt, auch eine Anerkennung und ein Bewusstsein für sich selbst entwickelt. Das Gefühl von Selbstbewusstsein braucht also erstmal den Erkenntnisprozess, was mich eigentlich ausmacht. Und dies muss immer wieder in Kontakt gebracht werden, man muss darüber diskutieren, sich mit anderen daran abarbeiten. Dann festigt sich etwas und das eigene Wesen tritt hervor.

-- Fred

18.03.12 :: Qualitätszirkel

Wir haben heute eine neue Idee erprobt. Es soll darum gehen, dass sich Vertreter aller 3 Gruppen regelmäßig treffen, um über die Gruppenarbeit zu reflektieren.

Wichtige Fragen in diesem Prozess sind:

  • Was läuft gut und soll erhalten/gefördert werden?
  • Was braucht unsere Aufmerksamkeit?
  • Wo gibt es Probleme, Defizite und Schwierigkeiten? Was ist anfällig/instabil?
  • Wo gibt es Gefahren und Risiken? Wovor müssen wir uns schützen/abgrenzen?
  • Wo gibt es Chancen, Ideen, Neues und Entwicklungsmöglichkeiten?

Es geht also darum, ein gewisses Bewusstsein für das zu fördern, was wir tun, wie wir es tun und was wir besser machen können. Besser im Sinne, dass wir uns besser gegenseitig helfen können, dass Frust, Ärger und sinnlose Kraftverschwendung reduziert wird und das wir Chancen erkennen und nutzen.

Das Gespräch hat viele Impulse und Ideen gebracht, es war reichlich Gesprächsbedarf vorhanden. Wir werden schauen, dass wir so alle 2-3 Monate so eine Sitzung machen. Gerade die gruppenübergreifende Zusammensetzung schafft nochmal neuen Begegnungsraum und man kann von den Erfahrungen der anderen Gruppen lernen.

Der Sinn des Qualitätszirkels ist nicht, alle möglichen Aufgaben zu übernehmen. Vielmehr sollen die Impulse aus den Gesprächen in die Gruppen getragen werden, damit sie sich dort weiterentwickeln können und konkretisiert werden.

Den Begriff "Qualitätszirkel" haben wir erstmal vorläufig gewählt. Einerseits ist es ein fest etablierter Begriff im Gesundheitswesen und in der Wirtschaft, andererseits wirkt er im Zusammenhang mit Selbsthilfe etwas überzogen oder zu hoch aufgehängt. Wir sind da noch auf der Suche nach einem besseren Begriff.

Ein großer Unterschied beim Qualitätsmanagment im Selbsthilfezusammenhang besteht übrigens darin: Wir müssen keine hochgesteckten Anforderungen von außen erfüllen. Das meiste, was wir tun und wofür wir uns einsetzen, ist eine freie Entscheidung. Wenn wir uns allerdings für etwas entscheiden, braucht es auch eine gewisse Verbindlichkeit, damit wir gemeinsam einer Idee folgen können.

-- Fred

05.03.12 :: Lied der Woche

Max Prosa - Totgesagte Welt

28.02.12 :: Ist Schüchtern sein falsch?

Hier ein Artikel dazu auf Neuropool.com

27.02.12 :: Fehlende Handlungsmuster erzeugen Panik

Als kleines Kind wurden wir öfters in völlig neue Situationen hineingeworfen. Situationen, für die wir noch keine Handlungsmuster hatten. Gelingen können solche Situationen, wenn wir behutsam hineingeführt werden und Rückzugsmöglichkeiten haben. Dann können wir uns ausprobieren und wenn es zuviel wird, gibt es immer den Weg des Rückzugs, weil dann z.B. Papa oder Mama einspringen.

Wenn der Weg des Rückzuges nicht da ist und wir in einer neuen Situation völlig auf uns selbst zurückgeworfen werden, dann kann schnell Panik auftreten. Sich in die Enge getrieben fühlen und keine Handlungsalternative zu sehen, führt ganz oft zu Panik. Als Kinder sind wir dafür besonders anfällig, weil wir ja vieles noch nicht kennen und noch keine Handlungsmuster ausgebildet haben. All die Situationen, in denen wir mit Panik reagiert haben, setzen sich im Gehirn besonders gut fest. Der Organismus will sich schützen, nie wieder in so eine Situation zu kommen. Gleichzeitig entwickelt sich ein Frühwarnsystem: Man erkennt schon sehr früh, wenn solche Situationen drohen könnten, entwickelt Ängste und sucht nach Auswegen, um nicht wieder in diese Situation zu kommen. Der Gefahrenbereich wird sozusagen weiträumig abgesperrt und umgangen.

Diese frühe Panikerfahrung mit der nachfolgenden Vermeidung sorgt dann dafür, dass wir in diesem Bereich nichts mehr lernen. Wir können uns nicht nochmal unbefangen solch einer Situation nähern, um neue Erfahrungen zu sammeln. Das abgesperrte Gebiet bleibt totes Land, was wir nicht mehr betreten.

Dieses Nicht-Lernen führt dazu, dass keine neuen Handlungsalternativen entstehen, die uns helfen würden, mit diesen Situationen umzugehen. Und so bewahrt sich die Panik in diesem Gefahrengebiet manchmal sehr lange im Leben. Das sind die Momente, wo man als erwachsener Mensch in Situationen kommt, wo man panikartig reagiert und sich genaus fühlt, wie als kleines Kind. Verbunden mit dem Gefühl, in die Enge getrieben zu sein und nicht mehr zu wissen, was man tun soll.

Besonders unangenehm sind solche Situationen wo ein größerer Handlungsdruck auf uns zukommt, wir aber keine Handlungsalternative abrufen können. Die Panik lähmt uns und macht jeden kreativen Bewältigungsversuch unmöglich. Wir hängen fest in der Panikfalle und es geht gar nichts. Die unerträgliche Situation wiederholt sich, dass von uns etwas erwartet wird und wir völlig blockieren oder versagen. Im Erwachsenalter ist diese Situation dann zusätzlich noch mit Scham verbunden, weil das Umfeld nun meine Unfähigkeit mitbekommt und mich vielleicht als sehr merkwürdig empfindet. Man fühlt sich bloßgestellt und möchte sich am liebsten nur noch verkriechen. Dies kann wiederum zur Folge haben, dass man sich selbst ablehnt. Man haßt sich dafür, dass man so ist, wie man ist. Die Energie richtet sich dann gegen sich selbst und das führt zu einer weiteren Verfestigung des Problems.

