Sopha Selbsthilfe

Sozialphobie Erfahrungsberichte von Betroffenen

Vorwort

Hier schreiben Menschen mit sozialen Ängsten über alles, was mit dem Thema Sozialphobie in Beziehung steht. Es ist vor allem dazu gedacht, persönliche Erfahrungen, Lernerfolge und Schritte auf dem Lebens-Weg zu dokumentieren.

Viele Schreiber geben hier sehr persönliche Sachen weiter. Zum Schutz der Identität schreiben die meisten anonym. Wenn Namen verwendet werden, dann sind es Phantasienamen. Dies kann hilfreich sein, um Zusammenhänge zwischen verschiedenen Einträgen besser zu verstehen. Ähnlichkeiten mit realen Personen sind rein zufällig und oft nicht selten. Je tiefer wir nach innen gehen, um so ähnlicher werden unsere Erfahrungen.

Die Beiträge sind chronologisch sortiert. Immer wenn jemanden etwas einfällt, wird ein neuer Beitrag oben angefügt.

Jeder Betroffene weltweit ist herzlich eingeladen, eigenes zu veröffentlichen. Schickt in diesem Fall einfach euren Text an unsere Mailadresse, mit der Bitte, dies als Erfahrungsbericht aufzunehmen.

Erfahrungsberichte

19.04.07 Anonym

Alles fing in der Grundschule an, ein paar Schüler (4) waren eifersüchtig auf meine Freundinnen und mich. Als sie auf meine jüngeren Freundinnen los gehen wollten hatte ich mich dazwischen gestellt. (Meine Mutter hatte mir damals immer gesagt wenn man zusammen hält kann nichts passieren.) Das Ergebnis war dass mich 2 dieser Schüler festgehalten haben und ein 3. zugeschlagen hat.

Ca. 1 Jahr später hatte sich meine Mutter in den Kopf gesetzt in ein anderes Bundesland zu ziehen. In der Schule dort bin ich schon aufgrund meines Dialektes aufgefallen. Da ich auch noch in eine bestehende Klassengemeinschaft reingekommen bin und durch den vorgehenden Angriff vor Mitschülern Angst hatte - haben sich die Mitschüler entweder über mich lustig gemacht, mir ein Bein gestellt oder Schläge angedroht.

Ein Jahr später sind wir in das Bundesland zurück gezogen in dem ich aufgewachsen war - und wieder musste ich in eine seit Jahren bestehende Klassengemeinschaft rein. Die Mitschüler dort hatten sich zu einer Gruppe zusammen geschlossen und versucht mich zusammen zu schlagen. Ich konnte ihnen immer grade so entkommen.

Dann begann die 5. Klasse. Zu diesen Zeitpunkt hatte ich bereits eine solche Panik vor Mitschülern dass sich keiner mehr neben mich setzen könnte ohne dass ich sofort aufgestanden und weg gegangen bin. Da zu diesen Zeitpunkt alle anfingen sich Markenware wie Levis oder andere Artikel wie PC, Handy, usw. zu kaufen - und meine Mutter als Alleinerziehende mir dass nicht besorgen konnte wurde ich auch dort zur Außenseiterin. Da (teilweise erst später ) auch dort die MitschülerInnen sich gegen mich zu sammen geschlossen haben und mich angreifen wollten oder nichts mit mir zu tun - hatte ich meine Mutter um einen erneuten Schulwechsel gebeten. Meine Mutter meinte daraufhin zu mir: Du kannst die Schule wächseln aber nur wenn du versuchst in die Klassengemeinschaft rein zu kommen und dich nicht mehr über diese beschwerst.

So konnte ich dann also wechseln - doch zuerst gab es für mich einen weiteren Schock. Mein Vatter starb ca 1 Woche vor den Sommerferien (und er war noch nicht mal 40 Jahre alt). Zuerst hatte ich wenigstens an der Realschule meine Ruhe - dann sind ein paar Schüler sitzen geblieben - und wieder fing das Mobbing an. Dieses Mal brachten es ein paar Schüler fertig mir Silvesterknalller hinterher zu werfen.

Eine Folge davon war das ich mich den Erwachsenen angeschlossen habe und nichts mehr mit Gleichaltrigen zu tun haben wollte. Meine Mutter wollte das ich mal rausgehe und was unternehme doch ich habe mich vor den Computer viel wohler gefühlt.

Ich hatte nach der Realschule keinen Ausbildungsvertrag bekommen und dachte dass ich mit einen Abschluss der Fachoberschule vielleicht eher eine Stelle finde. Wir (die gesamten 11. Klassen) wurden gewarnt dass nur Personen die Fachhochschulreife schaffen die in einer Gruppe arbeiten können und gemeinsam lernen. Doch ich kam nicht gegen die Errinnerung an und konnte nicht mit den anderen zusammen lernen. Ich hatte dann die Schule abgebrochen um eine Ausbildung zu machen.

In dieser Ausbildung in einer Gärtnerei ist es dann erneut zu Mobbing gekommen. Wenn man nicht schnell genug gelaufen ist hat man einen Tritt im Hintern angedroht bekommen. ( Die andere Auszubildende ist getreten worden oder sie hat einen der Rollkontainer in die Ferse gefahren bekommen.) Wenn irgendetwas verkehrt eingepackt gewesen ist wurde es auf die Auszubildeten geschoben. Wenn man aufs WC wollte hieß es: Warte gefälligst bis zur Pause oder bis zum Feierabend. Am Anfang vom 2. Lehrjahr fingen dann die Gelenkschmerzen und Hautentzündungen an. ( Ich weiß mittlerweile das beides Begleiterscheinungen von Morbus Cron sind. Das bei mir erst letztes Jahr im Juni festgestellt wurde.) Damals dachte ich nur das die Hautentzündung durch Allergien verursacht wurden. (Und richtig bei mir wurde ca. ein Jahr später eine Allergie gegen Roggen und Gräser festgestellt.) Die Gelenkschmerzen wurden auf eine Überlastung geschoben. Ich konnte zwar aus gesundheitlichen Gründen dann von jetzt auf gleich kündigen - doch hatte ich mein Vertrauen in andere Menschen in dieser Gärtnerei komplett verloren.

