Sopha Selbsthilfe

Heilung finden - ins Gleichgewicht kommen

von Fred vom Jupiter

Juli 2001

Wenn du dich hin und her werfen läßt,
verlierst du deine Wurzeln.
Wenn du dich ruhelos treiben läßt,
verlierst du dich selbst.

(Laotse, Tao te king)

Eine neue Sicht

Wenn wir leiden, ob nun körperlich oder seelisch, ist etwas aus dem Gleichgewicht geraten. Man spürt, irgendetwas stimmt nicht mit mir, irgendwas ist nicht in Ordnung. Psychisch drückt sich das in Angst, Depression, Schuldgefühlen, Zwängen, Sinn- und Hoffnungslosigkeit und Trauer aus.

Manchmal sind die Zusammenhänge recht klar, man sieht, was einen aus dem Gleichgewicht geworfen hat. Ein Mensch, der mich verlassen hat, die Kündigung meines Arbeitsplatzes oder ein schwieriges Erlebnis.

Oft ist es jedoch so, dass wir nie richtig die Erfahrung gemacht haben, wie sich eine gute Mitte anfühlt. Das wir in einer Umgebung groß geworden sind, die stark im Ungleichgewicht war. Oder das wir sehr früh Erfahrungen gemacht haben, die uns aus der Bahn warfen. Solche Erfahrungen beginnen schon im Mutterleib. Und so ist das Ungleichgewicht unser gewohntes Erleben. Wir kennen es nicht anders. Wir können uns garnicht vorstellen, wie sich ein Oganismus anfühlt, der im Gleichgewicht ist.

Wie komme ich zu meinem Gleichgewicht? Wie komme ich in Balance?

Das sind ganz wichtige Fragen. Und wenn ich mit diesen Fragen an mein Leben herantrete, ergibt sich eine ganz neue Sicht. Eine konstruktive Sicht. Eine Sicht, die auf Heilung ausgerichtet ist. Denn Heilsein ist ein Zustand des inneren Gleichgewichts.

Diese Sicht unterscheidet sich grundlegend von der weit verbreiteten problemorientierten Sichtweise. Es macht einen Unterschied, ob ich frage: "Wie bekomme ich meine Depression weg?" oder ob die Frage lautet: "Was fehlt meinem Leben, das ich depressiv bin? Was brauchts, damit ich wieder im Gleichgewicht bin - dort wo es sich gut anfühlt."

Eine Depression, Ängste oder das Gefühl von Hoffnungslosigkeit kann man nicht einfach wegmachen oder aus sich herausschneiden. Man hat sich da nicht irgendwas geholt, was man nun wieder loswerden muß. Gedanken, die darum drehen, das wieder loszuwerden, sind deshalb oft nicht produktiv.

Die Beschäftigung mit Problemen, die so angelegt sind, daß keine Lösung möglich ist, ist ein Lieblingsmittel des Ego, um den Lernfortschritt aufzuhalten.
(Ein Kurs in Wundern, T-4.V.6:6)

Es geht vielmehr darum, zu verstehen, das etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist, was sich in all den Symptomen äußert. Der Blick muß darauf ausgerichtet sein, wie man sich selbst wieder ins Gleichgewicht bringt. Oder, das man sich erstmal wieder daran erinnert, wie sich Gleichgewicht anfühlt.

Wichtige Fragen dabei sind:

Was brauche ich? - Wir sind alle bedürftig, wir brauchen etwas von dieser Welt, von anderen Menschen. Und vielleicht sind die am Bedürftigsten, die meinen, überhaupt nichts zu brauchen. Sich diesem wieder zu öffnen, also etwas brauchen zu dürfen und sich darum zu kümmern, zu bekommen, halte ich für ganz wichtig, wenn es um psychische Gesundheit geht. Andersherum sich auch von dem abzugrenzen, was einem zuviel wird, was einem nicht gemäß ist, was man nicht möchte, was nicht gut tut. Man kann sicherlich nicht immer nach seinen Bedürfnissen leben. Ein gesundes Maß, sich darum zu kümmern, darum geht es mir. Denn wenn ich nicht bekomme, werde ich frustriert, resigniert, lustlos, zynisch, giftig, ärgerlich, bissig und kalt. Was brauche ich und was kann ich dafür tun, dass ich bekomme? Das ist eine zentrale Frage.