Ein hilfreicher Ansatz wäre, wenn es irgendwie gelingt, neue Handlungsalternativen zu erlernen. Genau an dem Punkt, wo man sonst normal in Panik gerät. Ein typisches Beispiel wäre der Blackout, den man bei einem Vortrag oder in einem Gruppengespräch fürchtet. In der Selbsthilfegruppe könnte man sich nun vornehmen, ganz offen mit seinem Blackout umzugehen, den anderen also mitzuteilen: "Ich hab gerade einen Blackout, ich geb das Wort erstmal ab." Wenn das gut gelingt und gefestigt ist, könnte man in einem nächsten Schritt auch probieren, den Druck nicht gleich wieder rauszunehmen: "Ich hab gerade einen Blackout, lasst mir mal einen Moment, vielleicht finde ich gleich wieder meinen roten Faden." Der Lernschritt wäre hier dann, trotz der wartenden Haltung der anderen eine innere Ruhe in sich entwickeln zu können, in der die Gedanken wieder freier fließen. Das Gute an einer Selbsthilfegruppe ist ja, dass andere für einen Verständnis haben und man Situationen so absprechen kann, dass ein Lernerfolg möglich wird. Die anderen haben in der Regel kein Problem, dem Übenden die Zeit zu geben, um sich wieder zu finden.

In Projektgruppen, die wir immer mal wieder machen, kann man z.B. Vorträge üben. Auch hier ist es gut, genau die Situationen zuzulassen, die man so fürchtet. Anstatt sich also zu sagen: "Ich darf jetzt auf keinen Fall einen Blackout bekommen." kann man sich einstimmen: "Alles, was passiert, ist gut so. Alles was passiert, ist eine Lernchance."

Hier zeigt sich auch ein schwieriges Muster, was man bei der Angstbewältigung immer wieder vorfindet. Es gibt Kräfte in uns, die wollen all das vermeiden, was angstbesetzt ist. Doch eine Selbsthilfegruppe, die es sich so einrichtet, dass alle ihre Ängste vermeiden, verändert nichts. Hier findet man auch immer wieder ein Spannungsfeld: Es gibt Kräfte, die drängen nach Veränderung und Konfrontation mit den Ängsten. Und es gibt Kräfte, die alles Neue und jede Veränderung meiden wollen. Dieses Spannungsfeld ist sowohl in der Gruppe, wie auch in jedem Einzelnen spürbar. Hier ist die Gruppe immer wieder gefordert, eine Antwort zu finden.

Eine weitere wichtige Bewältigungsstrategie, die zahlreiche Betroffene immer wieder bestätigen, ist die Selbstannahme. Selbsthaß und Selbstablehnung sorgt dafür, dass Probleme sich verfestigen und wir noch mutloser werden. Wenn wir wieder lernen, uns anzunehmen und uns auch mit den schwierigen Seiten zu mögen, dann nimmt das an sich schon eine Menge psychischen Druck aus der Sache und die Chancen steigen, dass wir uns konstruktiv unseren Problemen zuwenden.

-- Fred

26.02.12 :: Der frei schwingende Modus bei Smalltalk und Flirt

Smalltalk ist etwas, was sozial ängstlichen Menschen vielfach schwer fällt. Wenn wir herumfragen, woran Betroffene üben wollen, so besteht hieran immer wieder Interesse. Auch das Flirten ist ganz ähnlich gelagert, weil auch dies ganz ähnlich funktioniert.

Es gibt einen Grund, warum Smalltalk oft so schwer fällt. Smalltalk entwickelt sich am besten aus einer entspannten und gelassenen inneren Haltung, in der spielerisch und kreativ die Energie fließt. Hieraus entsteht dann auch Spontanität, in der man mit den Dingen des Augenblicks spielt. Und das wiederum ist anregend und interessant für den Gesprächspartner.

Angst hingegen führt zu einem anderen inneren Modus. Nichts fließt mehr frei, stattdessen kann man nur noch mechanistisch auf bestimmte Reize mit festen Verhaltensmustern reagieren. Man ist verkrampft. Man verliert sozusagen die große Freiheit in sich und wird immer festgelegter auf ein paar wenige Reaktionsweisen. Durch Angst zieht sich vieles in uns zurück und wird stumm. Es traut sich nicht mehr, sich zu zeigen. Die Angst verdrängt die Lust am Gespräch, die so vieles möglich macht.

Mir ist aufgefallen, dass Betroffene auch in einer eigentlich entspannten Situation nicht in diesen entspannten und frei fließenden inneren Modus umschwenken können. Vielleicht ist ihnen diese innere Haltung nicht geläufig, sie kennen dieses lustvolle kreative Schwingen in sich nicht. Die durch Angst entstandenen Kommunikationsmuster werden dann auch in entspannten Situationen genutzt.

Insofern glaube ich daran, dass es eine gute Idee ist, überhaupt erstmal in einem entspannten Rahmen seine lustvoll-kreative Seite zu entdecken und zu fördern. Freude und Spaß daran zu entwickeln, sich in dieser Form zu erleben. Wenn durch diese Übung sich auch entspannte Kommunikationsmuster entwickeln, dann sind die nach meiner Erfahrung auch in angespannten Situationen noch nutzbar.

Aus dieser Erkenntnis heraus erscheint es mir lohnend, in Projektgruppen sich dem Thema Smalltalk in möglichst entspannter Form mal zuzuwenden. Sein kreatives Potenzial zu erkennen und nutzen zu lernen. In Kontakt kommen mit diesem wunderbaren Bewusstseinsfeld, was so erquickend und nährend ist.

Flirten ist ganz ähnlich wie Smalltalk - das Lustvolle Gespräch, wo aus dem Moment heraus Interessantes entsteht, steht im Vordergrund. Die Freude am gemeinsamen Schwingen im Kontakt - darum gehts. Es geht weniger um die konkreten Informationen, die man sich austauscht, es geht mehr um ein gefühlvoll-spielerisches miteinander umgehen.

Apropos Gefühlvoll - das ist die zweite Komponente, die es zu fördern gilt. Man braucht einen Zugang zu seinen Gefühlen und die Möglichkeit, diese in seine Kommunikation mit einfließen zu lassen.

Eine gute Übungsmöglichkeit für Betroffene können Telefongespräche sein. Und zwar solche, wo man sich anruft, um nur mal miteinander zu plaudern. Dies ist schnell und einfach umzusetzen. Und es kann auch einfacher sein, als sich direkt gegenüber zu sitzen. Man reduziert sozusagen die Reize, in dem man nur noch auf die Stimme des anderen achtet, sich ansonsten aber unbeobachtet und freier fühlt.

Wörter, die diesen entspannten Zustand beschreiben: fließen, loslassen, geschehen lassen, Gelassenheit, Offenheit, Freude, Lust, Witz, Schelm, spielerisch, Leichtigkeit, schwingen, schwammig, unspezifisch, Fülle, was wagen, spontan, multidimensional, assoziativ, zulassend, milde, tolerant.

