Sopha Selbsthilfe

Aktuell (Archiv 2009-Q1)

31.03.2009 :: Ärzte - Lied vom Scheitern

Schöner Songtext: Ich bin immer dann am Besten, wenn's mir eigentlich egal ist.

Das erinnert mich an die Situation, die schon oft in der Selbsthilfegruppe besprochen wurde: Weil man sich durch andere beobachtet und bewertet fühlt, kann man nicht so sein, wie man eigentlich ist. Ach wären mir doch die anderen endlich mal egal! Egal, was die von mir denken! Ich bin ich! Warum sollte mich stören, was ihr von mir denkt?

Und doch gelingt das so schwer, die Gedanken davon loszulassen, was andere über mich denken. Ob sie mich vielleicht ablehnen, abwerten oder sich lustig über mich machen.

Man kann die Welt nicht ewig blenden, ich muss den Matsch sofort beenden.

Auch das trifft man all zu häufig: Das Gefühl, ich müsse den anderen ständig etwas vorspielen, um besonders vorteilhaft zu wirken. Und dabei verliere ich mich und Begegnung ist fürchterlich anstrengend.

Eine gute Antwort gibt der Song auch: Nur eines versprichst du mir, bleib immer du selbst und bleib bei dir.

Mir gefällts - mehr zu sich zu finden, darauf zu vertrauen, dass es schon irgendwie gut und sinnvoll sein wird, wenn man einfach der ist, der man ist. Ohne irgendwelche Masken, ohne irgendwas vorspielen zu müssen. Auf Dauer funktioniert das sowieso nicht. Und wie quälend das sein kann, wird immer wieder in der Selbsthilfegruppe thematisiert. Im Songtext heißt es:

Ich machte es allen recht, alle sollten mich lieben. Sah nicht die Dämonen, die mich dazu trieben. War gefangen und nicht mehr frei, und ich ging kaputt dabei.

Kurzum, mal wieder ein super Lied passend zum Thema soziale Ängste und Sozialphobie.

Weblinks:

-- Fred

26.03.2009 :: Sei dir ein guter Freund

Als Mensch in Gemeinschaft gilt es, einige Dinge gut auszubalancieren. Man möchte einerseits in einem guten Kontakt anderen sein: Sich angenommen und wertgeschätzt fühlen. Man möchte Anerkennung erfahren. Andererseits gibt es eigene Wünsche, Bedürfnisse, Visionen und Werte, denen man sich verpflichtet fühlt und die man vertreten will. Beides kann harmonieren, es kann hierbei aber auch immer wieder zu Reibung und Konflikten kommen.

Nicht selten kann man bei solchen Konflikten sozialem Druck ausgesetzt sein: Anerkennung und Wertschätzung geht verloren, weil man anderer Meinung ist. Im Extremfall wird man massiv abgelehnt und fällt aus dem sozialen Verbund heraus.

Hierbei muss man sehen, dass das Herausfallen aus sozialen Bezügen oft als starke Bedrohung erlebt wird. Existenzielle Ängste machen sich breit und auch Traumatisierung kann die Folge sein. Oder ein altes Kindheitstrauma bricht wieder auf. Denn besonders als Kind ist die Erfahrung, aus sozialen Bezügen herauszufallen, extrem bedrohlich. Als Kind ist man nicht frei, muss in seiner Familie leben, muss in den Kindergarten oder in die Schule gehen. Es gibt keine Wahl und man ist mitunter völlig abhängig.

Insofern ist es auch bei Sozialphobie oft eine große Angst da, aus einer Gruppe von Menschen herauszufallen oder abgelehnt zu werden.

Damit dies nicht passiert, passt man sich lieber zu sehr an. Und damit opfert man dann auch gerne seine eigenen Werte, Bedürfnisse, Wünsche und Ansichten. Lieber gruppenkonform sein, als mit einer eigenen Meinung irgendwo anzuecken.

