Sopha Selbsthilfe

Aktuell (Archiv 2011-Q2)

29.06.2011 :: Gedankenexperimente

Ein Gedankenexperiment ist ein sehr gutes Hilfsmittel zur Selbsterforschung. Sie können helfen, mehr Klarheit über sich und die Welt zu bekommen. Und man kann sie wunderbar in die Selbsthilfearbeit integrieren.

Bei einem Gedankenexperiment wird eine bestimmte Situation konstruiert. Zum Beispiel: "Stell dir vor, alle Menschen wären nur noch freundlich zu dir." Diese Vorgabe kann man nun auf sich wirken lassen und Antworten auf die Frage finden: "Was wäre dann?"

Gedankenexperimente laden dazu ein, mal etwas zu durchdenken, was man noch nie durchdacht hat. Oft sind es künstliche Situationen, die man sich ausdenkt, die real so nicht existieren. Wenn der Geist mal ausgetretene Denkpfade verlässt, besteht die Chance, zu neuen Einsichten und Erkenntnissen zu gelangen.

Gedankenexperimente können aber auch andere Realitäten prüfen. Wenn jemand z.B. die Überzeugung hat, dass kein Mensch ihn so annehmen kann, wie er ist, könnte man dies als Experiment nehmen: "Stell dir mal vor, alle Menschen würden dich genau so wollen, wie du bist. Wie wäre das dann für dich?" Hier kann ein innerer Prozess in Gang kommen, der ohne diese Anregung undenkbar gewesen wäre.

So können Gedankenexperimente einen mit etwas in Kontakt bringen, was vielleicht auch Realität ist. Der Focus liegt aber nicht darauf, herauszufinden, was realitätsnäher ist. Es geht darum, spielerisch mit einer Vorstellung von der Welt umzugehen und die Antworten zu erkunden, die sich in mir einstellen. Ganz nebenbei regt das auch die Phantasie an und schafft eine lebendige und offene Atmosphäre.

Auch für Zukunftspläne kann das Gedankenexperiment sinnvoll sein. Es gab mal jemanden in unserer Gruppe, der sich einen großen Lottogewinn wünschte. Wir machten dann mal eine Gruppe mit der Idee, jeder hat 1 Millionen Euro im Lotto gewonnen. Wie würde sich dann das eigene Leben gestalten? Was wäre dann?

Ziele und Pläne mal zuende zu denken und sich in das Ergebnis hineinzufühlen, hat schon manchen davor bewahrt, sich für falsche Ziele aufzuopfern. Wenn man man so gut in einen Gefühls-Kontakt mit dem Endzustand kommt, erlebt man vielleicht, dass das Erhoffte gar nicht eintreffen wird. Andersherum könnte man Wege erkennen, die mehr dazu geeignet sind, das Erhoffte zu erreichen. Oder das Erhoffte selber kommt auf den Prüfstand und man erkennt, dass dies wenig realistisch ist.

Gedankenexperimente offenbaren dem Einzelnen und der Gruppe auch, wo die eigentlichen Ängste zu finden sind. Oft bleibt es nämlich ziemlich schwammig, wovor genau man Angst hat. Durch ein Gedankenexperiment kann man das genauer herausfinden und besser differenzieren. Durch so ein Experiment kann man sich mal bestimmte Auslöser von Angst herauspicken und andere verschwinden lassen. Beispiel: "Stell dir vor, dass alle Menschen blind wären. Wie würde es sich dann anfühlen, wenn du durch die Fußgängerpassage gehst?" Manch einer atmet bei dieser Vorstellung erleichtert auf, weil dann keine Ängste mehr da wären. Andere hingegen sagen, dass wäre trotzdem sehr unangenehm, weil sie die Nähe und die Menschenmenge nicht vertragen.

In der Gruppenarbeit kann man Gedankenexperimente direkt als ein Thema einbringen, womit man eine Gruppenstunde gestaltet. Oder sie werden spontan als Anregung in einen Austausch hineingebracht, um einen neuen Impuls zu geben. Einbringen kann sie jeder, der Lust darauf hat. Selbsthilfe heißt ja: Jeder gestaltet mit.

-- Fred

25.06.2011 :: Lied der Woche

Funny van Dannen - Psychiater

23.06.2011 :: Gefühle

Gestern haben wir in der Gruppe etwas darüber nachgedacht, was eigentlich Gefühle sind. Wir waren uns nicht immer einig, ob etwas wirklich ein Gefühl ist. Deshalb hab ich mal ein wenig recherchiert.

Daniel Golemann definiert 4 Grundgefühle, die man auch als Basisemotionen bezeichnen kann:

  • Freude
  • Trauer
  • Wut
  • Angst

Was wir erleben, ist aber oft viel komplexer und eine Mischung aus diesen Emotionen.

Andere Autoren sind der Meinung, dass zur Beschreibung der Gefühlswelt diese 4 Grundgefühle nicht ausreichen. Nach Izard existieren z.B. folgende Grundgefühle, die auf der ganzen Welt zu finden sind:

  • Interesse
  • Leid
  • Widerwillen (Aversion)
  • Freude
  • Zorn
  • Überraschung
  • Scham
  • Furcht
  • Verachtung
  • Schuldgefühl.

Paul Ekman unterscheidet 7 Basis-Emotionen, die er für erblich bedingt hält:

  • Fröhlichkeit
  • Wut
  • Ekel
  • Furcht
  • Verachtung
  • Traurigkeit
  • Überraschung

Ob etwas ein Gefühl ist, lässt sich recht einfach nachprüfen. Man muss sich nur die Frage stellen, ob sich etwas klar fühlen bzw. empfinden lässt. In der Gruppe kam z.B. die Frage auf, ob Humor ein Gefühl ist. Humor lässt sich aber nicht fühlen, es ist eher eine Charakter-Eigenschaft. Ist Lachen ein Gefühl? Kann man lachen fühlen? Hier wird es schwer, vielleicht könnte man lachen als ein Gefühlsausdruck für besondere freudige Erregtheit verstehen. Manche sprechen auch von einem Gefühlsreflex.

Ist Liebe ein Gefühl? In der Gruppe waren wir uns darüber einig, das Liebe kein Gefühl ist. Liebe ist so schwer zu packen oder zu beschreiben. Sie ist so allumfassend und universell. Es ist eher ein Phänomen, welches sich aber mit Gefühlszuständen verbindet. Warme, zärtliche und wohlwollende Gefühle zum Beispiel.

Was in den bisherigen Betrachtungen fehlt, ist der sehr wichtige sexuelle Bereich. Ist erotische Anziehung ein Gefühl? Ist Verliebtheit ein Gefühl? Ist das, was man beim Geschlechtsverkehr erlebt, ein Gefühl? Ist der Orgasmus ein Gefühl?

Was den zeitlichen Aspekt angeht, so gibt es unmittelbar auftretende Gefühle, die sich auch schnell wieder verflüchtigen. Wenn z.B. jemand einen Witz erzählt, wird man emotional kurzzeitig angeregt. 2 Minuten später ist davon vielleicht schon nichts mehr da. Anders bei Stimmungen, die einen manchmal Stunden, manchmal sogar Tage oder Wochen begleiten. Vielleicht gibt es auch Grundstimmungen, die uns lange Zeit im Leben begleiten. Vielleicht werden diese von bedeutsamen Lebenserfahrungen gespeist. Diese Grundstimmungen haben einen großen Einfluss darauf, wie wir die Welt erleben. Dies erkennt man vor allem dann, wenn man mal einen Gefühlsumschwung hat und die Grundstimmung wechselt. Verliebtheit ist z.B. eine Phase mit einer anderen Grundstimmung, in der man die Welt dann typisch viel positiver erlebt und in der man aufgeschlossen und mutig ist.

Gefühle kann man auch in der Intensität unterscheiden. Manche berühren uns ganz sanft, andere überwältigen uns. Sie bestimmen dann ganz stark, was wir denken und wie wir handeln. In bestimmten Gefühlszuständen ist auch die Wahrnehmung stark eingeschränkt. Wer z.B. sehr wütend ist, kann nicht mehr feinfühlig seine Umwelt wahrnehmen. Ähnliches gilt bei starken Ängsten oder panikartigen Zuständen.

In der Selbsthilfearbeit ist es spannend, sich mehr und mehr seiner Gefühle gewahr zu werden. Sie also wirklich zu spüren und ein Wort oder einen Ausdruck dafür zu finden. Damit wächst der Gefühlszugang, man lernt sich auf Gefühlsebene immer mehr kennen und kann besser differenzieren. Und dies bereichert das Leben und schafft Chancen, besser und sinnerfüllter zu leben.

Wie viele Gefühle gibt es denn nun? Jemand formulierte es mal so: Es gibt so viele Gefühle, wie du sie zulässt.

-- Fred

19.06.2011 :: Ressourenorientierte Therapien

Lange Zeit hat man sich in Therapie auf die Probleme konzentriert, die Klienten mit bringen. Das ist ja auch die gewohnte Haltung, wenn uns sonst Schwierigkeiten im Leben begegnen. Man beschäftigt sich damit, um eine Lösung zu finden.

Man kann Probleme aber auch ganz anders lösen. Man vergisst erstmal den Blick auf das Problem. Stattdessen guckt man, wie ein Mensch seine Ressourcen im Leben gut nutzen kann. Was bringt jemand mit? Was lässt sich weiter entwickeln? Wo braucht ein Mensch Unterstützung, um neue Fähigkeiten zu lernen oder auszubauen?

Ein Therapeut behandelte eine Betroffene, die an Sozialphobie erkrankt war. Er erkannte ihr Interesse am Kochen und empfahl ihr recht bald, einen Kochkurs bei der Volkshochschule mitzumachen. Diese Idee entpuppte sich im Nachhinein als eine wirklich große Hilfe. War sie zuvor sehr einsam, hatte sie nun eine angenenehme kleine Kochgruppe, zu der sie einmal die Woche ging. Dies war für sie ein echtes Highlight, worauf sie sich richtig freute. Gleichzeitig erlebte sie sich in dieser Gruppe nicht als sonderbar oder merkwürdig. Diese Erfahrung machte ihr so viel Mut, dass sie nach weiteren Kontaktmöglichkeiten Ausschau hielt.

Fähigkeiten, die man entwickeln kann, können sich auf viele Bereiche des eigenen Lebens auswirken. Wenn jemand z.B. lernt, genauer wahrzunehmen, entstehen überall neue Erkenntnisse. Wenn jemand sein Interesse und seine Neugier entwickelt, wird das ganze Leben spannender und vielschichtiger. So entstehen wiederum neue Impulse, die einem spontan helfen können, Probleme zu bewältigen. Wenn Menschen anfangen, ihre Kreativität zu fördern, z.B. in dem sie malen, werden sie auch in anderen Belangen des Lebens kreativer. Kreativität erzeugt Möglichkeitsraum, der zuvor nicht da war. Und das hilft wiederum, mit schwierigen Situationen im Leben klar zu kommen. Wer seinen Humor pflegt, kann vielen Schwierigkeiten im Leben, mit Humor begegnen. Nicht selten entspannen sich gesellschaftliche Situationen, wenn sie mit Humor gewürzt werden.

In der Selbsthilfe lässt sich dieser Blick auf die Ressourcen auch gut nutzen. In einem letzten Gruppenworkshop haben wir mal wieder zusammen gemalt, was gut angekommen ist. Oder jeder hat einen Gegenstand des Alltags bekommen, den er dann genauer beschreiben sollte. Das schult die Wahrnehmung und die Ausdrucksfähigkeit. Es gibt viele weitere Übungen für Selbsthilfegruppen, die Ressourcen aktivieren.

Diese Herangehensweise hat noch eine weitere positive Seite: Unterhält man sich über Probleme, kann die allgemeine Atmosphäre sehr schnell als schwer, drückend und belastend empfunden werden. Da ist es ein guter Gegenpol, durch kreative und aktivierende Ideen etwas Leichtigkeit, Interesse, Neugier und Freude in die Gruppe zu bringen. Die so entstehende positive Grundstimmung hilft dann, sich wohl in einer Gruppe zu fühlen. Und wer sich wohl fühlt, kann sich auch besser auf andere einlassen.

-- Fred

19.06.2011 :: Kopf und Gefühl

Psychotherapie konzentriert sich oft auf die Gefühle. Diese zu erkunden und zu verstehen, ist wichtig. Heißt das im Umkehrschluß, dass der Kopf mit seinen Gedanken und Analysen nicht so wichtig ist?