Wörter, die den angespannten Zustand beschreiben: angestrengt, festgelegt, verfestigt, Leere, Druck, abgesichert, gepresst, eindimensional, sachlich, konkret, zielorientiert, bewertend, urteilend, verbissen, unflexibel.

In unserer westlichen Welt sind wir es gewohnt, Probleme durch Anstrengung und noch mehr Willen zu lösen. Doch gerade Smalltalk und Flirt brauchen etwas ganz anderes, was uns eher die fernöstlichen Philosophien des Loslassen näher bringen:

Tue nichts
und alles ist getan.
(Laotse)

-- Fred

20.02.12 :: Die unbewusste Zuschauer-Haltung

Wie erlebe ich mich eigentlich in einer Gruppe? Aus frühen Gruppenerfahrungen entwickelt sich meist ein Gefühl, was Gruppe ist und welche Position ich darin einnehme. Ein typisches frühes Erfahrungsfeld ist der Kindergarten. Bei diesem Gruppengefühl spielt es eine große Rolle, wie verbunden ich mich mit den Gruppenmitgliedern fühle, wie viel Ausdrucksraum mir zur Verfügung steht, wie wohl ich mich mit den anderen fühle und wie aktiv ich in der Gruppe bin.

Bei sozialen Ängsten kann hier schon sehr früh ein Gruppengefühl entstehen, bei dem ich mich gar nicht wirklich zugehörig erlebe. Ich bin wie ein Beobachter, der eine Gruppe wahrnimmt, sich aber nicht als Teil der Gruppe erlebt. Das ist sehr ähnlich, wie mit der Erfahrung von Fernsehen. Man sitzt auf der Couch und schaut eine Daily Soap. Man sieht die Akteure, weiß aber genau, dass man nicht Teil des Geschehens ist. Man ist Beobachter. Das ist selbstverständlich so, darüber macht man sich keine Gedanken.

Dieses Gruppengefühl des Beobachters ist nun als frühe Erfahrung tief verinnerlicht und meist auch gar nicht bewusst. Man erlebt Gruppe in dieser Form als völlige Selbstverständlichkeit und kann sich nicht vorstellen, dass Gruppe auch etwas ganz anderes sein kann. Man hinterfragt auch gar nicht sein eigenes Gruppengefühl und seine Position in der Gruppe, weil es so gewohnt ist, man nichts anderes kennt und sich auch nichts anderes vorstellen kann. Gruppe ist einfach so, wie ich das schon mein ganzes Leben erfahre.

Von daher ist es spannend, sich diesem Thema mal zuzuwenden: Wie erlebe ich mich in der Gruppe? Welche typische Rolle nehme ich ein? Bin ich Beobachter oder auch mal Akteur? Wie erlebe ich mich als Akteur? Wie verbunden fühle ich mich mit den anderen? Entsteht ein WIR-Gefühl?

Dieses WIR-Gefühl ist etwas ganz Wesentliches. Wer es erlebt, spürt die große Attraktivität, die Gruppen auf uns haben. Wenn es gelingt, das sich Menschen wirklich zu einem WIR verbinden, dann spürt man die gemeinsame Kraft, das Potenzial und die Verbundenheit. Man ist dann Teil von etwas GRÖßEREM. Das beflügelt, gibt Lebenskraft und Rückhalt. Es ist eine bedeutsame Erfahrung, die tief geht und uns berührt.

Als Mitglied einer Selbsthilfegruppe kann man sich immer wieder mit seinem Gruppenerleben beschäftigen und hier experimentieren. Das bietet die große Chance, sich von seinem alten Gruppenbild zu lösen und ganz neue Erfahrungsräume zu erkunden. Auch wenn dies anfangs erstmal Mühe bedeutet und Mut braucht, kann es irgendwann zu einer neuen Gewohnheit und Selbstverständlichkeit werden. Eine neue Selbstverständlichkeit, die das eigene Leben bereichert.

-- Fred

13.02.12 :: Drinnen oder Draußen?

Gruppen konfrontieren uns stark mit dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Wenn es gelingt und man fühlt sich zugehörig oder "drinnen", dann kann das sehr angenehm sein. Dann wird das Bedürfnis nach Verbundenheit und Zugehörigkeit erfüllt. Die andere Seite ist um so schmerzlicher: Wenn es nicht gelingt, sich als Teil einer Gruppe zu fühlen. Wenn man sich "draußen" fühlt.

Wenn man sich draußen fühlt, dann wird es um so schlimmer, je mehr man spürt, dass andere sich verbunden fühlen. Wenn Gruppen auftauen, die Energie gut fließt und man Spaß miteinander hat, dann ist der Schmerz groß, wenn man nicht Teil dieser Energie sein kann. Man sitzt in der Runde und hat das Gefühl, dass alle Anteil an dieser Verbundenheit haben, nur man selber nicht. Dies ist nur schwer auszuhalten.

Von daher entsteht in unseren Selbsthilfegruppen auch immer wieder mal eine paradoxe Situation: Wenn es eigentlich mal richtig angenehm wird, wenn Offenheit und Nähe entsteht, geraten gleichzeitig einige in sehr unangenehme Gefühle. Weil sie nun verstärkt das Gefühl haben, nicht Teil der Gruppe zu sein.

Hier werden auch alte Erfahrungen von Ausgegrenztsein wiedererinnnert. Es läuft dann sozusagen ein alter Film ab, der durch die aktuelle Situation getriggert wird. Und dieses alte Erfahrungsmuster ist so stark, dass es das aktuelle Erleben dominiert. Man fühlt sich dann wie früher, wo man stark ausgegrenzt wurde. Selbst wenn jetzt all das nicht passiert.

Eine Möglichkeit, die oft noch funktioniert ist, wenn andere sich aktiv denen zuwenden, die sich ausgegrenzt fühlen. Dies ist eine Lernaufgabe, die wir als Gruppe üben müssen, weil bei Sozialphobie sich oft keiner traut oder es kein gewohntes Verhalten ist, mal aktiv andere wieder mit einzubeziehen. Wie angenehm dieses aktive aufeinander Zugehen ist, habe ich in Therapiegruppen erlebt, wo man sich gut umeinander gekümmert hat. Füreinander Verantwortung zu übernehmen, kann eine große Lernchance für alle Beteiligten sein. Und eine Gruppe, in der sich jeder wohlfühlt, ist das Beste, was passieren kann.