Ungefähr zu diesen Zeitpunkt habe ich einen meiner jetzigen Bekannten kennen gelernt. Er erzählte mir dass seine Freundin genauso Angst vor anderen hat. In diesen Jahr begann ich auch eine Umschulung die von der Berufsgenossenschaft gezahlt wurde.

Nach der abgeschlossenen Ausbildung hatte ich vor ca. 2 Jahren Freunde kennen gelernt die bei fremden Personen auch vorsichtig sind. Durch ihre Hilfe habe ich es mittlerweile geschafft das ich nicht mehr panisch auf alle Menschen reagiere. ( Erst vor ein paar Tagen meinte einer der Freunde zu mir ich hatte mich positiv verändert - ich wäre jetzt viel sicherer und könnte auch Blickkontakt zu anderen Personen herstellen.)

Doch die Sicherheit ist nur da wenn ich mit ihnen oder mit einen Hund von Bekannten unterwegs bin. Bin ich alleine möchte ich mich "verkrümeln" wenn es in Bussen, Bahnen, Cafes usw. zu voll wird. Man merkt mir meine Angst nicht mehr an aber sie ist immer noch da. Daher warte ich jetzt auf einen Therapieplatz. Eine Bekannte - die Geschichten über Menschen mit Behinderung für ihre Homepage sucht - hat mir mittlerweile auch einen Therapiehund besorgt. Ich hoffe jetzt das sich meine Angst vor anderen weiter bessert.

09.06.05 ..::..Nena..::..

Ich weiß gar nicht wie ich anfangen soll?

Tausend Gedanken habe ich im Kopf und Schwierigkeiten dabei sie auch noch zu sortieren. Wenn man mich nun fragt was für Gedanken kann ich diese Frage noch nicht mal beantworten.

Ich habe ständig das Gefühl das mein Kopf rattert bis zum umfallen. Mein Kopf piekt wieder, mein Hals ist total angespannt.

Vor ca 5 Jahren hatte ich es das erste Mal. Es kam wie aus dem Nichts. Auf einmal war sie da die Angst und die Unruhe.

Egal wo ich war, was ich gemacht habe, sie verfolgte mich. Es wurde so schlimm dass ich nicht mehr raus gegangen bin. Ich wollte immer nur liegen, liegen und schlafen.

Ich habe relativ schnell einen Therapieplatz bekommen. Ich habe auch die so genannten "Probestunden" absolviert. Danach bin ich aber nicht mehr hingegangen, ich kann heute nicht mehr sagen warum nicht.

Das erste Mal hatte ich diese Angst ca ein halbes Jahr lang. Nachts musste ich ins Krankenhaus fahren, weil ich dachte ich ersticke. Ständig hatte ich diesen Kloß im Hals und mir war schlecht und schwindelig.

Jeder Arzt hat mich als "Simulantin" abgestempelt. Und dann kam die Veränderung. Ich hatte zusammen mit meiner Familie einen Umzug vor der Brust. Hinzu kam das mir meine Freundin den Tip gegeben hat mir "Vitasprint" zu kaufen.

Von da an war alles wie weggeblasen. Ich lebte gut, dachte ich. Nach nicht ganz einer Woche in dem neuen Ort habe ich angefangen in einer Ladenkette zu kassieren. Ein Jahr später habe ich dann zu einem Kiosk gewechselt.

Alles lief so gut. Meine Kinder (13 und 11) haben sich gut eingelebt. Mein Mann und ich waren glücklich bis zum letzten Sommer (August).

Ich habe mich wie so oft nachmittags hingelegt um ein kleines Mittagschläfchen zu machen. Als ich wach wurde, durchzuckte mein Körper.

NEIN! Es war wieder da. Ich wusste gar nichts mehr. Es kam wie vor ein paar Jahren einfach so, ohne Vorwarnung. Warum ich schon wieder, dachte ich? Warum? Ich bekam keine Antwort. Stattdessen überfiel mich die Angst wieder ständig, Egal wo ich war, was ich gemacht habe und wohin ich gegangen bin. Die Angst/Unruhe war dabei. Kurz darauf bekam ich eine monatelange Nesselsucht. Sie quälte mich ständig. Monatelange Tabletteneinnahme war angesagt.

Kaum hatte ich die Nesselsucht überstanden fing der Kloß im Hals wieder an. Ständig hatte ich das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Es nahm alles seinen Lauf.

Verspannungen im Rücken und im Nacken waren die nächsten Attacken. Nun habe ich seit knapp 5 Monaten fürchterliche Kopfschmerzen. Bekomme ich etwa einen Schlaganfall, Hirnschlag oder Herzinfarkt? Ich bekam auf einmal ein übergroßes Auge (links).

Es ließ mir keine Ruhe, ich bin zum Neurologen. Ich wurde auf Schlaganfall untersucht (mit CCT), ohne Befund. Trotzdem gab er mir Tabletten (gegen die Muskelverspannungen) die abhängig machen. Normalerweise habe ich fürchterliche Angst vor den Nebenwirkungen von Medikamenten und doch habe ich sie unwissender Weise genommen. 4 Tage später bin ich zu meinem Hausarzt und er gab mir andere Tabletten. Auch die habe ich genommen. Und die Muskeln im Nacken, sowie Rückenbereich haben sich nach Monaten gelöst.