Hier sehe ich auch einen wichtigen Wert, den man in Selbsthilfegruppen pflegen sollte: Menschen zu ermutigen, ihr Eigenes mitzuteilen, auch wenn diese Meinung konträr zur Mehrheitsmeinung steht. Einen Raum zu schaffen, wo unterschiedlichste Meinungen geäußert werden können und dies in Ordnung ist.

Neben der Angst, von einer Gruppe abgelehnt zu werden, gibt es auch noch die Abhängigkeit von Anerkennung durch andere. Ein Gruppenmitglied äußerte z.B. "Wenn es mir doch endlich scheißegal wäre, was andere von mir halten." Und doch spürt er immer wieder, dass ein großes Verlangen danach da ist, das ihn der Chef für seine Arbeit lobt.

Sehr problematisch wird es, wenn Menschen aus Harmonie- und Anerkennungsgründen sich massiv aufopfern. Man treibt Raubbau mit sich selbst, um besser zu werden, mehr Leistung zu bringen. Leistung wird in unserer Gesellschaft hoch belohnt und danach dürsten viele Menschen. Auf der anderen Seite sehen Arbeitgeber mitunter in "Mehr Leistung" den einzigen Wert eines Mitarbeiters. Burnout ist die Folge, wenn man es zu sehr übertrieben hat. Oder man lebt nur noch für diese Form von Anerkennung durch Leistung und verliert alle anderen Lebensinhalte.

Ich erinnere mich an einen Menschen, der sein Leben nur für seine Arbeit gelebt hat. Er wollte es dem Chef immer recht machen. Viele unbezahlte Überstunden waren die Normalität. Irgendwann erkrankte er, fiel für mehrere Monate aus und wurde recht bald von seinem Arbeitgeber gekündigt. Ein großer Groll blieb zurück. All die Jahre, in denen er sich für die Firma aufopferte, zählten nun nicht mehr. Jetzt war er nicht mehr leistungsfähig genug und man zeigte ihm sofort die kalte Schulter. Weil neben der Arbeit keine Lebensinhalte vorhanden waren, fiel er in ein tiefes Loch.

Als Mensch ist man vor allem für sich verantwortlich. Hier muss man immer wieder gut schauen, was man will und was einem wichtig ist. Und es ist notwendig, hierfür Stellung zu beziehen. Diese Aufgabe nimmt einem keiner ab. Diese Form der Selbstverantwortung stärkt übrigens direkt den Selbstwert und das Selbstvertrauen. Wenn man sich selbst ein guter Freund sein kann und sich gut um sich kümmert, dann kann man auch Zeiten überstehen, wo unangenehme Reibung mit anderen entsteht.

In einer Selbsthilfegruppe kann man Verbündete finden, die einen bei der Selbstverantwortung den Rücken stärken können.

-- Fred

20.03.2009 :: Vom Hindernis zur Aufgabe - Vom Opfer zum Gestalter

Dinge sind nicht, wie sie sind. Im Leben ist vieles eine Frage der Sichtweise. Man kann unter etwas leiden und sich massiv eingeschränkt fühlen. Dann gerät man schnell in eine Opferhaltung: Man findet es fürchterlich, dass man so eine schlechte Karte im Leben gezogen hat.

Es gibt aber immer wieder Menschen, die drehen den Spieß um. Sie erkennen das Schicksal als eine Aufgabe oder Lektion an. Das ist eine spannende Frage:

Welche Aufgabe kann ich in meinem Leid finden?

Eine Aufgabe muss immer selbst und frei gewählt werden. So könnte jemand, für den Smalltalk etwas sehr unangenehmes ist, sich sagen: "Diese Herausforderung nehme ich an, ich will lernen, wie man guten Smalltalk hält." Wer es wirklich ernst meint und dran bleibt, an dieser Aufgabe, wird damit voran kommen. Man kann anfangen, Bücher darüber zu lesen, Seminare besuchen, im Internet dazu recherchieren, begabte Menschen beim Smalltalk beobachten, selber in der Praxis üben. Und vielleicht wird man gar irgendwann selber Smalltalk-Trainer...

Mit all dem beginnt man aber erst dann, wenn man aus dem Leid, aus seiner Einschränkung eine Aufgabe gemacht hat. Wenn man die Herausforderung sucht, wenn man vom Opfer zum Gestalter wird.