Wer in seinem Leben massive Erfahrungen von Ausgrenzung gemacht hat, ist immer wieder in der Gefahr, in dieses Gefühlsmuster hineinzurutschen, auch wenn real im Hier und Jetzt gar keine Ausgrenzung stattfindet. Dann werden schon fehlende Signale von Zuwendung als Ausgrenzung empfunden. Es ist aber öfters so, dass man erstmal in Gruppen hineinkommt, ohne sonderlich Beachtung und Aufmerksamkeit zu bekommen. Gerade in zurückhaltenden Sozialphobie-Gruppen. Wie kann es gelingen, sich hier Zeit zu geben und einfach mal neugierig offen zu bleiben, was passiert, ohne gleich innerlich in das "Ich-werde-ausgegrenzt-Muster" zu rutschen? Und was kann man tun, um Kontakt zu machen und sich hineinzuarbeiten?

Rutscht man erstmal in sein Muster hinein, verhält man sich oft auch so, dass ein gutes Miteinander unwahrscheinlicher wird. Vielleicht entsteht innerlich schon Wut, Hass oder Ärger, weil die anderen einen vermeintlich ausgrenzen.

Ich glaube, dass Ausgrenzungserfahrungen einen ganz großen Schmerz auslösen, der sich existenziell bedrohlich anfühlt. Schaut man geschichtlich zurück, so bedeutete Ausgrenzung aus einer Gruppe tatsächlich den Tod (Ausgestoßensein aus der Sippe). Herdentiere wissen, dass sie zugrunde gehen, wenn sie aus der Herde herausfallen. Vielleicht ist das genetisch in uns drin, dass das Herausfallen aus einer Gruppe große Ängste in uns aulöst.

Das könnte also ein ganz zentrales Lebensthema sein, was alle Menschen irgendwie betrifft. Jeder managt diese Angst auf andere Weise. Manche engagieren sich z.B. in einer neuen Gruppe sehr stark, um sich die positive Zuwendung sozusagen zu erarbeiten. Andere meiden jede Gruppe, um gar nicht erst dieser Angst zu begegnen.

Sich diesem Thema in Gruppengesprächen zuzuwenden, kann sehr gewinnbringend für alle sein. Oft ist es ja auch so, dass dies ein Tabuthema ist. Man spricht nicht darüber, wenn man sich draußen fühlt. In unseren Gruppen hatten wir schon öfters die Situation, dass sich jemand als einziger draußen fühlte, wenn man aber mal darüber gesprochen hatte, fiel auf, dass die Hälfte der Gruppe sich draußen fühlte. Doch jeder dachte, nur ihn würde es betreffen. Wir sind halt auch gut im Schauspielern.

-- Fred

08.02.12 :: Austherapiert?

Heute erzählte mir eine Betroffene, ihre Therapeutin hätte ihr nun nach etwa 45 Therapiestunden gesagt: "Das ist alles, was in Therapie machbar ist. Sie sind austherapiert. Mehr kann man nicht erreichen."

Solche Aussagen machen mich wütend. Ich halte sie für grundlegend falsch und sie haben eine stark demotivierende Wirkung auf den Betroffenen. Für mich ist es unfassbar, wie ab und zu mal von professioneller Seite der Eindruck vermittelt wird, dass bei jemandem nun das Ende der Fahnenstange erreicht ist und keinerlei Möglichkeit mehr besteht, sich weiterzuentwickeln.

Ich habe noch nie einen Menschen erlebt, der nicht die Möglichkeit in sich trägt, sich weiterzuentwickeln. Und ich finde es lohnt sich ein Leben lang, dran zu bleiben, an seiner eigenen Entwicklung. Es ist wichtig, den Wunsch und die Motivation aufrecht zu erhalten, etwas in sich zu bewegen, so dass man heiler wird. Und jeden Tag gibt es so viele kleine Dinge, die alle dazu genutzt werden können, ein Stück weiter zu kommen.

Es geht nicht darum, die Augen vor den Begrenzungen des Lebens zu verschließen. Natürlich kann eine Therapie nicht alles lösen. Mit manchem Problem wird man sehr lange beschäftigt bleiben. Es gibt sehr hartnäckige und festsitzende Thematiken. Und manches wird sich vielleicht auch nie lösen und einen zeitlebens einschränken oder auf trab halten. Es gibt auch Zeiten im Leben, wo sich wenig bewegt. Oder auch Therapien, die nichts bewegen. Bei allen Möglichkeiten und allem Bemühen gibt es auch Grenzen, was für mich bis heute machbar war.

Es geht mir vielmehr darum, offen zu bleiben für all die Chancen der Weiterentwicklung, die jeden Tag auf uns warten. Wir können sie nur sehen, wenn wir offen sind dafür, wenn wir unsere Aufmerksamkeit schärfen und ein Vertrauen in das Leben haben. Oft genug gibt es auch einfach etwas geschenkt, doch wenn wir nicht wach sind, können wir es nicht sehen. Wenn wir resignieren, suchen wir nicht mehr nach den Dingen, die gehen.

Selbsthilfearbeit fördert dieses permanente Dranbleiben an den Entwicklungs-Chancen des Lebens. Selbsthilfe ist kein begrenztes Angebot, wie eine Therapie. Sie kann einen über längere Zeit im Leben begleiten. Als Hilfe, um immer wieder seine Entwicklungschancen zu erkennen und zu nutzen. Ich habe noch keinen Menschen erlebt, der mit all seinen Themen fertig ist. Und ich sehe immer wieder, wie befreiend und heilsam es ist, ein Stück mit sich weitergekommen zu sein. Ich habe aber schon öfters Menschen erlebt, die resigniert haben, weil sie glaubten, es könne sich nichts mehr verändern.

Solche Aussagen mit "austherapiert" fördern die Resignation und unterlaufen das Dranbleiben. Es ist ja in Ordnung, wenn ein Behandler sagt, dass er jetzt hier auch nicht weiter weiß und eine Therapie bei ihm nun nicht mehr für sinnvoll hält. Oder wie es auch schon Therapeuten sagten, dass sie jetzt das Gefühl haben, dass mit Therapie erstmal genug ist und nun die Fortschritte sich im Alltag festigen müssen.

Doch dann wäre es auch wünschenswert, gleichzeitig dem Patienten auf den Weg zu geben, dass Veränderung und Weiterentwicklung niemals endet, weil das das Leben ist. Und das es auch immer Wege und Möglichkeiten gibt, weiter an sich zu arbeiten.

Was ist eine Therapie wert, die die Menschen nicht in das Abenteuer der Weiterentwicklung entlässt?

-- Fred

06.02.12 :: Lied der Woche

Annett Louisan - Würdest du

06.02.12 :: Bindungsangst

Bingungsangst betrifft viele Menschen. Es ist die Kehrseite der wohltuenden Verbundenheit, die im Leben so angenehm und erfüllend ist.

Wenn es gelingt, dann haben tiefe und nahe Beziehungen zu anderen Menschen eine große Bedeutung in unserem Leben. Sie befriedigen viele Grundbedürfnisse nach Nähe, Geborgenheit, Anerkennung und Lebenssinn.

