Sopha Selbsthilfe

Fragen im Gruppenprozess

von Fred

Juli 2003, ergänzt 2014

Obszönität des Fragens: Man kann es auch anders nennen. Ich will zunächst bei dieser schroffen Formulierung bleiben. Und zwar deshalb, weil eine Erfahrung von dreißig Jahren gemeinsamen Redens und Schweigens mir gezeigt hat, daß ich besser helfen konnte, seit ich zu fragen aufgehört und zu sagen begonnen habe.
(Aron Ronald Bodenheimer; Warum? Von der Obszönität des Fragens; Reclam)

Vorwort

Auf manche Fragen reagiere ich innerlich sehr allergisch. Insofern ist dieses Thema mein Persönliches. Andererseits hat mich diese Empfindlichkeit dazu angeregt, mir "die Sache mit dem Fragen" mal genauer anzuschauen, um klar zu bekommen, was denn da an manchen Fragen so unschön ist und welche Fragen wertvoll und sinnvoll sind.

Unabhängig von meinen persönlichen Erfahrungen ist das Thema "unpassende Fragen" ein gut bekannter Störfaktor in Kommunikation. Dies deshalb, weil viele Fragen etwas wichtiges verbergen, ein Ungleichgewicht zwischen Frager und Befragtem erzeugen, den Befragten in die Zange nehmen oder ihn in eine bestimmte Richtung zwingen.

Das Problem mit Fragen erlebe ich immer wieder in der Gruppenarbeit. Sie sind oft dazu geeignet, den Austausch in der Gruppe in eine ungünstige Bahn zu lenken.

Im folgenden möchte ich mit vielen Beispielen etwas mehr Licht in verschiedene Frage-Stile bringen. Herausfinden, was hilfreich ist und was Kommunikation behindert und warum.

Warum wir Fragen stellen

Informationen erfragen

Ich beginne mit der geläufigsten Form des Fragens. Es geht darum, etwas in Erfahrung zu bringen. Man möchte eine Information, weil die eine bestimmte Wichtigkeit für mich hat. Einige Fragen in dieser Richtung sind:

Wie spät ist es?
Wir brauchen die Information, weil ein Termin ansteht und wir pünktlich sein wollen.
Wieviel kostet das Radio?
Wir interessieren uns für ein Radio, wollen es evtl. kaufen, müssen aber erst abchecken, ob der Preis hierfür in Ordnung ist.
Wann endet das Gruppentreffen?
Jemand ist neu in der Gruppe und weiß nicht, wie lange es geht. Er braucht die Information, um sich darauf einstellen zu können.
Welches Medikament nimmst du?
Der Frager möchte wissen, was der andere einnimmt. Vielleicht kennt er das Medikament und kann etwas an Information zu beitragen.

Verständnisfragen

Jemand erzählt in der Gruppe eine Begebenheit. Dabei bleiben Fragen offen, die wichtig für das Verständnis sind. Verständnisfragen dienen dazu, diese Lücken zu schließen. Die Motivation ist also, den anderen zu verstehen.

Beispiele:

Wo ist das mit deiner Mutter passiert?
Jemand erzählt etwas über seine Mutter in der Gruppe, lässt aber wichtige Informationen zum Verständnis aus. Um den Zusammenhang zu verstehen, wird nachgefragt.
Du sagtest, dir wäre das passiert. War das erst kürzlich oder liegt das schon lange zurück?
Der Frager möchte die Erlebnisse des anderen richtig einordnen, was für das Verständnis oft wesentlich ist. Deshalb fragt er nach dem Zeitpunkt, um sein Bild von dem Gesagten zu vervollständigen.
Wer ist eigentlich Peter? Ist das ein Freund von dir?
Ein Gruppenmitglied erzählt und spricht öfters über Peter, ohne das er zuvor gesagt hat, wer Peter eigentlich ist. Damit die Situation klar wird, braucht der Zuhörer diese Information.