Wer bin ich? - Dies ist vielleicht die wichtigste Frage im Leben überhaupt. Mir geht es aber hier nicht um eine tiefschürfende philosophische Auseinandersetzung damit, sondern um ganz weltliche Dinge wie: Was macht mich aus? Was kann ich gut, was weniger gut? Was bewegt mich, was macht mir Lust? Was habe ich für Träume, was berührt mich? Was möchte ich gerne tun? Wofür schlägt mein Herz? Was macht mich wütend, ärgerlich und sauer? Es geht darum, wieder in Kontakt mit seinem Wesen zu kommen, was vielen abhanden gekommen ist. Nicht selten läuft man angepaßt durchs Leben, kommt gut mit allen klar, hat aber sich selber verloren. Weiß nicht mehr, wer man selber ist. In Kontakt mit seinem Wesen zu kommen, bedeutet vor allem, sich wieder zu fühlen.

Warum bin ich auf dieser Welt? Was möchte ich tun? - Leben braucht Sinn. Etwas Sinnvolles zu tun, wo man spürt: "Ja, das will ich, das fühlt sich gut und richtig an. Da kann ich mit dem ganzen Herzen dabei sein." Vielleicht hat das Leben einen tieferen Sinn, vielleicht hat es einen tieferen Sinn, warum ich auf dieser Welt bin. Was könnte meine Lebensaufgabe sein? Wo zieht es mich hin? Was möchte das Leben mich lehren? Und zu entscheiden, ob man solche Fragen annehmen möchte oder ob man sie ablehnt.

Mit was oder wem muß ich mich aussöhnen? - Viele alte Verletzungen wirken weiter. Sie haben uns nie losgelassen, wir hadern weiter damit. Wir rächen uns vielleicht heute an Menschen für das, was uns damals widerfahren ist. Oder wir lehnen Menschen ab, die uns an die erinnern, die uns das antaten. Es kann auch sein, dass wir viele Dinge nicht mehr tun, weil wir irgendwann mal dafür abgelehnt wurden. Wir schleppen jede Menge Ballast mit uns rum, der uns daran hindert, das Leben zu leben. Möchte man aber leben, muß man Wege finden, sich von diesem Ballast zu lösen, sich mit dem Vergangenen auszusöhnen. Zu trauern, zu vergeben, Frieden zu finden, sich aus der Opferrolle zu befreien - loszulassen.

Gleichgewichts-Sinn

Körperlich haben wir einen Gleichgewichts-Sinn. Das Gleichgewichtsorgan gibt uns Informationen, ob der Körper in Balance ist. Und auf diese Informationen reagiert unser Körper. Das geht alles so selbstverständlich und schnell vor sich, dass wir uns dessen garnicht bewußt sind. Dieses "im Gleichgewicht halten" ist sozusagen ein autonomer Prozess, um den wir uns nicht kümmern müssen.

Bleibt die Frage, ob wir auf seelischer Ebene etwas haben, was uns die Richtung weisen kann, wo Gleichgewicht entsteht, wo wir in Balance sind. Sozusagen ein seelischer Gleichgewichts-Sinn. Ein Sinn dafür, der uns zeigt, was gut für uns ist, was uns gemäß ist. Ein Sinn, der uns zeigt, wohin wir uns entwickeln müssen, damits wirklich gut wird. In unserem Leben, im Kontakt zu anderen Menschen und in unserer Beziehung zur Welt.

Ich glaube, dass jeder solch einen Sinn hat. Oft ist dieser jedoch tief verschüttet, wird garnicht mehr wahrgenommen. Im Laufe des Lebens wird man oft verwirrt. Das, was sich für mich richtig und gut anfühlt, ist oft nicht das, was die Umwelt möchte, will oder gut findet. Und wenn die Umwelt zu übermächtig ist, zweifelt man bald an seinen eigenem Gefühl, was doch eigentlich gut und richtig ist. Irgendwann vertraut man diesem Gefühl nicht mehr und trennt sich davon. Man trennt sich so von seinem seelischen Gleichgewichts-Sinn. Das Verrückte wird zur Normalität, zum Gewohnten. Zurück bleibt vielleicht nur noch das vage Gefühl, das irgendwas nicht stimmt.

Ich halte es als eines der wichtigsten Aufgaben im Leben, sich diesen seelischen Gleichgewichts-Sinn wieder zu erschließen, diesen zu entwickeln. Und dies ist gleichbedeutend mit dem Wunsch, ein liebevoller Mensch zu werden. Es gibt einen Weg, der dich heilt, der dich den Menschen näher bringt, der dich mit der Welt aussöhnt.

