Sopha Selbsthilfe

Heilung finden - den Anderen sehen

von Fred vom Jupiter

Juni 2001

Ich-Fixiertheit

Die Angst bestimmt, wie man die Welt sieht. Wer viel Angst hat, dessen Blick wird von Angst gelenkt. Die Aufmerksamkeit ist dort, wo es bedrohlich erscheint:

  • Habe ich mich richtig verhalten?
  • Wie peinlich, der hat jetzt was anderes verstanden, was ich eigentlich sagen wollte.
  • Ah ja, die mögen mich alle nicht, deshalb spricht keiner mit mir.
  • Jetzt muß ich gleich was sagen und ich weiß noch garnicht was.
  • Was flüstern die denn so, die lästern bestimmt über mich.
  • Der will mir bestimmt jetzt was...
  • Wie war diese Bemerkung denn jetzt gemeint...

Die Phantasie tut ihr Übriges dazu, damit das Erlebte zu dem wird, wovor ich mich fürchte.

Da ich nun selber von sozialen Ängsten betroffen bin, sind mir solche Gedanken sehr vertraut. Bei Menschen mit sozialen Ängsten geht es immer wieder ganz zentral um folgende Fragen:

  • Bin ich in Ordnung? Bin ich richtig? Bin ich normal?
  • Bin ich gewollt? Werde ich gemocht?
  • Bin ich wichtig?
  • Habe ich etwas getan, was man nicht tut?
  • Fühlt sich irgendjemand verletzt, angegriffen, genervt, falsch behandelt von mir?
  • Bin ich was wert? Werde ich wertgeschätzt?
  • Bin ich zu dumm, zu unattraktiv, zu laut, zu unfähig, zu aggressiv, zu lang, zu dünn, zu dick?
  • Darf ich das wollen, das sagen, das denken?

Oder diese Fragen sind schon Aussagen geworden, die man bestätigt sucht. (Ich bin zu dumm... Ich bin unnormal...)

Bei all dieser Gehirn-Akrobatik passiert etwas, was man eigentlich gerne von sich schieben würde: Man ist im höchsten Maße egozentriert. Es geht fast nur noch um mich. Das "Ich" steht im Mittelpunkt all meines Denkens. Bin ICH in Ordnung... Habe ICH alles richtig gemacht... Fühlt sich jemand von MIR verletzt... Bin ICH zu unattraktiv... Es geht in jeder Begegnung fast ausschließlich um MICH. Auch wenn das im Außen ganz anders wirken mag.

Ich habe das bewußt provokant formuliert und natürlich hat ein Ich, was sich bedroht fühlt auch allen Grund dazu, sich um seine Daseinsberechtigung zu sorgen.

Was ich damit klarmachen möchte: Aufgrund der Angst wird der eigene Erlebnisraum fast ausschließlich vom Ich gefüllt. Alles andere, und damit auch der Andere bekommt keinen Raum in mir. Ich bleibe in meinen eigenen Gedanken gefangen, erlebe die Welt nicht wirklich, erlebe den Anderen nicht wirklich.

Mein Denken ist von einer unglaublichen Ego-Fixiertheit gefangen. Und ich glaube, daß das ein Teil des Leidens ausmacht.

Erinnere dich an Momente, wo du richtig glücklich und gut in Kontakt mit anderen warst. Für mich waren das immer Momente, wo ich mein Ego vergaß.

Was heißt eigentlich Begegnung

Um jemandem zu begegnen brauche ich Raum in mir. Stecke ich in großer Not, bin ich so stark mit mir beschäftigt, daß der andere nicht bei mir ankommt. Begegnung heißt, dem anderen Aufmerksamkeit schenken zu können, zu hören, zu sehen, zu empfinden, den anderen wahrzunehmen. Dann berührt mich das, was der andere sagt, löst etwas in mir aus. Und weil Begegnung keine Einbahnstraße ist, kann ich das ausdrücken, was der andere in mir auslöst, ich nehme ihn wahr und resoniere auf ihn. So gehen Menschen in Kontakt, man könnte sagen, schwingen miteinander. ICH und DU verschmelzen ein Stück und bilden was Gemeinsames. Und dieser Zustand kann sehr wohltuend und schön sein, führt heraus aus der Einsamkeit. Man teilt miteinander, teilt sich mit. Dem Anderen. Man feiert miteinander das Dasein.

Den Anderen sehen

Herauszukommen aus der Ich-Fixiertheit, hin zu wirklicher Begegnung, das ist mein Anliegen. Eine Chance sehe ich darin, mich darum zu bemühen, den Anderen wahrzunehmen, den Anderen zu sehen.