Trotzdem hatte ich noch ein übergroßes Auge und ich habe meine Schilddrüse untersuchen lassen. Das Ergebnis war positiv. Ich hatte so gehofft dass es die Schilddrüse sei. Dann hätte alles ein Ende gehabt. Aber warum soll man mir den schweren Weg erleichtern? Ich "muss" wohl den langen weiten und schweren Weg gehen.

Nächtelang konnte ich nicht schlafen, habe Angst gehabt durchzudrehen, habe Angst gehabt man sieht es mir an wie es mir geht, hatte Angst davor Fehler zu machen, Angst davor zu versagen, Angst operiert zu werden, Angst Medikamente nehmen zu müssen, Angst unheilbar krank zu sein und die größte Angst einfach tot umzufallen.

Ich habe als Kind schon sehr oft Angst vor dem Tod gehabt, so eine große Angst dass ich aufstehen musste, ans Fenster gehen musste um mich dort wieder zu beruhigen. Da war die Unruhe und die Angst schon da. Und immer wenn ich mit meinen Eltern darüber reden wollten, haben sie mit mir geschimpft oder mich geschlagen.

Ich meister mein Leben so gut ich kann. Im Gegensatz zu vorher kann ich meinen Haushalt schmeißen, kann raus gehen und kann auch manchmal Spaß haben. Und doch habe ich oft Herzrasen und diese fürchterliche Anspannung. Jetzt habe ich sie auch wieder so stark das ich dass Gefühl habe, mir fällt mein Auge bald aus dem Kopf und mir reißt ständig jemand den Hals nach oben.

Seit einigen Monaten nehme ich Johanniskraut. Und seit 3 Tagen auch wieder Vitasprint.

Ich habe mich auch schon vor einigen Monaten um einen Therapieplatz bemüht, leider bisher keinen Rückanruf erhalten.

Wann hört es endlich auf? Wann kann ich endlich wieder "normal und glücklich" leben?

Muss ich für immer so sein wie ich jetzt bin?

Tausend Fragen und keine Antworten.

Warum kann es nicht wieder so "einfach" weggehen wie vor 5 Jahren?

Meine Mutter hatte das in meinem Alter wohl auch über 2 Jahre lang und sie sagte mir das es irgendwann einfach wieder weggeht, genauso wie es gekommen ist.

Wann ist dieses irgendwann?

13.01.05 Positives Selbstbild

Heute hatte ich mal wieder so einen Tag, wo ich mich gut im Kontakt mit anderen fühlte. Es gab eine Schlüsselsituation, bei der mir das bewusst wurde. Ich kam in das Wartezimmer eines Arztes und sagte "Guten Tag". Es war nicht das schüchterne, unangenehm herausgepresste "Guten Tag" mit der Sorge, ob ich überhaupt richtig und in Ordnung bin, sondern ein genüssliches "Hallo, hier bin ich und ich bin zufrieden mit mir.". Da wurde mir mit einmal klar, worum es eigentlich geht, was so oft mein Problem ist.

Es ist das Selbstbild, was ich von mir habe. Heute hatte ich mal ein Selbstbild, wo ich gut "Ja" zu mir sagen konnte. Ich fühlte mich liebenswert, in Ordnung, fähig, annehmbar. Ein Mensch halt, der genau ein Recht auf Wertschätzung hat, wie jeder andere. Und dies nicht nur im Kopf als Gedanke, sondern als gelebtes und erlebtes Gefühl.

Das fühlte sich gut und richtig an. Ach, wenn es doch immer so sein könnte. Ich habe das schon öfters so erlebt und so macht Leben wirklich Freude. Die Momente, wo ich mich so fühle, sind allerdings eher selten.

Oft ist es so, das ich selber an mir zweifle. Bin ich überhaupt annehmbar? Bin ich in Ordnung? Verdiene ich Wertschätzung? Bin ich nicht voller Makel? Gibt es nicht jede Menge Dinge an mir zu entdecken, die zu Ablehnung führen?

Und dann gleichzeitig die Angst, jetzt könnte Ablehnung kommen. Jetzt könnte mir jemand nachweisen, dass ich tatsächlich abscheulich bin. Und damit kommt Unsicherheit auf, die in Kommunikation mit anderen sichtbar wird. Macht jemand eine kritische Bemerkung, werde ich gleich vollkommen unsicher, was dann für andere wieder eine Bestätigung ist, mit der Kritik recht zu haben. Oft ist es aber nicht so und dann ärgere ich mich später darüber, diese falschen Eindrücke erweckt zu haben.

Es ist gut, das mir das heute so klar geworden ist: Es geht um ein positives Selbstbild! Warum habe ich das nicht? Wie ist es abhanden gekommen? Ein Stück wird mir das klar, wenn ich in meine Kindheit schaue, die ja stark prägt. Da war ein überkritisches Umfeld, wo vor allem die Fehler gesehen worden, aber nicht die positiven Seiten. Ein hoher Anspruch war an mich und so konnte ich oft die Erfahrung machen, es nicht gut genug zu können. War es wirklich mal gut, erntete ich schweigen oder es gab schon wieder irgendwas, was man hätte noch besser machen können. Obwohl, manchmal war schon das Gefühl da, das es so, wie es war, gut war. Gut hieß aber eben nicht Lob und Freude, sondern war das Selbstverständliche, das Erwartete. Darüber musste man nicht diskutieren, darum wurde keine große Sache gemacht.

Ich glaube, ich werde die nächste Zeit mehr darauf achten, mich selber mehr wertzuschätzen. Ich hoffe darauf, dass mich ein regelmäßiges Bemühen darum, mir ein guter Freund zu werden, etwas bringt.