Als Opfer vergeudet man viel Energie, wenn man jedoch eine Aufgabe hat, dann fließt die eigene Kraft in etwas Konstruktives. Dann bekommt das Leben einen Sinn.

Die richtige Aufgabe aus den Vorgaben des Lebens für sich herauszufinden, ist nicht immer einfach und offensichtlich. Es geht nicht darum, aus jeder Schwäche einfach eine Stärke zu machen. Es geht vielmehr, sich sein Leben mit einer großen Offenheit anzuschauen und sich zu fragen: Was kann ich daraus machen? Vielleicht wie der Autor eines Buches, der sich überlegt, wie der Roman sinnvoll weiter gehen könnte. Offen und wach zu sein, für gute und kreative Impulse.

Mit der Zeit und genug Übung kann eine echte Fähigkeit daraus erwachsen: Egal, was einem das Leben auch immer präsentiert, man besitzt eine Kreativität und hält den Fokus, was Sinnvolles daraus zu machen.

-- Fred

02.03.2009 :: Buchvorstellung

In der letzten Offenen Gruppe berichtete jemand über seine Arbeit mit dem Buch "Training der Gefühle: Wie Sie sich hartnäckig weigern, unglücklich zu sein" von Albert Ellis.

Albert Ellis ist Begründer der rational-emotiven Therapie. Diese Therapie ist der kognitiven Verhaltenstherapie sehr ähnlich.

In der Gruppe sprachen wir vor allem über die Herangehensweise, seine Befürchtungsgedanken zu hinterfragen. Oft vermeidet man Situationen, weil man irgendwas befürchtet. Oder man fühlt sich schlecht, weil man irgendwas Abwertendes oder Unangenehmes denkt. Genau dieses "Irgendwas" soll nun genauer hinterfragt werden:

  • Was genau befürchtest du?
  • Wie realistisch ist das Eintreffen dieser Befürchtung?
  • Bist du dir wirklich hunderprozentig sicher, dass der andere so über dich denkt oder fühlt? Bist du dir ganz sicher, dass es so ist, wie du denkst? Und wenn ja, wie kommst du darauf, dass es sich wirklich so verhält?
  • Könnte es nicht auch ganz anders sein?

Man versucht also, diese unbewusst wirkenden Gedanken und Vorstellungen zu klären. Und nicht selten wird man dahinter kommen, dass diese Vorstellungen bei genauer Prüfung nicht aufrecht zu erhalten sind. Sie enthalten Fehler. Oder lediglich Mutmaßungen, die zu einer absoluten Richtigkeit erhoben wurden.

Durchläuft man nun diesen Selbstklärungsprozess, wird ein neues Bewusstsein, eine neue Einschätzung und Bewertung einer Situation entstehen. Und dies kann einem helfen, aus schwierigen Gefühlen herauszufinden oder einen neuen Umgang mit Situationen zu erlernen.

Die Erfahrung zeigt hier jedoch auch: Rational, also kopfmäßig zu einer neuen Sichtweise zu gelangen, ist ein erster Schritt. Der ist sehr wichtig. Sein Gefühl über etwas zu ändern, braucht hingegen sehr viel länger und verlangt nach viel Übung. Hier gibt es auch in der rational-emotiven Therapie kein Wundermittel. Solche Veränderung braucht Zeit, Mut und Ausdauer. Und die Bereitschaft, sich unangenehmen Dingen zu stellen.

Die Wichtigkeit, Situationen auch rational zu klären, sei hier auch nochmal unterstrichen. Beispiel: Jemand hat bei dem Besuch eines Cafes die Vorstellung, dass alle Gäste dort abwertende Gedanken gegen ihn hegen. Und auch nach dem hundersten Besuch bleibt diese Vorstellung so: "Alle Menschen, die da sitzen, sind gegen mich und trotzdem will ich mich bemühen, es in dieser Hölle auszuhalten." Werden die falschen Bewertungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen nicht erkannt, bringt auch alles Üben nichts. Denn dann hält man für wahr, was man sich vorstellt und erkennt nicht, was wirklich ist.