In manchen Psychotherapien und Selbsterfahrungsangeboten herrscht eine gewisse abwertende Position den Gedanken, dem Wissen und den Analysen gegenüber. Mit dem Kopf ist das so eine Sache. Er kann nämlich tatsächlich verhindern, bestimmte Erfahrungen auf Gefühlsebene zu machen. Man versucht z.B. durch Rationalisierungen sich etwas vorzumachen und steht nicht zu dem, was man wirklich fühlt und was sich wirklich ereignet. Der Kopf kann durch viele geschickte Manöver dazu beitragen, dass man wichtige Erfahrungen vermeidet, die zur Heilung eigentlich wichtig wären.

Warum vermeidet man diese Erfahrungen? Weil sie meist mit Schmerz und unangenehmen Gefühlen verbunden sind, oder man kann die Wirklichkeit nicht so annehmen, wie sie ist.

Ein Bekannter erzählte mir von seiner Psychotherapie. Er war vom Kopf her sehr geschickt und erahnte sehr schnell, was der Therapeut hören wollte. So lieferte er ihm immer das, was er gerne hörte. Für den Therapeuten sah es scheinbar so aus, als liefe die Therapie prächtig. Er durchschaute die geschickte Kopf-Strategie seines Klienten nicht.

Meine Beobachtung ist, dass in Gruppentherapien gerade die intellektuell sehr geschulten und redegewandten Menschen mit hohem Bildungsgrad schwer in ihrem eigentlichen Problem erkennbar werden. Der Kopf arbeitet ausgeklügelt mit, um die eigentlichen Verletzungen zu verbergen und zu verschleiern. Bei Menschen, die auf intellektueller Ebene weniger geschickt sind, wird das eigentliche Problem oft viel schneller erkennbar und spürbar. Es gibt Therapeuten, die sind intellektuell sehr scharfsinnig und wachsam. Sie können trotz geistiger Hakenschläge recht schnell erkennen, worum es wirklich geht.

Das ist aber nur die eine Seite des Geistes. Die andere Seite wird dabei manchmal zu wenig gewürdigt. Er kann nämlich auch viel dazu beitragen, zu gesunden und Situationen zu bewältigen. Er kann z.B. dafür sorgen, einen realistischeren Blick auf das zu bekommen, was ist. Denn das Gefühl kann einem oft genug auch in die Irre schicken. Man fühlt etwas anderes, als real passiert. Hier kann der Kopf durch Analyse einer Situation klarer erkennen, was wahr ist. Gesichertes Wissen, was sich der Kopf beschaffen oder erarbeiten kann, hilft ebenso.

Derzeit herrscht z.B. eine Sorge um den Darmkeim EHEC. Könnte ich mich anstecken und selber erkranken? Könnte ich davon sogar sterben? Eine Sorge darüber ist nachvollziehbar und angemessen. Der Kopf kann nun aber dazu beitragen, das Risiko mal genauer zu analysieren. Denn hier erliegen wir ganz schnell einer Massentäuschung: Weil die Medien dieses Thema gerade im Zentrum ihrer Wahrnehmung haben, verzerrt sich die Gesamtsicht. Es kann also sein, dass es hunderte andere Dinge gibt, die real wesentlich bedrohlicher sind, aber die einseitige Arbeit der Medien lässt dies nicht erkennen. Der Kopf aber kann sich diese Einsichten erarbeiten, in dem er Informationen prüft und durchdenkt. Er kann herausfinden, was gesicherte Informationen sind und was einfach nur "Meinungsmache" ist. Er kann Risiken abschätzen. Und er kann sinnvolle Maßnahmen finden, um sich vor Gefahren zu schützen. Durch eine richtige Einschätzung einer Situation kann er einen vor Sorgen bewahren, die durch Fehlwahrnehmung einer Situation entstehen.

Ein schönes Beispiel ist auch der Atomunfall in Fukushima. Hier braucht es Kopfmenschen, die genau analysieren können, welche Gefährdungen wovon real ausgehen. Und es braucht sie, damit man Strategien entwickelt, um die Katastrophe in den Griff zu bekommen. Das sind Probleme, wo es ganz klar den Kopf braucht, um sie zu lösen.

Umgedreht braucht es hier auch das Gefühl: Menschen müssen mit erschütternden Schicksalsschlägen klar kommen. Es braucht Menschen, die sich in die emotionale Lage anderer einfühlen können, um sinnvoll und richtig zu helfen.

Kopf und Gefühl - es braucht beides und in einem guten Verbund können beide sinnvoll wirksam werden.

-- Fred

14.06.2011 :: Lied der Woche

Maike Rosa Vogel - Die Mauern kamen langsam

Artikel zu Maike Rosa Vogel:

Am 28.08.2011 Waldbühne auf der Hardt Wuppertal - vielleicht ein Ausflug wert. Wer Lust hat, melde sich.

Ihre neue CD heißt "Unvollkommen" getreu ihrem Motto: "Perfektionismus ist etwas ganz Fieses."

08.06.2011 :: Angst vor Nähe

Die Angst vor Nähe ist ein ganz großes Thema in vielen Psychotherapien und betrifft viele Menschen. Das ist insofern nicht verwunderlich, weil Menschen ein Grundbedürfnis nach Nähe haben, Nähe aber auch schwierig, einengend, bedrohlich und schmerzvoll werden kann. Damit bleibt Nähe Spannungsfeld, Abenteuer und Herausforderung im Leben.

Bei sozialen Ängsten findet man eine Angst vor Nähe, die auf mangelnder Ausdrucksfähigkeit beruht. Betroffene können zwar auf sachlicher Ebene mit anderen in Kontakt treten. Sobald es aber irgendwie persönlich wird, bekommen sie innerlich die Panik und müssen aus der Situation raus. So können sie problemlos in Arbeitszusammenhängen sachbezogen kommunizieren, mitunter haben sie da sogar richtige Stärken und werden von anderen als selbstsicher und gefestigt erlebt. Sobald es aber persönlicher wird, z.B. bei einer Betriebsfeier oder auch schon beim gemeinsamen Mittagessen, kommen sie in große Schwierigkeiten. Die Signale, die sie dann aussenden, werden von anderen nicht selten als abweisend und arrogant erlebt. Die Umgebung erkennt nicht, dass eigentlich eine Schwäche der Grund für die Nicht-Kommunikation ist.

Manchmal hab ich den Eindruck, es fehlt einfach an der Fähigkeit, Persönliches auszudrücken. Man hat es im Elternhaus nicht erfahren und gelernt. Und auch später war nicht die Gelegenheit dazu. Man weiß nicht, wie man seine Empfindungen, Gefühle und Impulse in Worte packen kann. Gepaart ist das oft auch mit einem geringen Selbstwert - man empfindet nicht, dass das, was man selbst erlebt, kostbar und wertvoll ist. Man kann sich nicht vorstellen, dass die eigene Innenwelt für andere interessant ist.

Es braucht auch ein Vertrauen darin, dass das, was man erlebt, schon irgendwie richtig und sinnvoll sein wird. Das man das also einfach so mitteilen kann. Natürlich gibt es tausend Fettnäpfchen, in die man treten kann und wenn man wenig geübt ist, wird man einige davon sicher nicht auslassen. Hier braucht es also auch den Mut, mal daneben zu liegen und unangenehme Gefühle in anderen Menschen anzuregen. Doch ist es eigentlich unsere Aufgabe, immer nur angenehme Gefühle in anderen anzuregen? Sind andere überfordert damit, Unangenehmes zu verdauen? Oder dürfen wir uns auch einfach mal zumuten?

In der Selbsthilfegruppe kann man gut üben, sich persönlich mitzuteilen. Hier konzentrieren wir uns ja im Gespräch genau auf diesen Aspekt. Man kann die Gruppe als eine Art Übungsfeld sehen, in dem man persönliche Kommunikation lernt und fördert. Hier geht es nicht darum, irgendeine Fassade zu pflegen und irgend etwas darstellen zu müssen. Hier kann man es wagen, sich zu zeigen und Seins zu offenbaren. Weil es ein Übungsfeld ist, darf hier auch mal was schief gehen. Es gibt viele Möglichkeiten, auch mit solchen Erfahrungen konstruktiv umzugehen.

Sich mitzuteilen, braucht immer wieder Mut. Sehr oft wird spürbar, wie Mut andere ansteckt, auch mutig zu sein. Manchmal wird längere Zeit oberflächlich und abstrakt geredet. Doch dann sagt auf einmal jemand etwas sehr Persönliches. Und auf einmal öffnet das auch andere, sich mitzuteilen und persönlich zu werden. Mir kommt das manchmal so vor, als hätten alle eine große Sehnsucht danach, aber jeder wartet darauf, dass einer den Anfang macht.

-- Fred

08.06.2011 :: Selbstausdruck - Möglichkeit zur Empathie

Hab lange hier nicht mehr geschrieben, mag aber jetzt mal etwas Gedanken-Input geben, einfach mal schreiben, was mir grad durch den Kopf geht.

Ihr erlaubt zuvor ein Gedicht von Goethe?

"Geh, gehorche meinen Winken,
nutze deine jungen Tage,
lerne zeitig klüger sein.
Auf des Glückes großer Waage
steht die Zunge selten ein:
Du musst steigen oder sinken.
Du musst herrschen und gewinnen
oder dienen und verlieren,
leiden oder triumphieren,
Amboss oder Hammer sein."

Klingt etwas martialisch. Wahr daran ist, dass jeder Verzicht auf Selbstausdruck (aus Angst) uns auf die leidende Seite verschlägt. Wo wir aber Ausdruck finden, gewinnen wir Anschluss an eine Art "Common sense" des Selbstgefühls. Wir betreten die Gemeinschaft derer, die sich ausdrücken. Und selbst, wenn das, was wir ausdrücken, sehr einzeln und verschieden von anderem sein kann, - so ist doch der Vollzug des Auf-die-Bühne-Kommens und der emotionale Raum, in dem wir dann sind, nicht individuell, sondern ein allgemein-menschliches Gestimmtsein und Lebensgefühl. Die Ankunft dort bewirkt deshalb Geborgenheit. - Wer sich nicht durchringen kann, sich auszudrücken und dem allgemeinen Lebensvollzug beizutreten, empfindet sein Zurückbleiben als Weltverlust - als Angst.

Mir sind beide Stimmungen vertraut: Die Empfindung meiner Vereinzelung, des Feststeckens und zu keiner Gemeinschaft Kommens; aber auch der gelingende Vollzug, wenn ich mich entscheide, der und der zu sein, und spüre, dass das ankommt, dass ich dadurch für andere erkennbar werde. So wird das, was unserem Lebensgefühl als unsicher erscheint: Ausdruck, Erkennbarkeit und Kontakt, zu einem Geschehen, das uns in Sicherheit bringt, wenn wir nur lernen, uns darauf einzulassen.

-- MichaelS

06.06.2011 :: Verzerrte Weltsicht

Die Welt ist nicht so, wie wir sie wahrnehmen! Ich denke, man kann ruhigen Gewissens behaupten, dass nahezu alle Menschen Wahrnehmungsverzerrungen haben. Mitunter sind die auch ganz massiv.

Ursache von Wahrnehmungsverzerrungen können psychische Deformationen sein. Schmerz, Trauma und schlechte Erfahrungen führen zu Ängsten. Dadurch entsteht ein Angstblick in die Welt: Man nimmt nicht mehr wahr, was ist, sondern interpretiert in alles hinein, was schlimmstenfalls sein könnte. Und erhebt das dann wieder zur Realität.

Gabi ging durch die Stadt und alle glotzten sie blöde an. Sie war sich ganz sicher, dass die Menschen ihr feindlich gesonnen waren und schlecht über sie dachten.

Mit der Zeit bilden sich Gedankengewohnheiten aus. Und man glaubt, dass diese Gedankengewohnheiten die Realität widerspiegeln. Falsche Gedanken werden sogar als Beweis ihrer Gültigkeit genutzt:

Bisher haben mich die Leute doch immer nur dumm angeglotzt. Ich hab das doch unzählige male erlebt. Das muss doch wahr sein!

So entsteht mit der Zeit eine ganz eigene Wahrnehmung der Welt, die in sich schlüssig und plausibel scheint.

