Sopha Selbsthilfe

Aktuell (Archiv 2011-Q3)

24.09.2011 :: Buchtipp - Helmut Oehring: Mit anderen Augen

Helmut Oehring erzählt in diesem Buch aus seinem Leben. 1961 in Ost-Berlin geboren. Seine Eltern sind gehörlos. Die ersten Lebensjahre hat er nur wenig Zugang zur normalen Lautsprache. Stattdessen lernt er ganz natürlich die Gebärdensprache. Erst im Alter von 4-5 Jahren beginnt er, die Lautsprache zu lernen. In der gehörlosen Welt gut integriert, kommt er in der "normalen Welt" immer wieder in Schwierigkeiten, wo er Ausgrenzung, Mobbing und Gewalt erlebt. Seine Bewältigungsversuche verschärfen die Situation. Und trotzdem ist er im Leben auf der Suche nach sich selbst und nach Selbstausdruck. Musik wird seine Leidenschaft und Zuflucht zugleich. Als er in der neunten Klasse war, kam der Hit "Bohemian Rhapsody" von Queen. Dieses Lied war für ihn eine Überlebensdroge, die er jeden Tag hörte. Es berührte ihn tief.

Heute ist Oehring ein bedeutender Komponist mit vielen Auszeichnungen. In vielem ist er ein Autodidakt. Er hat es geschafft, nach vielen Umwegen, seine Leidenschaft für die Musik zu leben und sich darin auf ganz eigene Weise auszudrücken. Sinngemäß sagte er in einer Reportage: Man kann im Leben oft der Loser sein, aber wenn man das findet, wofür man wirklich brennt, dann kann man alles schaffen.

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20.09.2011 :: Der Anspruch an uns selbst

Das Thema Selbstwert aus dem vorherigen Beitrag hat mich weiter beschäftigt. In einem Artikel von Thomas Artmann fand ich neben dem Vergleich und Urteil noch den interessanten Aspekt des Anspruchs an sich selbst.

Ich habe Vorstellungen von einem Ideal-Selbst, wie ich sein will. Und wenn mein real erlebtes Selbst davon abweicht, dann entsteht ein Spannungsfeld in mir und ich leide darunter. Letztens sagte jemand in der Gruppe: "Ich habe letzens bei einem Wettlauf weit länger gebraucht, als ich das von mir kenne. Ich habe tagelang darüber nachgegrübelt, wie mir sowas passieren konnte. Das hat mich echt beunruhigt." Im Gegensatz dazu gibt es Menschen, die diesen Anspruch an sich nicht haben. Sie sind vielleicht kurz enttäuscht, dass heute "nicht mein Tag" war und haben es im nächsten Moment schon abgehakt. Sie können schneller loslassen, weil sie die Realität annehmen können.

Wenn die psychischen Spannungen regelmäßig sehr groß werden, weil reales Selbsterleben vom Idealbild abweicht, dann kann das sehr belastend sein. Dann kommen regelmäßig Selbstzweifel auf. Dann wertet man sich vielleicht ab und kann sich nicht mehr wertschätzen. Man kann sich nur dann akzeptieren, wenn man das leistet, was das Ideal-Selbst vorgibt. Erfüllt man diese Leistung oder Vorstellung nicht, dann fühlt man sich schlecht.

Auch hier geht es natürlich immer wieder um den Vergleich. Man hat jede Menge Anhaltspunkte geschaffen, anhand derer man abschätzen kann, wie gut oder schlecht man gerade ist bzw. wie stark man gerade von seinem Ideal-Bild abweicht. Manche Menschen sind sehr stark von diesen Gedanken dominiert, ständig dreht sich alles um den Vergleich. Ständig ist ihr Selbstwert bedroht, weil sie im Vergleich nicht gut genug abschneiden.

Im obigen Artikel wird bei dieser Form von Selbstwert von einem bedingten Selbstwert gesprochen, der vor allem durch Erziehung und gesellschaftliche Sozialisation in uns hinein gekommen ist. Das sind sozusagen Prägungen oder Introjekte. Man nimmt die Vorstellung und Normen der Umwelt in sich auf und macht sie zu seinem eigenen Maßstab.

Im Gegensatz dazu gibt es den unbedingten Selbstwert, der also an keinerlei Bedingungen geknüpft ist und der keinen Vergleich braucht. Ein Mensch, der diese Form von Selbstwert in sich spüren kann, fühlt sich wertvoll, ganz unabhängig davon, ob er gerade was Tolles leistet, eine Designerhose trägt oder ein bestimmtes Auto fährt.

Die Sache mit dem eigenen Anspruch an sich, ist ein guter Einstiegspunkt für eine persönliche Auseinandersetzung. Manchmal wird es ganz offensichtlich, dass Menschen darunter leiden, weil sie Vorstellungen nicht erfüllen, die tief im Herzen gar nicht ihre eigenen sind. Oder sie haben Ansprüche an sich selbst, die kein "Normalsterblicher" je erfüllen kann. Von daher müssen sie ständig darunter leiden, ihre zu hoch gesteckten Normen und Ziele nicht zu erfüllen. Trost bekommen sie mitunter daraus, andere abzuwerten, weil auch sie bestimmte Normen nicht erfüllen. So fühlt man sich in seinem schweren Schicksal nicht so alleine.

Wenn es gelingt, sich von Vorstellungen zu verabschieden, die in Wirklichkeit nicht die Eigenen sind, kann das zu einer starken Entlastung führen. Der eigene Anspruch ist oft gar nicht der Eigene. Es ist das Fremde, was in uns hinein gekommen ist. Das Eigene müssen wir erst noch finden. Und dann braucht es Mut und Erfahrung, das Eigene zu leben.

-- Fred

16.09.2011 :: Die Beziehung zu uns selbst

Ganz viele Menschen in unserer Gesellschaft kranken an einem schlechten Selbstwertgefühl. Es ist ein gesamt-gesellschaftliches Problem und daraus entstehen viele psychische Deformationen oder Kompensations-Mechanismen. Süchte, Depressionen, Übergewicht, Magersucht, Perfektionismus oder Narzissmus sind einige Erscheinungsformen, wie dieser Mangel an Selbstwertgefühl zum Ausdruck kommen kann. Und natürlich begegnen wir diesem Thema auch immer wieder bei von Sozialphobie oder sozialen Ängsten Betroffenen.

Christlich betrachtet haben wir bei dem Gebot "Du sollst andere lieben, wie dich selbst!", den zweiten Teil oft nicht gewürdigt. Viele haben eher verstanden: "Du sollst andere lieben, aber nicht dich selbst!" Es kam irgendwie zu einer Vernachlässigung der Beziehung zu sich selbst.

Unsere Leistungsgesellschaft trägt dazu bei, die Leistung in den Mittelpunkt zu stellen und die Selbstliebe zu verlieren, die nicht an Bedingungen geknüpft ist. Wie könnte ein Mensch über sinnvolle Grenzen gehen, wenn er eine gute Beziehung zu sich selbst hat? Viele Leistungen werden heute erbracht, in dem man sich unbarmherzig selber ausbeutet, sich massiv überfordert und sich aufopfert. Viele Menschen haben Anerkennung erst dann erfahren, wenn sie etwas Besonderes geleistet haben, eine unbedingte Liebe hingegen wurde ihnen vorenthalten.

Bei Selbstwert geht es um die Beziehung zu uns selbst. Ist sie lieblos, abwertend oder entwerten wir uns? Hängt sie von hochgesteckten Forderungen ab, kann Wertschätzung nur entstehen, wenn wir diese Bedingungen erfüllen. Ein liebevolles Grundgefühl kann so nicht entstehen, wir müssen immer Besonderes leisten, um uns gut zu fühlen. Für einen kurzen Moment, bis wir wieder anfangen, uns geringzuschätzen und erneut im Hamsterrad Großes leisten müssen. Oder wir geben auf und arrangieren uns mit dem Gefühl, nichts wert zu sein und leben in einem depressiven Grundgefühl.

Es gibt viele weitere Bedingungen, an die man seinen Selbstwert hängen kann: Ob man genug Geld verdient, ob man Arbeit hat, ob man hübsch genug aussieht, ob man schlank genug ist oder ob man intelligent genug ist. Dann leiden wir, wenn für uns wichtige Bedingungen nicht erfüllt sind. Oder wir kompensieren, in dem wir irgendwelche Süchte entwickeln. Ist das nicht alles ein großer Irrsinn?

Wie findet man zu einer guten Beziehung zu sich selbst? Beziehungsarbeit ist schwer und die Beziehungs-Verbesserung zu sich selbst eine ganz besondere Herausforderung. Wie man mit sich selbst umgeht, basiert auf einer ganz langen Prägung seit früher Kindheit. Man hat es tief verinnerlicht. Deshalb braucht eine Veränderung dieser Beziehung vor allem Ausdauer und regelmäßige Beschäftigung damit.

Es gibt ganz viele Ansätze und Ebenen, auf denen man arbeiten kann, um seine Beziehung zu sich selbst zu verbessern. Hier einige Anregungen, die sich aus den Erfahrungen der Selbsthilfearbeit ergeben haben:

  • Auseinandersetzung mit eigenen Lebenskonzepten - Es ist wichtig herauszufinden, woran man glaubt und welche Überzeugungen man hat, um diese dann zu hinterfragen und auf Wahrheit zu überprüfen. Eine Überzeugung wäre z.B. "Erst wenn ich etwas besonderes leiste, bin ich etwas wert." Das ist eine sehr anstrengende Überzeugung. Damit wird man keinen Selbstwert aufbauen können, der an keine Bedingungen geknüpft ist. Durch die Auseinandersetzung mit seinen Lebenskonzepten kann man erkennen, ob die tauglich sind, welchen Preis man dafür zahlt und ob man nach diesen Konzepten wirklich leben will. Viele dieser Konzepte wurden nie reflektiert, sondern einfach - meist unbewusst - übernommen. Deshalb ist ein wichtiger Teil dieser Auseinandersetzung auch, sie erstmal ins Bewusstsein zu holen.
  • Wie fühlt sich Liebe an? - Wir reden so oft über Liebe, aber wir wissen nicht mehr, wie sich Liebe eigentlich anfühlt. Man kann vieles tun, um sich liebevolle Gefühle wieder bewusst zu machen und diese zu fördern. Es gibt Trancen und Meditationen, die eine Öffnung zu liebevollen Gefühlen fördern und mit denen Liebe ganz direkt erlebbar wird. Auch im autogenen Training kann man Formeln einbauen, die für liebevolle Gefühle öffnen. In Beziehung zu anderen Menschen und Tieren kann man Mitgefühl üben. Wenn man erstmal in Kontakt mit einer liebevollen Seite in sich gekommen ist, fällt es leichter, diese auch in der Beziehung zu sich zu fördern. Liebevolle Praxis ist ganz wichtig, nur darüber reden bringt nichts.
  • Wer bin ich? - Die Erforschung, wer man ist und was einen ausmacht, ist oft hilfreich, auch eine Wertschätzung für sich zu entwickeln. Tiefenpsychologische Therapien konzentrieren sich auf diese Selbsterforschung, vor allem auch auf die emotionalen Aspekte.
  • Vorbilder - Anhand von Vorbildern können wir lernen. Wenn man Menschen um sich hat, die liebevoll mit sich umgehen, bekommt man eine Vorstellung davon, wie gute Wege zu sich selbst aussehen. In Selbsthilfegruppen können wir von denen lernen, die schon einen besseren Umgang mit sich gefunden haben. Wenn man Menschen aus seinem Umfeld beobachtet, wie sie mit sich selbst umgehen, werden einem auch immer wieder positive Aspekte auffallen, die man für sich nutzen kann.
  • Positive Affirmationen - Man kann seine negativen Gedanken zu sich selbst durch positive Affirmationen ersetzen, die sich für einen stimmig anfühlen. Es sind wie kleine Gebete, die man sich immer wieder sagen muss, damit man sie irgendwann verinnerlicht hat. Anregungen dazu findet ihr hier...
  • Wiederkäuen - Die alten abwertenden Muster sind zäh. So wird es immer wieder notwendig, die richtige Sichtweise und die guten Vorstellungen vom eigenen Umgang zu aktualisieren. Es wird also immer wieder nötig sein, in der Selbsthilfegruppe über das Thema zu reden oder sich in Bücher zu diesem Thema zu vertiefen. Es ist der tägliche Job, eine neue Beziehung zu sich aufzubauen. Manche kleben sich Zettelchen an den Spiegel oder bauen positive Leitsätze in ihren Alltag ein. Die gute Vision braucht Kraft und muss regelmäßig genährt werden. Dran bleiben, heißt das Motto.
  • Arbeit mit dem inneren Kind - Ein Klassiker, der diese Beziehungsarbeit mit sich selbst beschreibt, ist das Buch "Aussöhnung mit dem inneren Kind". Es ist eine Aufarbeitung, wie Erwachsene in meiner Kindheit mit mir umgegangen sind, was falsch daran war und wie es richtig gewesen wäre. Auf diese Erkenntnisse aufbauend versucht man nun, einen guten inneren Erwachsenen in sich aufzubauen, der die Bedürfnisse des Kindes würdigt und eine gute Beziehung zu den kindlichen Anteilen in einem aufbaut. In eine ähnliche Richtung geht die innere Auseinandersetzung, sich an all die Lebenserfahrungen zu erinnern, wo Menschen abwertend mit mir umgegangen sind und in Phantasie sich diese Situationen so auszumalen, wie ein guter Umgang mit mir ausgesehen hätte. Man wiederholt diese Situationen sozusagen nochmal in seinem Geist, diesmal aber in der Guten Form. Das nährt die Vorstellungen, was überhaupt ein wertschätzender Umgang ist und wie wir dies zukünftig im Umgang mit uns selbst verinnerlichen können.
  • Die heilsame Beziehung - Helfende Beziehungen zu anderen Menschen können sehr viel bewirken. Wir hören in der Selbsthilfe immer wieder, wie wichtig bestimmte Menschen im Prozess der Selbstannahme waren, ob nun Therapeuten, Ärzte, Betreuer, Begleiter, Partner, Freunde oder Mitpatienten in Kliniken. Selbsthilfegruppen können zu einer heilsamen Beziehungserfahrung werden oder hier finden sich Menschen, die sich auch außerhalb des Gruppenrahmens unterstützen.
  • Heilsame Arbeit - In Arbeitszusammenhängen sind wir im Geben. Wir geben etwas von uns hinein. Und wenn dies gewürdigt und anerkannt wird, ist dies eine große Quelle für die Selbstannahme und Selbstwertschätzung. Die Umwelt spiegelt einem, dass das, was aus einem heraus entsteht, nützlich, sinnvoll und gut ist. Es geht dabei nicht nur um bezahlte Arbeit. Jede Form, wo man sich irgendwie einbringt, kann sich positiv auf unser Selbstgefühl auswirken. Das aber nur, wenn unsere Leistung auch gewürdigt wird. Wir müssen uns umgedreht vor Arbeitszusammenhängen schützen, in denen wir herabgewürdigt werden. Und wir müssen acht geben, Leistung nicht als Maß aller Dinge zu sehen. Sonst sind wir wieder in der Leistungs- und Überforderungsfalle.
  • Erkennen statt Urteilen - Es fällt auf, dass Menschen mit geringem Selbstwert in der Regel auch stark urteilen. Sie teilen die Welt in gut und schlecht auf und leiden darunter, wenn sie nach eigenem Urteil mal wieder schlecht sind oder etwas schlecht machen. Es bringt gar nicht so viel, sich auf die gute Seite zu retten, in dem man selber immer besser wird. Das Grundübel ist das Urteilen selbst. Schlussendlich wissen wir nicht, was im großen Gesamtzusammenhang gut oder schlecht ist. Oft können wir lediglich abschätzen, was im Moment sinnvoll und hilfreich erscheint und was nicht. Und auch da können wir oft genug irren. Urteil ist meist nicht nötig, stattdessen konzentriert man sich darauf, zu erkennen, was ist, um eine Auswahl zu treffen, was man jetzt sinnvoll tun möchte. Man konzentriert sich auf das Gute und Sinnvolle. Abwertung ist fast immer überflüssig, ob wir uns selber oder die Welt um uns herum abwerten. Das, was wir heute abwerten, kann schon bald der größte Segen sein. Mit Urteilen irrt man fast immer. Wenn Liebe und Mitgefühl in unser Leben tritt, erledigt sich Verurteilung von selbst.
  • Das Wunder des Lebens - Öffne dich für das Kostbare allen Lebens auf dieser Welt. Wer sich für das Leben interessiert und eine Wertschätzung für dieses Wunder wieder zurückerlangen kann, wird auch den eigenen Wert wieder besser erkennen können. Der eigentliche Wert ist jenseits von dem, was man hat, was man leistet oder darstellt. Sich dem Leben zu öffnen bedeutet gleichzeitig, das Lebendige und Lebensbejahende in sich zu fördern.