Sogesehen leiden Millionen von Menschen nicht an der realen Welt, sondern an falschen Vorstellungen von der Welt, die sie für wahr halten.

Weblinks:

-- Fred

18.02.2009 :: Fragebogen Sozialphobie

Die Uni Marburg macht derzeit eine Studie über den Umgang mit zwischenmenschlichen Ängsten und Befürchtungen. Solche Studien können helfen, bessere Therapieverfahren zu entwickeln.

Wer mitmachen möchte, einfach diesem Link hier folgen: Online Studie Uni Marburg

-- Fred

17.02.2009 :: Ein Ort der Zugehörigkeit

Ich bin gerade zufällig auf der Homepage der Abtei Königsmünster auf einen Vortrag von Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner aufmerksam geworden. Der Titel ist Not-wendige Orte der Zugehörigkeit und in der Beschreibung steht:

Von klein auf bis ins hohe Alter ist es für jeden Menschen buchstäblich not-wendig, dass es Orte gibt, an denen er erfährt, dass andere sich um ihn kümmern und ihn zugleich brauchen. Alle möchten in ihrer Bedürftigkeit und in ihren Fähigkeiten wahrgenommen werden.

Das berührt mich sehr. Ich glaube, es ist das, was auch viele Menschen suchen, die von Sozialphobie betroffen sind. So klar hab ich das noch gar nicht gesehen, dass genau dies ein wesentliches Grundbedürfnis ist: Das Gefühl zu haben, gebraucht zu werden und andererseits auch Halt zu bekommen.

Dies ist auch etwas, was in der heutigen Zeit oft fehlt. Wer keine bezahlte Arbeit hat, für den ist es schwer, sich ein sinnvolles Umfeld zu schaffen. Und auch, wer bezahlte Arbeit hat, bekommt oft nicht mehr das Gefühl, wirklich gebraucht zu werden und dort auch Halt zu finden. Bei sozialen Ängsten wird es zudem sehr schwer, in ein tragendes Umfeld hineinzufinden. Oder überhaupt ein Umfeld zu finden, wo man mit seinen Schwierigkeiten so angenommen ist und sich wohlfühlen kann.

In der letzten offenen Gruppe hatten wir das Thema Wille und es war für manch einen gar nicht so einfach, wirklich zu wissen, was man will. Insofern könnte das ein guter Startpunkt für die Suche sein, was man braucht:

Habe ich einen Ort, wo ich gebraucht werde?

Habe ich einen Ort, wo ich Halt bekomme und wo man sich für mich interessiert?

-- Fred

15.02.2009 :: Der Charakter ändert sich nur schwerfällig

11. Februar - WDR5 Leonardo - Eine spannende Sendung mit einem provokativem Thema: "Ich muss so bleiben, wie ich bin! Die meisten Menschen verändern sich nicht"

Der Titel unterstreicht die wissenschaftlichen Erkenntnisse auf diesem Gebiet. Man hat erstmal herausgefunden, dass der Charakter sich auf 5 wesentliche Haupteigenschaften reduzieren lässt, die sogenannten "Big Five".

Diese sind:

  • Extraversion - Maß der Außenorientierung hin zu anderen Menschen
  • Verträglichkeit - Fähigkeit, in Harmonie mit anderen zu leben
  • Gewissenhaftigkeit
  • emotionale Stabilität
  • Offenheit für Erfahrungen - Interesse, Neugier, sich anderen Menschen öffnen, Vertrauen

Im Zusammenhang mit Sozialphobie ist das höchst bedeutsam, weil wir in der Gruppenarbeit gerade diesen "Big Five" immer wieder begegnen. Extrovertiertheit oder Introvertiertheit ist natürlich ein zentrales Thema bei Sozialphobie. Ebenso die Gewissenhaftigkeit - sehr oft sind Sozialphobiker auch Perfektionisten, also Über-Gewissenhaft, was zu Problemen führt. Und auch die Offenheit bzw. Verschlossenheit ist ein zentrales Sozialphobie-Thema.