Nicht nur schmerzliche Lebenserfahrungen sind die Ursache für Wahrnehmungsverzerrungen. Genauso können Gier, Egoismus und Verlockungen die menschliche Psyche aus einer guten Balance bringen und von der Wahrheit wegführen. Man sieht dann nur noch das, was man sehen will, weil es so praktisch, bequem oder bereichernd ist. Man bastelt die Welt sich so zurecht, wie man sie gerne hätte und blendet alles andere aus, was in die selbstgefällige Sicht nicht hineinpasst.

Neben der vezerrten Sicht von Realitäten gibt es auch die einseitige Sicht: Man sieht bestimmte Aspekte der Welt ganz stark, ist hochsensibel dafür. Hingegen kann man anderes nicht wahrnehmen und erkennen. Man hat kein gutes Gesamtbild, sondern bleibt einseitig. Wenn man das Ganze nicht ausgewogen sehen kann, führt das genauso zu einer Verzerrung.

Eine verzerrte Weltsicht kann großes Leid mit sich bringen. Schließlich erscheint dem Betroffenen all das als völlig real. Und wenn diese Weltsicht wesentlich mehr Bedrohung, Ablehnung und weitere Abscheulichkeiten als real enthält, dann wird das auch täglich qualvoll so erlebt. Man ist wie gefangen in einem Alptraum.

Sobald ich auf die Straße gehe, merke ich, wie mich alle böse angucken. Ich bin fest davon überzeugt, dass alle durchweg abfällig über mich denken!

Wenn eine verzerrte Weltsicht so quälend und lebenszerstörerisch sein kann, hat es einen großen Wert, immer wieder seinen Realitätsblick zu schärfen. Wie kann das gelingen, einen größeren Bezug zur Wahrheit zu bekommen?

Ein wichtiger Punkt ist der Erkenntnis-Schritt, dass man falsch wahrnimmt, dass dies zu großen Problemen führt und dass es wertvoll ist, seinen Blick zu schärfen. Das sozusagen ein großer Wunsch in einem entsteht, zu einem Wahrheits-Sucher zu werden. Auch dann noch, wenn Wahrheiten nicht bequem und angenehm sind. Jede ernstzunehmende Psychotherapie unterstützt einen darin, das Wahre zu finden. Man könnte die Suche nach Wahrheit auch als ein zentrales Heilmittel bezeichnen.

Bei Sozialphobie ist ein großes Problem die Isoliertheit, in denen Menschen leben. So bleibt man viel alleine in seiner Welt. Erst im Kontakt mit anderen Menschen entsteht eine Reibungsfläche. Hier kann man erkennen, dass andere Menschen ganz anders wahrnehmen, denken und fühlen. In der Auseinandersetzung mit dieser Andersartigkeit kann man sich selbst entdecken und erkennen.

Wenn wir in der Selbsthilfegruppe eine offene und ehrliche Auseinandersetzung pflegen, dann kann man im Kontakt sehr viel über sich lernen. Es braucht hier vor allem einen Austausch, der nicht nur auf Selbstbestätigung hinausläuft. Nach dem Motto, ich suche jemanden, der meine Meinung teilt. Es braucht vielmehr die ehrliche und ernsthafte Reflexion, wie jeder die Welt wahrnimmt. Hier hilft auch ehrliches Feedback, damit die eigene Sicht mit der Fremdsicht abgestimmt werden kann.

Es kommt ganz häufig vor, dass man eine ganz andere Wirkung auf andere vermutet, als real von den Beteiligten empfunden. Wer offen dafür ist, kann viel davon lernen und seine falschen Vermutungen über die Welt korrigieren. Hierzu braucht es natürlich Vertrauen. Vertrauen darin, dass die anderen einem die Wahrheit sagen. Vertrauen braucht Zeit, um wachsen zu können. Ein Grund, warum wir in den Kerngruppen längere Zeit beständig miteinander zusammenarbeiten.

Ein zentraler Faktor, um der Wahrheit näher zu kommen, ist die Konzentration auf das Hier und Jetzt. Was ereignet sich jetzt im Moment wirklich? Also auseinanderhalten zu können, was für Vorstellungen ich habe und was tatsächlich beobachtbar ist. Wie erlebe ich den Moment, was ist daran real und was ist Interpretation?

Vielleicht ist das Leben wie ein beständiger Prozess, sich immer wieder von irrigen oder überlebten Vorstellungen zu verabschieden, um ein Stück mehr in Kontakt mit der Realität zu kommen.

-- Fred

30.05.2011 :: Wer nicht nein sagen kann, kann auch nicht ja sagen

Es gibt Menschen, die gehen mit einem herzerfüllten "Ja" in Situationen oder auf andere zu. Ob nun irgendwo etwas stattfindet oder jemand Hilfe braucht: Sie können beschwingt und lustvoll Ja zu etwas sagen.

Beherzt Ja sagen kann man nur im Vertrauen darauf, dass es gut wird. Wenn Unangenehmes droht, kann man nicht freudig Ja sagen.

Damit Situationen, in die man sich begibt, gut werden, braucht es die Fähigkeit, sich um seine Bedürfnisse zu kümmern und diese kommunizieren und vertreten zu können. Dann kann man Situationen so gestalten, wie man sie braucht.

Bei Sozialphobie-Betroffenen gibt es oft eine starke Einschränkung dieser Gestaltungs-Fähigkeit. Man geht in eine soziale Situation hinein und fühlt sich dann dort ausgeliefert. Man sitzt z.B. gemeinsam in der Kneipe an einem Tisch und traut sich nicht, mal auf Toilette zu gehen. Oder sich zu verabschieden, wenn man keine Lust mehr hat. In beiden Fällen würde man für einen Moment im Aufmerksamkeitsbereich der anderen sein, was einem zu unangehm erscheint. Stattdessen hält man also durch und durchleidet die Situation in der Hoffnung, dass irgendwann jemand anderes zum Aufbruch aufruft.

Dieses Durchhalten von unangenehmen Situationen ist mir oft als Thema in den Selbsthilfegruppen begegnet. Es sind immer wieder Erfahrungen, wo man zu etwas Ja gesagt hat und dann in einer Situation war, aus der man nicht mehr so einfach heraus konnte. Die Folge von solchen Erfahrungen ist dann, dass man zu nichts mehr beherzt Ja sagen kann, weil überall ja die Möglichkeit droht, dass man Situationen ohnmächtig ausgeliefert ist.

Erst wenn man lernt, sich für seine Bedürfnisse einzusetzen und diese auch in Gruppen vertreten kann, kann auch wieder das Interesse an Angeboten wachsen. Man weiß dann, man kann es handhaben und so steuern, dass es auch wirklich gute Erfahrungen werden. Es ist in etwa so, wie beim Wellenreiten. Man begibt sich ins Wasser. Anfangs überrollt einen gnadenlos jede Welle und man wird vom Wasser kräftig durchgeschüttelt. Wenn man aber irgendwann mal gelernt hat, auf dem Brett zu stehen und auf der Welle zu reiten, dann macht es unbeschreiblich viel Spaß. Man ist nicht mehr Opfer der Naturgewalten. Stattdessen verbindet man sich auf lustvolle Weise mit ihnen. Es wird zu einem lebendigen Spiel.

Hier kann auch wieder die Selbsthilfegruppe ein Übungsfeld sein. Man kann immer mal wieder hinspüren, wie es einem geht und was man braucht. Und man kann sich Übungen ausdenken, z.B. mal danach zu fragen, ob man das Fenster öffnen kann. Oder mitten in der Gruppe mal auf Toilette zu gehen. Sich immer wieder in Gespräche einzubringen, ist auch ein ganz wichtiges Übungsfeld. Hierbei steht man ja für einen Moment im Mittelpunkt. Es ist auch möglich, mit der Gruppe abzustimmen, was man in den nächsten Sitzungen üben möchte und die anderen um Mithilfe zu bitten. Hier braucht es nur etwas Kreativität, um seine Herausforderungen zu kreieren. Es gab auch schon Betroffene, die mit ihrem Therapeuten Übungen für die Selbsthilfegruppe besprochen haben. Therapie und Selbsthilfe können sich so immer wieder gegenseitig fördern.

-- Fred

23.05.2011 :: Musiktipp

Letztens war Phoebe Kreutz [fi:bi] in der Kulturhauptkneipe. Bei dieser schönen Nähe des Namens zu Phobie dachten wir uns, das ist eine gute Gelegenheit, mal wieder raus zu kommen. Unterstützt wurde sie von Matt Colbourn an der Trompete. Der Abend war wirklich schön. Joke-Folk könnte man die Musikrichtung bezeichnen, die sie macht. Auf youtube findet man einiges von ihr, z.B. hier:

Hier ein paar Infos über sie:

Übrigens: Phoebe heißt im Griechischen so viel wie "hell, rein" bzw. "die Leuchtende". Bleibt zu hoffen, dass im Selbsthilfe-Prozess die Soziale Phobie zur Sozialen Phoebe wird - soziale Erleuchtung sozusagen. Das hat was.

20.05.2011 :: Frustration über die Welt, wie sie ist

Im Austausch mit Betroffenen in den Selbsthilfegruppen fällt mir öfters eine recht negative Weltsicht auf. Man ist sich schnell einig darin, dass die Zustände, die uns umgeben, eine Katastrophe sind. Das gilt für die große Weltpolitik genauso, wie für das, was uns direkt im nächsten Umfeld betrifft. Man könnte das auch einen tiefsitzenden Pessimismus nennen. Oder auch eine große Resignation über das, was auf dieser Erde entstanden ist und sich etabliert hat.

Ich kann diese Haltung in der Hinsicht gut verstehen, weil ich auch jede Menge unhaltbarer Zustände sehen kann, die unterträglich werden, wenn man sich erstmal näher damit beschäftigt und sie an sich heranlässt. Die einzige Möglichkeit, in all den Missständen der Welt nicht zu versinken, besteht für mich darin, sie mir oft genug vom Leibe zu halten. Ich gucke einfach nicht hin, meide Nachrichten im Fernsehen und lasse so die negativen Eindrücke nur sehr dosiert an mich heran.

Die andere Seite stimmt aber auch, es gibt sehr viel Interessantes und Schönes auf der Welt. Wenn man sich da mal auf die Suche macht, findet man auch hier jede Menge. Doch komischerweise gibt es keine täglichen Nachrichten, die sich mal nur auf die schönen Dinge konzentrieren, die täglich entstehen. Gibt es solche Nachrichten nicht, weil die Menschen kein Bedürfnis nach solchen Meldungen haben? Wollen wir lieber täglich geschockt werden, weil es aufregender ist?

Die Medien geben stark vor, was von all dem, was da ist, in unser Bewusstsein dringt. Die Gedanken, die in unserem Kopf täglich rumwuseln, sind geprägt von dem, was wir durch die Medien aufnehmen. Fernsehen und Radio sind dabei Medien, die besonders stark dieses Angebot festlegen. Hier legen die Verantwortlichen der Sender fest, was wir aufgetischt bekommen. Doch bekommen wir da eigentlich das Richtige aufgetischt oder ist das Angebot verrückt und wahnsinnig einseitig? Zum Glück kann man ja aus einer Vielzahl von Sendern noch genauer wählen, welche Sendung man guckt und sich so das zusammenstellen, was einem selber wichtig erscheint.

Einige Betroffene berichten davon, ihren Medienkonsum radikal verändert zu haben. Sie haben den Fernseher ganz verbannt. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass ihnen fernsehen nicht gut tut. Meist im Zusammenhang damit, sich auch zu oft verleiten zu lassen, dass zu gucken, was einem eigentlich nicht gut tut. Sich dann nicht abgrenzen zu können, wenn diese Flimmerkiste erstmal im Raum steht.

Das Internet wird oftmals zum Ersatz, was auch bundesweite Studien in der Gesamtbevölkerung zeigen: Je mehr Internet konsumiert wird, um so weniger wird fern gesehen. Das Internet ist theoretisch völlig frei in der Möglichkeit, was man konsumieren will. Und doch wird man oft genug - meist unbewusst - doch in eine Richtung gelenkt. Wenn man genauer hinschaut, kann man aber hier noch deutlicher erkennen, wo es einen immer wieder hinzieht. Hier kann man seine Bedürfnisse kennenlernen, was man konsumieren möchte. Nicht selten konsumiert man was, was einem eigentlich nicht gut tut. Und doch zieht es einen aus irgendeinem Grund dahin.

Dieser Effekt ist oft zu beobachten - man ist verstrickt mit etwas, was einem Schwierigkeiten bereitet. Man lässt etwas auf sich wirken, was Unangenehmes in einem anrührt. So, als gäbe es schon eine große Enttäuschung über die eigenen Lebensumstände und man ist empfänglich für alles, was in der Welt in ähnliche Richtung geht. Innen und außen resoniert.