Bleibt noch zu erwähnen, dass es für viele mühevoll und langwierig ist, die Beziehung zu sich zu heilen und ihren Selbstwert wieder zu erkennen. So können alle Vorschläge auch nur kleine Impulse auf dem Weg sein. Stellt euch auf ein größeres Projekt ein, was Ausdauer braucht und längere Zeit eure Zuwendung. Der Alltag kann gut genutzt werden, um beständig zu üben, liebevoll und wertschätzend mit sich umzugehen. Eins ist gewiss: Dieses Projekt ist eines der wertvollsten Herausforderungen des Lebens!

Buchtipps:

-- Fred

15.09.2011 :: Gefühlsschulung

Gefühle spielen eine ganz zentrale Rolle bei der Persönlichkeitsentwicklung, Selbsterfahrung und Psychotherapie. Sie sind ein zentraler Bestandteil unseres Lebens. Ein Großteil unseres Verhaltens und unserer Lebensweise wird von Gefühlen bestimmt.

Eine spezielle Form, wie Gefühle unser Verhalten bestimmen, sind Gefühls-Vermeidungs-Strategien. Wir versuchen - meist unbewusst - unangenehme Gefühle nicht mehr zuzulassen, sie zu verdrängen. Und damit das gelingt, haben wir Strategien gelernt, wie man das Unangenehme vermeiden kann. Wenn es einem z.B. unangenehm ist, auf dem Hausflur jemanden zu begegnen, dann lauscht man erst vorher an der Tür, ob gerade niemand da ist und verlässt erst dann seine Wohnung. Oder man geht zu Zeiten aus der Wohnung, wo man recht sicher niemanden treffen wird.

Hier zeigt sich, dass Vermeidungsstrategien das Leben einschränken. Je mehr man davon hat, um so vorbestimmter wird mein Handeln und um so weniger Freiheiten habe ich. Mein Leben bekommt damit auch eine Starrheit und die Angst vor Spontanem und Ungewissem steigt stark an. Weil in allem Ungewissen kann ich dem begegnen, was ich dringend vermeiden möchte. Ein Indiz dafür, dass man viel vermeidet, kann darin bestehen, dass alles, was man nicht kennt und nicht gewohnt ist, stärkere Ängste auslöst. Jede Veränderung der Lebenssituation, z.B. auch ein Urlaub, macht Angst.

Das Ziel einer Gefühlsschulung ist, eine Bewusstheit für seine Gefühle zu bekommen. Und diese auch benennen zu können. Hierdurch werden dann auch Zusammenhänge zwischen Gefühlen und Verhalten deutlich. Und man erkennt mit der Zeit, welche Gefühle man vermeidet. Ein anspruchsvoller Schritt ist die Integration von schmerzhaften Gefühlen. Hierfür braucht es in der Regel einen Therapeuten, der mit einem behutsam in unangenehme Gefühle hineingeht, damit die große Angst davor abgebaut werden kann. Wenn es gelingt, wird es wieder möglich, auch diese unangenehmen Gefühle zu spüren. Man muss sie nicht mehr verdrängen. Auch kann es sein, dass unangenehme Gefühle sich auflösen. Sie haben sich oft in uns angesammelt und sind erstarrt. Werden sie wieder in Bewegung gebracht, fließen sie durch uns hindurch und lösen sich wieder auf. Manchmal kann die Befreiung sich in heftigen Gefühlsausbrüchen zeigen, die therapeutisch begleitet dann zu einem guten Ende gebracht werden können.

Manches Verhalten gestatten wir uns durch Prägungen aus der Vergangenheit nicht. So kann es z.B. sein, dass Faulheit im Elternhaus ein Tabu war. Sobald man sich mal etwas ausruhen möchte, kommt sofort ein unangenehmes Gefühl. Dieses macht man weg, in dem man wieder irgendetwas tut. Auch dieser Prozess ereignet sich in der Regel völlig unbewusst. Man bekommt vielleicht maximal mit, dass es einem schwer fällt, mal still zu sitzen. Welche Gefühle daran beteiligt sind, bleibt im Verborgenen.

Wenn Klarheit in all das Gefühlsleben hineinkommt und wir lernen, mit Gefühlen sinnvoller umzugehen, führt das zu einem befreiten Leben. Wir sind nicht mehr Sklave unserer Gefühle. Stattdessen können wir die Gefühle sinnvoll in unser Leben einbeziehen, als Teil unserer Wahrnehmung. Die Gefühle helfen uns, unser Leben zu leben, ohne zu einem starren Verhalten zu führen.

Was kann man konkret selber tun? Die Zeit in der Selbsthilfegruppe kann man nutzen, ganz bewusst auf seine Gefühle zu achten und diese im Gruppengespräch mitzuteilen. Regelmäßiges Mitteilen schult einen darin, Gefühle zu erkennen und zu beschreiben. Im Alltag kann man Bewusstheit schulen, sich immer wieder Zeit nehmen, um zu fühlen und nachzuspüren. Entschleunigung ist auch ein wichtiges Stichwort. Immer dann, wenn diffuse Gefühle da sind, die man nicht klar benennen kann, nimmt man sich ein paar Minuten Zeit, um einfach nur nachzuspüren. Man kann sich auch täglich mehrmals mit sich einen Termin vereinbaren, wo man sich einfach zurückzieht und seinen Gefühlen lauscht. Ein Emotionstagebuch schreiben hilft, die Gefühle kennenzulernen und sie sprachlich auszudrücken. Im Internet findet man auch vorgefertigte Emotionstagebücher, in denen man Grundgefühle ankreuzt. Das kann eine erste Hilfe sein, Gefühle erstmal grob zu verorten. Denn vielen fällt es schwer, überhaupt erstmal eigene Gefühle zuordnen zu können.

Obwohl Gefühle so mit das Wichtigste im Leben sind, lernen wir in der Schule kaum etwas darüber. Wir müssen das selber für uns nachholen, zumal dann, wenn wir es im Elternhaus nicht beigebracht bekommen haben.

-- Fred

09.09.2011 :: Frustrierende Arbeitserfahrungen

Der Eintritt ins Arbeitsleben ist eine besonders kritische Phase. Der Arbeitsdruck ist vielerorts hoch. Es wird einerseits viel erwartet, wo man andererseits erstmal lernen muss, diese neuen Anforderungen zu erfüllen. Dabei geht es nicht nur um fachliche Anforderungen, auch die soziale Kompetenz muss hier erlernt werden. Wer vorher wenig Übung hatte, hat es hier besonders schwer. Auch später, wenn man sein Arbeitsumfeld wechselt, ist die Herausforderung oft ziemlich groß, wieder Fuß zu fassen.

Frusterfahrungen sind in dieser schwierigen Lebensphase keine Seltenheit. Doch wie können Menschen mit solchen Frusterfahrungen umgehen? Menschen, deren Selbstwertgefühl eher niedrig ist, leiden unter solchen Frusterfahrungen besonders stark. Es ist die massive Konfrontation damit, dass man etwas nicht gut genug kann. Das man in vielen Anforderungen noch nicht genügt. Und das mündet oft direkt in das Gefühl: "Ich bin nichts wert, ich tauge nichts." Der fehlende Selbstwert sorgt dafür, dass man den Mangel an Können nicht als einen ganz normalen Entwicklungsprozess sehen kann. Man kann nicht sehen, dass die äußeren Umstände es sind, die mehr von einem verlangen, als man im Moment kann. Stattdessen bezieht man es direkt auf sich selbst und entwertet das kleine Selbstwertgefühl dann noch weiter.

In unserer Gruppe hört man öfters von Schicksalen, wo der Schmerz, im Berufsleben nicht zu genügen, so stark war, dass er existenziell bedrohlich wurde. Das meint, dass der sowieso schon schwache Selbstwert so entwurzelt wurde, dass das Überleben gefährdet ist. Denn dies muss man wissen - ein Mensch, der sein Leben als völlig unwert empfindet, ist seiner Lebenskräfte beraubt und ernsthaft in seiner Existenz bedroht. Gleichzeitig sind solche Krisen Ausgangspunkt ernsthafter psychischer Deformationen.

Solche schmerzlich-traumatischen Erfahrungen im Zusammenhang mit einem überfordernden Arbeitsumfeld kann tiefgreifende Ängste hinterlassen und auch zu völliger Arbeitsunfähigkeit führen. Dies aber destabilisiert wiederum, weil man herausfällt aus wichtigen sozialen Zusammenhängen. Für viele Menschen ist die Arbeit etwas, mit der sie sich stark identifizieren, in der sie Bestätigung ernten und in der sie sich verwirklichen können. Dies alles kann zu einer Lebenszufriedenheit und einer Stabilisierung des Selbstwertes führen.

Die "Ich genüge nicht"-Angst kann auch dazu führen, dass man jede Situation meidet, in der irgendwie die eigenen Fähigkeiten bewertet werden könnten. Man meidet jede Konkurenzsituation oder auch den Wettbewerb mit anderen. Aus der großen Angst, dass das alte Trauma des Versagens, des nicht gut genug seins, aufbricht.

Hier zeigt sich auch die gesellschaftliche Verantwortung. Wenn es gelingt, Menschen auf gute - nicht überfordernde - Weise in den Arbeitsalltag einzuführen, dient das allen. Für die Gesellschaft ist jeder Mensch ein Zugewinn, der sein Potenzial einbringen kann. Kosten für gesundheitliche und soziale Versorgung reduzieren sich stark, wenn Menschen sich in Arbeitsprozessen wohl und gut aufgehoben fühlen. Wenn die Umstände gut sind, leisten Menschen gerne etwas und fühlen sich wohl damit. Wer spürt, etwas Sinnvolles im Arbeitsalltag bewirken zu können, hat Freude daran und stärkt seinen Selbstwert.

Betroffenen kann man raten, sich auf irgendeine Weise wieder eine sinnvolle Arbeit oder Tätigkeit zu erschließen. Wenn nicht auf dem normalen Arbeitsmarkt, dann zumindest in irgendeiner anderen Form. Denn gute Arbeit ist eine pure Erquickung für die Seele. Arbeit ist Eingebundensein in die Gesellschaft. So werden wir seelisch gesunder.

Auch jenseits von Arbeitszusammenhängen kann man sich mit der Angst, nicht gut genug zu sein, auseinandersetzen. Es geht darum, zu lernen, sich auch in Situationen anzunehmen, wo man keine hinreichenden Leistungen erbringt. Manchen gelingt das über Humor. Wenn man über sich lachen kann, wenn mal etwas nicht gelingt, entkrampft das viel. Ich bin fest davon überzeugt, dass man lernen kann, gelassener mit all seinen Unfähigkeiten umzugehen. Gleichzeitig ist genau das die beste Voraussetzung, geschickter zu werden und sich neue Fähigkeiten anzueignen.

Der größte Feind sind wir selbst,
in Momenten,
in denen wir uns nicht annehmen können.

Was kümmert mich das Urteil anderer noch,
wenn ich gelernt habe,
mich in jeder Lebenslage zu mögen?

Für Selbstliebe bin ganz allein ich zuständig,
kein Mensch, der das für mich tun kann.

-- Fred

06.09.2011 :: Erstaunlich viele Menschen sind psychisch erkrankt

Wenn Betroffene in unsere Gruppen kommen, haben sie oft den Eindruck, mit einer psychischen Erkrankung ein ziemlicher Außenseiter zu sein. Das liegt vor allem noch daran, dass man in der Regel nicht offen über psychische Erkrankungen spricht. Wenn man jedoch anfängt, mit Bekannten und Freunden darüber zu reden, ist man nicht selten erstaunt, wer alles schonmal beim Therapeuten war oder zumindest in seinem unmittelbaren Umfeld mehrere kennt, die unter einer ernsthaften psychischen Erkrankung leiden.

Laut einer aktuellen Studie sollen in Europa immerhin 38 Prozent der Bevölkerung innerhalb eines Jahres an einer psychischen Erkrankung wie Angst, Depression, Alkoholhabitus und ADHS leiden. An erster Stelle stehen die Angststörungen mit immerhin 14 Prozent. Speziell werden hier Herzneurose und Sozialphobie genannt. Danach folgen mit 6,9 Prozent die Depressionen.

Bei solchen Zahlen zeigt sich, dass psychischen Erkrankungen keineswegs Ausnahmeerscheinungen sind, sondern sie sind stark verbreitet. Das nicht darüber geredet wird, verzerrt die Wahrnehmung.

In der Studie wird auch festgestellt, dass viele Betroffene einen großen Mangel an Information haben. Sie wissen nicht, wie man damit umgehen soll, sie nutzen aus Unwissenheit die Hilfsangebote nicht. Aber auch die Hilfsangebote sind teilweise mangelhaft und entsprechen nicht den Mindestanforderungen für eine fundierte und nachhaltige Therapie.