Fragen aus Interesse

Gespräche regen oft an. Man hört etwas und auf einmal kommt ein innerer Impuls: "Das finde ich interessant, darüber möchte ich mehr wissen." Diese Situation erlebe ich in Gruppen sehr häufig. Diese Impulse sind es, die ein Gruppengespräch entstehen lassen und aufrecht erhalten. Aus solchen Impulsen entstehen dann oft Fragen an den Erzählenden.

Beispiele:

Wirkt das Medikament denn gut?
Der Frager sucht auch schon seit geraumer Zeit nach einem guten Medikament. Und deshalb interessiert ihn, ob der andere gute Erfahrungen mit seinem Medikament gemacht hat, damit er es vielleicht auch mal ausprobieren kann.
Was hat dir die Gruppe denn gebracht?
Der Frager ist damit beschäftigt, ob so eine Gruppe überhaupt Sinn macht. Was kann ich von so einer Gruppe erwarten? Wo kann sie mir helfen und wo nicht? Und indem er andere fragt, was für sie die Gruppe gebracht hat, erhofft er Anregungen, was die Gruppe ihm bringen kann.
In welcher Klinik warst du denn?
Der Frager hat sehr gute Erfahrungen mit seinem Klinikaufenthalt gemacht und die Erinnerung an diese Zeit löst angenehme Gefühle in ihm aus. Deshalb findet er es sehr interessant, sich über diese Zeit auszutauschen. Er möchte etwas über seinen Klinikaufenthalt erzählen und auch von guten Erfahrungen des anderen etwas aufnehmen.

Rhetorische Fragen

...sind nicht dazu da, um eine Antwort darauf zu bekommen sondern in ihnen ist eine bestimmte Antwort schon enthalten. Im Grunde geht es also um Mitteilung einer Meinung, Überzeugung, etwas Naheliegendem oder einer Tatsache. Von daher ist es eine Aussage, die sich als Frage verkleidet um damit z.B. wirksamer zu überzeugen oder zu provozieren.

Beispiele:

Hat jemand schonmal so ein Blödsinn gehört?
Die eigentliche Aussage ist: Ich halte das, was du da sagst, für Blödsinn. Durch die Frage holt sich der Frager gleich eine Bestätigung durch sein Publikum.
Wo soll man in so einer schlimmen Welt denn noch Freude finden?
Es geht dem Fragenden nicht um eine Antwort sondern eher um die Aussage, dass wir in einer schlimmen Welt leben, die ihn verzweifeln lässt.
Soll ich mich teilen, um allem gerecht zu werden?
Der Fragende ist wütend über die Situation, dass er einerseits das Gefühl hat, schon alles zu geben und andererseits es immer noch nicht zu reichen scheint.
Warum kramst du permanent in deiner Tasche rum?
Es geht eher um die Aussage, das es den Frager stört, das der Befragte ständig in seiner Tasche kramt.
Und was hat das jetzt mit dem Thema zu tun?
Es geht eigentlich darum, dass der Frager genervt ist, dass der Befragte nicht genug Gesprächsdisziplin aufbringt. Hier zeigt sich gut, dass rhetorische Fragen Konflikte verschlimmern können, anstatt sie zu lösen. Man würgt dem anderen sozusagen eine rein, anstatt für Abhilfe zu sorgen. Ein kurzes "Lass uns bitte wieder zum Thema zurück kehren." wäre konstruktiver gewesen.

Fragen zum Nachweis von Denkfehlern, Widersprüchen und Unzulänglichkeiten

Fragen eignen sich gut, um Denkfehler anderer aufzudecken, oder gemeiner, um die Unzulänglichkeiten eines anderen bloßzustellen. Sozusagen den anderen vorzuführen, wie dumm er eigentlich ist, was er nicht beachtet hat, was so nicht sein kann. Bei dieser Methodik werden meist viele Fragen hintereinander gestellt, bis man den anderen sozusagen Schach-Matt gesetzt hat. Mitunter kann man solche Fragen-Antwort Spiele auch als eine Art Falle betrachten, in die der Befragte gelockt wird.

Sehr bekannt ist diese Art zu fragen aus Gerichtsverhandlungen und Verhören, wo es ja bevorzugt darum geht, nachzuweisen, dass bestimmte Zusammenhänge so nicht sein können.