Das ist eine sehr interessante Frage, für was man eigentlich empfänglich ist. Für was ist die eigene Wahrnehmung ganz offen und was nimmt sie überhaupt nicht wahr? Und warum ist das so?

Es kann z.B. sein, dass man für alle Missstände dieser Welt ganz offen ist, gute Dinge jedoch gar nicht an sich heran lässt.

Bei Sozialphobie ähneln sich viele Biografien. Man findet typisch längere Phasen im Leben, wo man auf der Verliererseite des Lebens stand. Man wurde z.B. Opfer von Abwertung durch andere Menschen. Anderen ging es gut und sie bekamen Anerkennung, man selber wurde aber abgelehnt, ausgegrenzt oder herabgewürdigt. Dies hinterlässt tiefe Wunden und eine tiefe Resignation dem Leben gegenüber. Speziell den Menschen gegenüber, weshalb Betroffene in der Zuwendung Tieren und der Natur gegenüber meist eine Zuflucht finden.

Diese offene Wunde, die durch die widrigen Lebensumstände entstanden ist, sucht irgendwie immer wieder nach Ausdruck. Und dieser Ausdruck ist dann darin zu sehen, dass einen die widrigen Umstände in der Welt anziehen. Die eigene Wunde zeigt sich so immer wieder, doch dies allein führt oft nicht zur Heilung. Es führt lediglich dazu, die alten Gefühle von Resignation und Hoffnungslosigkeit erneut zu spüren.

Es ist schon paradox, warum unser Organismus sich so scheinbar immer wieder selber quält. Er kann die Wunde nicht ruhen lassen, er muss sie immer wieder anstacheln.

Vielleicht lässt sich darin aber ein Versuch von Selbstheilung erkennen. Denn so kann einem die Wunde bewusst werden. Und dann braucht es weitere Schritte, um wirklich einen Schritt in Richtung Heilung zu gehen.

Meine Erfahrung ist, dass es sehr heilsam ist, wenn man seine Biografie immer mehr annehmen kann. Wenn man irgendwann sagen kann: "Ja, so war das bei mir." Es ist ein Prozess, wo man durch Wut, Ärger und Verzweiflung hin zu Trauer und Verständnis findet, um irgendwann einen inneren Frieden endlich wieder hergestellt zu haben. Irgendwann ist das Thema dann wirklich mal durch und man kann mit klaren Augen sehen und sagen: "Ja, so war das bei mir." Ohne, dass dieses Thema noch ständig Energie zerrt und einen gefangen hält. Meist ist dies ein schwieriger Wandlungsprozess, bei dem gute therapeutische Unterstützung wertvoll ist, bevorzugt eine tiefenpsychologische Therapie.

Selbstannahme bedeutet auch, mehr zu sich zu finden und sich auch von gesellschaftlichen Vorgaben lösen zu können. Denn wer unter der Welt leidet, wie sie ist, leidet oft deshalb, weil er sich nicht traut, anders zu leben. Denn abweichende Ideen und Vorstellungen zu leben, braucht Mut. Und doch eröffnet es den persönlichen Freiraum, mehr der zu sein, der man ist. Manche leiden fürchterlich darunter, dass sie den Anforderungen unserer Gesellschaft nicht gerecht werden und fühlen sich minderwertig. Dafür verbrauchen sie all ihre Energie, anstatt zu gucken, was ganz unabhängig von diesen Vorstellungen ihr Platz und ihr Wirkraum in dieser Welt sein kann.

In der Selbsthilfe achten wir darauf, dass wir Diskussionen in der Gruppe möglichst bald wieder auf uns selbst zurückführen. Das wir also nicht stundenlang über Missstände in der Welt diskutieren, sondern eher schauen, was das Eigene darin ist. Denn die Selbsthilfegruppe soll ja ein Ort sein, wo man sich mit seiner persönlichen Weiterentwicklung beschäftigt. Hier geht es wieder darum, wo man seine Wahrnehmung und Aufmerksamkeit hinlenken möchte: Hinaus in die Welt oder hin zu sich selbst.

-- Fred

15.05.2011 :: Mal Chef sein

In der Gruppenarbeit fällt mir auf, dass es vielen schwer fällt, mal selber in die Chefrolle zu gehen. Das ist natürlich recht naheliegend - wer schüchtern und zurückhaltend ist, wählt typisch die Rolle des Folgenden und nicht die des Führenden.

Wenn man diese Führungsrolle bisher konsequent in seinem Leben vermieden hat, kann es eine große Lernchance sein, diese nun im Selbsthilferahmen immer wieder auszuprobieren. Natürlich gibt es einen Hauptgrund, warum man diese Rolle bisher so selten angenommen hat: Sie macht Angst und ist ungemütlich. Doch weil man sie bisher nicht übernommen hat, hat man auch keine Erfahrung und keine Übung darin. Diese Hilflosigkeit wird öfters spürbar. Und hier kann Übung direkt helfen.

Wer öfters in die Rolle des Führenden geht, hat immer wieder die Chance, hinzuzulernen, es besser zu machen. Man lernt mit jeder Führungsaufgabe und wächst daran. Wer dann eine gewisse Führungskompetenz aufgebaut hat, wird auch sicherer und verliert Ängste.

Kompetenz schafft Sicherheit, Hilflosigkeit hingegen macht Angst.

Selbst in Führungsrollen zu gehen, weitet den eigenen Horizont. Und es stärkt auch das Selbstbild. Wer sich immer nur in der Rolle des Folgenden erlebt, fühlt sich schnell klein und unbedeutend. Wer aber die Führung übernimmt und dafür auch Anerkennung und Aufmerksamkeit erfährt, kann seine Bedeutsamkeit besser erkennen.

In dieser Rolle kommt man auch mit dem Thema Macht in Verbindung. Das Wort Macht ist oft negativ besetzt, weil man es mit Machtmissbrauch assoziiert. Und Macht wird ja auch oft missbraucht. Es gibt aber auch den positiven Aspekt der Macht, nennen wir es Ermächtigung. Hierdurch erhält man einen Gestaltungsfreiraum, den man selber füllen darf.

Dieser Gestaltungsfreiraum macht es Menschen erst möglich, sich mit ihrer Kreativität und ihrem Gestaltungswillen einzubringen. Jetzt heißt es nicht mehr: "Du musst dies und jenes machen!" sondern "Ich kann dies und jenes tun, weil ich einen Sinn darin sehe!"

In dieser Mitgestaltung und dem sich Einbringen erfährt man sich. Man wird Dinge gut und richtig machen, anderes verkehrt. Man wird erfolgreich sein und scheitern. In diesem Prozess kann man lernen und seine positiven Impulse kultivieren. Man kann das kultivieren, was man der Welt zu geben hat.

Betroffene immer wieder einzuladen, in die Führungsrolle zu gehen, erscheint mir wichtig. In der Selbsthilfegruppe gibt es viele Möglichkeiten dazu:

  • Die Rolle des Moderators übernehmen. In der Kerngruppe 1 praktizieren wir seit etwa 3 Jahren eine rotierende Moderatorenschaft. So kann sich jeder regelmäßig in dieser Rolle ausprobieren.
  • Freizeitaktivitäten organisieren. Es gehört immer einiges dazu, um z.B. ein Fest oder einen Ausflug zu organisisieren. Hier kann man sich einbringen und ausprobieren.
  • Ämter übernehmen. Wer ein Amt übernimmt, übernimmt auch eine Verantwortlichkeit und übernimmt in dieser Sache dann auch Führung.
  • Patenschaften. Die Idee, dass Gruppenältere Patenschaften für Gruppenneue übernehmen, hatten wir schon ein paar mal. Bisher haben wir das noch nicht realisiert. Auch hier übernimmt man Verantwortung und geht aktiv auf einen Neuen zu.
  • Eigene Themen einbringen. Wenn ich selber ein Thema mitbringe und darüber reden will, komme ich in den Mittelpunkt und gebe etwas vor. Ich übernehme die Führung, was das Thema angeht.
  • Rollenspiele. In Rollenspielen kann man bewusst mal in Chef- und Führungsrollen gehen, um sich darin auszuprobieren. Hierbei ist mir immer wieder aufgefallen, wie viel Spaß das Menschen macht, die sich sonst nicht in solchen Rollen erleben.
  • Ideen und Anregungen für die Gruppenarbeit. Jeder erlebt ja die Gruppenarbeit, wie sie ist. Und daraus können Ideen erwachsen, wie man diese bereichern kann. Diese kann man jederzeit einbringen.
  • Fortbildungsveranstaltungen. Workshops und Weiterbildung regt immer an, etwas Neues in die Gruppenarbeit einzubringen. So wird man zu einem Impuls- oder Ideenführer. In dieser Rolle versucht man, die gemachten Erfahrungen aus dem Workshop der Gruppe nahe zu bringen, um dann zu schauen, wie man sie in die Gruppenarbeit integrieren kann. Auch Erfahrungen aus Therapie und Klinikaufenthalten können Impuls geben.
  • Gesamttreffen Kontaktstelle. Die Kontaktstelle lädt alle 3 Monate zu einem Gesamttreffen ein, zu der alle Dortmunder Selbsthilfegruppen eingeladen sind. Es ist gut, hierüber im Kontakt mit der Selbsthilfearbeit in Dortmund zu bleiben. Dadurch ergeben sich auch immer wieder Impulse und Ideen für die Gruppenarbeit. Auch erhält man so wichtige Informationen. Bei den Gesamttreffen kann man auch eigene Anliegen einbringen.
  • Es gibt ganz viele Kleinigkeiten, wo man Führung übernehmen kann. Wenn man bei einer Wanderung mal als erster die Gruppe anführt oder beim Gang in ein Cafe mal der Erste ist. Selbst der Satz: "Wir haben hier schlechte Luft im Raum, soll ich mal das Fenster öffnen?" ist schon Führung. Anstatt zu warten, bis es jemand anderem auffällt.

Sich zu engagieren und aktiv zu werden, hat bei Sozialphobie einen besonderen Stellenwert. Es hilft erstmal der Selbsthilfegruppe, sich zu kultivieren. Das ist bei allen Selbsthilfegruppen so. Bei Sozialphobie ist es aber gleichzeitig Übungsfeld, um Führungsqualitäten zu entwickeln. Sich darin zu üben und so eine Fähigkeit zu erlernen, auf die man im Leben immer wieder zurückgreifen kann.

Wäre es nicht wunderbar, wenn man irgendwann von sich sagen könnte:

Ich spüre,
was es braucht,
ich entwickle Ideen,
bringe sie ein,
und schaue,
was realisierbar ist.

In dem ich so erschaffe,
verwirklicht sich Wesentliches,
durch mich.

-- Fred

12.05.2011 :: Der große Schatz des Lebens: Das Spontane

Ich glaube, in jedem steckt eine große Neugier auf die Welt. Das ist vielleicht von Natur aus in uns angelegt. Spontanität ist das Unerwartete, was unmittelbar auf uns zukommt. Und das kann Quelle für Neues und Interessantes sein. Spontanität durchbricht damit alles Geregelte, Geplante oder Vorausgedachte. Urplötzlich steht etwas im Raum, was man so nicht erwartet hat. Was löst das in einem aus?

Uns ist aufgefallen, dass Angst ein Gegespieler von Spontanität ist. Eine Strategie der Angstbewältigung ist es, das Leben einer Kontrolle zu unterwerfen. Alles wird vorausgeplant, alles wird definiert und festgelegt, so dass man morgens schon weiß, wie der Tag ablaufen wird. Angst hingegen löst all das aus, was man doch nicht vollständig kontrollieren und festlegen kann. Meist werden dann Situationen auch vermieden, die nicht genau voraussehbar sind.

Menschliche Kommunikation ist z.B. nicht voraussehbar. Man weiß nicht, wie andere auf mich reagieren, was für Situationen entstehen werden und was sich im Kontakt so alles ereignet. Und doch wird auch hier schon viel vorausgeplant, in dem man gedanklich Dialoge durchgeht, die man zukünftig führen wird. Alles im Auftrag der Angst - weil das Spontane und Unvorhersehbare vermieden werden soll.

Das Spontane macht alles möglich, was eigentlich ein Segen ist. Denn darin kann viel Gutes stecken. Leider aber eben auch die Möglichkeit, dass wir durch Neues überfordert werden.