28.11.04 Besuch Weihnachtsfeier Sozialphobie-Gruppe Münster

Seit einiger Zeit bauen wir den Kontakt zur Münsteraner Sozialphobie-Selbsthilfe auf. In Kontakt zu kommen mit anderen Gruppen, ist eine wirklich gute Idee. Natürlich ist das auch etwas schwierig und verbunden mit allen möglichen Kontaktängsten. Und trotzdem intensiviert sich das Ganze.

Gestern waren wir zur Weihnachtsfeier nach Münster eingeladen. Zuerst wollten so etwa 6-8 aus Dortmund mitkommen. Wie das immer so ist, sind zum Schluss 3 übriggeblieben, die es dann tatsächlich wagten.

Natürlich war es auch anstrengend. Das Gute überwog jedoch. Es war schon interessant, mit insgesamt 20 anderen zusammenzusitzen und mit ein paar Leuten ins Gespräch zu kommen. Neue Leute kennenlernen kann auch wirklich spannend sein. Und in diesem Umfeld fällt es ja bekanntlich wesentlich leichter.

Wir fanden es so Klasse, dass wir schon wieder Lust auf ein nächstes Treffen haben. Und wir müssen natürlich noch ein paar weitere davon überzeugen, dass das wirklich eine tolle Möglichkeit ist, interessante Menschen kennenzulernen.

19.11.04 Überzogene Vorstellungen von perfektem Auftreten

Wir leben in einer Welt, die stark durch die Medien beeinflusst ist. Man glaubt, dass das, was man im Fernsehen sieht oder im Radio hört, die Realität wäre. Ab und zu entstehen auch mal Pannen, aber im Großen und Ganzen läuft es doch glatt.

Was man nicht sieht, sind die vielen tausend Versprecher und unangenehmen Situationen, die herausgeschnitten werden. Und dadurch kann dann eine verzerrte Vorstellung entstehen. Wenn man dann feststellt, dass man vieles nicht so reibungslos und glatt hinbekommt, denkt man, man wäre weniger bemittelt, wie der Durchschnitt.

Was auch noch wichtig ist: In die Öffentlichkeit gehen relativ wenige Menschen. Vielleicht sind es nur 10 Prozent der Gesamtbevölkerung oder noch weniger, die sich überhaupt vor einem öffentlichen Publikum zeigen. Weil wir aber oft medienorientiert sind, denken wir, so wäre der normale Mensch - sich öffentlich präsentierend und selbstsicher wirkend.

Es ist also nur ein kleiner Teil der Gesamtbevölkerung, der überhaupt so ist, der sich in der Öffentlichkeit zeigt und davon wird dann auch noch die unangenehme Seite weggeblendet.

Mir ist das mal wieder aufgefallen, als ich auf einer Lesung war. Ein recht bekannter Autor las aus seinen Büchern. Und dabei passierten mehrmals all die Sachen, die ich auch zu gut kenne: Er kam ab und an ins stolpern oder vertauschte Wörter oder Satzzusammenhänge. All das war nicht sonderlich störend. Für mich sogar eine sehr entlastende Erfahrung. Auch so ein Mensch, der Jahr für Jahr durch Deutschland zieht und Lesung für Lesung übt, auch dem passieren solche Sachen. Also darf auch ich so sein, kann solche Fehler geschehen lassen, muss nicht den irrealen Anspruch an mich haben, das sowas nicht passieren darf. Ich bin nicht so geübt und so ist es ganz normal, dass mir mehr Fehler passieren werden.

Das wäre schon schön, wenn ich es schaffe, mich über einen Vortrag zu freuen und wenn ich über die Patzer darin lächeln kann.

19.11.04 Zittern nach Angstsituation

Ich konnte heute gut beobachten, wie ein Zittern nachwirkte. Ich hatte eine Situation, die mich ein Stück aufregte. Ich machte einen Scherz mit einem Kunden und merkte, dass der irgendwie nicht so gut ankam. Er hat ihn nicht so verstanden, wie ich mir das vorstellte und reagierte etwas verwirrt.

Interessant war dann die Kombination, dass ich kurze Zeit später unter dem Mikroskop feine Arbeiten machen musste, wo ich eine ruhige Hand brauchte. Und da merkte ich ganz klar, wie stark ich doch zittere. Meine Hände waren nicht zur Ruhe zu bekommen. Ich zitterte so stark, dass ich so gut wie nicht arbeiten konnte. Normal wäre mir das gar nicht aufgefallen, weil die Hand so eigentlich nicht zittert. Erst wenn ich mich darauf konzentriere, meine Hand wirklich still zu halten und genau zu positionieren, fing das starke zittern an.

Ich erinnere mich, dass mir das schon ähnlich gegangen ist, wenn ich ein Tasse Kaffee trinken wollte oder wenn ich mal ein kleines Bauteil einem Kollegen in die Hand geben wollte. Oder wenn ich schreiben muss, dann merke ich ganz klar, dass meine Handschrift sehr unleserlich wird und ich mich innerlich zwinge, meine Hand ruhig zu bekommen. Wenn ich am Computer sitze, merke ich in solchen Momenten, dass ich viele Tippfehler mache.

Dieser Zustand hielt auch noch einige Zeit an. Erst 2 Stunden später konnte ich wieder halbwegs so feine Arbeiten machen.

Ich hab so die Vorstellung, dass jeder Mensch, würde er solche Ängste erleben, auch diese körperlichen Erfahrungen so machen würde. Andere erleben diese Ängste vielleicht nicht unter solchen Umständen, wie ich. Wenn jedoch z.B. ein anderes bedrohliches Erlebnis im Leben auftritt, kennen die das auch. Letztens erzählte mir ein Freund, dass ein Bekannter von ihm in der Tankstelle überfallen und mit einer Pistole bedroht wurde. Dieser zitterte dann noch Stunden am ganzen Leib und bekam kaum noch ein Wort raus.