Beispiele:

F: Wann hast du das Medikament genommen? A: So gegen 12:00 Uhr. F: Und wann ging es dir besser? A: Das ging recht schnell, vielleicht 2 Minuten später. F: Da sieht man mal wieder, dass das bei dir nur Einbildung ist. Dieses Medikament braucht mindestens 20 Minuten, bis es wirkt.

Der Fragende wollte nachweisen, dass beim Befragten bestimmte Effekte nichts mit dem Medikament ansich zu tun haben.

F: Wie lange warst du denn in diesem Krankenhaus? A: 3 Wochen. F: Und auf wieviel unterschiedlichen Stationen warst du? A: Nur auf einer. F: Und wieviel Therapeuten hast du kennengelernt? A: Ich hatte bei 3 Therapeuten verschiedene Therapien. F: Dieses Krankenhaus besteht aus 40 Abteilungen und 200 Therapeuten und du willst uns mit deinen begrenzten Erfahrungen von 3 Wochen und 3 Therapeuten und nur einer Station tatsächlich klar machen, dass du über die Qualität dieser Einrichtung urteilen kannst?

Hier geht es darum, die subjektiv schlecht erlebte Behandlungs-Qualität in einer Klinik von A lächerlich zu machen oder abzuwerten. Zum Schluß kommt auch noch eine rhethorische Frage, die, weil sie nicht beantwortet wird, die Aussage von F unterstreicht und A dumm dastehen lässt. Der letzte Satz lässt die Falle zuschnappen.

Vermutungen in Fragen verpackt

Man hat vielleicht eine Vermutung über eine Gegebenheit, die man in der Gruppe gehört hat. Diese wird jedoch nicht geäußert sondern in Fragen verpackt.

Beispiele:

Könnte es nicht sein, dass du dir das einbildest?
Die Aussage ist eigentlich: Meine Vermutung ist, dass du dir das einbildest.
Könntest du dir vorstellen, dass das mit dem Rauchen was zu tun hat?
Auch hier geht der Fragende davon aus, dass es einen Zusammenhang gibt, eine Vermutung, die in eine Frage verpackt ist.
Hast du schonmal drüber nachgedacht, zu einem anderen Therapeuten zu gehen?
Der Fragende geht davon aus, dass die Schwierigkeiten in der Therapie mit dem Therapeuten zusammenhängen und schlußfolgert daraus, dass es eine Idee wäre, deshalb den Therapeuten zu wechseln. Die Aussage ist eigentlich: Ich habe das Gefühl, dass dein Therapeut nicht gut ist. Ich würde deshalb den Therapeuten zu wechseln.

Belehrende Fragen

Das sind Fragen, die gestellt werden, um andere zu belehren, ihnen sozusagen eine Botschaft zu übermitteln, was sie besser machen sollten, worüber sie mal nachdenken oder was sie besser nicht machen sollten.

Beispiele:

Möchtest du es nicht mal ohne Medikamente probieren?
Hier steckt die Meinung drin, dass es ohne Medikamente besser ist und der Wunsch, der andere möge Einsicht haben, dass es sich so verhält.
Warum sollten wir diesem Angstgedanken soviel Macht einräumen? Sollten wir nicht alles tun, um solche Gedanken erst gar nicht zu denken?
Der Frager ist einer Meinung, die er jedoch über die Frage anderen aufdrängt.
Hast du nicht gesehen zu was dein denken führt? Habe ich dir nicht beim letzten mal gesagt, wie du das angehen solltest?
Der Frager ist hier schon sehr überzeugt davon, dass seine Vorstellungen vom Leben die Richtigen sind und verlangt dem anderen ab, sich gefälligst so zu verhalten.

Viele weitere Frageformen

Es gibt sicherlich noch viele weitere Formen des Fragens, die jeweils anderen Zwecken dienen. Für mich reicht diese Darstellung, um verschiedene Aspekte des Fragens deutlich zu machen.