Wenn durch Angst alles Spontane vermieden wird, ist das ein großer Verlust für's Leben. Denn in der Spontanität steckt Lebendigkeit, Lebenslust und Freiheit. Im Spontanen finden wir auch das Lebensglück und das Herzberührende. Nicht umsonst ist man im Zustand der Verliebtheit sehr offen für Spontanes, Unüberlegtes und Neues.

Wenn die Angst uns oft unbemerkt dazu drängt, alles zu kontrollieren, so könnte man sich auch bewusst entscheiden, etwas für die Spontanität im Leben zu tun. Offen zu werden für die vielen kleinen Möglichkeiten spontaner Impulse im Alltag. Man kann so Stück für Stück wieder seine Spontanität zurückerobern und Gefallen daran finden.

-- Fred

11.05.2011 :: Schwieriges durchstehen können

Früher sagte man mir öfters mal "Das Leben ist kein Zuckerschlecken!". Mich depremierte so eine Aussage, stellte es mir doch in Aussicht, dass das Leben fast immer Qual und Last ist. Und das ist kein hoffnungsvolles Bild vom Leben, da vergeht einem schnell die Lust dran.

Heute sehe ich es so: Das Leben kann sehr aufregend, angenehm und spannend sein. Und ich glaube, es ist gut, wenn wir uns der Entfaltung des Lebens zuwenden, wenn wir danach schauen, wie es gut werden kann. Auf meinem Lebensweg begegnen mir aber auch immer wieder schwierige Situationen. Das Leben konfrontiert mich und ich muss eine Antwort finden. Das kann bedeuten, dass ich eine ziemliche Last auf mich nehmen muss. Immer im Hinblick darauf, dass es gut wird.

Noch so ein Satz, den ich früh gelernt habe, ist: "Du musst die Zähne zusammenbeißen!". Auch darin sehe ich etwas Richtiges und etwas falsches. Es ist gut, im Angesicht einer Schwierigkeit im Hier und Jetzt zu bestehen und nicht zurückzuweichen. Also sozusagen eine innere Stärke zu entwickeln, die einen standhaft macht. Durch solche Situationen aber nicht zu verhärten und seine Empfindsamkeit und Offenheit langfristig nicht einzubüßen, ist mir auch wichtig. Die Schwierigkeiten des Lebens sollen mich emotional nicht verarmen und zu einer funktionierenden Maschine machen.

Es interessiert mich nicht, welche Planeten im Quadrat zu deinem Mond stehen. Ich will wissen, ob du den Kern deines Leidens berührt hast, ob du durch die Enttäuschungen des Lebens geöffnet worden bist, oder zusammengezogen und verschlossen, aus Angst vor weiterem Schmerz.

Ich will wissen, ob du im Schmerz stehen kannst, meinem oder deinem eigenen, ohne etwas zu tun, um ihn zu verstecken, ihn zu verkleinern, oder ihn in Ordnung zu bringen.
(aus: Die Einladung, Oriah Mountain Dreamer)

Bei der Auseinandersetzung mit Ängsten kommt man genau immer wieder an den Punkt, etwas Schwieriges durchzustehen. Man könnte auch sagen, im Erleben der Schwierigkeit zu bestehen. Beängstigende Situationen also nicht konsequent zu vermeiden, sondern sie zu durchleben, wo es Sinn macht.

Ich glaube daran, dass es langfristig die gesündeste Art ist, die Schwierigkeiten des Lebens zu beackern, als permanent auf der Flucht davor zu sein. In einer Form, die fordert und nicht überlastet.

In der Selbsthilfegruppe könnte das heißen, sich immer wieder aktiv mit seinen Lebenserfahrungen auseinanderzusetzen. Zu schauen, was ich die letzten Tage erlebt habe und mit welchen Erfahrungen ich nicht im Frieden bin. Nicht im Frieden zu sein sagt ja, dass irgendetwas noch unstimmig ist. Sein Leben zu beackern könnte heißen, eine Stimmigkeit und Klarheit in sich herzustellen. Authentisch zu werden und zu dem zu stehen, was man ist und wie man lebt.

Gleichzeitig ist die Selbsthilfegruppe Übungsfeld, um etwas Schwieriges auszuprobieren. Für viele ist es eine Herausforderung, sich genügend bei Gesprächen zu beteiligen. Hier liegt die Schwierigkeit darin, nicht in ein gewohntes passives Zuhören abzutrifften, sondern bewusst mal neue Verhaltensweisen auszuprobieren, in dem man seine Gedanken, Erfahrungen und Meinungen mitteilt. Und wenn man hier auf zu große Schwierigkeiten stößt, auch darüber mit den anderen zu reden. Es geht immer wieder darum, dran zu bleiben an dem, was sich noch nicht hinreichend entwickeln konnte.

Ich will wissen, ob du mit Freude sein kannst, meiner oder deiner eigenen, ob du mit Wildheit tanzen und dich von Ekstase füllen lassen kannst bis in die Spitzen deiner Finger und Zehen, ohne uns zu ermahnen, vorsichtiger zu sein, realistischer zu sein, oder an die Beschränkungen des Menschseins zu erinnern.
(aus: Die Einladung, Oriah Mountain Dreamer)

-- Fred

02.05.2011 :: Menschen, die immer alles richtig machen

Die meisten Menschen werden ein Interesse daran haben, Dinge richtig zu machen. Man freut sich einfach, wenn die Dinge gut laufen. Man freut sich, wenn man kompetent ist und sein Leben meistert. Auch ist es einfach angenehm, wenn andere einen in der Kompetenz wahrnehmen und man so auch positives Feedback bekommt.

Auf der anderen Seite ist es ganz menschlich, dass uns Dinge nicht gelingen, dass etwas nicht so läuft, wie geplant oder das man irgendwie scheitert. Da tritt dann die eigene Begrenztheit und Unzulänglichkeit zu Tage. Ob man nun unbeholfen ist, etwas wichtiges nicht bedacht hat, zu faul war, sich um etwas zu kümmern, irgendwo geschlampt hat oder einfach mit irgendwelchen Anforderungen nicht zurecht kommt - eigene Begrenzungen gehören ganz selbstverständlich zum Leben.

Es gibt nun Menschen, die diese Seite bei sich absolut nicht zulassen können. Sie sind über jeden Zweifel erhaben und würden sich niemals eingestehen, einen Fehler gemacht zu haben oder irgendwo unzulänglich gewesen zu sein. Manche sehen das einfach nur als eine Art Spiel, in dem man möglichst geschickt seine Unzulänglichkeit verbirgt. Andere haben eine so massive Abwehr gegen jede Form eigener Unzulänglichkeit, dass wohl nur eine existenzielle Angst dahinter stecken kann. Sie fühlen sich durch einen eigenen Fehler in ihrem Wesen und ihrer Daseinsberechtigung bedroht. Sie fühlen es wie ein Gesichtsverlust, es ist beschämend. Scham ist ein Gefühl, was nur ganz schwer auszuhalten ist, weil sie uns vermittelt, dass wir als Ganzes nicht in Ordnung sind.

Unsere Leistungsgesellschaft trägt sicherlich dazu bei, mehr glänzen zu wollen, als es real der Fall ist und Fehler zu verbergen. Aber selbst Managment-Seminare sind mittlerweile bei der Erkenntnis angelangt, dass es eigentlich schädlich ist, wenn Menschen nicht zu ihren Fehlern stehen können und wenn überzogene Forderungen an die Mitarbeiter herangetragen werden, immer alles richtig zu machen. Unfehlbarkeitsgehabe ist nämlich meist ein großes Problem auch in wirtschaftlichen Zusammenhängen. Hier gibt es einen gesellschaftlichen Wandel.

Spannend wird es nun, was passiert, wenn wichtige Bezugspersonen Menschen waren, die uns diese unfehlbare Weise vorgelebt haben. Menschen, die immer alles richtig machen. Was passiert mit uns, wenn wir dieser Illusion oder Täuschung erliegen?

Will ein Mensch die Illusion aufrecht erhalten, immer alles richtig zu machen, muss er die Wirklichkeit umdeuten. Immer dann, wenn er unzulänglich ist oder etwas falsch macht, muss er das so umdeuten, dass schlussendlich der andere den Fehler gemacht hat. Er projeziert den Fehler also. Beispiel: Jemand hat einen Termin vergessen. Anstatt selbst die Verantwortung dafür zu übernehmen, sagt er: "Du hättest mich daran erinnern müssen." Es geht darum, den schwarzen Peter weiterzuschieben.

Diese Fähigkeit, den schwarzen Peter weiterzuschieben, so dass andere dann wirklich glauben, sie wären die Unfähigen, haben solche Menschen mitunter bis zur Perfektion trainiert. Ich bin immer wieder verblüfft über die Geschicklichkeit, wie manche Menschen ihre Unzulänglichkeit weiterreichen können. Und wie ich mich dann tatsächlich so fühle, als wäre ich der Depp. Man kann also wirklich große Meisterschaft darin entwickeln und sollte nicht unterschätzen, wie schnell man Opfer solcher Taschenspieler-Tricks werden kann.

Wichtig an diesem Punkt ist, dass dieses Verhalten oft so automatisiert ist, dass den Akteuren gar nicht bewusst wird, dass sie permanent die Wirklichkeit umdeuten. Es ist so stark Teil der eigenen Persönlichkeit und Weltsicht geworden, dass die Fehlsicht gar nicht mehr wahrgenommen wird.

Wenn man nun schon sehr früh von solchen Menschen geprägt wurde, ist die Gefahr sehr hoch, dass man oft diese falsche Wirklichkeit geglaubt hat. Als Kind hat man einfach noch nicht die ausgeprägten Fähigkeiten, Stimmiges von Unstimmigem zu unterscheiden.

Diese falsche Wirklichkeit sorgt nun dafür, dass man sich als Opfer solcher Menschen viel öfters unzulänglich fühlt, als das real der Fall ist. Dies alleine ist schon eine starke Belastung für das eigene Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen.

Auf der anderen Seite erlebt man einen Menschen, der nie Fehler macht und der gleichzeitig oft noch Vorbild ist. In dem man solch einen Menschen erlebt, fühlt man sich gleich noch viel minderwertiger. Denn der macht immer alles richtig und ich mach vieles falsch.

Eine gravierende Deformation, die dadurch entsteht, ist der Verlust des eigenen Gefühls für Stimmigkeit. Ich verliere also den Kontakt zu einer inneren Weisheit, die die Wirklichkeit richtig einschätzen und deuten kann. Wenn mir ständig etwas als stimmig verkauft wird, was eigentlich unstimmig ist, verliere ich das Vertrauen in mich und meine Empfindungen. Ich muss zu dem Schluss kommen, dass meine Empfindungen falsch sind und damit kein guter Ratgeber. Ich muss mich also von ihnen trennen, darf ihnen nicht mehr vertrauen.

Stattdessen brauche ich aber Halt und irgendwas, woran ich mich orientiere. Etwas, was mein verlorenes Selbstvertrauen nun kompensiert. Es ist nicht untypisch, dass solche Menschen ganz stark nach Regeln und Normen leben. Diese geben Sicherheit, weil da eindeutig drin definiert ist, was richtig und was falsch ist. Hält man sich an sie, sinkt die Gefahr Fehler zu machen. Ganz egal, ob diese Regeln irgendwie sinnvoll für das eigene Leben sind.

Man versucht dann natürlich auch, herauszufinden, wie die nicht fehlbare Bezugsperson so tickt. Das ist eine gute Überlebens-Chance - möglichst genau zu wissen, was dieser jenige richtig findet, um dann selber danach zu leben. Der Bezugspunkt, was gut und sinnvoll ist, verschiebt sich also. Nicht mehr mein Empfinden von Stimmigkeit ist mein Kompass fürs Leben, sondern der andere wird immer stärker zum Kompass für mein Leben. Damit steigt auch die Abhängigkeit.

Die große Chance, die ein Mensch hat, der in dieser Form deformiert wurde: Er kann Stück für Stück wieder sein Gefühl für Stimmigkeit entwickeln. Damit kann er sich dann immer mehr lösen von Regeln, Normen, Meinungen, Vorstellungen und Glaubenssätzen, die ihm lediglich als Ersatz für sein verlorenes Selbstgefühl dienten. Solch eine Umorientierung ist ganz tiefgreifend und kann den Menschen zu einem wesentlich sinnvolleren Leben führen. Manch eine Depression und Leerheit kommt ja erst dadurch zu stande, dass man zu wenig sein Eigenes lebt, weil man es gar nicht kennt. Die eigene Befreiung kann sehr berührend und bedeutsam sein. Ich habe in Klinik und Therapie öfters Menschen erlebt, die mich in ihrer Befreiung ganz tief berührt haben. Ich spürte, da passiert jetzt etwas ganz Wesentliches.