Es scheint mir also eine normale Angstreaktion zu sein. Die Frage für mich ist dann, wie schaffe ich es, unter solchen eigentlich harmlosen Situationen gar nicht erst in so eine starke Angst hineinzukommen, mit all ihren körperlichen Begleitsymptomen. Wieso interpretiere ich diese Situationen als so bedrohlich?

Natürlich habe ich Antworten aus der Vergangenheit. Nur wie schaffe ich es jetzt und heute, nicht mehr die alten Ängste zu erleben sondern zu begreifen, dass diese Situationen heute nicht mehr bedrohlich sind? Ich glaube, die schnelle Lösung gibt es nicht, es sieht alles nach langwierigem Immer-Wieder-Üben-und-Neubewerten aus.

12.11.04 Körperliche Auswirkungen der Angst

Ich mach nun schon seit einigen Jahren Therapie. Doch etwas wichtiges kann ich erst jetzt klar wahrnehmen. Früher war es so, dass ich in ein wichtiges Gespräch gegangen bin, z.B. mit meinem Chef. Ich konnte später sagen: "Ja, ich war irgendwie verkrampft und es war mir ziemlich unangenehm." Und ich hatte die Angst, ob der wohl gemerkt hat, was mit mir los ist. Ihm in die Augen zu schauen fiel mir schwer, musste immer wieder wegschauen. Einen Kaffee nebenbei zu drinken war auch irgendwie fast unmöglich.

Jetzt allerdings konnte ich das ganz klar beobachten, was da überhaupt passiert. Mir werden die Dinge bewusst. Und ich glaube, es geht deshalb, weil ich mich schon viel mehr so annehmen kann, wie ich bin. Früher war meine ganze Aufmerksamkeit dort, alles zu verstecken, damit bloß nichts auffällt. Heute kann ich eher sagen: "Ah ja, schau mal, was da in deinem Körper so passiert."

Und da sah ich es dann auch. Ich konnte ganz klar wahrnehmen, dass sich im Nacken die Muskeln anspannten und leicht verkrampften. Und das führte dann direkt dazu, dass ich den Gesprächspartner nicht mehr einfach so anschauen konnte sondern mein Kopf fing an zu zittern. Genau das konnte ich früher nie mitbekommen, weil mich urplötzlich die Angst beschlich, der andere könnte das merken. Instinktiv und blitzschnell reagierte etwas in mir und senkte den Kopf. Und meine Hand ging zum Kinn, um den Kopf etwas zu stützen. Damit das nun aber nicht als merkwürdig auffallen würde, schaute ich immer mal wieder hoch und hoffte angespannt, dass das mit dem Kopfzittern nicht wieder passiert. Dabei merkte ich dann noch eine weitere Muskelanspannung im oberen Bauch. Diese sorgte dann dafür, dass ich im ganzen Oberkörper leicht zu zittern anfing.

Das war schon überwältigend, dies in so einer Situation mal ganz klar und bewußt wahrnehmen zu können. Dem Gespräch folgte ich gar nicht mehr richtig, es war auch nicht so wichtig, was Chef gerade erzählte. Ich konzentrierte mich mehr auf das, was in meinem Körper passierte. Und dann konnte ich sogar schon etwas Einfluss nehmen. Ich hatte die letzten Jahre ein paar Entspannungtechniken gelernt, z.B. progressive Muskelentspannung. Ich stellte mir also vor, wie der Muskel sich entspannt und atmete etwas da hinein. Und tatsächlich entspannte sich der Nacken für einen Moment, um dann aber gleich wieder in Alarmstellung zu gehen.

Auch wenn das alles nicht so angenehm ist, ist es doch schon etwas ganz anderes, wie noch vor ein paar Jahren. Damals wollte ich diesen Scheiß einfach nur irgendwie weghaben. Irgendwann begriff ich, dass das verbissene Weghaben wollen nicht funktioniert. Mein Therapeut meinte immer wieder, annehmen. Nur wie soll ich was annehmen, wofür andere mich vielleicht für bekloppt halten. Ich hasste das ja selber an mir. Durch die Aufarbeitung meiner Vergangenheit bekam ich Stück für Stück immer mehr ein Mitgefühl für mich, konnte verstehen, warum das so entstanden ist. Ich hatte einen sehr strengen Vater, der immer mal gerne zuschlug. In solchen Momenten hatte ich Todesangst und alles verkrampfte sich in mir. Heute erinnern mich Gespräche mit Autoritätspersonen an solche Momente und dann verkrampfe ich halt wieder. Es war also wichtig für mich, diese Zusammenhänge zu begreifen, um mitfühlend und annehmend mit mir umzugehen. Und jetzt, über dieses Annehmen, kann ich Stück für Stück, in kleinen Schritten, wieder loslassen, auch schon für einen Moment in solchen schwierigen Situationen. Es wird sicherlich noch ein weiter Weg sein, aber ich habe das Gefühl, es ist ein guter und sinnvoller Weg.

Wichtig war vor allem, meinen Selbstwert nicht an solchen Sachen aufzuhängen. Wenn mir dieses Kopfzittern früher passierte, fühlte ich mich gleich völlig unterlegen, klein und minderwertig. Heute kann ich das besser trennen, kann sagen: "Ja, mein Kopf zittert und trotzdem bin ich dir ein ebenbürtiger Gesprächspartner. Meine Kompetenz hat nichts damit zu tun." Das gelingt mir zumindest manchmal schon so.