Die Sozialphobie ist also stark mit den wesentlichen Eigenschaften verbunden, die den Charakter eines Menschen ausmacht.

Nun heißt es im Beitrag weiter, dass man in groß angelegten Studien herausgefunden hat, dass Menschen ihren Charakter im Laufe des Lebens nur wenig verändern. Es waren Langzeitstudien mit 130 Tausend Teilnehmern. Warum verändern sich Menschen so wenig?

In uns scheint es eine große Trägheit zu geben, was Veränderungen unseres Charakters angeht. Im Beitrag wurde das mit einem großen Tanker verglichen, der einfach so geradeaus weiterfährt und nicht mal eben seine Richtung ändern kann. Es ist ein träges System.

Und hier zeigt sich auch die Problematik im Zusammenhang mit Sozialphobie. Wenn man z.B. einen hohen Perfektionismus hat, wodurch große Versagensängste entstehen, muss man an seinen charakterlichen Eigenschaften arbeiten. Und diese Arbeit ist alles andere als einfach: Sie braucht Kraft, Ausdauer und Durchhaltevermögen.

Und hier zeigt sich auch: Man muss mehr leisten, als es die meisten Menschen tun: Es geht um die Veränderung seines Charakters und den verändern die meisten Menschen nicht. Weil es so schwer ist und weil eine Trägheit uns immer wieder davon abhält.

Das schafft aber auch Hoffnung. Manchmal fühlt man sich im Veränderungsprozess so hilflos oder ärgert sich darüber, dass man nicht weiterkommt. Die meisten Menschen gehen so eine Arbeit aber gar nicht erst an. Wir arbeiten hier an einer der schwierigsten Herausforderungen, wir knabbern da an einem harten Brot.

"Stetig Tropfen höhlt den Stein" sagte mir mal mein Therapeut und es beschreibt genau dies: Einen Stein auszuhöhlen ist alles andere als einfach und man kann sich nie vorstellen, dass so etwas weiches, wie Wasser, ein so hartes Material verändern kann. Und auch beobachten lässt sich die Veränderung kaum. Aber es ist die Ausdauer und die Beständigkeit, die trotzdem verändert. Wir müssen dranbleiben an unseren Bemühungen, tiefe charakterliche Strukturen zu verändern. Und über längere Zeiträume werden einem dann doch Veränderungen bewusst.

Hoffnung gibt allerdings auch, dass nicht alles, was Sozialphobie betrifft, an diesen charakterlichen Grundstrukturen hängt. So kann man auf der anderen Seite sehr schnell Erfolge erzielen. So kann z.B. ein gutes soziales Umfeld einem Stabilität und Selbstvertrauen geben. Oder Übungen ganz konkreter Situationen des Alltags schaffen Sicherheit und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Oftmals muss man erst im konkreten Ausprobieren entdecken, dass man doch vieles kann, was man nicht für möglich hielt.

Im Beitrag wird auch eine Beobachtung angesprochen: Es ist eine Reifung mit dem Alter zu beobachten, bei denen einige der Charaktermerkmale sich verändern: Man wird emotional stabiler, man wird gewissenhafter und man bemüht sich mehr umeinander, wird also verträglicher. Das kann ich mir so erklären, dass man mit der Zeit lernt und das Bedürnfnis hat, leichter durch's Leben zu gehen. Und nach einigen heftigen Streits und schwierigen emotionalen Erfahrungen wird man nach Wegen suchen, wie man diese Schwierigkeiten vermeiden kann.

Mit der Gewissenhaft wird es ähnlich sein: Wir werden in unserer Gesellschaft dafür bestraft, wenn wir nicht gewissenhaft sind. Gerade hier in Deutschland ist dies ein wichtiger Wert, an dem man immer wieder gemessen wird. Wer es sich hier einfacher machen will, wird gewissenhafter werden. Wer schon 5 mal eine Strafe wegen überhöhter Geschwindigkeit bezahlt hat, wird sein Bleifuß irgendwann zügeln. Wer wegen Unpünktlichkeit schon zweimal seine Job verloren hat, wird sich anpassen.