Solch eine tiefgehende Veränderung ist ein typisches Beispiel für das man eine tiefenpsychologische Psychotherapie und vor allem Zeit braucht. Und hier zeigt sich auch, wie gut eine Selbsthilfegruppe im Prozess einer Umorientierung ist, in der man einfach darüber reden kann, was in einem vorgeht, ohne gleich wieder mit Ratschlägen eine Fremdmeinung aufgedrückt zu bekommen. Ratschläge sind manchmal hilfreich, in einem Prozess der Selbstfindung jedoch eher hinderlich. Das Eigene ist noch zu schwach und kaum spürbar. Es braucht die Stille und die Unbeeinflusstheit, damit das Eigene sich zeigen kann.

-- Fred

19.04.2011 :: Ohne Glauben keine Heilung

Was ist eigentlich Glaube? Man könnte das so definieren, dass es alle Ideen und Vorstellungen sind, die wir angenommen haben, die wir für richtig, sinnvoll und wahr halten. Einiges davon nennen wir auch Wissen, weil diese Vorstellungen als gesichert gelten. Doch auch hier passiert es oft, dass sich eine vermeintlich sichere Vorstellung als Irrtum herausstellt. Oft wird auch das als Glaube definiert, was sich grundsätzlich nicht überprüfen und beweisen lässt.

Im Leben trifft jeder eine Auswahl, was er aus der Fülle von Vorstellungen und Ideen annimmt und was nicht. Annehmen heißt, dass ich es für richtig oder sinnvoll halte und das ich diese Vorstellung zulasse. In diesem Sinne wird sie mein Leben auch bestimmen und beeinflussen.

Jede Vorstellung, die ich annehme, wird mein Leben prägen. Egal ob sie wahr ist oder nicht.

Wenn ein Mensch mit sozialer Phobie z.B. glaubt, dass Verhaltenstherapie nichts für ihn ist, dann wird er sie so gut es geht ignorieren. Wenn jemand meint, dass Selbsthilfegruppen keinen Sinn machen und nur sinnloser Kaffee-Klatsch sind, dann wird er sich diesem Angebot nicht zuwenden. Wenn jemand glaubt, nichts wert zu sein, wird das einen großen Einfluss auf alles haben, was er über sich und die Welt denkt und empfindet.

Manchmal wird es in der Selbsthilfearbeit ganz offensichtlich, dass Menschen etwas nicht glauben können, was aber wahr ist. Oder sie sind von etwas überzeugt, was nicht wahr ist. Da gibt es z.B. so Sätze, wie: "Alle Menschen wollen mir was." oder "Alle Menschen sind nur auf ihren Vorteil bedacht." Meist sind solche Sätze unreflektiert, denn bei genauerer Betrachtung würde auch demjenigen klar, dass das so nicht stimmen kann.

Byron Katie verwendet in ihrer therapeutischen Arbeit die Frage: "Ist das wirklich wahr?", um Menschen mit ihrem falschen Glauben zu konfrontieren bzw. sie zum nachdenken anzuregen. Über Glaubensvorstellungen, die sich verfestigt haben, die aber vielleicht falsch sind.

Die eigene Realität, wie wir die Welt erfahren und auf sie reagieren, hängt von unserer Wahrnehmung ab, die wiederum von unserem Glauben abhängt. Wir sehen nie das, was wirklich ist.

Im sokratischen Dialog, der auch als therapeutische Methode Verwendung findet, werden ebenso viele Glaubenssätze und Vorstellungen hinterfragt, um für sich eine realistischere Vorstellung von der Welt zu finden und falschen Glauben aufzubrechen.

Fast alles hängt davon ab, was wir glauben. Angst sorgt dafür, dass falscher Glaube sich fest etabliert und nichts anderes mehr zugelassen wird. Wir werden dann unerreichbar für das, was wirklich heilsam wäre, weil wir zu stark an falschen Ideen festhalten.

Wirklich zu wissen, was richtig, sinnvoll und heilsam ist, ist allerdings oft eine ganz schwierige Angelegenheit. Nicht alles, was logisch klingt, muss für einen Menschen sinnvoll sein. Und vieles, was vordergründig unsinnig wirkt, ist in der Tiefe doch irgendwie wichtig und sinnvoll. Auch kann es sein, dass Menschen erstmal einen falschen Weg einschlagen müssen, um durch diese Erfahrung erkennen zu können, wo der richtige Weg ist. Bei der Frage, was für mich richtig und stimmig ist, ist jeder wieder stark auf sich zurückgeworfen. Von daher meiden wir auch Ratschläge in der Selbsthilfegruppe und versuchen eher, Ideen und Impulse durch eigene Erfahrungen zu geben. Jeder Einzelne behält so die Möglichkeit, für sich abzuwägen, was ein nächster heilsamer Schritt sein könnte.

Wenn man sich anschaut, wer von Therapie und Selbsthilfe am meisten profitiert, dann sind es in der Regel Menschen, die aus irgendeinem Grund an einem Punkt in ihrem Leben sind, wo sie beginnen, ihr Glaubenssystem zu hinterfragen. Sie lassen los von festen Vorstellungen und beginnen damit, alles Festgewordene und Erstarrte nochmal zu lösen und in Frage zu stellen. So kommen sie zu neuen Einsichten und Erkentnissen, die wiederum ihrem Leben einen neuen Impuls oder eine neue Richtung geben. Meist ist das prozesshaft - es beginnt und setzt sich dann immer weiter fort.

Vielleicht ist es ja sogar wesentlich natürlicher, Leben als fortwährenden Prozess der Entwicklung zu begreifen, als immer mehr starre Vorstellungen in sich anzusammeln. Flexibel bleiben, festhalten können, aber auch immer wieder sich lösen können von Ideen und Vorstellungen, weil sie sich überlebt haben oder nicht mehr in neue Zusammenhänge passen. Loslassen kann Angst machen und destabilisieren, und doch steckt auch immer wieder die Chance darin, was Passenderes zu finden.

Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben,
um einen tanzenden Stern gebären zu können.
Ich sage euch: ihr habt noch Chaos in euch.
(aus Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra)

Buchtipps:

-- Fred

16.04.2011 :: Sorgenvolle Gedanken

Sorgen und Ängste liegen nah beieinander. Beide sorgen dafür, dass man sich vom Leben zurückzieht. Das Gegenteil ist in diesem Sinne dann Lebendigkeit und Lebensfreude. Wenn alles glatt läuft, wenn die Dinge gut stehen und wir Hoffnung haben, dann öffnen wir uns dem Leben, dann wollen wir was vom Leben. Wenn aber Sorgen und Ängste da sind, dann zieht man sich vom Leben zurück, wird lustlos, will nichts mehr und kann spüren, wie die Lebensenergie und die Schaffenskraft schwindet. Wenn dies über eine lange Zeit und mit starker Ausprägung das innere Erleben ist, spricht man von Depression.

Sorgenvolle Gedanken nehmen einem oft diese Lebensenergie. Deshalb ist es gut, sich diese Sache mal genauer anzuschauen. Es lohnt sich, mal eine Zeit lang seine täglichen Sorgen aufzuschreiben und zu ordnen. Tauchen immer wieder die gleichen Themen auf? Was ist der Auslöser für einen sorgenvollen Gedanken? Was hat dieser Gedanke mit meiner Biografie zu tun? Kenne ich diesen Gedanken schon länger, ist also ganz typisch für mich?

Es ist wahrscheinlich, dass man ein dutzend sorgenvoller Gedanken hat, die immer wieder ähnlich auftauchen. Diese zu kennen, ist wertvoll. Dann kann man sich dem nächsten Schritt zuwenden und verstehen lernen, was der mit meinem Leben zu tun hat. Denn viele Menschen denken diesen sorgenvollen Gedanken nicht, aber in meinem Leben hat er sich festgesetzt. Warum ist das so?

Es gibt Sorgen, die sind sinnvoll und denen muss man sich auch zuwenden. Sie brauchen Zeit, um verarbeitet und verdaut zu werden. Wer in seinem Leben gerade in einer schwierigen Situation ist, hat Grund, sich darüber Gedanken zu machen, was ist, wenn die Dinge sich ungünstig entwickeln.

Hier zeigt sich aber auch schon ein wesentlicher Schlüssel für die Bewältigung: Sorgenvolle Gedanken beschäftigen sich mit dem, was schlimmstenfalls werden könnte. Was wird, wissen wir noch nicht. Die Möglichkeit, dass es gut wird, ist genauso da, wie die Möglichkeit, dass es schlecht wird. Die Sorgen haben aber nur den schlechten Fall im Auge. Von daher ist es eine gute Idee, sich auch mal aktiv den Möglichkeiten und Chancen einer Situation zuzuwenden. Manches wird recht schnell offensichtlich, anderes muss aber erst erfunden oder kreativ erarbeitet werden. Zu Menschen, die das gut können, sagt man: "Der kann auch aus Scheiße Gold machen!" Genau das ist es, zu gucken, wie man aus noch so schwierigen Umständen etwas Sinnvolles hervorbringen kann.

In dieser Art, dem Leben zu begegnen, kennen sich viele nicht aus. Es ist ungewohnt. Wer hier dazulernt, erlebt das vielleicht sogar als lustvoll. Es ist, wie eine Knobelaufgabe zu lösen. Die Orientierung ist: "Ich bin überzeugt, eine passende Lösung zu finden." Sorgenvolle Gedanken hingegen suggerieren einem: "Es wird schief laufen und das wird dann fürchterlich für mich."

Es gibt auch sorgenvolle Gedanken, die nie zu einer Lösung führen werden, wenn wir die Ebene nicht verlassen, auf der wir darauf rumkauen. Es gibt z.B. sehr viele Bedrohungen, was uns im Leben alles passieren kann. Das Leben ist lebensgefährlich, immer und überall. Egal, wie lange wir uns darüber Sorgen machen, ob uns dies oder jenes zustößt, wir können nur sehr begrenzt was dagegen tun.

Solche Sorgen brauchen eine Lösung auf einer anderen Ebene. Man muss irgendwie seinen Frieden damit finden, dass das Leben immer wieder bedroht ist. Also dahin zu kommen, sagen zu können: "Ja, das Leben ist gefährlich, das ist mir bewusst, und trotzdem werde ich dieses Leben annehmen und es leben!" Hier spielt auch eine Rolle, ein gewisses Vertrauen in das Leben zu entwickeln oder wieder zurück zu erlangen.

Es kann nämlich traumatische Lebenserfahrungen gegeben haben, die uns erschüttert haben. Erfahrungen, die das Vertrauen in das Leben massiv störten. Dieses fehlende Grundvertrauen oder Urvertrauen spiegelt sich nun in allen möglichen sorgenvollen Gedanken an der Oberfläche unseres Bewusstseins. Doch die Sorgen an der Oberfläche sind nicht das eigentliche Problem. Wäre eins davon gelöst, würden 2 weitere Sorgen auftauchen. Menschen die denken, alles wäre gut, wenn sie genug Geld hätten, entwickeln auf einmal Ängste vor Krankheiten, wenn sie erstmal genug Geld haben. Die Sorgen an der Oberfläche werden von etwas Tieferem gespeißt, sie sind damit austauschbar. Das Grundproblem bleibt.

Hier macht es Sinn, tiefenpsychologisch zu arbeiten, sich also dieser Ebene zu nähern, die die Quelle für die Sorgen ist.

Bei Sorgen spielt auch eine große Rolle, wie man den Umgang mit Schwierigkeiten in seinem Elternhaus kennengelernt hat. Es macht einen Unterschied, ob die Eltern einem einen optimistischen Umgang mit Schwierigkeiten vorgelebt haben. Oder ob sie selber sehr ängstlich waren und sich über alles mögliche große Sorgen gemacht haben. Hierdurch entwickelt sich bei den Kindern eine grundlegende Sichtweise dem Leben gegenüber. Hier entsteht Vertrauen in das Leben oder Ängste vor dem Leben. Natürlich spielt hier auch eine große Rolle, wie real bedrohlich die damaligen Lebensumstände waren. Erschütternde Erfahrungen können sich auch über mehrere Generationen fortpflanzen. Denn Eltern wurden wiederum von ihren Eltern geprägt.