29.12.03 Rubbish Time

Ich versuche anzufangen. Irgendwie. Zu schreiben fällt schwer. Die Gedanken einzufangen, bevor sie mir entfliehen. Eigentlich wollte ich für mich schreiben, habe aber während einer oberflächlichen Recherche viele andere Betroffene entdeckt. Die meisten kann ich nicht nachvollziehen, aber der Schmerz einiger ist deutlich herauszulesen. Der Schritt, meine kranken Phantasien im Netz zu veröffentlichen, wird natürlich von der Angst vor Entdeckung durch Bekannte begleitet.

Wir Menschen sind soziale Wesen. Alleine gehen wir unter, miteinander auf. Terme, wie Anerkennung, Liebe, Nachkommen, deren Existenz die eigene untermauert und weiterführt. Wie steht es nun damit, wenn man sich relativ sicher ist, all das nie erleben zu dürfen.

Die Liebe. Ich habe nie die verdammte Liebe erlebt. Die Liebe, von der alle erzählen und, was noch schlimmer wiegt, erleben. Meine erste und einzige Freundin. Die Erinnerungen sind längst verloschen. Eine Gesichtlose. Man sagt, die Hoffnung stirbt zuletzt. Das stimmt wohl. Die Hoffnung liegt im Sterben. Versuche sie krampfhaft am Leben zu halten. Aber sie entgleitet mir immer mehr, wie Sand zwischen den Fingern. Die Hoffnung hinterlässt eine dunkle Angst, die immer weiter wächst und gedeiht, in dem Maße, wie die Hoffnung mich verlässt. Die nackte Angst. Ich weiß nicht, ob du, geneigter Leser, jemals ihren faden Geschmack auf den Lippen erlebt, ihren eisernen Griff um dein Herz gefühlt hast. Dieses bittere und pechschwarze Gefühl der Endgültigkeit. Nein, es ist kein Gefühl, es ist dieser Krebs der Gewissheit, der mich in zunehmende Agonie versetzt.

Zehn lange Jahre. Das steckt man nicht so einfach weg. Zehn lange Jahre. Wahnsinn. Ich spüre es. Ich weiß es. Der Wahnsinn greift nach meiner Seele und reißt sie auseinander. Stück für Stück. Jeden Tag ein wenig mehr. Mehr Angst. Mehr Wahnsinn. Jeder Tag ist gleich. Arbeiten, Essen, Schlafen, Wochenende, Saufen, Essen, Schlafen. Und dann wieder ein Zyklus. Wofür? Ja, verdammt, wofür? Um meine existenziellen Bedürfnisse zu befriedigen? Ich weiß es nicht.

Gibt es denn keine Hoffnung für mich. Ich will sterben. Aber im Tod ist doch auch keine Hoffnung. Einmal hatten Gevatter Tod und seine Freunde, die lieben Drogen, mich soweit. Doch es sollte wohl nicht so sein. Dr. Picu hatte mich eingefangen. Ich hielt die Schmerzen nicht aus und versuchte es zu beenden. Es sollte wohl nicht sein.

Wie soll man ein Leben führen, wenn man sich selbst verachtet, wie es kein anderer jemals könnte.

Du kennst doch bestimmt Dr. Gonzo aus "Fear and Loathing in Las Vegas". Die Szene, in der er seinen Freund bittet, ihm das Radio während des Höhepunktes im Song "White Rabbit" in das Bad zu werfen. Meine Todesphantasien sind ähnlicher Natur. In der Pubertät hatte ich oft diese Vorstellungen. Ein solcher Gang wäre auch nach meinem Geschmack.

Diese verdammte Verzweiflung frisst mich auf. Es ist die Einsamkeit, die mir immer so wichtig erschien. Jetzt verstehe ich, dass in der Einsamkeit nichts Heroisches oder sonst ein Wert zu entdecken ist. Leider wird sich das alles nicht so einfach ändern. Solange die Angst mein ständiger, mein treuer Gefährte bleibt, wird es beim Alten bleiben. Und wie lange ich das wohl noch ertrage, bleibt offen. Früher nahm ich immer an, es wäre etwas Besonderes an mir. Irgendjemandem würde es auffallen und mein Schmerz fände ein Ende. Verkackt. Das Leben geht weiter. So wenig, wie mich die meisten Menschen in meiner mittelbaren Umgebung interessieren, so wenig wird sich jemand meiner annehmen.

Das Nichts muss noch warten. Es gibt jemandem, dem es zuviel ausmachen würde. Sosehr, dass die ohnehin angegriffene Gesundheit zu sehr darunter zu leiden hätte. Ein paar Jahre werde ich noch warten. Bis dahin wird ein Tag dem anderen folgen. Einer so grau und eintönig wie der andere. Nun wirst du bestimmt denken, was für ein verkacktes Arschloch, dass sich vor seinem Schatten ängstigt und in Selbstmitleid flüchtet.. Doch so ist es nicht. Den Alltag bewältigen, die täglichen Kleinigkeiten, die einem das Leben abverlangt, sind mir eine große Last.

Die Gründe? Gründe gibt es viele. Wie bei anderen vor mir. Verkackte Kindheit, gewalttätiger Alkivater, der selbst davor nicht zurückschreckte, sein eigenes Baby zu prügeln, um sich auf eine perverse Weise Erleichterung zu verschaffen. Dann kam die Jugend mit ihrem Irren nach der eigenen Identität, und daraufhin die Flucht in die scheinbare Glückseligkeit des Drogenrausches. Ist doch immer der gleiche Scheiß. Sollte ich es schaffen, irgendwie zu überleben, was erwartet mich schon für eine Zukunft. Kein Selbstbewusstsein, Angst und Feigheit. Ich bin feige. Aber ich kann nicht aus meiner Haut. Müde. Ich bin so müde und so feige.