Sozialphobiker müssen hier allerdings oft eine gegensätzliche Bewegung machen: Nicht noch gewissenhafter, sondern in mancherlei Hinsicht die Dinge lockerer zu sehen. Das ist schwierig, weil man hier etwas gegen den Strom schwimmen muss: Man wird immer und überall für Gewissenhaftigkeit anerkannt, für mehr Lockerheit hingegen wird man kaum Ermutigung bekommen. Die muss man sich dann selber geben. Oder man braucht Begleitung durch Freunde, Selbsthilfegruppen oder Therapeuten, die einem bei dieser Orientierung Mut machen.

Immer wieder werden Kurzzeit-Therapien angepriesen, in denen man angeblich sehr schnell seine Probleme los wird. Mit dem Wissen, dass Charakter sich nur schwer verändern lässt, kann man auch hier eine Antwort geben: Manche Kurzzeit-Therapie kann in der Tat viel bewirken, weil sie Dinge angeht, die sich schnell verändern lassen. Es ist aber ein Irrtum zu glauben, hierdurch könne man tiefsitzende Charaktereigenschaften ganz schnell verändern. Wenn die eigene Problematik aber an solchen Charaktereigenschaften hängt, hilft vor allem, beständig und ausdauernd an sich zu arbeiten. Und das braucht viel Zeit.

Umgedreht bedeutet es: Was man sich einmal erarbeitet hat, bleibt auch recht beständig. Und was man an guten charakterlichen Eigenschaften mitbekommen hat, darauf kann man sich verlassen.

Übrigens: Beim Charaktermerkmal Extraversion gibt es keine vorteilhafte Orientierung. Man kann nicht sagen, dass extrovertierte Menschen besser leben, als introvertierte Menschen. Beides hat Vor- und Nachteile. Es ist nicht nachteilig, eher zurückhaltend und für sich sein zu wollen, insofern es das eigene Herzensbedürfnis ist. Ein Reh sollte nicht versuchen, ein Löwe zu werden...

Weblinks:

-- Fred

08.02.2009 :: Elektiver Mutismus

Der elektive Mutismus ist eine Diagnose, die der Sozialphobie sehr nahe steht. Er ist durch selektives Sprechen gekennzeichnet: Mit bestimmten Personen oder sozialen Situationen ist sprechen möglich, bei anderen nicht. Auffallend ist besonders dieser Gegensatz, dass Menschen sich ausgelassen unterhalten können und im nächsten Moment - wenn die Situation sich verändert, auf einmal stumm werden. Die sprachlichen Fähigkeiten sind also vorhanden, sind aber unter bestimmten Umständen blockiert oder massiv gehemmt.

Der elektive Mutismus entsteht meist im Kindesalter. Die meisten Betroffenen schaffen es jedoch, diese Sprachhemmung im Prozess des Erwachsenwerdens zu überwinden. Doch was heißt diese Überwindung genau? Es könnte bedeuten, dass diese Problematik sich wirklich vollständig aufgelöst hat. Es könnte aber auch sein, dass diese Sprachhemmung weiterhin innerlich spürbar ist. Man hat jedoch gelernt, durch Willenskraft und Anstrengung trotzdem zu reden in Situationen, wo man zuvor stumm war. Sogesehen kann die Problematik also weiterhin sehr belastend wirken, ohne dass man die Symptome von außen erkennt. Man könnte von einem versteckt wirkendenden elektiven Mutismus sprechen.

Der elektive Mutismus ist relativ selten. Wir wissen aus der Selbsthilfe, wie wichtig es ist, sich mit seinem Problem nicht alleine zu fühlen. Gerade bei Erkrankungen, die recht selten sind, fühlen sich Betroffene immer wieder über viele Jahre völlig alleine und als Außenseiter. Viele haben noch nie einen Menschen getroffen, der ihr Leid nachvollziehen kann oder selbst erlebt. Deshalb kann es hier schon sehr heilsam sein, mit anderen Betroffenen in Kontakt zu treten.

Der ICD-10 Schlüssel ist F94.0.