Das erinnert uns an Erfahrungen von Betroffenen, die beim Hausarzt mit ein paar aufmunternden Worten über Jahre hinweg "behandelt" wurden, ohne jemals über die Möglichkeit einer Therapie unterrichtet worden zu sein. Auch wird die Möglichkeit, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen, noch viel zu selten kommuniziert. Letztens erzählte uns eine Betroffene, dass sie bereits seit 3 Jahren zu einem Therapeuten geht, bei dem sie das Gefühl hat, das wäre reiner Kaffeeklatsch. In den 3 Jahren hätte sie noch keine wichtige Erkenntnis über sich und ihre Situation mitnehmen können. Den Absprung hat sie nicht geschafft, weil sie es sich nicht getraut hat, dem Therapeuten vor den Kopf zu stoßen. Und weil sie glaubte, dann erstmal 2 Jahre überhaupt keine Therapie mehr zu bekommen.

Wer eine Therapie in Angriff nehmen will, erkennt zudem, dass man mittlerweile 6-12 Monate auf einen Therapieplatz warten muss. Es gibt hier eine starke Unterversorgung.

Nicht vergessen darf man auch die großen Folgeprobleme, die aus psychischen Notlagen entstehen: Alkoholmissbrauch, Spielsucht, Übergewicht und viele weitere körperlichen Erkrankungen und schädigende Verhaltensweisen.

Es wird höchste Zeit, dass man sich gesellschaftlich der Problematik der psychischen Erkrankungen mehr annimmt und frühzeitig Unterstützung anbietet.

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02.09.2011 :: Wahrheit oder Illusion?

Menschen, die von Ängsten geplagt sind, die im Kontakt mit anderen Menschen auftreten, ernten oft Unverständnis. Da kommen dann so Sprüche wie: "Du brauchst doch keine Angst haben, da ist doch gar nichts!" oder "Dir tut doch niemand was!"

Manche Therapeuten sprechen auch von irrealen Ängsten. Ängste, die auf die aktuelle Situation bezogen keine Grundlage haben. Jedoch halten sich viele Ängste aufrecht, weil bestimmte Szenarien durchaus vorstellbar sind. Sie sind besonders für die Menschen gut vorstellbar, die so etwas schon erlebt haben. Soziale Ängste speisen sich ja oft aus realen Erlebnissen, die sich sehr bedrohlich anfühlten. Wer etwas Seltenes, aber durchaus Vorstellbares erlebt hat, hat einen ganz anderen Bezug zu so einer Situation. Wer schonmal Opfer menschlicher Gewalt wurde, geht mit einer ganz anderen Vorsicht durchs Leben, als derjenige, der so etwas noch nicht erlebt hat. Ganz ähnlich ist die Prägung, wenn jemand massives Mobbing erlebt hat und daran schwer erkrankte.

Die Spannweite menschlicher Handlungen ist sehr groß. Der Mensch ist in der Lage, grauenvolle Dinge zu tun, das erleben wir täglich in den Nachrichten. Ganz reale Gewalt, ganz reale Gräueltaten irgendwo auf der Welt. Insofern haben soziale Ängste einen durchaus nachvollziehbaren Hintergrund. Ganz unabhängig davon, wie wahrscheinlich bestimmte Dinge sind. Die Angst interessiert sich sowieso recht wenig für Wahrscheinlichkeiten.

Wer ist eigentlich das Opfer einer Illusion? Die entspannten Menschen, die sich eine Gefahr nicht vorstellen können, weil sie sie noch nicht erlebt haben? Oder die beängstigten Menschen, die erlebt haben, was sein kann? Was ist realer?

Die große Frage ist, wie kann man mit dem Risiko leben? Menschen, die bestimmte bedrohliche Situationen noch nicht erlebt haben, können oft wesentlich leichter mit dem Risiko leben. Aus der Illusion heraus, dass nichts passieren wird. Ihnen ist das Risiko nur wenig bewusst. Das zeigt z.B. die Jugend, die zahlreiche Risiken eingeht, die sie 10 Jahre später niemals mehr tun würde. Vielleicht ist man durch Leichtsinnigkeit in manche bedrohliche Situation gekommen und ist dadurch vorsichtiger geworden. Die Illusion der Unverletztlichkeit hat sich ein Stück aufgelöst und ist einem realistischeren Blick gewichen.

Menschen, die etwas unverdaulich Schlimmes erlebt haben, können nur schwer mit dem Risiko leben, dass es nochmals passieren kann. Von daher wird in Psychotherapie daran gearbeitet, Erfahrungen zu verdauen. Sie als schlimm, aber überlebbar zu begreifen. Wenn aber auch nur etwas Glück dazu beitrug, dass man überlebt hat, wird es schwer, wieder ja zu einem bestimmten Risiko zu sagen, egal wie klein es ist. Hier kommt man ganz schnell zu existenziellen Fragen des Lebens, die sehr tief gehen. Wie kann man im Bewusstsein, dass der Tod auch immer in Reichweite ist, trotzdem aus vollem Herzen leben? Diese Frage wird zur Pflichtübung für Menschen, die Traumatisches erlebt haben. Viele andere werden von dieser Frage verschont bzw. haben die freie Wahl, sich dieser Frage zuzuwenden. Das Leben hat ihnen diese Tatsache nicht so schonungslos und direkt vor Augen geführt und sie können weiter in einer Illusion von Sicherheit leben.

Trotz dem, was man erfahren hat, ja zum Risiko zu sagen, kann befreien. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass wir unsere Fähigkeiten verbessern können, wirkliche Gefahren zu erkennen und diese zu unterscheiden von unkritischen Situationen. Von Angst Geprägte können das oftmals nicht mehr. Alles, was eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Angsterfahrung hat, wird als bedrohlich erlebt und macht Angst. Und dies kann sich auch immer weiter ausdehnen. Wir müssen also wieder differenzieren lernen, wo reale Gefahr droht und wo keine Gefahr ist. Die Gefühle spielen uns einen Streich, Angst taucht auf, wo sie nicht hingehört. Es sind hier vor allem die weichen Faktoren, die uns dabei helfen: Intuition, Spürsinn und Achtsamkeit. Aber auch der Kopf kann uns helfen. Er kann über Situationen nachdenken und prüfen, ob etwas wirklich gefährlich ist, oder ob lediglich eine alte Angst getriggert wird, die aber nicht viel mit dem Hier und Jetzt zu tun hat.

Hierbei geht es immer wieder darum, den großen Klumpen, der Angst macht, zu einem kleinen Kern abzuschmelzen. Der beängstigende Kern ist die Essenz, dass was wirklich bedrohlich war und wieder sein könnte. Der Rest hat sich über die Jahre daran angeheftet und ist das eigentlich Irreale oder Verzerrte.

-- Fred

30.08.2011 :: Überlebte Angst-Automatismen durchbrechen

Heute bin ich zufällig auf einen Automatismus aufmerksam geworden. Ich bin in eine Ausstellung gegangen. Bevor ich den Raum betreten konnte, wusste ich nicht, was mich erwartet. Solche Situationen, nicht zu wissen, was kommt und ob ich vielleicht mit irgendeiner "sozialen Interaktion" konfrontiert werde, lassen mich anspannen und lösen das Gefühl aus, es nicht gerne zu tun. In eine fremde Kneipe hineinzugehen oder in ein Geschäft, was ich nicht kenne, wären ähnliche Beispiele. Es geht dabei immer um "drohende" Interaktionen mit Menschen, in die ich verwickelt werde.

Dieses unangenehme Gefühl mit dieser Angespanntheit entsteht von ganz alleine, als Automatismus, der wohl schon ganz früh in meiner Kindheit begonnen hat.

Heute konnte ich das mal bewusst wahrnehmen und ich dachte mir: "Wie lange willst du dir noch diese Anstrengung antun?" Das machte Lust darauf, das Risiko einzugehen, und mich bewusst zu entspannen. Ein Teil in mir sagte: "Aber wenn dann doch was Unerwartetes auf mich zukommt..." worauf ein anderer Teil in mir sagte: "Dann werd ich das in dem Moment schon irgendwie regeln können. Jetzt werd ich einfach mal ganz entspannt da hinein gehen und dieses Gefühl genießen."

Natürlich muss die Zeit dafür reif sein, so etwas tun zu können. So war das aber jetzt und ich konnte mir die Freiheit nehmen, mal nicht in diesen Anspannungs-Automatismus einzusteigen. Und das war eine ganz spannende Erfahrung, mal gelöst und neugierig wo reinzugehen, anstatt immer diese unangenehme Angsthaltung zu spüren. Ich bekomme eine Ahnung davon, wie lustvoll solche Erfahrungen auch sein können.

Ich werd das jetzt öfters mal so tun, sozusagen den Mut zu haben, in etwas Unbekanntes zu gehen mit dem Vertrauen darin, dass ich schon mit all dem spontan umgehen kann, was mich erwartet. Anstatt immer wieder im Vorhinein mich zu sorgen, was so oft unnötig ist.

Es gibt Menschen, die haben das von Natur aus geschenkt bekommen. Die begegnen offen, interessiert und neugierig allem Neuen. Da ist eine Freude im Gesicht und eine Lust auf das noch Unbekannte wird spürbar. Ich hatte mal eine Reportage des berühmten Fotografen Robert Lebeck gesehen. Tief beeindruckt hat mich seine Neugier und Offenheit, mit der er seiner Umwelt begegnet ist. Vor allem auch die Begegnungen mit Menschen, die er in einer kindlich-spontanen Art nehmen konnte.

Ich behaupte mal, dass jeder Mensch mit einer Menge an lebens-erschwerenden Automatismen durch den Alltag geht, die eigentlich gar keinen Sinn mehr machen, die man los lassen könnte. Die große Kunst besteht nur darin, sie zu entdecken. Neben der Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt, müssen wir Verhalten und Denkgewohnheiten auch hinterfragen. Und wir brauchen Ideen, was wir mal Neues ausprobieren können.

So justieren wir uns ständig neu und schütteln ab, was wir nicht mehr brauchen.

-- Fred

27.08.2011 :: Alles vergurkt oder doch die beste Startposition?

Jedem Menschen kann es passieren, dass einem das Leben sehr ungünstige Bedingungen beschert. Es gibt viele Schicksalsschläge, mit denen man zurecht kommen muss. Auch die Startbedingungen sind äußerst unterschiedlich. Manche wachsen in einem herzlichen sozialen Umfeld auf, andere müssen schon sehr früh ums Überleben kämpfen. Gerechtigkeit gibt es hier nicht und die Frage "Warum gerade mir?" ist meist eine, die sich nicht beantworten lässt. Vielleicht ist es auch die falsche Frage.

Das es im Leben schwierige Situationen gibt, daran braucht man nichts zu beschönigen. Im Gegenteil, für Betroffene ist es ein erster Schritt, diese leidvolle Situation anzuerkennen. Nicht ich bin falsch, nicht würdig oder schuld, sondern ich bin in eine schwierige Situation hineingeraten. Gerade Menschen mit einer Neigung zu Selbstzweifeln beziehen schnell alles auf sich. Dann glaubt man, das Leben bestraft einen oder das wäre ein Beweis dafür, dass man eben kein Anrecht auf gute Lebensbedingungen hat. Jemand sagte letztens mal: "Ich bin halt scheiße und mein Leben bleibt scheiße!"

Das ist das Fatale daran. Eigentlich bräuchte man in solchen Situationen eine liebevolle Haltung. Um sich selbst mit Herz und Seele darin zu unterstützen, herauszukommen. Stattdessen entsteht Selbsthass und Selbstablehnung. Es ist traurig zu beobachten, wie Menschen, denen Schlimmes widerfahren ist, sich so noch mehr selbst schädigen.

Immer wieder gibt es Menschen, die sagen: "Im Nachhinein war diese schwierige Situation doch das Beste, was mir im Leben passieren konnte." Sie meinen damit nicht, dass der Schicksalsschlag an sich gut war. Er blieb schwierig und brauchte Zeit, ihn zu verarbeiten.

Doch da gibt es eine andere Seite, die sehr hoffnungsvoll ist. Schwierige Lebenssituationen nötigen uns im Leben, eine ganz neue Richtung einzuschlagen. Ein neuer Weg, den man sonst vielleicht nie gegangen wäre. Dieser neue Weg kann ein echter Segen sein.

So kann es durchaus sein, dass eine Schwierigkeit für den bisherigen Lebensweg tatsächlich ein großes Übel ist. Doch orientiert man sich um, erkennt man auf einmal eine gute Startposition für einen neuen Lebensentwurf. Wenn man bei einem Autorennen an letzter Position starten muss, ist das ungünstig. Würde die Rennleitung festlegen, dass heute genau anders herum gefahren wird, hätte man die beste Position...

Es gab da eine Betroffene, der es extrem wichtig war, von ihrer Umwelt in die richtigen Schubladen einsortiert zu werden. Sie lebte nicht ihr Leben, sondern orientierte sich an Werten, die die anderen und die Werbung von ihr erwarteten. Die richtigen Klamotten, die richtigen Marken, das richtige Auto, der richtige Beruf, die geglückte Karriere, das eigene Haus, das eigene Pferd usw. Sie hätte es sich nicht vorstellen können, mal eine "Billig-Jeans" anzuziehen. Das wäre für sie abgrundtief peinlich oder beschämend gewesen, sie hätte sich völlig selbst entwertet.

Leider kam sie aber in eine soziale Lage, in der sie sich dieses Leben nicht mehr leisten konnte. Zuerst litt sie stark darunter und zog sich immer mehr von allem zurück. Irgendwann begann sie in dieser misslichen Lage eine Therapie und mit der Zeit wandelten sich ihre Wertvorstellungen völlig. Die billige Jeans trägt sie heute gerne und kann nur noch mit dem Kopf schütteln, sich früher so stark von äußeren Vorgaben abhängig zu fühlen. Für sie war das Scheitern das beste Geschenk, was ihr das Leben machen konnte. Denn sie erkannte, was ihr wirklich wichtig im Leben ist und orientiert sich jetzt daran. Gleichzeitig erkannte sie die Substanzlosigkeit der vorherigen Werte.

-- Fred

24.08.2011 :: Biografiearbeit

Ein paar Stichworte, über die man in seine Biografie eintauchen kann:

  • Freunde
  • Berufe
  • Heimat
  • Reise
  • Partner
  • Kindheit
  • Neubeginn
  • Verluste
  • Geburt
  • Erste Liebe/Verliebtheit
  • Familie
  • Ausbildung
  • Träume
  • Visionen
  • Jugend
  • Kinder
  • Reise
  • Schicksalsschläge
  • Orte

Weblinks:

20.08.2011 :: Probleme in Projekte verwandeln

Oft ist es der Blickwinkel, wodurch ein und die selbe Sache zu etwas ganz anderem wird. Der Blickwinkel hat zugleich eine große Bedeutung, wie wir uns einer Angelegenheit zuwenden.