Interessant sind auch Sorgen, die man sich um andere Menschen macht. Wenn man immer wieder stark leidet, wenn Menschen in der näheren Umgebung es gerade nicht gut geht. Das Leid, was ich mir durch meine Sorgen bereite, hilft oft nicht wirklich weiter. Der andere hat die gleichen Probleme, aber ich leide nun zusätzlich auch noch. Auch hier kann man den Spieß umdrehen und sich z.B. in einer Meditation 15 Minuten hinsetzen, um dem anderen gedanklich viel Kraft und Lebensenergie zu schicken. Oder man basteln eine schöne Karte, um dem anderen ein paar aufbauende Impulse zu senden. Man wendet sich als dem zu, was es braucht und dies hat eine ganz andere Energie: Eine vitalisierende, aufbauende, anstatt eine verengende.

Hinter der Angewohnheit, sich übermäßig über andere und über die Welt Sorgen zu machen, kann auch etwas Eigenes liegen. Eigentlich geht es darum, dass man selber Angst vor dem Leben hat. Doch dies kann man aus irgendeinem Grund nicht sehen und nicht zulassen. Dann braucht es eine Projektionsfläche und das ist die Welt bzw. das sind die anderen. Da draußen ist man dann sehr sensibel auf alles, wo man sich Sorgen machen kann. Hier zeigt sich die Sehnsucht nach einem eigenen sicheren Leben. Und hier wäre es deshalb auch gut, sich stattdessen besser seinen ganz eigenen unverarbeiteten Themen zuzuwenden.

Diese Angewohnheit kann man ganz gut dadurch erkennen: Man sorgt sich sehr gerne um andere, freut sich aber nicht wirklich, wenn etwas gut bei anderen wird. Stattdessen zieht man sein Interesse vom Ort der Freude ab und sucht sich die nächste Sorgenbaustelle. Es geht einem also nicht wirklich darum, dass alle Menschen glücklich sein mögen, es geht einem darum, Sorgenbaustellen zu finden, weil das in irgendeiner Form eine Anziehung auf einen hat.

Natürlich gibt es auch gesunde Ausprägungen, sich um andere zu sorgen. Wenn man sich mit Menschen verbunden fühlt, entsteht Mitgefühl. Das Leid des anderen wird dann auch ein Stück weit zu meinem. Etwas in mir geht in Resonanz. Und das ist gut so.

Vielleicht hat man als Begleiter die Chance, sich nicht so stark in das Leid anderer zu verstricken, um so dem Betroffenen heilsame Impulse zu geben. Das ist ja auch immer wieder in der Selbsthilfe wichtig.

-- Fred

13.04.2011 :: Enorme Kosten durch psychische Erkrankungen

Es ist schon enorm, welche volkswirtschaftlichen Kosten heutzutage durch Depressionen und andere psychische Erkrankungen entstehen. In einer Studie der Allianz enstehen jährlich 22 Milliarden Euro Kosten nur durch Depressionen. Diese sind mittlerweile auch die Hauptursache für Arbeitsunfähigkeit und Frühverentung.

Nach einer Studie der WHO werden Depressionen in 20 Jahren zu der häufigsten Krankheit in Industrienationen zählen.

Die Situation ist wirklich alarmierend und die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Phänomen wird noch viel zu wenig geführt. Woran liegt es, dass so viele Menschen erkranken? Was machen wir in den Industrienationen falsch?

Der immer stärkere Trend hin zu Gewinnmaximierung ist sicherlich ein zentrales Problem. In der Arbeitswelt spielt immer mehr eine Rolle, mehr und mehr Leistung zu erbringen. Hektik und Stress sind vielerorts Normalität. Menschen müssen oft stark über ihre Grenzen gehen, um den Anforderungen gerecht zu werden. Die Globalisierung heizt diese Problematik weiter an.

Wer die hohen Anforderungen nicht erbringen kann, fällt raus aus bezahlter Arbeit. Und wer rausfällt und am Rande steht, ist auch wieder anfällig für Depressionen.

Wegbrechende soziale Bezüge und fehlendes soziales Eingebundensein können auch ein Grund dafür sein. Denn solche Bezüge geben Halt und Lebenssinn. Stattdessen fühlen sich heutzutage immer mehr Menschen einsam, weil sie keine Beziehungen kennen, wo echte Nähe gelebt wird.

Einen hoffnungsvollen Aspekt gibt es allerdings auch noch: Das Problem Depression wird heutzutage öfters gesehen und erkannt. Und Menschen können immer öfter darüber sprechen. Auch das Wissen darüber kommt mehr und mehr bei den Menschen an. Noch vor 50 Jahren war das Problem psychische Erkrankungen stark tabuisiert, weil man schnell in die Ecke "bekloppt" oder "verrückt" gestellt wurde. Sogesehen gab es früher auch schon viele erkrankte Menschen, die man heute mit der Diagnose Depression beschreiben würde, was früher aber nicht benannt und behandelt wurde.

Was auch immer die Ursachen sind - wir müssen uns als Gesellschaft dringend damit auseinandersetzen. Wir reden viel darüber, was uns körperlich krank machen kann und reduzieren Giftstoffe in Umwelt und in Lebensmitteln. Doch über seelische Gifte und deren Reduzierung gibt es noch wenig Bewusstsein.

Weblinks:

05.04.2011 :: Nun rede doch mal!

Aufgrund dessen, dass man wenig oder leise redet, kann man zur Zielscheibe heftiger Angriffe werden. Ich erinnere mich an die Schul- und Lehrzeit, wo ich sowas öfters mal miterleben durfte. Da kamen dann so Sprüche wie:

  • Mach's Maul auf!
  • Der bekommt seine Zähne nicht auseinander!
  • Kannste nicht mal laut reden?
  • Jetzt krieg endlich mal deine Zähne auseinander!
  • Ey, du Nuschelkopp, hast du was gesagt?
  • Ach halt dein Maul, da kommt eh nur Müll raus!

Solche Sprüche sind natürlich verletzend und hinterlassen Spuren. Schlimm auch, dass solche Sprüche nicht nur von Mitschülern kamen, sondern auch von Lehrern. Man ging oft sehr grob miteinander um und wer sensibel war, hatte schlechte Karten.

Ziel solcher Angriffe zu werden, kann massive Ängste auslösen, wieder in so eine Situation zu kommen. Und es löst Selbstzweifel aus.

In vielen Fällen sind solche Angriffe nicht wirklich verdaut. Man hat sie irgendwie durchgestanden, hat sich zusammengerissen, hat runtergeschluckt. Sie wirken aber weiter, weil Unverdautes Energien bindet und unbewusste Vermeidungsstrategien weiter wirken. Auch die ganzen Bewertungen, Meinungen und Urteile, wie man damals über sich gedacht hat, sind konserviert und immer mal wieder spürbar. Man fühlt sich klein, dumm, minderwertig - die Beschädigung von damals hat einen dauerhaft entwertet.

Von daher ist es gut, sich seine Verletzungen und Angriffs-Erfahrungen nochmal anzuschauen. Auch wenn das schmerzhaft ist. Dort liegt ein großes Befreiungspotenzial. Ziel ist es, durch eine Auseinandersetzung zu dieser Erfahrung einen ganz neuen Bezug zu finden: "Ja, so war das damals. Es war schmerzlich. Ich bin schlecht behandelt worden. Ich wurde angegriffen und niedergemacht und das war so nicht richtig. Ich bin nicht schlecht oder minderwertig, nur weil ich damals in der Situation so leise geredet habe."

Oftmals ist es nämlich so, dass man sich aus der alten Erfahrung heraus selbst ablehnt. Man glaubt im Grunde noch das, was die Angreifer einem suggeriert haben. Es gibt einen Teil in uns, der sich mit den Angreifern verbündet hat und uns genauso abwertend betrachtet. Und das führt zu ständigem Selbstzweifel und Selbstabwertung. Seinen Wert wieder zu erkennen und diese Wunde zu heilen, ist sehr bedeutsam.

Sich solche Verletzungen anzuschauen und sie aufzuarbeiten, wird typischerweise in tiefenpsychologischen Therapien gemacht. Aber auch in den Selbsthilfegruppen kann man immer wieder an solchen Themen arbeiten. Man kann sich z.B. gemeinsam darüber austauschen, welche Angriffe man erlebt hat, welche Sätze mit welchem Tonfall ausgesprochen wurden. Und wer diese Sätze zu mir gesagt hat, in welchem Lebensabschnitt. Und dann ist es vor allem wichtig, nachzuspüren, wie sich das heute anfühlt. Was löst es in mir aus, wenn ich jetzt darüber spreche? Wie fühle ich mich dabei? Was spüre ich körperlich?

Wenn man im Gespräch darüber erkennt, wie einem damals Unrecht widerfahren ist, kann vielleicht etwas heilen. Was uns langfristig schädigt, ist gar nicht der Angriff selbst, sondern die Überzeugung und das Urteil, was wir über uns damals gefällt haben.

-- Fred

02.04.2011 :: Sich mitteilen lernen

Das ist ein ganz zentrales Thema, was sich wunderbar in der Selbsthilfe üben lässt:

Lerne, dich mitzuteilen!

Es gibt viele Betroffene, bei denen äußern sich die sozialen Ängste in der Art, dass sie stark introvertiert sind. All das, was sie erleben, denken und fühlen, dringt nicht nach außen. Es bleibt eine eigene abgeschlossene Welt, die nur selten im Kontakt mit der Außenwelt ist. Dies ist meist eine lang gepflegte Gewohnheit, man kennt es gar nicht anders.

Vielen Menschen fällt es grundsätzlich schwer, über sich selbst zu reden. Dies erlebt man in allen psychischen Selbsthilfegruppen und in der Psychotherapie. Bei sozialen Ängsten geht es aber nicht nur um das Reden über sich selbst, sondern ganz grundsätzlich um jedwede Mitteilung.

In der Projektgruppe haben wir letztens in dieser Hinsicht gute Erfahrungen mit allgemeinen Diskussionsrunden gemacht. Wir suchten uns ein konkretes Thema, was man gut kontrovers diskutieren kann. Und dann ging es nur darum, sich in dieser Diskussion mit Meinungen zu beteiligen. Es war sogar egal, ob die vertretene Meinung tatsächlich meine Eigene war. Es ging nur darum, mit Meinungen präsent und spürbar zu werden. Das war eine gute Übung, weil nämlich auch das schon vielen schwer fällt, sich in Diskussionen einzumischen. Das ist ein Verhaltensmuster, was man so nicht oft praktiziert. Gleichzeitig fällt es vielen leichter, erstmal über ein belangloses Thema zu reden, anstatt über sich selbst.

Ich glaube, dass dieses sich Mitteilen ganz neue Spuren und Vernetzungen im Gehirn ausformen muss. Das ist nicht von heute auf morgen erledigt. Das braucht viel Zeit, in etwa so, wie man ein Musikinstrument spielen lernt. Oder eine Fremdsprache. Es braucht Jahre und von Jahr zu Jahr wird man besser. Ich glaube, dass das recht gut erlernbar ist, für die meisten und in jedem Alter. Das bestätigen auch zahlreiche Betroffene, die dies im Laufe der Zeit für sich geschafft haben.

In den meisten Therapien findet man als zentrales Element die Introspektion. Diese bezeichnet die Betrachtung, Beschreibung und Analyse des eigenen Erlebens und Verhaltens durch nach innen gerichtete Beobachtung, als zentrales Element der Selbsterkenntnis.

Harald Piron schreibt in seinem Buch "Transpersonale Verhaltenstherapie":

Introspektion ist eine Fähigkeit, die geübt werden muss, da sie sonst nur als Keim vorhanden ist. Die Aufgabe des transpersonalen Verhaltenstherapeuten besteht darin, diese Fähigkeit beim Klienten durch gezielte Fragen oder geleitete Übungen zu unterstützen.

Die Introspektion untersucht also die eigenen Bewusstseinsinhalte. Das ist ja die herausragende Fähigkeit, die wir als Lebenwesen haben: Wir sind nicht einfach irgendwie unserem Schicksal ausgeliefert. Wir haben in besonderer Weise die Fähigkeit, all das wahrzunehmen, was in uns passiert, dies zu reflektieren und im Anschluss auch zu verändern.

Von der Introspektion abzugrenzen ist die negativ-kontrollierende oder abwertende Selbstbeobachtung. Die Introspektion ist wertfrei und will nichts. Sie interessiert sich nur für das, was ist. Es kann anfangs aber erstmal eine Schwierigkeit sein, diese neue Form der Selbstwahrnehmung zu erlernen, ohne in negative Selbstbeobachtung zu verfallen.