Weblinks:

30.01.2009 :: Freizeitaktivitäten in Dortmund

Ich hab nach langer Zeit mal wieder kurz ins Forum sozphobie.de reingeschaut. Ich glaub, es ist das seit vielen Jahren aktivste Forum rund um Sozialphobie. In der Rubrik Regionales > NRW hab ich entdeckt, dass auch in Dortmund öfters mal Freizeittreffen geplant werden. Das find ich eine gute Sache. Wer also Lust hat, freizeitmäßig was zu machen, kann dort mal reinschauen.

Weblink:

-- Fred

30.01.2009 :: Wie Heuschrecken zu Schwarmwesen werden

Wissenschaftler haben das Verhalten von Heuschrecken erforscht. Eigentlich sind die Wüstenheuschrecken Einzelwesen. Wenn aber Nahrungsnot aufkommt, verwandeln sie sich auf einmal zu Schwarmwesen. Und als Schwarm sind sie viel effizienter, was Nahrungssuche angeht und können so überleben.

Bisher war unklar, wodurch so eine Verwandlung zustande kommt. Jetzt weiß man zumindest, dass der Botenstoff Serotonin eine große Rolle spielt. Bei Heuschrecken, die sich zu Schwarmwesen verwandeln, steigt der Serotoninspiegel. Serotonin sorgt also dafür, dass sie gesellig werden.

Interessant ist das, weil moderne Psychopharmaka beim Menschen auch genau da ansetzen. Die sogenannten Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) erhöhen den Serotoninspiegel im Gehirn. Und dies sorgt dafür, dass z.B. depressive Menschen aus ihrer resignierten Stimmung herausfinden und auch wieder den Kontakt zu anderen Menschen suchen. Bei ängstlichen Patienten kann das Medikament angstlösend wirken und den Wunsch nach sozialen Kontakten unterstützen.

Interessant auch, wie Heuschrecken zu diesem Wandel finden. Natürlich schlucken die keine Psychopharmaka. Vielmehr wird ein biologisches Programm in Gang gesetzt. Und zwar dadurch, dass sie ihre Artgenossen sehen, riechen und auch körperlich spüren. Diese erlebte Nähe zu anderen sorgt also irgendwie dafür, dass auch der Botenstoff Serotonin ausgeschüttet wird.

Auch das könnte in gewissem Sinne übertragbar sein: Wenn es bei sozialen Ängsten gelingt, wieder auf gute Weise Kontakt zu anderen aufzunehmen, kann die Angst überwunden werden. Und noch mehr: Kontakt kann Lust machen auf mehr Kontakt. Und auch das, was bei Heuschrecken zu beobachten ist, passiert: Anfangs sind die Heuschrecken noch aggressiv, der Wandel zum Schwarmwesen fällt nicht leicht. Sich auf andere einzulassen, wenn man eher ein Einzelwesen ist, ist schwer.

Ein Therapeut sagte mir mal: "Fast alle psychischen Verletzungen entstehen im Kontakt mit Menschen und werden auch dort geheilt."

Es kann einem keiner garantieren, dass menschlicher Kontakt gut wird. Doch hier kann man, wenn es gelingt, sehr angenehme Erfahrungen machen, die ganz bestimmt den Serotoninspiegel gewaltig anheben.

Weblink:

-- Fred

17.01.2009 :: Geschichte

Wer die Geschichte aus dem SST-Workshop nochmal lesen will, hier ist sie: http://www.gemeinschaftsbildung.com/rabbi.html

Original stammt sie wohl von M.Scott Peck.

Weblinks:

13.01.2009 :: Verhaltenstherapeutische Klinik

Eine Klinik, die sich auf den verhaltenstherapeutischen Ansatz konzentriert, ist die Psychosomatische Klinik Bad Pyrmont. Auf der Homepage liest man:

Gegründet 1987, orientiert sie sich an den neusten Entwicklungen der Verhaltenstherapie, die sich als ein Psychotherapieverfahren mit großer Indikationsbreite in der Psychosomatik, Psychiatrie und vielen anderen klinischen Disziplinen der Medizin entwickelt hat.