In Therapie erlebe ich öfters den Wandel von einem Problem zu einem Projekt. Zuerst ist etwas ein Problem, weshalb ich es in Therapie anspreche. Ich fühle mich schlecht damit, es behindert mich, ich will es nicht. Vielleicht fühle ich mich als Opfer und ich denke, warum muss ich mich damit rumschlagen? Warum passiert mir sowas? Oder ich will mich dem Problem gar nicht zuwenden, vermeide und verdränge es.

Manchmal aber gelingt ein Wandel des Blickwinkels. Dann wird das Problem zu einem Projekt. Eine spannende Aufgabe, eine Herausforderung, die es zu lösen gilt. Manchmal ist es auch ein Abenteuer oder eine Heldenreise. Klar muss man dabei auch Schwieriges auf sich nehmen, aber im Sinne eines Projektes ist das viel leichter machbar. Helden in Märchen machen es uns vor, sie müssen schwierige Situationen meistern und durchschreiten mutig die Welt, um irgendwann etwas Großes erreicht zu haben. Auch wenn in Märchen die Helden oft männlich sind, bin ich fest davon überzeugt, dass auch Frauen genausoviel "Heldenenergie" in sich tragen. Wer genau hinschaut, findet im Alltag auch viele weibliche Heldenfiguren. Da gibt es z.B. die Gruppe "Wir sind Helden", die von einer Frontfrau in Szene gesetzt wird.

Etwas als Projekt zu sehen, aus dem schlussendlich etwas Wertvolles entsteht, kann sehr motivierend sein. Und es bündelt bzw. fokussiert die eigenen Kräfte. Es ist noch mal eine Bekundung "Das ist jetzt meine Aufgabe und dieser Aufgabe stelle ich mich."

Hat man erstmal ein Projekt benannt und klar definiert, kann man sich daran machen, sich mit der Umsetzung zu beschäftigen. Ein Projekt besteht meist aus vielen kleinen Schritten und Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Die Gedanken sind dahin ausgerichtet, was es als nächstes braucht, was für das Projekt gut ist. Im Alltag ist man wach, die Zeichen wahrzunehmen, die einem helfen, das Projekt zu meistern. Durch die Brille dieses Projektes nimmt man das Hier und Jetzt anders wahr und erkennt das, was einem zur Bewältigung hilft.

Manchmal kann man seine Schwächen auch direkt in Stärken verwandeln. Wem es schwer fällt, Vorträge zu halten, könnte es als Projekt ansehen, ein guter Redner zu werden. Wer sich in Gruppen gerne versteckt, könnte es als Projekt nehmen, öfters mal die Moderation zu übernehmen. Wir suchen uns das, worin wir schwach sind, um daraus eine Stärke zu machen.

Ein Projektdurchführung, könnte so ablaufen:

  • Was ist mein Problem oder meine Schwierigkeit?
  • Was könnte ich daraus für ein Projekt machen?
  • Will ich dieses Projekt als Herausforderung annehmen? Es braucht eine klare Willensbekundung. Projekte müssen immer aus dem eigenen Willen heraus getragen sein. Wenn kein klarer Wille vorhanden ist, lässt man es besser und wendet sich etwas anderem zu.
  • Ich kaufe mir ein kleines Schreibheft, was zum Projektbuch wird. Hier plane ich und halte alles fest, was ich mir im Laufe des Projektes an Gedanken und Ideen erarbeite.
  • Die Selbsthilfegruppe ist Weggefährte meines Projektes. Hier kann ich immer wieder mitteilen, wie es um mein Projekt steht. Das stützt mein Vorhaben, denn alles, worüber ich rede, bekommt meine Aufmerksamkeit und damit bekommt es Verwirklichungs-Energie. Wenn die Gruppe so Teil meines Projektes wird, gibt das zusätzlich Energie und Anregung.
  • Sich einen Partner zu suchen, der sozusagen Projektbegleiter ist, kann sehr hilfreich sein. Mit ihm kann man immer wieder über den Fortschritt des Projektes sprechen und sich Hilfe holen. Auch hat der Begleiter einen anderen Blickwinkel auf das Projekt, was hilft. Es ist auch möglich, dass sich mehrere zusammentun, um an genau dem gleichen Projekt zu arbeiten. Neben den normalen Selbsthilfegruppenterminen kann man so auch zusätzliche Treffen organisieren oder spezielle Übungsfelder schaffen. Manchmal entsteht so eine Projektgruppe, die sich regelmäßig trifft.

-- Fred

19.08.2011 :: Lied der Woche

Tina Dico - No Time To Sleep

18.08.2011 :: Der eingeschüchterte Körper

Wenn man sich über die Ursachen von sozialen Ängsten und Sozialphobie Gedanken macht, treten immer wieder Geschichten zu Tage, die etwas mit dem Körper zu tun haben. Da gibt es den dünnen und lang gewachsenen Jungen, der von seinen Klassenkameraden gehänselt wird. Oder das zu dick geratene Mädchen, worüber sich andere Kinder lustig machen. Körperliche Merkmale sind ganz oft Zielscheibe von Angriffen. Dies betrifft vor allem die Schulzeit und die Angriffe kommen von Gleichaltrigen. Später ist es gesellschaftlich in aller Regel nicht mehr akzeptiert, sich über körperliche Besonderheiten lustig zu machen. Man tut das dann nur noch hinterrücks oder formuliert es geschickt-indirekt.

Mir geht es hier vor allem um den Aspekt des beschädigten Körperbildes. Viele Betroffene haben einen gestörten Bezug zu ihrem Körper. Sie schämen sich für bestimmte Aspekte ihrer Körperlichkeit oder lehnen sich körperlich irgendwie ab. Aber auch dort, wo keine aktive Ablehnung vorhanden ist, fehlt es an einem liebevollen Bezug zum eigenen Körper. Man hat sich dann irgendwie mit seinem vermeintlich unzulänglichen Körper arrangiert und kann keinen wirklich guten Bezug mehr dazu herstellen.

Wie man sich im Spiegel und auf Fotos erlebt, ist ein Indiz dafür, wie der Bezug zum eigenen Körper ist. Wie man sich selber annehmen kann, genau so, wie man ist.

Der Körper wirkt aber auch in der Bewegung und hier können sich Bewegungsängste aufbauen. Das kann dazu führen, dass man sich in seinen Bewegungen stark kontrolliert, weil man Angst hat, dass die ursprünglichen Bewegungen nicht genügen. Ein Indiz für die Bewegungsangst ist z.B., wie leicht es Betroffenen fällt, vor den Augen anderer zu tanzen. Im Tanz ist der Körper in Bewegung und es wird vor allem dann schön, wenn man sich lassen kann, wenn der Körper sich ganz intuitiv und ohne bewusste Kontrolle bewegt. Bewegungsängste können dies verhindern.

Interessant ist hier auch, wie Betroffene oft irrige Annahmen über ihre Bewegungswirkung haben. Sie glauben, komisch oder lächerlich zu wirken. Eine Verinnerlichung früherer Kränkungen. Doch wenn man sie per Video aufnimmt und es abspielt, sind sie erstaunt: "Das sieht ja ganz normal aus, ich dachte immer, ich wirke total komisch." So ein Betroffener, der während einer Therapie aufgenommen wurde und sich dann die Aufnahme anschaute. Videoaufnahmen wirken manchmal befreiend, weil alte irrige Vorstellungen losgelassen werden können und man so sein Selbstbild aktualisiert. Stattdessen kann man sich den wirklichen Baustellen zuwenden, wo man durch besseren Körperausdruck verständlicher und klarer für andere wird.

Für Betroffene kann es sehr hilfreich sein, sich diesen körperlichen Aspekt mal getrennt anzuschauen. Wie haben im Laufe meines Lebens die Menschen auf meine Körperlichkeit reagiert? Wie war die Resonanz und das Feedback zu dem, was ich mit meinem Körper darstelle? Wo war ich angenommen, so wie ich körperlich bin? Wo wurde ich abgelehnt, wo wurde ich beschämt?

Manche Therapeuten vernachlässigen das Thema Körperlichkeit stark. Wer sich diesem Thema in Therapie noch nie zugewendet hat, könnte das mal aktiv mit einbringen. In unseren Gruppen gibt es auch einige, die mit körperorientierten Psychotherapeuten gute Erfahrungen gemacht haben. Leider ist dies eine Therapieform, die ambulant nicht von den Krankenkassen bezahlt wird.

In manchen Kliniken wird hingegen auch körperorientiert gearbeitet, z.B. in der Fachklinik Heiligenfeld oder den Kliniken, die nach dem Bad-Herrenalber-Modell arbeiten.

Körperbewusstheit lässt sich z.B. durch die Feldenkrais-Methode üben. Kurse werden regelmäßig in Volkshochschulen oder Bildungswerken angeboten.

-- Fred

15.08.2011 :: Vertrauen in die eigenen Kräfte

Ängste sorgen dafür, dass man sich über alles Mögliche Gedanken macht, was passieren könnte, wie man vorsorgen kann, wie man beängstigende Situationen aus dem Weg geht. Der Kopf dreht sich mit seinen Gedanken immer mehr um das Thema Angst. Er arbeitet auf Höchsttouren, weil er glaubt, er wäre der Einzige, der das Problem jetzt bewältigen muss.

Ein anderer heilsamer Denkansatz könnte dieser sein: Geist, komm zur Ruhe! Vertraue in die Fähigkeiten des restlichen Organismus, dass er diese Situation schon bewältigen wird.

Es geht also darum, wieder etwas mehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln, dass man Situationen schon bewältigen wird. Auch ohne sie tagelang im Kopf zuvor zu durchdenken. Einfach so, ohne Vorbereitung. Vielleicht wird es unangenehm, aber es ist doch auch immer wieder schön zu beobachten, dass ich die Fähigkeiten habe, es zu durchstehen.

In einer Klinik sagte man uns: "Wie schwer euer Leben auch immer war, ihr habt es überlebt und seid jetzt hier angekommen." Das hatte für mich etwas Mutmachendes, hat doch mein Organismus auch große Fähigkeiten, widrige Lebensumstände zu durchleben. Wer sich damit näher beschäftigen will: In der Fachsprache heißt diese Fähigkeit Resilienz.

Für manche ist das Gedankenkreisen schon Tage vorher die größere Qual. Wenn man darauf vertrauen könnte, im konkreten Moment schon genügend Kraft und Fähigkeiten zu haben, das zu durchstehen, könnte man sich diese Qualen sparen.

Diese Idee kann eine stückweise Umorientierung werden. Mit der Zeit wird man erkennen, dass im eigenen Körper tatsächlich jede Menge Ressourcen und Fähigkeiten stecken, Situationen zu durchstehen. Daran kann man sich erfreuen und dies wird auch zur erlebten Basis, was mehr Vertrauen entstehen lässt. So entwickelt man Stück für Stück wieder mehr Vertrauen, das Leben mit all seinen Herausforderungen meistern zu können.

Weblink:

-- Fred

12.08.2011 :: Angst oder Gewohnheit?

Ein Gespräch in der Gruppe. Die Mitglieder kennen sich schon gut. Es sind aber nur 3, die da wirklich miteinander reden. Die anderen 5 sagen nichts, halten sich zurück. Der Moderator spricht einen an, der noch nichts gesagt hat. Als hätte er darauf gewartet, angesprochen zu werden, sprudelt nun auch einiges zum Thema aus ihm heraus. Nachgefragt, warum er das denn nicht schon früher mitgeteilt hat, sagte er: "Normal läuft das alles nur in meinem Kopf ab. Mir fällt oft viel zu dem ein, was hier geredet wird, aber ich bin es gewohnt, dass alles nur in meinem Kopf ablaufen zu lassen."

Ganz oft ist es nicht (mehr) die Angst, die unser zurückhaltendes Verhalten verursacht. Es ist schlicht eine Gewohnheit, die man schon lange Zeit praktiziert. Eine Gewohnheit, die vielleicht irgendwann mal aus der Angst heraus geboren wurde. Doch jetzt könnte man eigentlich auch ganz anders agieren. Doch als Mensch sind wir in unseren Gewohnheiten verhaftet.

Eigentlich ist das ein Drama. Nutzen wir doch so oft nicht unser Potenzial und unsere Möglichkeiten. Wenn jede unangenehme Erfahrung im Leben zu dauerhaften Gewohnheiten führt, die unser Leben ein Stück weiter einschränken, dann leben wir bald nicht mehr.

Es braucht ganz dringend eine Gegenkraft: Jede Gewohnheit muss sich auch wieder auflösen können, wenn sie sich überlebt hat. Ein Spruch drückt die Lösung gut aus:

Wenn du erleben willst,
was du noch nie erlebt hast,
musst du etwas tun,
was du noch nie gemacht hast!

Seine Trägheit zu überwinden und durch Interesse und Neugier etwas auszuprobieren, darum gehts. Es geht auch um den Mut, mal wieder Dinge zu probieren, die eine leichte Angst oder ein Kribbeln auslösen. Manchmal hilft auch, einfach mal etwas frech zu sein. Oder ein "Trotzdem!" oder "Jetzt erst recht!".

Es ist in meinen Augen das falsche Lebensmodell, immer mehr Gewohnheiten aufgrund schlechter Erfahrungen in sich anzusammeln und daran festzuhalten, damit es immer gemütlicher wird. Gemütlichkeit schlägt nicht selten in Langeweile und Depression um, weil das Leben zu eng geworden ist. Der Wunsch nach einem großen Befreiungsschlag wird in einem laut.

Es gibt sicherlich ganz schwierige Lebenserfahrungen, die Gewohnheiten nach sich ziehen, die man nur schwer wieder loslassen kann. Das ist eigentlich genau das, was Teil einer Therapie ist. Mit Hilfe eines Therapeuten sich diese schwierigen Erfahrungen nochmal anzuschauen, sie neu zu bewerten und in einem geschützten Umfeld sich neu auszuprobieren. Sich Land zurückerobern, was man schon viele Jahre verloren hatte.

In der Selbsthilfegruppe gibt es viel Übungspotenzial, überlebte Gewohnheiten aufzulösen und sich mit aufregenden Situationen zu konfrontieren. Hier kann Therapie und Selbsthilfe Hand in Hand arbeiten. Mit dem Therapeuten kann man sozusagen Herausforderungen herausarbeiten, denen man sich in der Selbsthilfegruppe stellt. Sprecht ruhig mal euren Therapeuten an, wie ihr die Selbsthilfegruppe als Übungsfeld nutzen könnt. Denn manchmal sind auch Therapeuten in alten Gewohnheiten verhaftet und erkennen gar nicht das Potenzial von Selbsthilfegruppen ;-)

-- Fred

09.08.2011 :: Angekommen in der realen Welt

Da müht man sich ab in Gruppen, um vernünftige Formen menschlicher Kommunikation zu erlernen und den rechten Platz in einer Gemeinschaft zu finden, in der man auch seinen Mund aufmacht und sich einmischt. Ganz stolz auf seine neuen Möglichkeiten, bekommt man dann im realen Leben einen ordentlichen Dämpfer. Auf einmal ist man wieder in Gruppen, die einen schneiden und mobben, die Intrigen schmieden, wo überall gelästert wird, wo bösartige Energien auf vielfältige Weise um sich greifen.