Ebenso ist Introspektion keine Grübelei, die um innere, scheinbar unlösbare Probleme kreist und sich dort festbeißt. Die Grübelei erkennt sich nicht selbst, aber die Introspektion kann erkennen, dass man jetzt gerade grübelt. Introspektion erkennt auch, dass man sich gerade negativ selbst beobachtet. Introspektion ist mit nichts identifiziert und transzendiert alles.

Selbhilfegruppen, wie wir sie verstehen, sind im Grunde ideale Übungsorte, um Introspektion zu erlernen. In der Eröffnungsrunde geht es um eine Reflexion der letzten Tage und meiner momentanen Stimmung:

Wie gehts mir im Moment?

Was habe ich erlebt?

Welche zukünftigen Sachen beschäftigen mich schon?

In der anschließenden Gruppendiskussion geht es um das Mitteilen eigener Erfahrung. Es macht einen riesen Unterschied, etwas zu erleben und über das Erlebte zu reflektieren und zu sprechen. Sprache für das zu finden, was man erlebt, braucht fortwährend Übung. Man kann erleben, wie man hierin immer besser wird. Es stellt sich dann immer mehr das Gefühl ein, dass ich mit dem, was ich beschreibe, sehr nahe an der inneren Erfahrung dran bin. Es fühlt sich stimmig und passend an.

Man merkt es den Menschen oft an: Betroffene, die in unsere Gruppe kommen und schon über mehrere Jahre Therapie und Selbsthilfegruppen gemacht haben, können besser das mitteilen, was sie erleben und was in ihnen vorgeht. Auch wenn dies nicht alle Probleme löst, ist es doch eine wichtige Voraussetzung für Veränderungsprozesse. Moshe Feldenkrais sagte mal sinngemäß:

Du kannst nur tun, was du willst, wenn du weißt, was du tust.

Einer Introspektion, die man nur für sich selbst gedanklich betreibt, fehlt auch etwas. Es gibt viele blinde Flecken und man kann nur so denken, wie es die eigenen Denkgewohnheiten hergeben. Im Kontakt mit anderen Menschen aber kommen neue Impulse und andere Denkgewohnheiten mit hinein. Der eigene Geist koppelt sich sozusagen mit anderen Geistern zu einem vielschichtigeren größeren Geist. Hierzu braucht es aber vor allem gute Fähigkeiten der Introspektion und des sprachlichen Ausdrucks, um das innere Erleben beschreiben zu können.

-- Fred

01.04.2011 :: EU Verordnung - jetzt reichts wirklich!

Bürokratismus überall. In den letzten Jahren entstehen immer mehr abstruse Verordnungen seitens der europäischen Union, die alles verkomplizieren und einem jede Menge Bürokratismus aufbürden. Manches davon sind echte Schildbürgerstreiche und man fragt sich, ob die Politiker überhaupt noch einen Bezug zum realen Leben haben. Man schaue nur mal auf das Beispiel Gurkenverordnung oder das erst kürzliche Verbot von normalen Glühlampen, obwohl Energiesparlampen gefährliches Quecksilber beinhalten, was in die Umwelt gelangen kann und wofür es noch keine Lösung gibt.

Jetzt erwischt es auch uns als Selbsthilfegruppe. Selbsthilfegruppen arbeiten ja relativ eigenständig und können sich inhaltlich frei gestalten. Diese Freiheit scheint wohl einigen nicht zu passen, alles muss ja geordnet und vorbestimmt ablaufen. In einer neuen Verordnung zur Harmonisierung der Selbsthilfestrukturen ist es also nun vorbei mit unserer Freiheit. Hier einige Punkte, die noch nicht endgültig beschlossen sind, die aber Teil eines Gesetzentwurfes sind und die auf uns zukommen können:

  • Gruppen dürfen nicht mehr freie Zusammenkünfte sein. Sie müssen sich in Form eines Vereins organisieren, in dem jedes Mitglied auch mit Name und Anschrift bekannt ist. Zur Organisation dieser Informationen ist eine Software einzusetzen, die die erfassten Daten regelmäßig an ein zentrales Register überträgt. Verein bedeutet auch die Formulierung einer Satzung, die Wahl eines Vorstandes und regelmäßige Vereinsversammlungen.
  • Bei jedem Gruppentreffen muss notiert werden, wer anwesend ist. Jeder muss seine Anwesenheit durch Unterschrift bestätigen. Diese Daten müssen ebenso per Software weitergeleitet werden. Von der Teilnehmerzahl werden dann auch die Fördergelder abhängig gemacht.
  • Besondere Vorkommnisse in den Gruppen müssen in einer Art Logbuch protokolliert werden. Da frag ich mich, wie man sowas definieren soll. Was bitteschön sind "besondere Vorkommnisse" und was ist normales Gruppengespräch? Angeblich soll es hierfür einen Katalog mit ca. 200 einzeln genannten Vorkommnissen geben, z.B. "Anwesender weint" oder "Anwesender macht Vorwürfe oder greift jemand anderen an". Die Kontaktstelle hat das Recht, jederzeit Einblicke in das Logbuch zu nehmen.
  • Eine Sozialphobie-Gruppe darf sich nur noch mit Themen beschäftigen, die direkt etwas mit Sozialphobie zu tun haben. Wir dürfen dann also nicht mehr über andere Themen sprechen, z.B. Depressionen, Zwänge oder psychosomatische Auswirkungen. Es soll praktisch eine saubere Trennung geben, so dass jede Gruppe sich nur noch mit ihrem konkreten Thema beschäftigt. Sollte es doch mal versehentlich zu Abweichungen kommen, so ist das auch im Logbuch zu vermerken. Passiert das öfters, drohen Sanktionen bei den Fördergeldern. Hierfür ist auch bei Beantragung von Fördergeldern immer das Logbuch vorzulegen.
  • Absolut tabu ist jeder Austausch über Medikamente. Dies darf ab sofort nur noch der Arzt und darf nicht mehr Thema in der Selbsthilfe sein.
  • Jeder Betroffene darf maximal 3 Jahre Mitglied einer Gruppe sein. Dann muss man mindestens 2 Jahre pausieren. Damit sollen die knappen Selbsthilfeplätze stärker für Neue frei werden. Der Gesetzgeber geht auch davon aus, dass eine Selbsthilfe, die nach 3 Jahren keine hinreichenden Erfolge gebracht hat, dies auch nicht durch noch längere Verweildauern erreichen wird.
  • Eine Idee, die uns ganz übel aufstößt: Es soll Selbsthilfe-Gutachter geben, die einmal jährlich bei einer Gruppensitzung dabei sind und die Qualität der Gruppenarbeit überprüfen. Ganz ähnlich, wie derzeit auch Altersheime überprüft werden. Es gibt verschiedene Rubriken, in denen man beurteilt wird. Danach berechnet sich ein Gesamt-Punktwert und eine Note. Je schlechter die Note ist, um so weniger Fördergelder werden gewährt. Gruppen, die mehrfach mit mangelhaft bewertet werden, dürfen nicht weiter arbeiten. Aber auch bei nur befriedigenden Ergebnissen muss die Gruppe Konzepte ausarbeiten, wie die Mängel in Zukunft abgestellt werden. Auch das bedeutet für uns eine Menge Büroarbeit. Gleichzeitig müssen die Ergebnisse auf Flyer und auf die Internetseite. Bei einer gewissen Anzahl von Vorkommnissen im Logbuch gibt es Sonderprüfungen. (Hier ein Beispiel, wie das derzeit bei Altersheimen abläuft: Qualitätsprüfung St. Josef Stade)
  • Wie auch schon die Kontaktstelle, müssen wir nun Strichlisten führen, wie viele Betroffene bei uns anrufen, wie viele Neuzugänge wir haben, wie viele E-Mails wir beantworten. Diese Daten sollen zu statistischen Zwecken zentral ausgewertet werden. Wir müssen hierzu eine monatliche Meldung machen. E-Mail Verkehr muss mindestens 10 Jahre archiviert werden, Prüfer dürfen in besonderen Fällen darauf zugreifen.
  • Selbsthilfegruppen dürfen nicht mehr kostenlos angeboten werden. Es muss ein Mindestbeitrag von 1 Euro pro Person und pro Treffen eingesammelt werden, über den die laufenden Kosten zum Teil abgedeckt werden sollen. Das soll die Fördertöpfe entlasten. Selbst wenn wir andere Einnahmequellen hätten, wir dürften auch dann nicht auf diesen Mindestbeitrag verzichten.
  • Kerzen und offenes Feuer ist grundsätzlich in den Gruppen nicht mehr erlaubt.
  • Supervision wird Verpflichtung. Gruppenleiter und Moderatoren sind verpflichtet, 6 Supervisions-Sitzungen pro Jahr nachzuweisen, in denen sie also über die Gruppenarbeit reflektieren und so die Qualität gesichert wird. Im Grunde ist Supervision zwar eine gute Idee, das Fatale daran ist aber, dass die Gruppe sich um die Finanzierung kümmern muss. Eine Supervisions-Stunde kostet etwa 80-150 Euro. Wir haben keine Ahnung, wie wir solche Summen aufbringen sollen. Auch können wir so die Idee mit rotierender Moderation vergessen. Dann müssten ja zahlreiche Leute zur Supervision, was überhaupt nicht finanzierbar ist.
  • Gruppenleiter und Moderatoren müssen jährlich Fortbildungen machen, die zertifiziert sind. Man kann sie frei auswählen, muss aber einen bestimmten Punktwert pro Jahr erreichen. Auch die von der Kontaktstelle angebotenen Seminare werden zertifiziert sein, womit zumindest eine kostengünstige Möglichkeit erhalten bleibt. Denn Fortbildungen am freien Markt sind nicht unter 400 Euro zu finden.
  • Ganz böse sieht es mit unserer Internetseite aus. Konnten wir bisher mal eben schnell einen Beitrag verfassen, wird das in Zukunft nicht mehr gehen. Denn es wird so laufen: Der Stand einer Homepage wird begutachtet und freigegeben. Für diese Begutachtung müssen wir bezahlen. Nach dieser Begutachtung darf nichts mehr dran geändert werden. Jede Veränderung muss zuerst neu begutachtet und freigegeben werden. Zwar soll hierfür ein relativ schnelles und unkompliziertes Verfahren eingerichtet werden (Freigabe innerhalb eines Tages möglich), wir müssen aber immer auch dafür zahlen!!! Eine Grundüberprüfung soll ca. 400 Euro kostet und Änderungen je nach Umfang zwischen 20-100 Euro. Damit können wir es völlig vergessen, regelmäßig die Seite zu pflegen. Selbst unsere Terminseite darf nach diesem Verfahren nicht so einfach verändert werden. Ja spinnen die denn jetzt total?

Soweit erstmal das, was bisher so bekannt wurde. Wir wissen gar nicht, was wir dazu sagen sollen. Das ist einfach so unglaublich und abstrus, dass wir nicht wissen, ob wir herzlich drüber lachen sollen oder verbittert alles hinschmeißen. Immer wieder kommt uns "Das kann doch nicht sein, dass kann doch nicht wirklich ernst gemeint sein!". Und dann gucken wir wieder auf den hoch offiziellen Gesetzesentwurf, der uns klar macht, dass das doch nicht alles nur ein böser Traum ist. Wir mussten uns echt öfters kneifen, weil wir nicht glauben wollten, dass das wahr ist. Hier wird systematisch die Selbsthilfe-Landschaft in Europa zerstört!

Wir sind mittlerweile schon bundesweit mit verschiedenen Selbsthilfegruppen aus dem Psycho-Bereich im Kontakt und überlegen Maßnahmen, wie wir das verhindern können. Evtl. werden wir direkt nach Brüssel fahren, um dort zu demonstrieren. Wir hoffen, dass wir genug Betroffene mobilisieren können, um gegen diesen Unfug anzugehen. Wenn wir etwas planen, informieren wir euch. Wir brauchen möglichst viele, die sich an den Protesten beteiligen. Proteste könnte es auch direkt auf dem Friedensplatz geben. Dort ist ja sowohl das Rathaus, wie auch die Kontaktstelle - ein idealer Platz für solche Aktionen.

Lasst uns hoffen, dass wir noch etwas verändern können!

-- Fred

Nachtrag vom 02.04.2011: Die Lage hat sich entspannt und dieser Beitrag wurde als Aprilscherz identifiziert :-))))

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