Weil dieser Wunsch nach Bindung ganz essentiell in jedem Menschen angelegt ist, entstehen viele psychische Probleme, wenn dieser Bereich nicht gelebt werden kann.

Bindungen bedeuten auch immer Risiko. Es ist sehr schmerzlich, wenn Bindungen kaputt gehen. Dies zeigt sich besonders deutlich bei Liebesbeziehungen. Viele Musik hat den Schmerz nicht gelingender Beziehungen zum Thema.

Durch Bindungen entsteht natürlich auch Reibung und Konfliktpotenzial. Hier verbinden sich ja Wesen, die einen eigenen Willen und eigene Vorstellungen vom Leben haben.

In der frühen Kindheit nehmen gelingende Beziehungen zu den Bezugspersonen eine sehr zentrale Rolle ein. Oft kann man sagen: Leider hängt das Glück eines Kindes in großem Maße davon ab, wie die Beziehung zu den Eltern ist. Diese große Abhängigkeit, was das eigene Lebensglück angeht, hinterlässt bei vielen Menschen Verletzungen und Wunden. Diese wirken auch im Erwachsenalter tiefgreifend weiter und bestimmen unser Bindungsverhalten, auch wenn uns das meist gar nicht bewusst ist.

Ein typisches Verhalten wäre: "Nie wieder in meinem Leben mache ich mich von irgend einem Menschen abhängig!" Dies spiegelt die tiefe Verletzung wieder, die Erfahrung, das Bindung eine ganz schmerzliche Angelegenheit ist, die man auf jeden Fall vermeiden muss. Wir sind hier allerdings auch in einem Dilemma, denn ein anderer Teil in uns hat eine große Sehnsucht nach Nähe und Kontakt.

Verlustängste entstehen ebenso aus der schmerzlichen Erfahrung, wie unaushaltbar der Verlust einer Beziehung einmal war. Verlustängste können dazu führen, dass wir uns in allem zu sehr anstrengen und die Beziehung überstrapazieren. Oder das wir vieles in uns unterdrücken, damit man keinesfalls irgendwie die Beziehung belastet. Die perfekte Aufrechterhaltung der Beziehung steht im Vordergrund. Dies kann sehr ungesunde Formen annehmen. Oder wir halten die Verlustängste gar nicht aus und beenden lieber aktiv die Beziehung. So geschaffene Tatsachen sind besser auszuhalten, als diese ständige Angst, es könnte mal zu Ende sein.

Bindungsangst ist auch etwas gesundes und wichtiges. Bindung ist Risiko und wir müssen schauen, wie viel Risiko wir eingehen möchten und können. Jeder Mensch hat auch Angst, verletzt und enttäuscht zu werden. Wir alle kennen den Schmerz, der aus gescheiterten Bindungen entsteht. Man kann dem Leben auch nie die Garantie abringen, dass Beziehungen gelingen.

Es kann ein spannendes Abenteuer sein, sich wieder auf Bindungen einzulassen und sein Leben so tiefgreifend zu bereichern.

-- Fred

31.01.12 :: Abgrenzung

Probleme mit Abgrenzung treten bei Menschen mit sozialen Ängsten öfters auf. Als Mensch sind wir ein hochkomplexer Organismus, der sich immer wieder ausbalancieren muss. Wir haben ein Sensorium dafür, uns in Balance zu halten. Wir spüren, wenn etwas zu viel wird oder wenn irgendwo ein Mangel entsteht. Leben ist ein ständiges ausbalancieren, damit wir in unserer Mitte bleiben. Stark außerhalb dieser Mitte werden die Bedingungen schwierig, es tut uns nicht gut.

Abgrenzung ist ein Mittel, uns vor dem zu schützen, was uns nicht gut tut. Wenn z.B. jemand schon 5 Minuten auf uns einredet, ohne das wir mal selber zu Wort kommen, dann braucht es eine Abgrenzung. Dann geht es darum, dem anderen klar zu machen, dass er genug gesprochen hat und man selber zu Wort kommen möchte.

Abgrenzung greift in das Geschehen ein und übernimmt damit eine steuernde Funktion. Oft ist auch das Wort Begrenzung passender - man begrenzt z.B. jemanden in der Redezeit. Maßloses können wir nicht verdauen und bringt uns aus dem Gleichgewicht. Von daher braucht alles ein rechtes Maß und bei zu großen Abweichungen müssen wir aktiv werden.

Das ist der zentrale Punkt: Für Begrenzung und Abgrenzung muss man aktiv werden. Dem anderen klar machen, dass es jetzt reicht, das es genug ist oder das es jetzt etwas anderes braucht. Dafür braucht es auch immer wieder Durchsetzungskraft und eine Deutlichkeit in der Kommunikation. Gleichzeitig aber auch die richtigen Worte, damit der andere sich nicht verletzt oder abgelehnt fühlt.

Abgrenzung fällt deshalb oft so schwer, weil es die Beziehung zu einem anderen Menschen betrifft. Der andere könnte ärgerlich oder sauer auf uns werden. Oder er könnte aggressiv reagieren. Es wird immer wieder Konfliktsituationen geben, weil wir andere Bedürfnisse haben. Was dem einen schon lange zu viel ist, reicht dem anderen noch nicht. Wenn wir beginnen, uns mehr für unsere Bedürfnisse und unser Gleichgewicht einzusetzen, riskieren wir gleichzeitig, das mehr Konflikte entstehen und diese gemanagt werden müssen.

Doch was ist die Alternative? Die Lösung, unter der viele so stark leiden, ist die eigene Aufopferung. Man macht dann vieles mit, was einem eigentlich zu viel wird oder was nicht passend ist. Und je mehr man sich so vernachlässigt und sich etwas zumutet, was nicht gut ist, um so heftiger werden die Reaktionen des eigenen Organismus ausfallen. In der Selbsthilfegruppe berichten z.B. einige, dass sie Bauchschmerzen oder Kopfschmerzen bekommen. Oder es entwickeln sich weit im Vorfeld Ängste vor Situationen, wo man sich überfordert fühlt. Mitunter ist man an manchen Punkten wund gerieben, so dass man sofort heftig auf Menschen reagiert, die bestimmte Angewohnheiten haben, die uns krank machen.

Die Folge von all dem kann dann immer mehr die Vermeidung sein - man zieht sich zurück in seine Welt, leidet dann aber wieder unter Einsamkeit und einem Mangel an guten sozialen Kontakten.

Viele Ängste entstehen auch nur deshalb, weil wir nicht gelernt haben, uns hinreichend um unsere Bedürfnisse zu kümmern! Angst ist in diesem Sinne ein starkes Signal, dass wir uns nicht ausbalancieren.