So könnte es sich zutragen. Was nützt all meine Erkenntnis und Übung, wenn ich in meinen Alltagsbezügen wieder in einem feindseligen Umfeld lande?

In der Tat kann man sagen, dass es zwar gut ist, um einen respektvollen und kultivierten Umgang zu wissen, in dem jeder seinen Platz hat und gewürdigt wird. Doch ohne ein Umfeld, was diese Kultur mit mir teilt, wird es nicht lebbar sein. Natürlich ist es möglich, aus eigenem Engagement Gruppen zu verändern, doch oft genug sind die Möglichkeiten dafür begrenzt. Man muss sich vielerorts mehr oder weniger mit dem arrangieren, was ist. Gerade in Strukturen mit einem größeren Machtgefälle wird es schwierig, etwas zu verändern. Wenn der eigene Chef menschlich ein Arsch ist und er den Umgang in der Firma stark prägt, hätte man eine recht heldenhafte Aufgabe, seinen Chef umzuerziehen. Nichts ist unmöglich, aber man sollte auch realistisch bleiben...

Viele, die von einem Klinikaufenthalt zurückkommen, spüren das Dilemma. Sie haben dort für einige Wochen eine bessere Lebensform kennengelernt. Und sie fühlen sich stark, dies jetzt auch im Alltag zu leben. Doch die Ernüchterung trifft viele ebenso hart: Zu spüren, dass die alten Strukturen, die einen nun wieder umgeben, stärker und starrer sind, als man sich das vorgestellt hat. Ganz schnell kommt man wieder ins alte Fahrwasser und leidet wieder unter den gleichen Problemen. Ich bin gewachsen und hab mich in der Klinik weiter entwickelt, aber mein Umfeld nicht.

Hier zeigt sich schön die Problematik, die die systemische Therapie im Blick hat: Nicht nur der einzelne Mensch, der sich krank fühlt, sollte betrachtet werden. Der Mensch ist Teil einer Umwelt, er ist eingebunden in ein soziales System. Und dieses System kann krank sein. Es kann auch sein, das man in diesem System nicht gesunden kann, weil das kranke System mich genauso krank braucht, wie ich darin geworden bin.

Aus der Selbsthilfearbeit wissen wir, dass mitunter radikale Schnitte für Betroffene wichtig waren. Sie mussten sich von ihrer Familie, ihren Eltern oder ihrem Arbeitsumfeld rigoros trennen, um nicht kaputt zu gehen. Sie brauchten großen Abstand von einem System, was sie krank machte.

Man muss hier ganz klar sehen: Es gibt Umfelder, die ein großes Risiko mit sich bringen, psychisch zu erkranken oder deformiert zu werden. Genauso, wie wir uns vor giftigen und gesundheitschädlichen Chemikalien schützen, müssen wir uns auch vor psychischer Vergiftung in acht nehmen.

Meist sind solche Trennungen sehr schwierig und es braucht einen großen Willen und großen Leidensdruck, bis sie sich realisieren. Meist sind solche Schritte auch beängstigend und riskant, weil man in vielerlei Abhängigkeiten steckt und keiner einem garantieren kann, ob es gut gehen wird. In solchen schwierigen Phasen ist es sicher gut, therapeutische Begleitung zu haben.

Genauso kann es sein, dass es besser ist, im System zu bleiben und dieses zu verändern. Wenn man aus einer Vermeidungshaltung heraus kommt und sich aktiv für etwas einsetzt, was einem wichtig geworden ist. Auch hiervon hört man in den Selbsthilfegruppen, wie dies gelungen ist. Sich durchzusetzen und kraftvoll rüberkommen - auch das will gelernt sein.

Schlussendlich geht es vielleicht darum, dass das Umfeld günstig genug ist, so dass man sein Potenzial hinreichend leben und entwickeln kann. Es gibt keine Verpflichtung, sich in einem Umfeld aufzuopfern, was zu eng ist und einem keine Luft zum Atmen lässt. Das eigene Leben ist wertvoll und sollte sich entwickeln können.

In der Selbsthilfearbeit ist es immer wieder sinnvoll, sich nicht nur auf das eigene Leid zu konzentrieren, sondern sich auch das Umfeld anzuschauen, in dem man eingebunden ist. Zu verstehen, welche Rolle man einnimmt, wie andere Menschen mit einem umgehen, wie man vielleicht benutzt und manipuliert wird. Sozusagen das Ganze zu sehen, in dem man eingebettet ist und welche Funktion man darin hat. Gerade bei sozialen Ängsten ist es naheliegend, dass die Kräfte des System intensiv auf einen einwirken und einen deformieren.

Deformationen müssen aufgearbeitet werden. Gruppen haben eine starke Wirkung auf Mobbingopfer. Das eigene Gefühl, was richtig und falsch ist, kann verloren gehen, wenn die Gruppe vereint und beständig falsche Sichtweisen suggeriert. Hierdurch verliert man sein Selbstvertrauen und Selbstzweifel zermürben einen. Bei sozialen Ängsten kann erschwerend hinzukommen, dass Betroffene kein positives soziales Umfeld haben, in dem sie sich wieder stabilisieren können und Unterstützung erfahren.

In Selbsthilfegruppen kann man sich die aktuellen Lebensumstände gemeinsam anschauen und Alternativen herausarbeiten, um das Umfeld zu verbessern, in dem man lebt. Kreativ zu werden, um neue Wege zu (er-)finden, kann helfen, neuen Lebensmut zu entwickeln.

-- Fred

05.08.2011 :: Pharmalobbyismus

Artikel: Capital: Der Pillentrick oder: Wie man Patienten um den Finger wickelt

04.08.2011 :: Sehnsucht nach Bedeutung

Wenn man sich mal umschaut, was Menschen so antreibt und lebendig macht, so erscheint mir ein Hauptmotiv zu sein, irgendwie Bedeutung zu erlangen. Menschen fahren zu Castingshows, um berühmt zu werden, Anerkennung für das zu finden, was sie ausmacht. Sie wollen ihr Talent einer großen Öffentlichkeit zeigen und wenn sie ankommen, dann ist Bedeutung entstanden.

Wenn Menschen Karriere machen, dann geht es natürlich auch um Geld und Macht, aber hier geht es auch oft darum, Bedeutung zu erlangen, Bewunderung zu erfahren, mit irgendeinem Thema von anderen Menschen Anerkennung zu bekommen. Geld und Macht können da auch Hilfestellung sein, um Bedeutung zu erlangen.

Gleiches gilt, wenn Menschen sich ein schickes Auto kaufen und dieses tunen, auch hier möchte man gesehen werden, um Bedeutung zu erlangen. Letztens hat eine Kommune Schlaglöcher verkauft. Mit dem Geld wurde das Schlagloch repariert, darauf kam dann der Name es Spenders. Für Bedeutung sind wir bereit, etwas zu geben. Schöne Kleidung, Markenware, Schmuck oder Schönheitsoperationen - wir suchen danach, bedeutsam zu werden, aus einer Beliebigkeit heraus zu stechen. Letztens hörte ich den Spruch: "Kannste was, biste was!"

Auch ehrenamtliche Arbeit ist nicht selten davon motiviert, dem eigenen Leben eine Bedeutung zu geben. Sich in den Dienst einer guten Sache zu stellen, ist eine sehr wertvolle Form der Bedeutung. Und auch, wenn ich hier Texte schreibe, ist ein Teil meiner Motivation wohl auch, etwas zu schaffen, was eine Bedeutung hat, was Menschen erreicht und womit sie etwas anfangen können.

Auch in Beziehungen sprechen wird davon: "Du bedeutest mir etwas!" So etwas zu hören, kann tief berühren. Wenn man in einer Gruppe spürt, dass man bedeutsam ist, ist das eine wertvoll nährende Erfahrung. Gerade dann, wenn man Selbstzweifel hat.

Apropos Selbstzweifel - die können auch direkt mit der Bedeutung zusammenhängen. Wer zu wenig spürt, dass er bedeutsam ist, zweifelt an sich. Ein Selbstwert wird daraus geschöpft, in irgendeiner Form bedeutsam zu sein. Ein Grund, warum viele stark unter verinnerlichten Sätzen wie "Du bist nichts und du kannst nichts!" leiden.

Bei Sozialphobie und sozialen Ängsten ist Bedeutsamkeit ein Schlüsselthema.

Aufgrund der Einschränkungen wird nämlich oft nicht das Bedürfnis nach Bedeutsamkeit befriedigt. Durch die eigene Zurückhaltung, Gehemmtheit, Zurückgezogenheit wird man zu wenig spürbar. Dadurch entsteht keine Bedeutung. Wer mit seinen Talenten und Fähigkeiten nicht in die Welt geht oder gehen kann, erntet keine Bedeutung. Wer sich nicht öffnen kann, um mit anderen Menschen in einen guten Kontakt zu kommen, bleibt beziehungslos und schafft so keine Bedeutung. Hierunter leiden viele Betroffene.

Der kleine Prinz ging, die Rosen wiederzusehn: "Ihr gleicht meiner Rose gar nicht, ihr seid noch nichts", sagte er zu ihnen. "Niemand hat sich euch vertraut gemacht und auch ihr habt euch niemandem vertraut gemacht. Ihr seid, wie mein Fuchs war. Der war nichts als ein Fuchs wie hunderttausend andere. Aber ich habe ihn zu meinem Freund gemacht, und jetzt ist er einzig in der Welt."
(Aus: Antoine de Saint-Exupérie, Der kleine Prinz)

Ist Bedeutsamkeit erlangen nun ein Ideal, um das man sich bemühen sollte? Ist es gut, sich für dieses Bedürfnis einzusetzen? Ich weiß es nicht. Vielleicht ist das genetisch in uns angelegt, sozusagen als Motor, damit wir uns alle weiterentwickeln. Vielleicht ist es ein Programm in uns, das wir uns in die Welt einbringen und spürbar werden als Sinn unseres Daseins. In welcher Form auch immer. Auf der anderen Seite gibt es krankhafte Formen wie eine übersteigerte Geltungssucht, Machtbesessenheit oder narzistische Überhöhungen. Wie auch immer, darüber nachzudenken, was es für mein Leben bedeutet, Bedeutung zu erlangen, ist sicherlich sinnvoll. Und ein gewisses Maß an Bedeutung braucht wohl jeder.

Geh nicht nur die glatten Straßen.
Geh Wege, die noch niemand ging,
damit du Spuren hinterlässt und nicht nur Staub.
(Aus: Antoine de Saint-Exupérie, Der kleine Prinz)

Mir erscheint es sinnvoll, auch in den Gruppen auf das Thema Bedeutung zu achten. Den anderen zu sehen, wahrzunehmen und Bezug auf ihn zu nehmen. In einer Nachsorgegruppe einer Klinik habe ich die wohltuende Atmosphäre erlebt, wenn Menschen sich wahrnehmen und durch viele kleine Botschaften einem zeigen, dass man eine Bedeutung hat, angenommen ist und gemocht wird. Ähnlich erging es mir in einer Gruppentherapie, in der wir uns viel damit beschäftigt haben, aufeinander zu resonieren. In unseren Gruppen gibt es hier für meinen Geschmack oft noch zu wenig Würdigung, Anerkennung und Feedback, was direkt mit dem Krankheitsbild zusammenhängt. Dies zu verändern, erscheint mir bedeutungsvoll.

Für die persönliche Entwicklung kann man schauen, wie viel Bedeutung man für ein befriedigendes Leben braucht und welche Quellen man sich erschließen kann.

Quellen für Bedeutung:

  • Kontakte, Freunde, Beziehungen, Verbundenheit, Gruppen.
  • Seine Talente und Fähigkeiten entwickeln und leben.
  • Für andere da sein, hilfreich und mitfühlend sein.
  • Sich für sinnvolle Sachen und Projekte engagieren.
  • Ein gutes Arbeitsumfeld, in dem man seine Fähigkeiten einbringen kann und Gestaltungsfreiraum hat.
  • Seine kommunikativen Fähigkeiten und seine Selbstwirksamkeit verbessern.
  • Auf der Suche sein, sich selbst und die Welt erkennen.
  • Wach, sensibel und aufmerksam sein. Darauf achten, wenn die Welt dich ruft und braucht.
  • Miteinander lachen und gemeinsam Freude am Leben haben.
  • Sich Wissen aneignen und lernen. Wissen schafft Bedeutung oder kann vielfältig in Bedeutung verwandelt werden.
  • Sich künstlerischen Betätigungen zuwenden. Gestalten und kreativ werden.
  • Sich körperlich fit und gesund halten. Körperliche Fähigkeiten schulen. Der Körper ist unser zentrales Werkzeug, Bedeutung zu erlangen.
  • Selbstannahme lernen. Wer sich selbst annehmen kann und wertschätzt, hat auch die Kraft, den Glauben und den Willen, Seins in die Welt zu bringen. Umgedreht gilt aber auch: Wer Bedeutung erfährt, dem fällt die Selbstannahme leichter.
  • Sich ein förderliches Umfeld suchen. Positive Resonanz, gemocht und gewollt werden, ein freundlicher Umgang fördern die eigene Entwicklung und die Lust darauf, Seins einzubringen.
  • Auf der Suche nach Lebenssinn und Lebensinhalt sein.

Weblinks:

-- Fred

04.08.2011 :: Lernfeld Gruppendynamik

Wir sind weiter dran am Thema Gruppendynamik. Es scheint ein ideales Lern- und Übungsfeld bei Sozialphobie zu sein. Eigentlich besteht schon seit mehreren Jahren die Idee, mal einen Profi in die Gruppen zu holen, der uns in einer guten Gruppendynamik schult. Ansatzweise hatten wir sowas schonmal in einer Projektgruppe, die professionell geleitet wurde. Die Leiterin forderte uns öfters zu bestimmten Handlungsweisen auf, wenn gerade ein Loch in der Gruppendynamik entstand. Und gerade bei Sozialphobie entstehen sehr oft Löcher in der Gruppenkommunikation.

Experimentiert haben wir jetzt mit einem kleinen gruppendynamischen Spiel. Vom Setting her ist es so, dass es neben der eigentlichen Gruppe einen Unterstützer gibt, der aus der Gruppe heraustritt. Dieser Unterstützer hält sich erstmal im Hintergrund und beobachtet das Gruppengeschehen. In geeigneten Momenten kann er der Gruppe Hilfestellung geben, was es jetzt vielleicht braucht, was man ausprobieren könnte, was auffällt, was fehlt. Er regt die Gruppe also im Prozess des Austausches immer mal wieder an, gibt Impulse hinein. In einer freundschafltich-förderlichen Grundstimmung.

Die Gruppe selber bekommt ein überschaubares Thema oder eine Aufgabe, die sie gemeinsam lösen soll. Beispiel: Wir wollen gemeinsam in den Urlaub fahren. Wann und wie lange steht schon fest. Der Rest soll in einer Gruppendiskussion entstehen.