Viele Religionen haben einen Begriff für diesen Gleichgewichts-Sinn. Das Christentum hat den Begriff des HEILIGEN GEISTES. Der HEILIGE GEIST ist sozusagen der Teil in uns, der weiß, was wirklich recht und gut ist. Sich mit dem heiligen Geist zu verbünden, ihm zu folgen, ist dann im Grunde nichts anderes, sich darum zu kümmern, ins Gleichgewicht zu kommen, zur Liebe zu finden.

Die Idee des HEILIGEN GEISTES wurde oft als Manipulations-Instrument mißbraucht, um Menschen gefügig und angepaßt zu machen. Oder um Menschen für irgendwelche Zwecke zu mißbrauchen. Angst vor Bestrafung wurde als Mittel eingesetzt, damit Menschen das tun, was angeblich dem HEILIGEN GEIST entspricht. Diese Entwicklung bedauere ich sehr, weil der ursprüngliche Sinn damit verloren gegangen ist. Man hat sich so in der christlichen Religion von dem getrennt, worum es eigentlich ging, vom HEILIGEN GEIST und damit von der Liebe und von GOTT.

Vielleicht tut es gut, einen neuen Begriff zu wählen. Ich finde den Begriff HEILSAMER GEIST recht passend.

Den HEILSAMEN GEIST entwickeln

Leicht ist richtig.
Beginne richtig und es ist leicht.
Mache mit Leichtigkeit weiter
und du bist richtig.

(Chuangtse)

Wir müssen wieder ein Gefühl dafür bekommen, was heilsam ist, was uns ins Gleichgewicht bringt. Und mit diesem Gefühl müssen wir uns verbünden, dieses Gefühl muß unser Leben leiten.

Wenn wir uns Zeit nehmen und ehrlich unser Leben betrachten, fallen uns mit Sicherheit viele Dinge auf, wo wir eigentlich wüßten, was gut gewesen wäre, wir aber was anderes getan haben. Ich glaube, wir ärgern uns viel zu viel über solche Dinge oder machen uns Schuldgefühle. Und das führt dann wiederum dazu, solche Erfahrungen zu verdrängen, nicht daraus zu lernen.

Ich möchte dir Mut machen, deine Energie stattdessen dafür einzusetzen, es im entscheidenden Moment besser zu machen. In der Art, dass du deinem heilsamen Geist folgst. Das schafft wirkliche Veränderung.

Ayya Khema, eine buddhistische Nonne, sagte öfters: "Nicht ärgern, ändern!" Mich begleitet dieser Spruch schon einige Jahre und er hilft mir immer wieder, meine Energie für die Veränderung anstatt für die Verurteilung einzusetzen. Und ich habe immer wieder gespürt, dass ich es gewohnt bin, viel Energie für meine Verurteilung, für Selbsthaß und für Ärger aufzubringen. Das Gute zu sehen, zu nähren, zu unterstützen, mir bei meiner Entwicklung zu helfen, sozusagen guter Vater und gute Mutter zu mir zu sein - das sind Lernschritte für mich, das kommt nicht automatisch.

Es geht mir vor allem um die kleinen alltäglichen Dinge, die zu verändern wichtig sind. Das können bspw. sein:

  • Ich merke, dass ich mir gerade zuviel Streß mache, mir zuviel abverlange. Das fühlt sich nicht gut an. Jetzt ist es wichtig, damit aufzuhören und mir eine Pause zu gönnen.
  • Mir wird bewußt, das ich mich gerade mal wieder dafür verurteile, mich in einer zwischenmenschlichen Situation klein und minderwertig gefühlt zu haben. Was ich eigentlich bräuchte, wäre Verständnis für mich, für meine Schwachheit. Ich fange jetzt damit an, mich zu bemühen, mir das zu geben. Mich anzunehmen mit dieser Seite von mir.
  • Ich erinnere mich an den Gedanken: "Habe ich heute schon was gutes gesehen?" Ich schaue aus dem Fenster und sehe das schöne Wetter, die Bäume, die sich im Wind wiegen. Ich bin berührt und es stellt sich ein Gefühl von Dankbarkeit ein. Ich bekomme Lust, nach draußen zu gehen.
  • Mir geht es verdammt schlecht, Ängste, Schuldgefühle und ein schmerzliches Gefühl im Bauch. Was brauche ich, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen? Was fehlt mir? Ich fange an, mich um mein Wohlbefinden zu kümmern. Ich esse erstmal was und nehme dann ein Bad. Ich rufe eine Freundin an. Das Gespräch tut mir gut.
  • Jemand redet sehr aktiv auf mich ein. Ich spüre, ich kann nicht mehr folgen, es wird mir zu viel. Ich fasse den Mut und stoppe ihn, sage, das es mir zu viel wird. Ich sorge für mich.