Dabei könnte das Leben so schön sein. Betrachtet man diese verrückte Welt, so geht es uns doch so gut. Wir haben Chancen, von denen viele nur träumen. Doch wirklich Trost kann ich bei diesem Gedanken nicht finden. Den einzigen wirklichen Trost finde ich, wenn ich an den Tod denke. Diese dunklen Stunden der Verzweiflung und Einsamkeit. Werden sie mich immer begleiten. Der schwule Hesse hat so recht gehabt, als er schrieb: "Das Sterben ist schwer, doch das Leben ist so viel schwerer."

Ich glaube, dass es mir gelingen kann, für einen Moment die Kraft für das Unwiederbringliche, das Endgültige aufzubringen, wie aber soll ich es schaffen, jeden Tag aufrecht zu leben. Ich schaffe es nicht. Kleinste Misserfolge stürzen mich schon in ein großes Loch, randvoll mit Verzweiflung. Wofür jeden Tag aufstehen? Jetzt kommt auch noch der Winter mit noch mehr Dunkelheit. Der Krebs des Wahns freut sich, denn er gedeiht vorzüglich in der Finsternis.

10.11.03 Angst, angegriffen zu werden

Ich spüre in den letzten Tagen wieder verstärkt die Angst, von anderen Menschen angegriffen und verletzt zu werden. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich mich gerade aus der Gemütlichkeitszone herausbewege und mehr in Beziehungen und Auseinandersetzungen mit anderen Menschen bin. Es gab so einige Ereignisse in den letzten Tagen, wo ich tatsächlich etwas unter Beschuss geriet, wo ich bei anderen Ärger oder Mißstimmungen auslöste.

Für mich fühlen sich solche verbalen Angriffe oft sehr bedrohlich an. Ich habe mich oft gefragt, warum bloß? Mein Erfahrung zeigt doch eher, dass ich mit solchen Angriffen oder Situationen, wo ich mit anderen Menschen nicht im Konsens bin, dass ich die ganz gut meistern kann. Und trotzdem immer wieder diese starke innere Aufregung, immer wieder dieses beschissene Körpergefühl, dieses flaue Gefühl in der Magengegend. Es fühlt sich oft auch so an, als wäre meine ganze Vorderseite wie aufgerissen.

Antworten auf diese Frage bekomme ich wohl nur, wenn ich zurück schaue in die Vergangenheit. Denn ich glaube fest daran, dass diese Strukturen, dieses Reaktionsmuster durch Erfahrungen in diesem Leben entstanden sein muss. Und wenn ich dann da hinschaue, dann wird mir schon bewußt, dass ich als Kind starken existenziellen Ängsten ausgesetzt war.

In meinem Elternhaus war sicherlich sehr viel gutes und meine Eltern kümmerten sich auch um mich. Ich hatte auch sehr viel Anregungen, wir unternahmen viel, bastelten, spielten usw. Da war aber auch etwas ziemlich furchterregendes. Mein Vater war in manchen Dingen, wie ich aber erst später begriff, ziemlich zwanghaft. Er konnte manches absolut nicht dulden und reagierte dann ebenso absolut unangemessen. Er rastete förmlich aus, er hatte sich nicht mehr unter Kontrolle. Er konnte auf bestimmte Dinge nur mit Vernichtung reagieren, konnte sie nicht ertragen.

Ein solche Sache war, wenn ich ihm wichtige Dinge verschwieg oder ihn belog. Oder wenn ich etwas tat, was er mir vorher verboten hatte. Und es nahm dann oft den Teufelskreislauf. Als kleines Kind mit 5 Jahren ist man halt neugierig. Und dann zählen Verbote nichts und man probiert alles mögliche aus. So tat ich also Sachen, die er mir vorher verboten hatte. Das musste ich natürlich verschweigen. Und wenn er mich danach fragte, musste ich lügen. Wenn er es dann doch rausbekam, kamen gleich mehrere Sünden auf einmal: Ich machte verbotenes, ich log, ich verschwieg.

Ich glaube im Nachhinein, er hatte eine riesengroße Angst davor, dass ihm Dinge aus der Kontrolle geraten, dass was passiert, wo er nicht genauestens drüber bescheid wusste. Sowas war für ihn bedrohlich, zutiefst bedrohlich. Er sagte eben auch öfters mal: "Du kannst alles tun, du musst es mir nur sagen!" Das zeigte seine Angst, vor unkontrollierten Dingen. So stimmte seine Aussage natürlich nicht, denn wenn ich was verbotenes tat und es ihm sagte, kamen auch seine unkontrollierten Ausbrüche.

Solche Ausbrüche fühlten sich für mich dann wirklich lebensbedrohlich an. Er schnappte mich völlig außer sich, legte mich übers Knie und schlug auf mich ein. Oder er schmiss mich auf die Waschmaschine und schlug mich ins Gesicht. Dabei sollte ich ihn dann noch anschauen und weinen durfte ich auch nicht. Er konnte es nicht ertragen, wenn ich weinte, weil ihm dass seine Schandtat vor Augen führte. Er musste immer schnell verdrängen und er verdrängt auch heute noch alles. So etwas wie Schläge gab es nicht und wenn überhaupt, dann mal ein kleiner Klaps. Mich macht diese Verdrängung sehr wütend.

Geprägt durch solche Erfahrungen lief ich immer mit Angst durch mein noch junges Leben. Denn irgendwas hatte ich ja immer auf meinem Schuldkonto, wofür eine Abrechnung drohen könnte. So manche Signale prägten sich auch ganz stark ein. Ich kannte genau seinen schnellen Schritt, den er drauf hatte, wenn er wieder so wutentbrannt war. Und ich kannte genau das energische Geräusch des Türaufschließens, wenn er abends nach Hause kam.