Die Gruppe ist also mit der Aufgabe konfrontiert, ein gemeinsames Urlaubsziel zu finden, organisatorische Belange zu besprechen, Konflikte zu lösen usw.

Als Unterstützer der Gruppe braucht es etwas Gelassenheit. Man braucht nicht bei jeder kleinen Schwierigkeit gleich zur Hilfe zu eilen. Man braucht sich nicht verantwortlich zu fühlen, dass der Gruppenprozess gelingen möge. Ab und zu ein Impuls, mehr ist nicht nötig. Natürlich ist es hilfreich, ein wenig Know-How in Sachen Gruppendynamik mitzubringen, aber ich glaube, schon alleine, dass man in die Rolle des Unterstützers geht, werden schon sinnvolle Impulse entstehen. Außerdem hat die Gruppe ja die Möglichkeit, Impulse anzunehmen, sie abzulehnen oder sie zu modifizieren.

Am Ende eines solchen Prozesses steht dann nochmal eine gemeinsame Reflexion, in dem auch der Unterstützer wieder Teil der Gruppe ist. Gemeinsam versucht man nochmal zu verstehen, was gerade abgelaufen ist, wo Schwierigkeiten zu beobachten waren und welche Fähigkeiten entwickelt werden müssten, damit die Gruppe besser zusammenarbeiten kann oder damit Einzelne mehr Teil des Gruppenprozesses werden.

-- Fred

03.08.2011 :: Jede Abwertung verschließt ein Stück Welt

Ein Bewältigungsversuch, mit eigenem Mangel an Selbstwertgefühl klar zu kommen, ist die Abwertung der anderen. Wenn sich das Selbstwertgefühl aus dem Vergleich speist, dann schneidet man einfach besser ab, wenn man andere abwerten kann. Man macht sich dann einen Sport daraus, sich kritisch auf alles Unzureichende bei anderen und in der Welt zu konzentrieren. Denn jeder Minuspunkt dort ist eine Aufwertung für mich.

Dies ist eines der vielen Spielchen, die zwar kurzfristig entlasten können, langfristig aber einen sehr ungünstigen Einfluss auf die eigene Psyche haben. Man bezeichnet dieses Schema deshalb auch als einen neurotischen Bewältigungsversuch eines Mangels.

Jede Abwertung verschließt uns ein Stück Realität. In dem Moment, wo wir urteilen und abwerten, entzieht sich das, was ist, unserem Blick. Wir haben es bereits in eine Schublade gepackt. Eine Schublade, die ein ablehnendes und herabwürdigendes Gefühl hinterlässt. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass wir das, was wir so abgewertet haben, auch nicht mehr so schnell aus dieser Schublade entlassen. Wie ein Mensch, ein Gegenstand oder eine Situation wirklich ist, das kann nicht mehr erkannt werden. Und wir haben auch unser Interesse daran abgeschnitten, wir erkunden es nicht mehr neugierig. So bleibt es außerhalb unserer Erfahrungswelt.

Über die Zeit wird daraus eine sehr eingeschränkte und starre Weltsicht. Die Welt ist eigentlich unglaublich vielschichtig, multidimensional und voller Überraschungen. Gerade haben wir geglaubt, etwas verstanden zu haben, schon gibt es wieder etwas Neues, was das Bekannte schon wieder in Frage stellt. Die Wirklichkeit ist nicht wirklich begreifbar, sie bleibt immer ein Geheimnis.

Nicht so bei abwehrenden Schubladen. Diese sind recht fest definiert und wir schmeißen alles rein, was Ähnlichkeit hat.

Wertungen sind vielleicht die größte Gefahr, den Blick für das zu verlieren, was wirklich ist. Das, was im Hier und Jetzt erfahrbar wird.

Daneben ist es die destruktive Art, der Welt zu begegnen, die dieses Schema beinhaltet. In einer Klinik haben wir dazu mal ein Experiment gemacht: 2 Gruppen wurden in die Stadt geschickt, die eine sollte nur alles Runde, die andere nur alles Eckige wahrnehmen. Unsere Weltsicht war jeweils ganz anders vor-fokussiert. Das, was wir wahrnahmen, war ganz anders, obwohl es die gleiche Stadt war. Die einen behaupteten, alles wäre rund, die anderen meinten, alles wäre eckig.

Mit so einer Vor-Fokussierung gehen wir durch die Welt. Und es ist eigentlich grausam, wenn diese Fokussierung lautet: Ich konzentriere mich auf alle Mängel, die ich bei anderen wahrnehmen kann.

Das Kontrastprogramm wäre: Ich konzentriere mich auf das Verbindende. Ich konzentriere mich auf das, was ich schön finde. Ich konzentriere mich darauf, mich einzufühlen und zu verstehen.

Solche grundlegenden Gewohnheiten, wie man die Welt wahrnimmt und wie man ihr begegnet, zu verändern, ist alles andere als einfach. Sie haben sich festgesetzt in jeder Pore und jeder Zelle unseres Körpers. Oft fallen uns diese Gewohnheiten noch nicht mal mehr auf. Sie funktionieren so blitzschnell und automatisch, dass man schon sehr achtsam sein muss, um sie überhaupt zu entdecken.

Hier zeigt sich auch, dass es wichtig ist, die Ursache für ungünstige Denkgewohnheiten zu kennen. Denn hieraus entsteht die Motivation, genau so weiter zu machen. Der vermeintliche Gewinn der Abwertung ist ja die eigene Aufwertung. Es geht also um die Kompensation des Mangelgefühls am eigenen Selbstwert. Wenn man dies durchschaut, wird auch klar, dass man sich neue Zugänge erschließen muss, sich wertvoll zu fühlen. Liebevoll und warmherzig mit sich umzugehen, kann eine solche Quelle sein.

-- Fred

01.08.2011 :: Was machen mit den belastenden Gedanken?

Gedanken können einen großen Einfluss darauf haben, wie es uns geht. Mitunter tauchen sehr ungangenehme Gedanken auf. Gedanken, die Angst machen, die entwerten, die traurig oder wütend machen oder die einen verzweifeln lassen. Unangenehme und nicht verdaute Erfahrungen tauchen als Erinnerungen auf und belasten. Zweifel tauchen auf, die uns grübeln und nicht zur Ruhe kommen lassen.

Was macht man mit all diesen unangenehmen Gedanken? Ich glaube, dass dies eines der ganz großen Lebensaufgaben ist, mit dieser unangenehmen Seite einen Umgang zu finden. Eine Aufgabe, für die es kein einfaches Patentrezept gibt und die uns als ganzen Menschen fordert, weil sie so komplex ist.

Grundsätzlich kann man schonmal sagen, dass das Leben auch immer wieder Leid bereit hält: Schwierige Situationen, mit denen wir fertig werden müssen. Von daher ist es erstmal völlig normal und sinnvoll, dass wir uns auch mit dem gedanklich auseinandersetzen, was schwierig und leidvoll ist. Unangenehme Gedanken sind in diesem Sinne zwar schwierig und belastend, führen aber zu einem guten Ziel: Sie helfen, mit der schwierigen Erfahrung klarzukommen, sie zu durchleben, sie abzuschließen, sie zu verdauen oder die richtigen Entscheidungen zu treffen. Sie führen heraus aus dem Leid oder sie richten unser Leben neu aus, damit es wieder besser wird. Der Geist hat damit eine Menge Potenzial, uns aus ungünstigen Umständen zu befreien. Dafür lohnt es sich, sich mit dem Unangenehmen geistig auseinanderzusetzen.

Viele Psychotherapien tun genau dies - sie beschäftigen sich mit den unangenehmen Themen, um diese zu transformieren. Und das Umgedrehte kennt man aus Psychotherapie auch: Unverarbeitetes, was einen über viele Jahre belastet hat, scheint nicht zur Ruhe zu kommen, bis es irgendwie verdaut wird. Die Bewusstmachung und das therapeutische Durcharbeiten kann dann dazu führen, dass die Thematik als abgeschlossen empfunden wird und nicht weiter belastet.

Hier zeigen sich 2 Eigenschaften, wie das menschliche Bewusstsein zu funktionieren scheint: Einerseits haben wir die Fähigkeit, belastendes Material zu vedrängen, uns vom Leib zu halten, es nicht an uns herankommen zu lassen. Das gelingt mehr oder weniger gut, ist aber auch mit einer gewissen Anstrengung verbunden.

Verdrängtes hat aber auch die Tendenz, wieder ins Bewusstsein zu kommen. Zum Beispiel dann, wenn wir uns entspannen, wenn gerade mal nichts los ist und so Raum in unserem Bewusstsein entsteht.

Viele tiefenpsychologische Therapieformen gehen davon aus, dass es sinnvoll ist, verdrängte Bewusstseinsinhalte wieder hervorzuholen, um sie zu verarbeiten. Denn so lange sie nicht verarbeitet sind, ist eine Energie oder geistige Aktivität an sie gebunden. Sie sind noch nicht erlöst. Da ist etwas in uns, was so lange nicht zur Ruhe kommen kann, bis man es gelöst oder verdaut hat. Dann wird es gut, dann hat es sich erledigt und innerer Frieden stellt sich ein. Das, was uns zuvor stark beschäftigt hat, verliert an Bedeutung.

So betrachtet könnte man unangenehme Bewusstseinsinhalte als ein Selbstheilungsprozess verstehen: Da will etwas an die Oberfläche, um von uns geheilt zu werden. Heilung im obigen Sinne, dass wir es wirklich verarbeiten, das wir es integrieren können, dass es irgendwie gut wird und Frieden einkehrt. Wenn dem so ist, wäre es richtig, uns auf eine sinnvolle Weise mit diesen unangenehmen Bewusstseinsinhalten auseinanderzusetzen. Das kann aus eigener Kraft heraus klappen oder mit Hilfe von anderen Menschen, die uns darin unterstützen. Für die ganz schwierigen Themen brauchen wir vielleicht einen passenden Therapeuten, der durch sein Expertenwissen und seine Erfahrung uns die richtigen Impulse geben kann.

Es gibt aber auch unangenehme Bewusstseinsinhalte, die einfach nur belasten und die zu keiner Lösung führen. Man könnte sagen, dass es Denkgewohnheiten und Denkansätze gibt, die nur schaden, aber nicht zu einer Lösung beitragen. Sie können destruktiv oder einfach nur sinnlos belastende Beschäftigung sein. Wer sich gedanklich z.B. immer wieder abwertet und verurteilt, raubt sich Kraft und Energie. Wer sich die falschen Fragen immer wieder stellt, wird vielleicht in kreisenden Gedanken festhängen, die zu keinem Ergebnis führen. Auf manche Fragen gibt es keine Antworten oder wir brauchen sie nicht, um zu gesunden.

Hier zeigt sich, dass es gut ist, sich der unangenehmen Bewusstseinsinhalte genauer gewahr zu werden. Worum geht es eigentlich? Was belastet und warum? Hier kann es gut sein, sich diese unangenehmen Themen zu notieren. Vielleicht erkennt man so, dass bestimmte Themen immer wieder auftauchen. Und wenn man diese identifiziert hat, kann man gezielter nach Lösungen dafür suchen. Ein Problem klar benennen zu können, ist schonmal ein erster wichtiger Schritt.

Das Wort "verdrängen" ist in der Psychoszene eher negativ besetzt. Ich sehe darin aber auch eine positive und entlastende Seite. Selbst wenn man in einem intensiven therapeutischen Prozess ist, ist es immer wieder gut, Zeiten zu haben, in denen man sich ausruhen und Kraft schöpfen kann. Und das gelingt nur, wenn man alles Belastende mal beiseite schieben kann. Für kurzfristige Entlastung scheint mir die Fähigkeit, verdrängen zu können, recht sinnvoll zu sein. Man könnte es auch anders benennen: Die Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit von dem Belastenden abzuziehen und sich anderen Dingen zuzuwenden. Das Belastende eine Zeit lang ruhen zu lassen, damit man es zum richtigen Zeitpunkt wieder hervorholt, um sich damit zu beschäftigen.

Diese Seite wird therapeutisch mit verschiedenen Entspannungsverfahren unterstützt. Im autogenen Training wird z.B. mit der Formel "Ich bin ganz ruhig. Nichts kann mich stören." die Entspannung eingeleitet. In der Meditation geht es darum, sich nur auf den Atem zu konzentrieren und alles andere loszulassen. In der progressiven Muskelentspannung erlebt man körperlich den Wechsel von Muskelanspannung und Muskelentspannung und bekommt damit auch eine Idee davon, geistig loszulassen. Denn jede geistige Tätigkeit hat auch etwas mit Muskelanspannung zu tun.

Es braucht nicht unbedingt spezielle Entspannungsverfahren. Manch einer entspannt sich durch Tanzen, durch Sport, durch ein warmes Bad, einen Saunagang oder durch ein interessantes Buch. Andere machen Gartenarbeit, basteln oder räumen ihre Wohnung auf. Viele nutzen das Fernsehen oder surfen im Internet. Letztere beiden sind als Entspannungsmittel nicht unumstritten, werden wegen ihrer Anziehungskraft und Einfacheit aber trotzdem von vielen Menschen genau dafür benutzt.

-- Fred

29.07.2011 :: Loslassen üben

Perfektionismus kann krank machen. Warum eigentlich? Perfektionismus funktioniert so, dass man zuerst einmal eine Vorstellung entwickelt, was ein Ideal ist. Und dann versucht man, sich diesem Ideal gleich zu machen. Dies kann so übersteigert sein, dass das ganze Leben sich permanent darum dreht, Ideale zu erreichen. Wer so fixiert lebt, läuft stark Gefahr, nicht mehr loslassen zu können.

Loslassen heißt, mal alles lassen zu können. Nicht im Dienste irgendwelcher Ideale zu sein. Mal genau das Gegenteil tun zu können. Das einem mal alles wurscht ist. Das man Abstand bekommt zu dem, was einem sonst vielleicht wichtig ist.

Loslassen können heißt, sich am Unperfekten und am Chaos zu erfreuen. Offen für die Erfahrung zu werden, die man macht, wenn man mal nicht seinen Idealen dient. Neugierig wie ein Kind zu sein, was sich ereignet, weitab von der gewohnten Welt von Vorstellungen, wie etwas zu sein hat.

Jeder Mensch, der einem begegnet und gegen unsere Ideale verstößt, kann ein gutes Übungsfeld sein. Im Grunde kann man dankbar dafür sein, denn er stößt uns auf unsere innere Verhärtung, nur das eine zu dulden oder etragen zu können. Ist es nicht viel schöner, die unglaubliche Vielseitigkeit des Lebens annehmen zu können?