Es gibt viele Momente, in denen wir etwas für uns tun können. Wir müssen nur wach dafür sein. Und uns darüber klarwerden, dass es Sinn macht, das es wertvoll und gut ist, uns um unser seelisches Gleichgewicht zu kümmern.

Heilsamer Geist versus Aufopfernder Geist

Elefanten versuchen nicht, Giraffen oder Schwalben zu werden, Radieschen versuchen nicht, rote Beete zu werden. Aber wir versuchen zu sein, was wir nicht sind. Wir ersticken in Idealen, die unerreichbar sind oder die nur auf unsere eigenen Kosten erreicht werden können. Wir gehen auf Zehenspitzen, um nur ja nirgendwo anzustoßen, und werden schließlich ärgerlich auf unsere Zehen, wenn sie uns weh tun.
(Bruno-Paul de Roeck, Gras unter meinen Füßen)

Es ist wichtig zu unterscheiden: Was ist wirklich gut, weil es mir gemäßer ist, weil es zu mehr Liebe führt, weil es befriedigender und passender wird. Im Gegensatz zu, was sollte man tun, was wird als edel angesehen, was erwartet man von mir, wofür bekomme ich Lob, was verlange ich mir ab.

Letzteres können Impulse des Aufopfernden Geistes sein. Es gibt viel Wünsche und Forderungen, die an uns herangetragen werden und die sich mitunter recht edel anhören. Und solche Forderungen hallen dann in uns nach: "Du solltest...", "Du mußt...", "Man erwartet das von dir...", "Wie kannst Du dich nur so daneben benehmen...", "Du mußt dich anstrengen...". Wir fangen an, uns irgendwelchen Idealen zu opfern. Folgt man diesem Aufopfernden Geist, ist zwar mitunter das Gefühl vorhanden, etwas gutes zu tun. Es bleibt aber auch immer ein Gefühl davon, irgendwas in mir zu opfern. Oder gar mich ganz den Idealen zu opfern. Man könnte sagen: "Schön und gut, aber wo bleibe ich dabei?"

Die Orientierung zum Heilsamen Geist ist keine Aufopferung. Man darf diese beiden Geisteshaltungen nicht miteinander verwechseln. Aufopfern ist nicht heilsam. Und tut schlußendlich niemanden gut, dient nicht dem Ganzen. Der heilsame Geist dient dem Ganzen. Er ist weder egozentrisch noch aufopfernd. Die Eigenliebe ist genauso entwickelt wie die Liebe und die Sorge um den anderen.

Es ist deshalb wichtig, immer wieder klarzubekommen: "Wem oder was diene ich? Ist es wirklich heilsam und gut, was ich da tue?" Vieles entpuppt sich dann vielleicht als etwas, was weder meins noch heilsam ist.

Schlusswort

Das Augenmerk darauf zu richten, mein seelisches Gleichgewicht wieder zu finden erscheint mir wichtig und wesentlich. Diesen Zustand zu suchen führt zu einem konstruktiven Umgang mit meinen seelischen Problemen. Der heilsame Geist ist eine innere Quelle, die ein Wissen darüber hat, wo wir unser seelisches Gleichgewicht finden, wo es wirklich gut wird. Es sind die vielen kleinen alltäglichen Dinge, die unsere Aufmerksamkeit brauchen. Der heilsame Geist kann uns hier den Weg weisen, um diese Dinge zum Guten zu verändern. "Nicht ärgern, ändern!" heißt die Devise.

Der Heilsame Geist sieht das Ganze, dient dem Ganzen und reicht so über uns hinaus. Er schließt die Welt, die Menschen, die Tiere, die Pflanzen - kurzum, das ganze Universum mit ein. Er stellt unser Leben in größere Zusammenhänge und gibt somit Hoffnung und Lebenssinn.

Stichwörter

Selbsthilfe Dortmund, Sozialphobie, soziale Angst, soziale Phobie, Schüchternheit, Kontaktschwierigkeiten, Ganzheitlichkeit, seelisches Gleichgewicht, Heilung, Zentriertheit, in Balance, Integrale Psychologie