Ich möchte dich jedoch ermutigen, selber mal Fragen zu beobachten, vielleicht findest du weitere interessante Frageformen. Viel Spaß auf deiner Entdeckungsreise!

Das Problematische an Fragen

Ungleichgewicht zwischen ICH und DU

Es ist gut, wenn es ein gewisses Gleichgewicht von geben und bekommen in Kommunikation in der Gruppe gibt. Offenheit fördert Offenheit. Wer fragt, gibt nichts von sich preis. Er kann den ganzen Abend anderen Löcher in den Bauch fragen, ohne auch nur ein Wort über sich erzählt zu haben. Misstrauen entsteht und dies macht andere verschlossen.

Ein guter Gruppenprozess kommt dann zustande, wenn sich jemand öffnet und über sich spricht und dies andere dazu anregt, sich auch zu öffnen. Fragen sind hingegen oft so angelegt, dass man zwar etwas sagt, sich also aktiv am Gruppenprozess beteiligt, ohne jedoch etwas von sich auszusagen. Zumindest nicht direkt. Eigene Meinungen, Vermutungen, Überzeugungen, Urteile und Glaube kann man verstecken, wenn man fragt. Zu fragen ist oft leichter, als Stellung zu beziehen und damit rauszurücken, wie man über etwas denkt, wer man ist, was oder wen man mag und wen man ablehnt.

Gerade Menschen, die negative Erfahrungen bei eigenen Meinungsäußerungen gemacht haben, ziehen es vor, besser nur noch zu fragen. Das ist unverfänglicher. Viele, die unter sozialen Ängsten leiden, haben diese negativen Erfahrungen gemacht und neigen deshalb auch dazu, nicht viel von sich preiszugeben, keine Position zu beziehen.

Ich glaube, dass ein zentrales Heilmittel einer Sozialphobie-Selbsthilfegruppe darin besteht, in einem geschützten Umfeld wieder zu lernen, über sich zu sprechen, seine Meinungen, Gefühle und Erfahrungen kund zu tun. Wenn ich aufhöre, Fragen zu stellen und erzähle was mich wie be-trifft, geschieht Heilung.

Neben der Selbstoffenbarung gibt es ein weiteres Ungleichgewicht: Überlegenheit und Unterlegenheit. Dieses Ungleichgewicht ist etwas, was viele aus ihrer Kindheit und später mit Autoritätspersonen zur Genüge kennen. Es ist für viele eine sehr unangenehme Erfahrung, sich nicht gleichwertig zu dem Gegenüber zu fühlen, sondern klein, minderwertig, dumm und hilflos. Fragen tragen genau dazu bei: Der Fragende ist oft in einer distanzierten, überlegenen Position und der Befragte ist genötigt, Rechenschaft abzulegen um dann vielleicht vom Befragten gemaßregelt zu werden. (Man kann das natürlich auch gezielt als Übung nutzen, sich in solchen Situationen nicht mehr als klein und unterlegen zu fühlen.)

Fragen verbergen wichtige Informationen

Jede Frage, die gestellt wird, hat irgendeinen Grund, eine Absicht, eine Motivation. Eine Frage verrät aber diese Tatmotive nicht. Sie gibt sich bedeckt. Sie fragt nur, lässt aber den Hintergrund im Dunkeln.

Wenn etwas wichtiges im Dunkeln bleibt, erzeugt das nicht selten Angst und Misstrauen. Ist das, was da im Dunkeln bleibt, mir wohlgesonnen oder hat es zestörerisches Potenzial? Ich weiß es nicht. Ich fange vielleicht an, Ahnungen zu entwickeln, nachzusinnen, was könnte dahinter stecken, um mich in Sicherheit zu bringen. So lenken Fragen schnell vom eigentlichen Inhalt ab. Und die Phantasien, die über das entstehen, was im Dunkeln bleibt, sind meist von vielen Ängsten bestimmt, von schmerzlichen Erfahrungen mit Gesagtem.