Perfektionismus und Sozialphobie treten nicht selten im Gespann auf. Wer in sozialen Zusammenhängen zu hohe Forderungen und Normen an sich stellt, wird schnell verkrampft. Wer sich erlaubt, auch mal in Fettnäpfchen treten zu dürfen, kann dem ganzen Geschehen gelassener gegenübertreten. Wer über sich lachen kann, kann auch loslassen. Er nimmt sich und das, was er repräsentiert, nicht zu wichtig. Vielleicht, weil das, woraus sich seine Selbstsicherheit gründet, nicht davon abhängt. Weil die Selbstsicherheit aus einer grundsätzlichen Liebe zu sich selbst gespeist wird und nicht von irgendwelchem zu erbringenden Verhalten.

Wenn einem auffällt, das man Dinge im Leben zu verkrampft sieht und einem bestimmte eigene Verhaltensweisen zu wichtig werden, kann man üben, loszulassen. Man kann sich Auszeiten nehmen, in denen man neue Freiräume lebt. Man kann bewusst mal damit aufhören, sich bestimmte Dinge abzuverlangen. Flexibel und offen werden ist die Marschrichtung.

Man kann auch mehr in die Tiefe gehen und hinterfragen, woher eigentlich diese Vorstellungen kommen, auf eine bestimmte Weise sein zu müssen. Es kann durchaus sein, dass man etwas lebt, was in Wirklichkeit gar nicht (mehr) das Eigene ist. Von sowas loszulassen, ist dann nicht leicht, wenn es einen über viele Jahre geprägt hat. Doch was sich überlebt hat, sollte man besser loslassen. Nach einer Phase der Unsicherheit wird Neues auftauchen, was einem gemäßer ist. Wer den Mut hat, sich immer wieder neu zu (er-)finden, bleibt frisch und lebendig. Wahre Sicherheit findet man vielleicht nur in der stetigen Veränderung und nicht im krampfhaften Festhalten an Gewohnheiten.

-- Fred

26.07.2011 :: Existenzielle Notzustände

Es gibt ein interessantes Phänomen, was Teil einer sozialen Phobie sein kann. Ich konnte das in letzter Zeit bei Betroffenen mehrfach beobachten. Und es erinnerte mich auch an meine wunden Punkte.

Man könnte das so beschreiben, dass aus einer alltäglichen sozialen Situation heraus eine existentielle Bedrohung spürbar wird. Man ist also mit anderen Menschen zusammen, redet, scherzt, tauscht sich aus. Doch auf einmal entsteht aus einer Gruppensituation etwas, mit dem einer nicht umgehen kann. Für ihn fühlt sich das auf einmal existenziell bedrohlich an. Oft schlagartig und ohne jede Vorwarnung. Man spürt förmlich, dass diese Bedrohung ganz tief reicht und den ganzen Menschen in seinem Dasein erfasst. Meist spürt es auch das Umfeld, weil der Betroffene auf einmal sehr ernst wird, scharf reagiert oder wie versteinert wirkt. Die Atmosphäre, das Fließen der normalen Gruppenenergie wird auf einmal unterbrochen, mitunter entsteht betretenes Schweigen. Jeder merkt, da passiert jetzt etwas Bedeutsames, aber keiner wagt sich, dieses heiße Eisen anzupacken. Diese Spannung führt dann auch gerne dazu, dass das Thema gewechselt wird oder beschwichtigende Worte folgen. Die Gruppe will irgendwie diesen angespannten Zustand verlassen.

Es gibt für den Betroffenen also soziale Situationen oder Konstellationen, in denen er bis tief ins Mark getroffen und erschüttert wird. Ich vermute, dass es hier unverdaute traumatische Erfahrungen aus früherer Zeit gibt, die dann aktuell getriggert werden und sich aktualisieren. Man erlebt dann dieses alte Trauma erneut. Das kann eine Situation gewesen sein, mit der man irgendwann im Leben nicht umgehen konnte und massiv überfordert war. Sie war so unangehm, dass man es nicht aushalten konnte und innerlich in einen Notmodus ging, um zu überleben. Das normale Denken funktioniert nicht mehr, die Wahrnehmung ist verändert, man rutscht in eine ganz andere Erlebenswelt hinein. Der Überlebenstrieb bestimmt nun alles, der Körper schüttet Hormone aus, bestimmte Gehirnregionen werden heruntergefahren. Schockstarre, Flucht oder Angriff bestimmen einen. Man ist im Zustand von Angst und Panik, man ist in der sozialen Phobie.

Wenn man nun selber davon weiß, dass einem das passieren kann, entwickelt sich dann eine Angst vor solchen Situationen. Und weil gerade Gruppen so schwer kontrollierbar sind, entwickelt man Ängste vor Gruppensituationen. Denn dort kann einem das ja jederzeit passieren, ohne das man sich richtig schützen kann. In der Gruppe entstehen ständig so viel spontane Dinge und zack, es hat einen erwischt und man hängt in dem Zustand, der sich so lebensbedrohlich anfühlt.

Panikauslösende Situationen führen dann dazu, dass man nicht nur in der Situation selber Angst erlebt, sondern dass man schon im Vorfeld Angst vor allen Situationen entwickelt, wo man in sein konkretes phobiebesetzes Muster hineingeraten könnte. Das ist die so oft zitierte "Angst vor der Angst". Und diese führt dann zur Vermeidung. Hat man Flugangst, ist das, was man vermeidet, noch recht gut eingegrenzt. Es schränkt den Alltag nicht ein, insofern dieser nicht durch Fliegen müssen bestimmt wird. Wenn aber die Angst vor der Angst viele sozialen Kontakte betrifft, dann schränkt das den Alltag stark ein. Oder der Alltag wird ständig zu einem beängstigend-belastenden Problem.

Meine Erfahrung ist, dass Menschen schon viel geholfen ist, wenn sie ein Umfeld haben, in dem sie sich aufgehoben fühlen und in dem sie offen darüber sprechen können, was gerade los ist. Etwas benennen zu können, in dem Moment, wo es einem passiert, kann ein Schritt sein, herauszukommen aus der Schockstarre und dem veränderten inneren Zustand. Darüber reden kann helfen, herauszufinden aus dieser Abgespaltenheit und wieder zurückzufinden, ins Alltags-Bewusstsein. Auch ist es entlastend, überhaupt erstmal mit anderen darüber zu reden, weil Betroffene oft über viele Jahre ganz alleine mit dieser Erfahrung stehen.

-- Fred

25.07.2011 :: Gruppendynamik - ein wichtiges Lernfeld

In einem gruppendynamischen Spiel ist uns aufgefallen, wie wichtig eine gute Gruppendynamik ist, um Aufgaben lösen zu können. Es ging um ein Geländespiel, eine Art Geocaching, bei dem die Gruppe insgesamt 12 Herausforderungen meistern musste. Hierfür waren unterschiedlichste Fähigkeiten wichtig: Enfernungen schätzen, sehen, hören, Ideen entwickeln, Phantasie haben, Allgemeinwissen haben, suchen, erkennen usw.

Hier zeigte sich deutlich, dass die Gruppe ein sehr intelligenter Gesamtorganismus ist, der über die Fähigkeiten der Einzelpersonen weit hinausreicht. Jeder kann sozusagen seine Fähigkeiten in die Gruppe einbringen, damit die Gruppe gut agieren kann. Und es bilden sich neue Fähigkeiten, die erst durch die gemeinsame Interaktion entstehen.

Damit so ein Gruppen-Organismus gut funktioniert, braucht es eine gute Gruppendynamik. Vor allem eine gute Kommunikation. Was nützt es z.B., wenn ein Gruppenmitglied die Lösung weiß, sie aber nicht mitteilt? Oder es wird leise mitgeteilt, aber keiner hört zu.

Bei dem Spiel wurde sehr schnell deutlich, dass ganz viel Potenzial in der Gruppe ist, dieses aber durch einen Mangel an guter Gruppendynamik öfter nicht genutzt werden konnte. Selten wurde mir so offensichtlich vor Augen geführt, wie wichtig eine gute Gruppendynamik ist und wie stark gerade durch soziale Ängste wichtige Ressourcen der Gruppe verloren gehen.

Ein Thema war, dass Mitspieler recht früh eine richtige Vermutung hatten, damit aber nicht die Gruppe erreichten. Entweder sprachen sie ihre Vermutung erst gar nicht aus, oder sie sprachen so leise, dass es die Gruppe nicht erreichte. In einer typischen Situation diskutierten 4 Teilnehmer lautstark über eine Lösungsidee, während ein weiterer leise etwas äußerte. Das ging aber schlichtweg unter.

Zu beobachten war auch, dass sich manche Mitspieler mit ihren Ideen gut durchsetzen konnten und die Gruppe aktivierten, dieser Idee zu folgen. Andere traten nicht energisch genug auf, um die Aufmerksamkeit der ganzen Gruppe zu bekommen, obwohl ihre Lösungsidee sehr interessant erschien. Hier entschied also, wer sich energischer durchsetzte, so dass die beste Lösungsstrategie nicht genutzt wurde.

Öfters zu beobachten war eine fehlende Abstimmung und Zusammenarbeit in der Gruppe. Jeder agierte sozusagen als Einzelperson, ohne die Kraft der Gruppe zu nutzen. Manchmal funktionierte auch das erstaunlich gut. In anderen Fällen wäre man viel schneller zu einer sinnvollen Lösung gekommen, wenn man sich gemeinsam über etwas beraten und ausgetauscht hätte. Oder man hätte Unzweckmäßiges erst gar nicht begonnen, weil die Intelligenz der Gesamtgruppe dies im Vorhinein erkennen würde.

Es gab auch Situationen, in denen sich einige Mitspieler herauszogen. Sie stellten sich auch räumlich außerhalb der Gruppe. Sie hatten vermutlich nicht das Gefühl: "Ich bin Teil der Gruppe und ich bin jetzt wichtig." Sie waren dann lediglich Beobachter der Situation, in einem gewissen Sinne abgespalten von der Gruppe und damit floß ihr Potenzial nicht mit ein. Dies ist ein typisches Verhaltensmuster, dem wir oft in den Gruppen begegnen.

Umgedreht war immer wieder spürbar, wie schnell und gut Aufgaben gelöst wurden, wenn die Kommunikation funktionierte. Das ersparte der Gruppe viel Mühe und Irrwege. Wenn sich jemand recht sicher mit etwas war, war es auch gut, wenn er dies lautstark mitteilte, so dass er jeden erreichte. Es war auch gut, nochmal nachzuhaken, wenn man merkte, mit etwas noch nicht angekommen zu sein. Und auch die Eigenschaft, mal Führung zu übernehmen, um die Gruppe zu einer guten Zusammenarbeit zu bewegen, war vorteilhaft.

Was man hier sehr eindrucksvoll erleben konnte, wirkt natürlich auch in jeder Gruppensitzung. Es gibt Teilnehmer, die sich gedanklich schon lange vom Gruppenprozess verabschiedet haben und nicht dabei sind. Dies kann viele Gründe haben. Ein eigenes inneres Thema kann einen dominieren, man findet keinen Bezug zum Thema oder das Gefühl von Zugehörigkeit geht verloren. Auch kann es sein, dass eine gewohnheitsmäßige Nicht-Kommunikation der eigenen Bewusstseinsinhalte dazu führt, dass derjenige nicht Teil des Gruppenprozesses wird.

Es kann Teilnehmer geben, die die Gruppe dominieren und andere, die nicht gehört werden. Gerade wenn Themen emotional aufgeheizter sind, braucht es eine gewisse "Einbringkraft", um überhaupt noch gehört zu werden. Wenn die Energie zu einem Thema stark ist und viele angeregt sind, braucht es Schnelligkeit und auch Durchsetzungsvermögen, um im richtigen Moment ins Gespräch zu kommen und dies auch bei sich halten zu können.

Hier zeigt sich, dass eine große Lernaufgabe bei Sozialphobie und sozialen Ängsten darin besteht, eine gute Gruppendynamik zu entwickelt und sich darin zu üben. Wie kann es gelingen, dass Meins in der Gruppe genügend Aufmerksamkeit erfährt? Wie kann ich auch mal kraftvoll kommunizieren, wenn es nötig ist? Wie kann ich aufmerksam zuhören und auf das Gehörte auch Bezug nehmen? Wie können wir gezielt an einem Thema dran bleiben, um es zu vertiefen? Wie können wir gemeinsam zu guten Lösungen finden? Wie können wir zu einem guten Austausch kommen, in dem jeder einbezogen ist?

Ein gutes Gruppendynamik-Lernumfeld muss natürlich auch erstmal geschaffen werden. Uns ist sehr daran gelegen, dieses gute Lernumfeld in den Selbsthilfegruppen zu schaffen. Der Leitgedanke "Jeder muss gehört und gesehen werden.", begleitet uns schon seit Gründung der Gruppe vor 12 Jahren. In einem ersten Schritt ist es sicherlich wichtig, erstmal Bedingungen zu schaffen, in denen jeder eine gute Möglichkeit hat, sich einzubringen. Der Moderator kann hier z.B. zurückhaltende Mitglieder immer wieder einbeziehen oder auch auf die leisen Stimmen achten und unterstützend eingreifen.

In einem zweiten Schritt geht es dann darum, sozusagen Gesprächsmuskeln aufzubauen. Um auch in dynamischeren Prozessen (Stromschnellen) gehört zu werden. Um sich Gehör zu verschaffen, wenn es wichtig ist. Denn schlussendlich soll es ja darum gehen, auch in normalen Alltagsumfeldern bestehen zu können, wo keine große Rücksicht aufeinander genommen wird und eine gewisse Durchsetzungsfähigkeit wichtig ist.

Abschließend kann man sagen, uns ist bewusst geworden, wie gruppendynamische Spiele viel dazu beitragen können, Defizite klar zu erkennen und Fähigkeiten hin zu einer guten Gruppendynamik zu entwickeln. Genauso kann man all das, was schon gut läuft, würdigen und unterstützen, damit es gestärkt wird. Spiele sind dabei ein guter Zugang, weil sie spannend und anregend sind. Wenn die Herausforderungen gut gewählt sind und sich so alle mit dem Spiel verbinden können, wird es eine gute Gemeinschaftserfahrung.

-- Fred

Weblinks:

20.07.2011 :: Mehr Selbstzweifel bitte

Manchmal hab ich das Gefühl, es bräuchte nur etwas mehr Selbstzweifel und Betroffene würden gesunden. Was? Mehr Selbstzweifel? Geht es nicht gerade darum, mehr Selbstsicherheit zu erlangen?

Ich glaube, dass viele Probleme einfach dadurch entstehen, dass man die Welt nicht so sieht, wie sie wirklich ist. Man hängt fest an eigenen Vorstellungen, wie ich bin und wie die Welt um mich herum ist. Diese Vorstellungen haben sich unglaublich verfestigt und werden ganz selbstverständlich für wahr gehalten.

Ich bin nichts wert, weil ich mir keine Markenklamotten leisten kann... Ich bin nichts wert, weil ich beruflich nicht erfolgreich bin... Alle Menschen sehen mir sofort an, dass ich ein Versager bin...