Die Klinik arbeitet auch mit dem Fortbildungsinstitut für Klinische Verhaltenstherapie e.V. zusammen - einer 1988 gegründeten und im Rahmen des Psychotherapeutengesetzes staatlich anerkannten gemeinnützigen Weiterbildungseinrichtung für ärztliche und psychologische Psychotherapeuten.

Verhaltenstherapie ist vor allem der Weg, durch praktische Übung die Angst vor bestimmten Situationen zu verlieren. Natürlich spielt hierbei auch immer der Kopf eine Rolle - es ist wichtig, Situationen für sich neu zu bewerten und destruktive Gedanken zu erkennen. Stattdessen braucht es konstruktive unterstützende Gedanken. All das kann mit Hilfe eines Therapeuten trainiert und erarbeitet werden.

-- Fred

06.01.2009 :: Stress macht krank

Gerade habe ich im Radio gehört, dass mindestens 60 % aller Erkrankungen auch im Zusammenhang mit Stress stehen. Im Grunde nichts Neues, aber es verdeutlicht nochmal die Wichtigkeit, etwas gegen Stress zu tun.

Angst macht natürlich auch immer wieder Stress, mitunter massiven Stress. Wer schon einmal eine Panikattacke durchlebt hat, weiß, wie extrem anstrengend das Leben sein kann. Eine Bekannte meinte "...lieber würde ich 10 Stunden Steine kloppen, als diesen Stress zu haben."

Wer also viel Angst hat, hat auch viel Stress. Um so wichtiger ist es, dem etwas entgegenzusetzen.

Entspannung ist das große Stichwort und Entspannungsverfahren gibt es viele. Es ist gut, wenn man irgendein Entspannungsverfahren lernt und dann auch regelmäßig anwendet. Die klassischen Verfahren sind das Autogene-Training und die Progressive Muskelrelaxation. Beide werden in Kursen geschult und man kann sie später alleine zu Hause weiter praktizieren. Es sind von den Krankenkassen anerkannte Verfahren und sie werden auch in Kliniken und von kassenzugelassenen Therapeuten angeboten.

Auch weitere Verfahren werden oft von den Krankenkassen bezuschusst: Yoga, Tai-Chi, Qigong, Feldenkrais und Meditation. Die Krankenkassen übernehmen 80 % der Kosten für einen Kurs pro Jahr. Voraussetzung ist, dass der Trainer hierfür zertifiziert ist. Angebote findet man an Volkshochschulen oder Bildungswerken. In Dortmund z.B. beim Kobi.

Auch Fantasiereisen und Entspannungs-CD's sind ein wirksames Mittel, um sich zu entspannen. Hier wird man durch die Entspannung durchgeleitet, was hilfreich ist. Übrigens: Viele Krankenkassen haben Entspannungs-CD's im Sortiment und geben diese kostenlos weiter.

Ein weiteres wichtiges Thema ist Sport. Sport sorgt dafür, dass Stresshormone abgebaut werden. In unseren Gruppen berichten immer wieder viele von der positiven Wirkung durch Joggen oder Fahrradfahren - um nur 2 Möglichkeiten zu nennen.

Die größte Herausforderung scheint darin zu bestehen, regelmäßig dran zu bleiben. Mitunter hilft es, regelmäßig zu einer Gruppe zu gehen, anstatt nur alleine für sich zu üben.

Erfahrungen zu verschiedenen Entspannungsverfahren haben wir hier zusammengefasst: Entspannungsverfahren

Ein Buchtipp aus der Radiosendung: Die Kräfte der Selbstheilung aktivieren, Dr. Gustav Dobos

Übrigens: Das Thema Stress zeigt auch nochmal, dass der Marschbefehl "Stell dich jeder Angst!" - wie er manchmal durch die Medien geht - zur kurz gedacht ist. Man muss selber gut abwägen, wann es Sinn macht, in eine stressige Situation zu gehen - um Lernerfahrungen zu machen, und wann es besser ist, sich zu erholen.

Weblinks:

-- Fred

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