Der Fragende bestimmt die Denkrichtung

Das Schöne an Gruppen ist, dass eine große Vielfältigkeit entsteht, wie man Dinge sehen kann, verarbeitet, damit umgeht. Man braucht allerdings auch eine offene Atmosphäre, in der diese Erfahrungen kommuniziert werden können.

Fragen rufen gezielt Information ab. Fragen geben eine ganz bestimmte Denkrichtung vor. Fragen implizieren oft schon Urteile, Vermutungen und Sichtweisen. Fragen suggerieren und beinhalten versteckte Erwartungen an den Antwortenden. Das Beispiel von oben "Hast du schonmal drüber nachgedacht, zu einem anderen Therapeuten zu gehen?", impliziert schon, dass es am Therapeuten liegt. Und dann geht die Diskussion vielleicht nur noch darum, wie man einen neuen Therapeuten findet. Das Beispiel "Wirkt das Medikament denn gut?" lenkt die Diskussion in eine Richtung, die der Frager bestimmt. Vielleicht wollte der Befragte gerade über eine Situation berichten, in dem das Medikament nur eine Nebenrolle hat. Sein Faden, den er erzählen wollte, ist nun abgerissen und die Richtung hat sich geändert.

Das führt natürlich zur Frage, wer gibt überhaupt die Richtung vor und hat nicht jeder das Recht, die Richtung im Gespräch jederzeit zu ändern? In diesem Fall denke ich, dass jemand, der eine Sache schildern möchte, erstmal das Vorrecht hat, die Richtung vorzugeben, bis er mit seinem Anliegen angekommen ist. Dies erfordert Geduld und Impulskontrolle beim Zuhörer.

Fragen drücken dem Gespräch auch stärker eine Richtung auf, als dies Aussagen tun. Auf eine Aussage kann ich eingehen oder ich kann mit einer anderen Aussage weitermachen. Eine Frage nötigt immer, auf diesen Gesprächsfaden einzusteigen. Sie ist damit direktiver. Der Fragende hat sozusagen die Fäden in der Hand, die Kontrolle über das Gespräch.

Ich erlebe es oft als sehr störend, wenn ich gerade dabei bin, tief in mir nach den richtigen Worten zu kramen, um auszudrücken, was ich erlebt und gefühlt habe und dann kommt mir jemand mit einer Frage, die über eine Verständnisfrage hinausgeht.

Hierzu ein Beispiel:

  • A: ...ich bin dann aus der Wohnung gegangen und hatte so ein unangenehmes Gefühl, ich hätte noch irgendwas vergessen, auszumachen...
  • B: Warst du gerade in Gedanken und nicht richtig da, als du rausgegangen bist?
  • A: Ähm, neh, ich war schon richtig da, glaube ich...
  • B: Das ist nämlich bei mir immer so, immer wenn ich meine Wohnung verlasse und ich bin in Gedanken, weiß ich gar nicht mehr, ob ich alles ausgeschaltet habe. Also letztens war das so, als ich gerade...

A wollte genauer an das herankommen, was ihn betrifft, wie das war und vielleicht war die konkrete Situation auch gar nicht so wichtig. Er wurde aber durch B in seinem Gedankenfluß unterbrochen. B hat eine bestimmtes Thema nun zum Mittelpunkt gemacht, was gar nicht das Anliegen von A war.

Fragen nötigen und erzeugen Abwehr

Fragen lösen oft das Gefühl aus, angegriffen zu werden. Das liegt daran, weil Fragen oft Unterstellungen machen oder Fallen sind, mit denen man andere bloßstellen möchte. Bei Fragen werden deshalb viele erstmal ganz vorsichtig und gehen in eine Verteidigungshaltung. Für den Befragten steht dann oft nicht die Frage im Vordergrund, sondern: Was will der Fragende mit dieser Frage erreichen? Welchem Zweck dient diese Frage? Will er mich vielleicht irgendwo hinlocken? Will er mich verletzen? Will er mir irgendeine Unzulänglichkeit nachweisen? Will er mir was kluges sagen? Welche versteckten Botschaften stecken in der Frage, was will er mir indirekt dadurch mitteilen?