Bei diesen eigenen Überzeugungen, Denk- und Glaubenssystemen besteht also überhaupt kein Zweifel. Und damit werden sie weder überprüft noch irgendwie in Frage gestellt. So wirken sie viele Jahre.

Wie können wir so sicher sein, dass all unsere Vorstellungen und Deutungen der Welt wahr und richtig sind? Wir haben ja unsere Erfahrungen, die uns das bestätigen!

Schmarrn! Unsere Erfahrungen bestätigen nur das, was wir sehen wollen! Es ist eine Illusion, dass wir das sehen, was wirklich ist. Wir sehen nur das, was uns in den Kram passt. Erfahrung und Wahrnehmung ist unglaublich anfällig für Täuschungen und Verzerrungen der Wirklichkeit. Wir merken es noch nicht einmal, wie wir uns ständig selber einen vormachen! Das ist ein Grund, warum Therapeuten und Begleiter so wichtig sind, die uns die Augen öffnen.

Dann gibt es noch den großen Bereich, den man durch Erfahrung gar nicht erfassen kann. Entweder, weil die Zusammenhänge zu komplex sind oder weil wir zu wenig darüber wissen. Und doch glauben wir oft, genau zu wissen, was richtig ist. Auch das hat mit Wirklichkeit meist nicht viel zu tun, die Verlockung ist groß, das zu glauben, was wir gerne glauben wollen - aus Bequemlichkeit, weil es in unsere sonstigen Überzeugungen passt oder weil es Vorteile bringt.

Von daher hab ich den Eindruck, dass es kostbar für die psychische Gesundheit ist, offen für die Möglichkeit zu sein, dass ich irre. Offen zu sein für all das, was sich nicht mit meinen Überzeugungen deckt. Nicht grenzenlos offen, sondern gut dosiert, so dass man es auch verdauen kann. Vielleicht ist so vieles doch ganz anders, doch wir brauchen Zeit, um uns damit anzufreunden.

Die Krankheit sehe ich dann in einer Abgekapseltheit, wo mich das Andersartige nicht mehr berührt und nicht mehr berühren kann. Wo mich nichts mehr nachdenklich macht, wo ich nicht mehr ins Zweifeln komme. Angst ist dabei eine große Kraft, die auch alle meine Irrtümer schützt.

Selbstsicherheit wäre in diesem Sinne keine in Stein gehauene, unumstößliche Überzeugung und Seinsweise. Sie entstände vielmehr aus der ständigen Korrektur, in der wir unsere Überzeugungen mit dem abgleichen, was wir wirklich erkennen können. Und in diesem Erkenntnisprozess wird es recht wahrscheinlich auch größere Selbstsicherheitskrisen geben, weil lange gepflegte Überzeugungen als Illusionen und Fehlwahrnehmungen zusammenbrechen. Das verunsichert, weil die alte Überzeugung nun wegbricht, das Neue aber noch nicht trägt.

Scheinselbstsicherheit wäre eher das verkrampfte Festhalten an längst überkommenen Vorstellungen, die wir mit immer mehr Blindheit und Arroganz aufrecht zu erhalten versuchen. Das verhindert die persönliche Weiterentwicklung und führt dazu, dass wir uns immer mehr von dem entfremden, was wirklich ist.

Man braucht also auch den Mut, sich von der Welt verunsichern zu lassen. Dabei geht es nicht darum, dass das Wahre in uns verunsichert wird, sondern das Illusionäre, was keine wirkliche Substanz hat. In diesem Prozess entsteht in uns aber viel mehr, was wirkliche Substanz hat, was wirklich unumstößlich ist und damit wirkliche Sicherheit geben kann.

In der Selbsthilfegruppe kann man einiges tun, um seinen Blick für das zu schärfen, was wirklich ist. Hier kann man z.B. die eigene Wahrnehmung mit der Wahrnehmung durch andere abgleichen. Wenn wir uns ehrlich mitteilen, wie wir etwas erleben, wie wir uns erleben, entstehen Korrektur-Chancen. In der Widersprüchlichkeit, die in der Gruppe zum Ausdruck kommt, kann man seine Wahrnehmung prüfen.

Oft wird dadurch auch einfach nur eine besondere Achtsamkeit gefördert. Man beobachtet widersprüchliche Aspekte dann im Alltag etwas genauer, um sich Klarheit zu verschaffen. Und findet so zu einer erneuerten Sichtweise.

-- Fred

07.07.2011 :: Wenn der Kuchen spricht, schweigt der Krümel

Wir werden alle in ein bestimmtes Umfeld hineingeboren, in dem wir zurechtkommen müssen. Von diesem Umfeld hängt viel ab. Eltern, Geschwister, Großeltern, Kindergarten, Gesellschaftssystem, Stadt oder Dorf, sozialer Brennpunkt oder Nobelviertel - das sind alles Vorgaben, die unsere Entwicklung in eine bestimmte Bahn lenken.

Als wir uns letztens über das Thema Konflikte unterhalten haben, stellte sich heraus, dass viele in einem Umfeld groß geworden sind, in denen sie selbst nichts zu melden hatten. Da gab es z.B. einen Erwachsenen, der alles stark dominiert hat. Was er sagte, wurde gemacht, alles andere nicht geduldet und niedergemacht. Die restliche Familie ordnet sich sozusagen einem Diktator unter.

Kinder haben in einer Familien-Diktatur auch wenig Möglichkeiten, aus diesem "Sich-unterordnen" auszubrechen. Sie haben noch nicht die Stärke und Schlagfertigkeit von Erwachsenen. Und wer früh eingeschüchtert wurde, entwickelt diese Fähigkeiten auch gar nicht erst. So bleibt die einzige Möglichkeit, in diesem System zu überleben, das zu tun, was von einem erwartet wird: Sich anzupassen, mitzumachen, keine eigene Meinung zu haben, mit Wut, Ärger und Enttäuschung für sich zu bleiben, Konflikte nicht anzusprechen, sondern alles mit sich auszumachen.

Später im Leben passiert es interessanterweise dann auch, dass man in genau solche Konstellationen wieder hineinkommt. Dann hat man sich auf einmal einen Partner ausgesucht, der einen genauso dominiert. Oder man hat im beruflichen Umfeld "nichts zu melden". Diese Rolle klebt an einem und vielleicht ziehen einen Umfelder unbewusst an, wo man wieder diese leidvolle Rolle einnehmen kann. Das Gewohnte ist immer noch besser, als das neue Unbekannte. Man ist stark identifiziert mit seiner Rolle.

Ich glaube, dass es hier sehr heilsam ist, wenn man in der Selbsthilfegruppe übt, andere Rollen einzunehmen. Eine Rolle, in der man sich aktiv einbringt, seine Meinung vertritt und auch mal in Konflikte hineingeht. Sich also nicht weiterhin klein und unbedeutend macht.

"Jeder soll gehört und gesehen werden." ist ein wichtiger Grundsatz unserer Gruppenarbeit. Es soll eine Interaktion initiiert werden, in dem nicht der Stärkere den Schwächeren dominiert. Eine Interaktion, in dem nicht wieder diese typischen Rollen entstehen. Es soll ein Austausch entstehen, in dem ganz unabhängig von Kraft und Durchsetzungsvermögen jeder seinen Raum bekommt, sich mitzuteilen.

Sich in dieser aktiven Rolle zu erleben, ist für viele erstmal neu und ungewohnt. Es braucht auch immer wieder Ermutigung, sich darin auszuprobieren. Wenn es gelingt, wird durch regelmäßiges Üben diese neue Rolle zu einer festen Gewohnheit, die immer mehr an Stärke und Ausdruckskraft gewinnt. Und irgendwann ist sie so stark, dass sie auch in schwierigen Umfeldern im Alltag genügend Durchsetzungskraft hat, damit man sich nicht mehr in die "Krümel-Rolle" drücken lässt.

-- Fred

06.07.2011 :: Quellen für Selbstwert

Ein mangelndes Selbstwertgefühl gehört oft zum Erleben von Menschen, die unsere Gruppen besuchen. Da ist es interessant, mal Ausschau zu halten, was mein Gefühl von Selbst-Wertigkeit aufbauen kann.

Als wir in der Gruppe darüber diskutierten, war eine wichtige Quelle für Selbstwert die Anerkennung durch andere. Wenn das Umfeld einen mag und einladend ist, wenn Leistungen gewürdigt werden und man sich angenommen fühlt, hebt das bei vielen das Gefühl, wertvoll zu sein. In der Würdigung durch andere erkennen wir auch unsere wertvollen Seiten.

Hier zeigt sich, dass sowohl die Eingebundenheit in gute soziale Zusammehänge hilft, wie auch die Entwicklung persönlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten. Wer etwas kann und sich einbringt, ist gerne gesehen und nützlich. Das führt auch zu Respekt und Achtung.

Es gibt Umfelder, da zählt nur, was man kann. Man könnte sagen: "Kannste nichts, biste nichts!" In anderen Umfeldern zählt nur, was man hat. Da gilt der Slogan "Haste nichts, biste nichts!" Und dann gibt es noch Umfelder, wo nur Schönheit zählt. Wer hier das Schönheitsideal nicht bedienen kann, hat keinen Wert.

Hier zeigt sich, das die Anerkennung, die nur auf Nützlichkeit für andere basiert, eine gefährliche Angelegenheit ist. Man bedient die Bedürfnisse und Wünsche der anderen und wenn man das nicht mehr kann oder will, bricht alle Anerkennung ab. Dies kann auch dazu führen, dass man für die Anerkennung Dinge tut, die man eigentlich nicht tun möchte und die sich so gegen die eigene Persönlichkeit wenden. Das kann zu Selbstentfremdung führen.

Und doch gibt es auch gute Formen der Leistungs-Anerkennung. Wenn eine Band gemeinsam gute Musik machen will, kommt es auf alle an. Und wenn es gut gelaufen ist, freut man sich gemeinsam darüber. Genauso ist es bei einer Fußballmannschaft - alle freuen sich, wenn es gut gelaufen ist und jeder sich mit seiner Leistung einbringen konnte.

Ganz unabhängig vom Nutzen kann man auch schauen, was sind meine Begabungen und wie kann ich diese fördern? Wer seine Begabungen entwickelt und gut darin wird, erlebt auch oft einen höheren Selbstwert. Etwas aus sich heraus zu erschaffen und zu gestalten, kann ganz wunderbar sein.

Viele Psychotherapieschulen und spirituelle Wege vermitteln uns auch, dass jedes Leben an sich einen großen Wert hat. Ganz unabhängig davon, wie nützlich man ist oder was man leistet. Man ist sozusagen wertvoll, einfach weil man da ist. Wer dies empfinden kann, kann dem Leben gelassen gegenübertreten. Er fühlt sich wohl mit dem, was er ist. Ohne erst etwas tun zu müssen, um sich wertvoll zu fühlen. Vielleicht könnte man dies als edelste Form von Selbstwert bezeichnen. Spirituelle Wege drücken das auch so aus: "Es ist alles schon da, du musst es nur erkennen."

Wer sich mit dem Thema Selbstwertquellen näher auseinandersetzen will, achte in den nächsten Tagen einfach mal auf die Momente, wo man sich wertvoll fühlt. Um dann zu erkunden, wie das gekommen ist. Was hat es gebraucht, damit ich mich so fühle? Auf diese Weise kann man seine Quellen für Selbstwert erkennen.

-- Fred

02.07.2011 :: Gedankenstopp

Vielleicht kennt ihr das: Die Gedanken kreisen immer wieder um beängstigende Vorstellungen. Das löst dann unangenehme Gefühle aus, ohne dass die Gedanken zu einer Lösung der Situation beitragen.

Vielleicht handelt es sich dabei um eine Situation in näherer Zukunft, die man zu bewältigen hat. Denkt man daran, kommen immer wieder Ängste hoch. Aber man kann nichts dran machen, es bleibt nur, die Situation morgen, übermorgen oder in der nächsten Woche zu meistern...

In solchen Situationen kann die Methode des Gedankenstopps sinnvoll sein. Wichtig ist erstmal eine klare Entscheidung, die man treffen muss. Die Entscheidung, dass man nicht mehr darüber nachdenken will, weil es keinen Sinn macht. Wenn diese Entscheidung erstmal steht, braucht es noch etwas Achtsamkeit. In dem Moment, wo man bemerkt, dass man wieder in solche Gedanken einsteigen will oder schon drin ist, sagt man sich sofort innerlich "STOPP! Diese Gedanken will ich jetzt nicht!". Man entschließt sich also konsequent, diese Gedanken darüber nicht mehr aufkommen zu lassen.

Diese Methode stammt aus der Verhaltenstherapie und wird als Gedankenstopp bezeichnet. Sie hilft einem, offensichtlich unfruchtbare Gedanken nicht immer wieder aufkommen zu lassen.

In der Praxis hat es sich als hilfreich erwiesen, sich stattdessen mit positiven Suggestionen zu stabilisieren. Wenn man z.B. Angst vor einer zukünftigen Situation hat, aber eigentlich weiß, dass man es schaffen wird, kann man dem Gedankenstopp gleich hinterherschieben: "Ich vertraue darauf, dass ich das meistern werde!" oder "Heute ist heute und morgen ist morgen. Die Herausforderungen von morgen werde ich morgen lösen.". Wer im Glauben verankert ist, könnte sich sagen: "Gott schickt mir morgen die Kraft, den Tag zu bewältigen. Darauf kann ich vertrauen."

Es ist nicht untypisch, dass eine gewisse emotionale Aufgewühltheit zurückbleibt, trotzdem erscheint es vielen als Entlastung, nicht permanent auch noch gedanklich in irgendwelchen Befürchtungs-Fantasien drinzuhängen.

Was auch sinnvoll sein kann: Man vereinbart mit sich, dass man über etwas nur noch einmal am Tag für eine halbe Stunde darüber nachdenkt. Man nimmt sich dafür dann genau diese Zeit, z.B. in dem man sich einen Kurzzeitwecker stellt. So gibt man sich die Chance, über wichtige Dinge nachdenken zu können, begrenzt das aber auf einen bestimmten Zeitrahmen am Tag. Taucht diese Sache sonst tagsüber auf, kann man sich sagen: "Nein, jetzt nicht, das mach ich später." Es kann sein, dass der Geist schneller wieder loslassen kann, wenn er weiß, das er später noch darüber nachdenken kann.

Gedankenstopps sollten nur für solche Gedanken eingesetzt werden, die offensichtlich nicht zu einer Lösung beitragen und sich unproduktiv anfühlen. Es wäre verkehrt, sie auf wichtige Lebensthemen anzuwenden, über die man nachdenken sollte. Manchmal ist es schwer, dies auseinanderzuhalten, dann ist es sehr hilfreich, dies mit einem Therapeuten klären zu können. Der Therapeut kann einem helfen, die richtige Strategie zu wählen. In der Selbsthilfegruppe kann man sich darüber austauschen, wie andere mit Gedankenstopps umgehen, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, was sinnvoll ist.

-- Fred

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