Wir können in vielen Fällen etwas für uns tun. Der Möglichkeitsraum, gut für uns zu sorgen, ist fast nie vollständig ausgeschöpft. Da gibt es eine Menge, was man lernen kann, um Einfluss auf die Umwelt und die Mitmenschen zu nehmen. Wir müssen unseren Einfluss geltend machen, damit wir nicht zugrunde gehen. Und damit wir uns eine Offenheit für andere bewahren.

Es ist übrigens nicht immer nur die Begrenzung und Abgrenzung. Es ist auch das aktive Gestalten in eine Richtung, die uns gut tut. Wenn wir uns z.B. von jemandem genervt fühlen, weil er schon 10 Minuten über ein für uns langweiliges Thema spricht, dann können wir auch spontan auf ein anderes Thema wechseln. Damit gestaltet man das Gespräch in eine Richtung, mit der es einem besser geht.

Wenn Menschen leiden, velieren sie oft die Fähigkeit, kreativ mit belastenden Situationen umzugehen. Von daher ist es wichtig, sich wieder daran zu erinnern, dass man ein schöpferisches Wesen ist, was Ideen verwirklichen kann. Nach belastenden Situationen kann man auch nochmal darüber nachdenken, um bessere Lösungen für die Zukunft zu finden, die man dann in der Praxis erprobt.

Selbsthilfegruppen sind auch ein Übungsfeld, um neue Ideen in Sachen Abgrenzung zu erlernen. Das geht schon bei so ganz kleinen Dingen los: Da schlägt jemand in der Gruppe eine Freizeitaktivität vor, an der man eigentlich nicht teilnehmen möchte. Die gewohnte Reaktion ist vielleicht, dass man nett lächelnd zustimmt, aber dann doch nicht kommt. Jetzt könnte man ausprobieren, sofort mitzuteilen, dass man nicht daran teilnehmen wird. Und man kann etwas über die Gefühle mitteilen, was es in einem auslöst. Gleichzeitig lernt man das Gefühl auszuhalten, mal nicht im Sinne eines anderen zu agieren. Wenn man das nicht gewohnt ist, ist das für viele eine ganz große Herausforderung.

Mitunter ist es auch gut, die anderen in der Gruppe einzuweihen, wenn man bestimmte Abgrenzungen in der nächsten Zeit üben will. Das kann zu mehr Verständnis bei den anderen führen, die einen dann auch darin unterstützen können. Gleichzeitig offenbart dies, dass da jemand am Üben ist, was auch andere motiviert, dem nachzueifern. So kann in einer Gruppe ein richtiges Wachstumsklima entstehen, in dem man mitgezogen wird. Sehr intensiv habe ich das mal in einer Klinik erlebt, in der wir uns alle täglich in vielen Situationen motiviert haben.

-- Fred

24.01.12 :: Wie Menschen etwas sagen und wie du darauf reagierst

Was ein Mensch sagt, ist das eine. Doch in dem, wie jemand etwas sagt, steckt oft viel mehr Botschaft. Vor allem sind es Botschaften der Beziehungsebene. Botschaften, wie der andere zu mir steht: Ob er mich mag, ob er mich ablehnt, ob er mich wert- oder geringschätzt. Und genau auf dieser Ebene sind sozial ängstliche Menschen oft sehr sensibel, weil sie auf dieser Ebene verletzt wurden.

Ich lade dich ein zu einer Achtsamkeitsübung: Beobachte einfach mal, wie Menschen in unterschiedlichsten Zusammenhängen des Alltags etwas zu dir sagen. Und dann werde dir gewahr, wie du darauf innerlich reagierst. Was macht es mit dir, wenn du etwas als Abwertung deutest? Wie fühlst du dich, wenn dich jemand wertschätzt? Kurzum, welche unterschwelligen Botschaften hörst du und was lösen diese in dir aus?

Wie man auf unterschwellige Botschaften reagiert, kann man verändern. Oft sind wir konditioniert: Jemand wertet uns ab und wir fühlen uns klein und schlecht. Doch das muss nicht so bleiben. Wir können uns lösen von solchen Konditionierungen. Jemand kann uns dann abwerten, aber die Reaktion ist nun eine andere. Man bewahrt in sich z.B. ein Gefühl von "Ich bin in Ordnung." und fragt sich eher: "Was hat mein Gegenüber für eine Schwierigkeit mit mir?". Ist erstmal die alte Konditionierung ein Stück weit aufgelöst, erkennt man ganz oft, dass entwertende Anwandlungen des anderen eher nichts mit mir persönlich zu tun haben. Auch mit einem anderen wäre er genauso umgegangen. Eine Frustration des anderen wird spürbar, er ist mit sich nicht im Reinen. Eine Aufgabe, die der andere für sich lösen muss, die er aber jetzt auf uns projeziert.

Entwertendes beim anderen zu lassen und nicht auf sich zu beziehen, ist eine wichtige Übung. Im Grunde ist es nie stimmig, wenn andere uns entwerten. Der Wert eines jeden ist unantastbar und steht nicht zur Debatte. Was in Ordnung ist, wenn andere sich über mein Verhalten ärgern oder es ihnen nicht gefällt. Aber auch hier kann man dies oft beim anderen lassen. Ich bin nicht auf der Welt, um im Sinne der anderen zu leben. Meins, was ich denke und fühle, hat die gleiche Bedeutung. Man kann Verständnis für den Ärger anderer entwickeln und muss sich trotzdem nicht ändern, wenn es nach Prüfung der Umstände nicht der eigenen Vorstellung entspricht.

Menschen, die sich von diesen alten Konditionierungen gelöst haben, können gelassener mit Angriffen umgehen. Sie sind flexibler in ihrer Reaktion. Sie können sich in den anderen einfühlen, können ihren Standpunkt nochmal deutlich machen oder diplomatisch eine Meinungsverschiedenheit schlichten.

-- Fred

21.01.12 :: Das Interessante erwarten

Angsterwartungen sind ein großes Problem. Wer einmal in einer bestimmten Situation eine schlechte Erfahrung gemacht hat, reaktiviert zukünftig in ähnlichen Situationen immer wieder diese Angsterwartung. Das läuft ganz automatisch ab. Bei sozialen Ängsten sind es die sozialen Situationen. Wenn das Befürchtete nicht eintritt, ist man zwar erleichtert, aber trotzdem gab es zuvor die Angst und die Anspannung. Und beim nächsten mal wird es wieder das Selbe sein. Meist sind es Situationen die wenig voraussehbar sind, z.B. wenn ein Gespräch mit einem fremden Menschen beginnt. Man kennt diesen Menschen noch nicht, man weiß nicht, wie sich das Gespräch entwickelt oder ob es sich überhaupt entwickelt.