Fragen können also ein gewisses Bedrohungspotenzial haben. Sie könnten gut gemeint sein oder aber ein Angriff werden. Also gehe ich besser schonmal innerlich in eine Verteidigungshaltung.

Eine Verteidigungshaltung ist das Gegenteil von Offenheit. Die Öffnung, die in Gruppen so heilsam und befreiend ist, kann durch Fragen blitzschnell verloren gehen. Es ist wie eine Schnecke, die sich langsam aus ihrem Schneckenhaus bewegt, sich in die Welt hinaus wagt. Und nur eine kurze Berührung, und die Schnecke verschwindet in ihrem Haus. Es braucht dann wieder viel Zeit und Vertrauen, bis sich die Schnecke wieder langsam hervortraut.

Fragen bestimmen den Gesprächsfluss

Wer fragt, nimmt viel Einfluss darauf, wie ein Gespräch abläuft. Er dominiert das Gespräch und den Gesprächsablauf. In dem Moment, wo man ein Gruppenmitglied fragt, muss der Befragte fast zwangsläufig antworten und alle anderen werden der Freiheit beraubt, auch etwas zu sagen. So eine Situation kann sich zuspitzen, in dem einer fragt und nach der Antwort sofort die nächste Frage kommt. Dann läuft das Gespräch über einen gewissen Zeitraum nur noch zwischen diesen beiden Personen ab. Es gibt keinen Freiraum, in dem jeder auf etwas Bezug nehmen kann.

Wenn es hingegen um einen erfahrungsbasierten Austausch geht, teilt jeder seine Erfahrung mit. Jedes mal, wenn einer mit seinem Statement fertig ist, entsteht wieder ein offener Raum, in dem grundsätzlich jeder aus der Gruppe nun das Wort ergreifen könnte. Es kann passieren, dass dieser offene Moment sehr kurz ist, weil recht schnell jemand anderes das Wort ergreift. Trotzdem gibt es diesen Moment der Freiheit immer wieder während des Gruppenprozesses. Ein guter Gruppenprozess in Selbsthilfegruppen profitiert davon, wenn es viele Momente gibt, in denen jedes Mitglied die Möglichkeit hat, sich einzubringen.

In der Praxis sind es meist nicht die einzelnen Fragen, die hier stören, sondern eher, wenn jemand durch viele Fragen den freien Gesprächsfluss stärker stört.

Fragen als sozialphobische Abwehr

Fragen können ein Abwehr- oder Vermeidungsmechanismus sein, der direkt mit sozialen Ängsten in Verbindung steht. Wer Ängste im Kontakt mit anderen Menschen hat, kann versucht sein, Gesprächssituationen zu kontrollieren. Also dafür zu sorgen, dass Gespräche nach einem ganz bestimmten Muster ablaufen. Laufen Gespräche nämlich definiert und nach bestimmten Mustern ab, wirken sie weniger bedrohlich, weil man recht genau weiß, was einen erwartet. Hingegen macht das Ungewisse und Unbestimmte die größte Angst.

Wer also Ängste im Kontakt mit anderen Menschen hat, könnte sich - meist unbewusst - die Strategie angeeignet haben, Gespräche in die Hand zu nehmen und sie zu lenken. Und hier sind Fragen ein mächtiges Mittel, Gespräche unter seine Kontrolle zu bringen. Zu vermeiden, dass ungewisse Situationen entstehen. Wo der typische Schüchterne eher Gespräche generell meidet, versucht der Aktiv-Vermeidende, das Gespräch zu steuern. Mitunter wird das in der Literatur auch als Vorwärtsvermeidung bezeichnet.

Durch Fragen kann man sich selber auch wunderbar verstecken. Wie man selber über etwas denkt, wie man fühlt oder welche Erfahrungen man gemacht hat, braucht man so nicht mehr in Gespräche einzubringen. Es fehlt dann an Selbstoffenbahrung. Diese ist jedoch wichtig, um Vertrauen und eine gleichwertige Gesprächssituation herzustellen.