Sicherlich, mein Geist wird mich immer wieder dahin ziehen, mir über mich Gedanken zu machen. Dafür brauche ich nichts zu tun. Und es ist vollkommen in Ordnung, daß das so ist. Das, was ich für wichtig halte: Immer wieder eine innere Kraft aufzubringen, dem Anderen Aufmerksamkeit und Interesse entgegenzubringen. Nicht einfach als eine Art Technik sondern aus der tiefen Überzeugung, daß das heilsam ist, für dich und für mich. Hätte ich keine Angst, wäre genug Raum für Dich da, ja ich hätte wohl auch Lust und Interesse, zu erfahren, wie es mit Dir steht. Meine Angst hat mich aus diesem Gleichgewicht gebracht. Und jetzt versuche ich, dies wieder ein Stück zu korrigieren.

Es geht mir darum, ein wirkliches Interesse für den anderen zu entwickeln, was aus dem Bauch kommt, nicht vom Kopf her. Denn nur wirkliches Interesse am Anderen kann tragen.

Ich glaube, daß dieses Bemühen heilsam ist. Und ich habe es immer wieder als heilsam erlebt. Es ist auf vielen Ebenen hilfreich:

  • Der Andere fühlt sich gesehen. Wer sich gesehen fühlt, taut auf, bekommt Lust, sich zu zeigen.
  • Der Andere bekommt ein Gefühl, daß er was wert ist, das er in Ordnung ist.
  • Es hilft mir, ins Gespräch zu kommen. Es hilft mir, auch mich zu öffnen.
  • Der Andere kann mich mit seinen Worten berühren und anrühren, Begegnung ensteht.
  • Der Andere kann von seiner Angst loslassen, nicht gemocht zu sein und bekommt so Raum, auch mich zu sehen, auch mir Aufmerksamkeit entgegenzubringen.
  • Jedes Mitfühlen öffnet meine Fähigkeit, zu fühlen. Und das braucht es so dringend, um heil zu werden.
  • Jedes Annehmen des Anderen führt auch dazu, mich selber besser annehmen zu können.
  • Es ist ein Schritt aufeinander zu. Und dieser Schritt kann alles möglich werden lassen. Und es gehört viel Mut dazu, als Erster diesen Schritt zu tun.
  • Wenn Du mich was angehst und ich Dich was angehe, dann ensteht Kontakt und Nähe. Dann fühle ich mich nicht mehr so alleine, dann trage ich dich ein Stück und du mich.

Achte mal drauf, was passiert, wenn du über deinen Schatten springst und anfängst, dich für die Anderen zu interessieren.

Resonanz

Ich glaube, daß viele Menschen mit sozialen Ängsten zu wenig Resonanz bekommen haben. Resonanz heißt, daß der Andere auf mich reagiert. Ich bin nicht egal, ich komme bei dem Anderen an, löse dort was aus. Und das was ich dort auslöse bekomme ich zurückgespiegelt. Resonanz zu bekommen ist wichtig. Ohne Resonanz fühle ich mich wertlos, niemand scheints ja zu interessieren, wer und was ich bin, was ich sage, denke und fühle.

Anstatt Resonanz haben viele zudem Ablehnung und Verachtung bekommen. Das ist keine wirkliche Resonanz. Wirkliche Resonanz heißt: "Ich bin ärgerlich auf Dich." aber nicht "Du bist ein Stück Scheiße."

Positive Resonanz ist wichtig und kommt oft zu kurz. Viele resonieren erst dann, wenn irgendwas stört, was bedrohlich ist, was verärgert.

Wenn ich anfange den Anderen zu sehen, heißt das, auf ihn zu resonieren. Ihm etwas zurückzugeben, was er in mir auslöst. Es geht nicht darum, nur nett und freundlich zu sein. Auch unangenehme Gefühle können resoniert werden. "Du machst mich wütend..." oder "Du verwirrst mich jetzt etwas, erklär mir nochmal wie Du das meinst."

Etwas zurück zu bekommen, darum geht es bei Resonanz. Und nicht dumm dazustehen und mal wieder das Gefühl zu haben, keinen interessierts, es wäre besser, ich wäre gar nicht da, ich hätte nichts gesagt.

Wenn du Resonanz gibst, zeigst du etwas von dir. Der andere kann dich somit spüren und erleben. Kontakt und Begegnung ensteht.

Stichwörter

Selbsthilfe Dortmund, Sozialphobie, soziale Angst, soziale Phobie, Schüchternheit, Kontaktschwierigkeiten, Selbstzweifel, Selbstwertgefühl, Selbstvertrauen, Mitgefühl, Empathie, Kommunikation, Kommunikationstraining, Begegnung