Dabei gibt es eigentlich in diesen Situationen auch die andere Möglichkeit: Das es spannend und interessant wird. Menschen, die nicht mit einer Angsterfahrung in einer bestimmten Situation belastet sind, zeigen uns dies: Sie sind offen, neugierig und interessiert. Sie haben eine Lust daran, das Neue kennenzulernen. Und in der Tat ist das auch für den angstbelasteten Menschen eine Alternative.

Man steigt sozusagen mal aus der gewohnten Angstreaktion aus und versucht einmal, sich auf den spannenden und interessanten Aspekt zu konzentrieren, den eine solche Situation auch mit sich bringen kann. Man versucht, neugierig, interessiert und offen zu sein. Klar gelingt das nicht sofort völlig zwanglos. Aber man kann schon einen kleinen Geschmack davon bekommen, was gemeint ist und wie man die gleiche Situation auch erleben könnte. Und wenn man dies regelmäßig übt, kann sich diese Erlebens-Alternative immer mehr etablieren und zur Gewohnheit werden.

Angst ist eine starke Kraft, die uns in ein bestimmtes Erleben hineinzieht. Und doch kann man durch bewusste Konzentration seine Kräfte und seine Aufmerksamkeit auch in eine andere Richtung lenken. Bewusstheit ist wichtig, damit einem überhaupt auffällt, was gerade für Angstmuster ablaufen, um dann im Augenblick auch eine Alternative in sich abzurufen. Es braucht ja eine bewusste Entscheidung, jetzt im Moment mal etwas anderes zu versuchen.

So kann es mit der Zeit durchaus gelingen, dass unangenehme Situationen, die man sonst immer gemieden hat, auf einmal einen attraktiven und interessanten Charakter bekommen - etwas, wonach man sucht und was man gerne möchte.

-- Fred

19.01.12 :: Riskier mal was!

Bei manchen Betroffenen fällt mir eine Übervorsichtigkeit im Leben auf. Sie gehen keinerlei Risiko ein. Jedes Risiko wird als bedrohlich empfunden und muss nach Möglichkeit vermieden werden.

Es kann sein, dass es persönliche Erfahrungen gibt, dass ein Risiko, welches man einging, gehörig schief lief und mit großem Schmerz oder existenzieller Bedrohung verbunden war. In der Folge wurde es zur Angewohnheit, sich vor allem zu schützen, was einen unklaren Ausgang hat.

Andere haben eher solch ein Verhalten von den Bezugspersonen übernommen. Diese Übernahme läuft in großen Teilen unbewusst. Man erlebt seine Eltern in vielen Situationen, wo es um Risiko geht, als übervorsichtig und vermeidend. Das können auch ganz subtile Signale sein, die man als Kind aber als sehr bedeutsam versteht. In der Folge verhält man sich genauso. Vielleicht ist diese Fähigkeit, Angst der Eltern zu übernehmen, eine wichtige Überlebensstrategie in der Geschichte der Menschheit gewesen. Die Eltern geben so ihr "Gefahrenwissen" tagtäglich an ihre Kinder weiter, die dann vor diesen Gefahren auch in ihrem späteren Leben geschützt sind, weil sie die gleichen Vermeidungsmuster ausgebildet haben. Oft ist uns wenig bewusst, wie viele Vermeidungsmuster wir eigentlich leben.

Zur Risikovemeidung gehört ganz klar auch eine haltgebende Struktur. Menschen, die Risiken vermeiden, leben in festen Ritualen und sind in vielen Punkte unflexibel. Sie brauchen ihre Gewohnheit und wenn das Leben sie aus diesen Gewohnheiten herausschleudert, entstehen große Ängste und Unwohlsein. Sie mögen keine Spontanität.

Hier gibt es auch einen direkten Zusammenhang zur Sozialphobie: Gewohnte Menschen stellen ein Teil ihrer festen Struktur dar. Am besten, diese Menschen verhalten sich auch vorausberechenbar. Neue Menschen hingegen und neue soziale Situationen sind beunruhigend, weil das wieder Risiko bedeutet. Man weiß nicht, was passieren wird, man kann es nicht kalkulieren und das verunsichert.

Das große Problem mit Risikovermeidung ist, das das Leben sehr eng wird. Viel enger, als es eigentlich sein müsste. Man baut sich so sein eigenes Gefängnis.

Im Leben braucht es auch immer wieder eine befreiende Kraft. Sich aus den Grenzen, in denen man lebt, zu befreien. Die Grenzen immer mal wieder zu konfrontieren und zu schauen, ob sie noch gültig sind. Es geht sozusagen darum, immer wieder seine Grenzen zu weiten. Um sich Lebensraum zu erschließen. Freiheit und Lebensraum können unglaublich erquickende Gefühle in einem auslösen. Wer mehrfach so eine Erfahrung gemacht hat, sich einem Risiko zu stellen und gewonnen zu haben, bekommt Lust und Energie, es wieder und wieder zu tun. Das erklärt auch, warum so viele Menschen jede Menge Strapazen und Ungewissheit auf sich nehmen, weil sie etwas an Freiheit und Lebensraum gewinnen wollen. Sie wollen sich nicht mit den Grenzen zufrieden geben, in denen sie jetzt noch leben. Mir erscheint dies eine natürliche, in uns angelegte Triebkraft, uns immer wieder zu weiten.

Deshalb erscheint es mir als Krankheitsbewältigung bei Ängsten und Phobien wichtig, sich immer wieder Risiken im Leben zu suchen, die man bewusst eingeht. Und das geht schon bei ganz kleinen Dingen los. Gerade die kleinen Dinge sind gute Übungsfelder, weil es noch gut zu ertragen ist, wenn es schief geht.

In der Selbstilfegruppe kann das bedeuten, einfach mal drauf los zu quatschen, ohne jedes Wort vorher genau geprüft zu haben. Mal spontan zu sein, auch wenn nicht immer wohl überlegte Dinge dabei entstehen. Mal ein Gefühl äußern, ohne sich erst eine Erlaubnis vom Verstand zu holen.

Im Geschäft kann man einfach mal einen Verkäufer anquatschen, ohne schon genau zu wissen, was man eigentlich will.

Wenn man es schafft, diese Lust am Risiko wieder in sich aufzubauen, wird die Erweiterung seines Lebensraumes zu einem Selbstläufer. Der Verstand kann einem helfen, Risiken im Vorfeld abzuschätzen, um sich dosiert und nicht leichtsinnig in Risiken hineinzubegeben. Es braucht die richtige Ausbalancierung zwischen Schutz und Freiheit.

Die Lust am Risiko verändert auch die Außenwirkung und die Beziehung zu anderen Menschen. Interessant wird es immer dann, wenn Neues im Kontakt entsteht. Wenn man seine gewohnten Bahnen verlässt. Dann entsteht lustvoller Kontakt.