Eine weitere Problematik bei dieser Form der Vermeidung ist, dass die Vielfalt von Gesprächen stark eingeschränkt wird. Das Spannende, Lebendige und Bereichernde an Gesprächen ist ja gerade das Unvorhersehbare, das was man eben nicht erwartet. Doch dies kann sich so nicht mehr ereignen. Darunter leidet man dann selber, aber auch der Gesprächspartner. Menschen, die den Zauber offener Gespräche gewohnt sind, spüren den Verlust in so einem Gespräch. Auch kann diese ständige Dominanz des Gesprächspartners, der damit den Zauber des Moments tötet, als sehr unangenehm empfunden werden. Auch spürt man als Gesprächspartner den Verlust an Wahlfreiheit. Solche Gespräche machen vielfach keinen Spaß und sind unfruchtbar.

Positive Effekte durch Fragen

Manche Therapeuten fragen viel und geschickt und bringen so den Klienten zu fruchtbaren Erkenntnissen. Viele kennen es aus der eigenen Lebensgeschichte, dass eine gute Frage einem Freund weitergeholfen hat oder das einem selber eine geschickte Frage weiter half. Ich habe auch von Fällen gehört, wo eine einzige Frage eine Wende im Leben eines Menschen bedeutet hat.

Insofern haben gute Fragen zur rechten Zeit sicherlich ein heilsames Potenzial und ihre Daseins-Berechtigung. Sie sind wertvoll.

In Selbsthilfegruppen schließen sich allerdings bestimmte Fragestrategien einfach aus. Ein wesentliches Merkmal von Selbsthilfegruppen ist, dass es ein Dialog unter Gleichen sein soll. Es gibt also keine Hierarchie in dem Sinne, dass es einen oder mehrere Experten gibt, die durch geschicktes Fragen, andere zu Erkenntnis bringen. Es geht eher darum, gemachte Erfahrungen und Erkenntnisse auszutauschen. Und dies auf gleicher Ebene.

Weil Fragen auch positive Effekte haben können, geht es mir nicht darum, Fragen an den Pranger zu stellen und sie zu verachten. Es geht mir um einen achtsamen, bedachten Umgang mit Fragen in der Selbsthilfearbeit. Für sich herauszufinden, welche Fragen sinnvoll und gut sind und welche Fragen Erklärungsbedarf haben oder keine wirklichen Fragen sind.

Hilfreiches Verhalten im Umgang mit Fragen

Für die Gruppenarbeit habe ich einige Anregungen zusammengestellt, die eine offene und wohlwollende Atmosphäre fördern. Diese Anregungen tragen zu einer Verbesserung der Kommunikation bei, insofern man sich grundsätzlich wohlgesonnen gegenübertritt.

Im Alltag ist das sicherlich nicht immer möglich, weil dort das Fragen und Verbergen ein wichtiger Schutzmechanismus ist. Ich habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass es öfters möglich ist, diese Anregungen auch in den Alltag zu integrieren. Mit etwas Mut findet man heraus, was auch im Alltag gelebt werden kann und damit Kommunikation fördert, und wo man sich besser schützt und zurückhaltender ist.

Mach aus deiner Frage eine Aussage
Viele Fragen sind in Wirklichkeit keine Fragen sondern Aussagen. Meinungen, Vermutungen, besonders wenn sie kritisiert werden könnten, nehmen oft den Umweg über eine Frage. Gleiches gilt für Emotionen wie Ärger, Unmut, Misstrauen und Zweifel. Als Frage versteckt rübergebracht, vergiften sie oft die Atmosphäre.

Wenn du also eine Frage hast, schau erstmal, ob es vielleicht eine Aussage ist, die du direkt äußern kannst. Hab den Mut, es direkt anzusprechen. So übernimmst du auch Verantwortung für deine Gedanken und Gefühle.
Schildere zuerst den Hintergrund der Frage
Die meisten Fragen haben irgendeinen konkreten Hintergrund. Es fördert Offenheit, Verständnis und Klarheit, wenn man dem anderen zuerst die Motivation mitteilt, warum man etwas fragt. Gleichzeitig gibt man damit etwas von sich preis, was den anderen einlädt, offen auf die Frage zu reagieren. Der Hintergrund macht auch deutlich, um welchen Aspekt es dir bei der Frage geht. Misstrauen wird abgebaut, weil schon offen ist, worum es gehen soll. In den meisten Fällen ist es gut, zuerst deine Erfahrungen und Motivation zur Frage kund zu tun.