-- Fred

17.01.12 :: Lied der Woche

The Police - SO LONELY

So einsam, so einsam...

11.01.12 :: Infomedium VSSPS Ausgabe 5

Im Infomedium 5 des VSSPS geht es diesmal um Krisen in der Selbsthilfegruppe. Teilnehmer aus Berliner- und Brandenburger-Selbsthilfegruppen nehmen dazu Stellung.

Weiterhin gibt es die Auswertung einer Umfrage über Symptome, Therapie und Selbsthilfe bei Sozialphobie.

Hier der Link zum Infomedium:

09.01.12 :: Konträre Themen für Gruppendiskussion

Eine gute Übung für Sozialphobie-Selbsthilfegruppen ist das Üben von Gruppendiskussionen. Das Ziel ist, dass sich jeder genügend mit seiner Meinung einbringt. Es ist also ein Übungsfeld, wo man bewusst gegen seine Angewohnheit, nur Beobachter des Gruppengeschehens zu sein, angeht.

Für solche Diskussionen eignen sich aktuelle Themen gut, die konträr diskutiert werden. Derzeit ist es die Diskussion über unseren Bundespräsidenten Christian Wulff. Das Thema ist in der öffentlichen Wahrnehmung gerade so angeheizt und berührt einen vielleicht auch persönlich in vielerlei Hinsicht emotional, so dass eine Diskussion darüber leichter fällt.

Günstig ist es in solchen Diskussionen, wenn es einen Beobachter in der Gruppe gibt, der diejenigen in das Gespräch hineinholt, die längere Zeit nichts gesagt haben. Wobei man hier aber auch aufpassen muss: Das langfristige Ziel ist, selber ohne Hilfe ins Gespräch zu kommen. Es kann nämlich auch wieder schnell eine Angewohnheit daraus werden, immer darauf zu warten, bis man angesprochen wird. Man kann hier nach einer Diskussion nochmal darüber reflektieren, wie es gelingt, dass jeder selbstständig in eine Diskussion hineinkommt.

-- Fred

05.01.12 :: Unkontrolliert reden

Was hält Menschen eigentlich davon ab, in einer Gruppe munter drauf los zu reden? Oft sind es frühe Erfahrungen, dass es mit dem Drauflosreden unangenehm wurde. Mitunter sehr schmerzlich, peinlich oder beschämend.

Kinder sind sehr verletzlich, wenn sie mit ihrer Art der Kommunikation eine Bauchlandung machen. Werden sie dann nicht genügend aufgefangen und ermuntert, vermeiden sie mehr und mehr die Kommunikation. Und es entsteht eine innere Kontroll-Instanz. Auf der einen Seite der spontane Impuls, sich in ein Gespräch einmischen zu wollen, auf der anderen Seite die Kontroll-Instanz, die diesen Impuls ausbremst und blockiert. Herausgelassen wird nur noch das, was von dieser Kontroll-Instanz als ungefährlich bewertet wurde. Weil diese Bewertung Zeit braucht, geht die natürliche Spontanität verloren, alles kommt wohlüberlegt und zeitversetzt. Vieles kommt auch gar nicht, weil es als gefährlich eingestuft und blockiert wird.

Menschliche Interaktion ist sehr komplex. Selbst sehr geschulte Menschen ecken auch immer mal wieder an und geraten in Situationen, die man im Nachhinein als unpassend oder ungeschickt bezeichnen könnte. Schüchterne Menschen unterdrücken von vornherein alles, womit man evtl. anecken könnte und vermeiden damit solche Situationen. Sie werden dadurch aber auch nicht spürbar. Und sie beschneiden sich so stark in ihrem Selbstausdruck.

Wenn man sich nun fragt, was ist eigentlich die richtige Orientierung, um aus seiner kommunikativen Zurückhaltung herauszukommen, dann braucht es die Befreiung seiner spontanen Gesprächsimpulse. Also die Frage: Wie kann das, was in mir entsteht, wieder über meine Stimme frei nach außen fließen, ohne erst über einen strengen inneren Kontrolleur bewertet und aussortiert zu werden?

Im Grunde geht es darum, sprichwörtlich: Zu reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Ohne sich zu sehr Sorgen darum zu machen, dass das auch mal schief geht. Den Mut zu haben, sich auch mal ungeschickt auszudrücken.

Und dann geht es um ganz viel Übung. Es geht darum, auch ohne diese starke Kontroll-Instanz die richtigen Worte zu finden, geschickter in der Kommunikation zu werden. In etwa so, wie man geschickter bei einem Spiel oder in einer Sportart wird. Nicht zwanghaft, nicht stark kontrolliert, sondern von Lust getragen immer bessere Fähigkeiten zu entwickeln.

Sozialphobie-Selbsthilfegruppen können hier ein wesentliches Übungsfeld sein. Hier kann man lernen, die Kontrolliertheit loszulassen und einfach mal auszusprechen, was einem so in den Sinn kommt. Hier kann man viele kommunikative Erfahrungen sammeln. Weil das nicht einfach ist, braucht es hier immer wieder die aktive Ermunterung, sich darin zu üben. Sonst verfällt man schnell wieder in die alte liebgewonnene Gewohnheit, sich bei allem rauszuhalten. Kurzfristig ist diese Gewohnheit angenehmer, langfristig kommt man so nicht aus seiner Problematik heraus.

Reden und sich mit anderen austauschen soll ja schlussendlich eine freudvolle und bereichernde Erfahrung werden. Um dahin zu kommen, bedeutet dies für viele, erstmal ein Risiko einzugehen und durch unangenehme Gefühle hindurch zu gehen. Da ist erstmal Angst oder Scham. Und das sind auch alles völlig berechtigte Gefühle und dahinter stehen meist ganz reale alte Erfahrungen. Doch jetzt - hier und heute - ist viel mehr möglich, als das, was die alten Schranken zulassen. Diese alten Grenzen müssen konfrontiert werden, man muss sich nochmal ins Grenzgebiet wagen und neu erfahren, was geht und was Probleme macht. Und nicht jedes Problem bedeutet, dass etwas falsch war. Es ist auch die Einladung, bessere aktive Wege zu finden und nicht wieder den innerlichen Rückzug zu wählen.

Selbsthilfegruppen können hier auch ein Schutzraum sein, um sich auszuprobieren. Hier gibt es bewusst keine großen Ansprüche, hier darf jeder loslegen, wie es aus ihm heraus kommt.

In diesem Sinne seid ihr herzlich eingeladen, auch in diesem Jahr dem Ziel einer freien und offenen Kommunikation ein Stück näher zu kommen.

-- Fred

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