Den Hintergrund deiner Frage zu erkunden, kann auch für deinen Bewusstwerdungsprozess wichtig sein. Oft fragt man, ohne sich des Hintergrundes bewusst zu sein. Es hilft dir, dich besser zu verstehen, wenn du etwas über den Hintergrund deiner Fragen weißt. Schon durch das Mitteilen wird er dir klarer.
Keine Verhöre!
Führe keine Verhöre, in dem du den anderen gezielt mit Fragen bombadierst. Du lenkst damit das Gespräch mit einer Absicht, die nicht offen ist. Das macht anderen Angst oder führt zu Unwohlsein, Abwehr und Verschlossenheit. Auch entsteht ein reines Zweiergespräch in der Gruppe, andere werden unfreiwillig zu Zuhörern. Und der Verhörte fühlt sich oft als der Unterlegene. Es ist kein Austausch mehr auf gleicher Ebene. Erkenntnis, die so hervorgebracht wird, ist oft nichts wert und hinterlässt nur verbrannte Erde.

Das gilt auch deshalb, weil eine Selbsthilfegruppe eine Zusammenkunft auf gleicher Ebene bedeutet. Die Rolle des Experten, der schlau hinterfragt, bleibt absichtlich unbesetzt.
Wenn du etwas besser weißt, sag es
Es ist nicht nötig, besseres Wissen in Fragen zu kleiden. Teile einfach mit, was du glaubst, besser zu wissen, wo du mehr Erfahrung hast, was deiner Ansicht anders ist, was man noch so alles beachten und bedenken sollte.
Gesprächsdisziplin - Lerne Geduld und Impulskontrolle
Es ist gut, seine Impulse wahrzunehmen. Es ist aber oft störend, wenn jeder Impuls sofort ausagiert werden muß, wenn jede Frage sofort gestellt, jeder Einfall sofort hervorgebracht und jede Unklarheit sofort beseitigt werden muß. In einer Zweierbeziehung mag das lediglich lästig sein, in einer Gruppe ist es eine Katastrophe. Damit jeder einen ihm gebührenden Raum bekommt und seine Gedanken in Worte fassen kann, braucht es Gesprächsdisziplin. Sonst bekommt nur der Raum, der am lautesten schreien, sich am besten durchsetzen kann.

Lass dem anderen die Freiheit, seine Erfahrungen mitzuteilen in der Art, wie sie natürlich in ihm entstehen. Eine Verständnisfrage zwischendurch ist dabei in Ordnung, unterbrich den anderen aber nicht permanent. Lass dem anderen seinen Gedankenfaden zuende bringen, ehe du mit einer Frage das Gespräch auf neue Aspekte lenkst.

Hier ist jeder gefordert, ein Stück einen inneren Koordinator auszubilden, der das Gesamtgespräch im Blick hat und im rechten Moment hervortritt. Einen Teil dieser Arbeit übernimmt auch der Gruppen-Moderator. Die Idee ist jedoch, den Gruppen-Moderator immer überflüssiger zu machen.

Schlusswort

Ich freue mich, wenn dieser Artikel zu einer offenen und wahrhaftigen Kommunikation in einer wohlwollenden Atmosphäre beiträgt. Weitere Anregungen nehme ich gerne entgegen.

Ich wünsche dir gute Gespräche in der Selbsthilfegruppe. Mögest du damit immer mehr Antworten auf deine inneren Fragen und Widersprüche bekommen.

Stichwörter

Selbsthilfe Dortmund, Sozialphobie, soziale Angst, soziale Phobie, Schüchternheit, Kontaktschwierigkeiten, Gemeinschaft, Gesprächsführung, Fragen, Selbsthilfegruppe, Moderator.