Neben dieser harten Vernichtungsenergie, die mir da immer wieder (im wahrsten Sinne des Wortes) ins Gesicht schlug, war auch noch ein anderer Aspekt, der mir so mittlerweile klar wird. Für ein Kind ist eine stabile Beziehung zu den Eltern was ganz wichtiges. Ein Kind kann ohne diese Beziehung nicht überleben. Es braucht zumindest irgendwelche Menschen, wo es sich aufgehoben fühlt. Somit muss zwangsläufig jede Bedrohung dieser Beziehung auch schockierend sein. Es macht einen großen Unterschied, ob man spürt, dass die Eltern lediglich ärgerlich sind oder ob sie sich so verhalten, als ob jetzt die ganze Beziehung vorbei ist und man jetzt selber zusehen muss, wie man überlebt.

Ganz bestimmt ist dieses Drama auch dafür verantwortlich, dass ich sehr früh zusah, wie ich total autonom klar komme, wie ich es mir so einrichten konnte, dass ich keinen Menschen mehr brauchte. Denn in so ein dramatisches Abhängigkeitsverhältnis wollte ich nicht mehr kommen, weil es nicht zum Aushalten war.

Erst viel später, in den letzten Jahren, musste ich erstmal wieder Stück für Stück lernen, mich in Beziehungen mit anderen Menschen hineinzubegeben, mich wirklich wieder ein Stück von anderen abhängig zu machen. Auf gute Weise abhängig sein, so formuliert die tiefenpsychologische Körpertherapie ein Lernziel. Das war für mich eine ganz wichtige Erkenntnis, dass das wichtig und heilsam ist.

Aus diesen Erfahrungen wird klarer, warum ich immer wieder auch heute noch Angst vor Angriffen anderer Menschen habe. Die alte Angst vor diesen völlig unkontrollierten Ausbrüchen sitzt mir noch in den Knochen. Und sie wird immer wieder wach, wenn Menschen nicht im Einklang mit mir sind.

Ich hatte eine Zeit, da habe ich viel versucht, um im Einklang mit allem und jedem zu sein. So sehr ich mich aber auch anstrengte, es konnte gar nicht gelingen. Und diese Disharmonien, unter denen habe ich sehr gelitten. Heute versuche ich zu lernen, Disharmonien auszuhalten. Denn vieles liegt gar nicht in meiner Macht. Wenn sich jemand wirklich entschließt, sauer auf mich zu sein, vielleicht weil ich ihn an irgendjemanden erinnere, den er nicht mag, dann kann ich mitunter nichts tun. Der Wille des Menschen ist frei, ich kann ihn nicht kontrollieren.

Für mich ist das vielleicht gerade so die Lernphase, Disharmonien auszuhalten und das Gefühl von starker Bedrohung Stück für Stück loszuwerden in Momenten, wo es nicht wirklich eine starke Bedrohung gibt. Das ist sehr schwer und ich weiß auch noch nicht genau, wie das gehen soll. Ein Weg wird aber sicherlich sein, wacher und aufmerksamer für meine Gefühle zu werden, Gefühle zu durchleben anstatt sie wegzudrängen und nicht mehr zu spüren. Denn das war die automatische Reaktion, bevor mir das alles bewußt wurde und die hat zu viel Unheil geführt und das eigentliche Problem nie gelöst.

03.11.03 Aushalten, wenn andere mich offensichtlich nicht mögen

Ich glaube, ich habe feine Antennen dafür, zu erspüren, wenn mich jemand nicht mag. Vielleicht intepretiere ich deshalb auch manchmal zu schnell eine Miss-Stimmung eines anderen als persönliche Ablehnung. Da muss ich etwas aufpassen.

Im Moment erscheint es mir jedoch so, dass eine Kollegin mich irgendwie nicht mag. Ich nehme sie mir gegenüber oft als unfreundlich wahr. Sie ist oft kurz angebunden, tut kein Stück zuviel für mich und war mir gegenüber noch nie mal irgendwie einladend. Also so, dass ich das Gefühl habe, dass sie sich freut, dass ich da bin oder für sie irgendwas getan habe. Ein Danke, wenn es denn mal kommt, klingt nicht wie ein wirkliches Danke sondern eher wie ein Pflicht-Danke.

Ich merke, dass ich ich sowas nur sehr schwer aushalten kann. Mich beschäftigt das geistig immer wieder stark, wenn ich mit ihr Kontakt habe. Das liebste wäre es mir, mich mit ihr mal auszusprechen. Oder aber sie so zu provozieren, dass Sie mal Stellung beziehen muss. All das ist besser als dieses ungewisse Gefühl von Ablehnung. Manchmal spüre ich auch schon, dass ich selber Ärger und Wut auf sie bekomme oder sie ablehne. In Wirklichkeit habe ich nichts gegen sie, aber die Angst vor dieser evtl. Ablehnung produziert diese Gefühle.

Jetzt, wo mir das bewusst wird, werde ich einen neuen Weg einschlagen. Ich möchte lernen, dies besser auszuhalten, dass mich manche Menschen nicht mögen. Man kann ja im Leben nicht permanent dafür sorgen, dass einen allen Menschen irgendwie annehmen. Oder man muss sich über alle Maße verbiegen. Will ich also nicht permanent wieder hier unter Stress geraten, muss ich lernen, damit zu leben, dass manch andere mich nicht mögen. Nicht zwanghaft was tun zu müssen, um diesen Zustand so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen. Ich glaube, dass ist im Moment das beste, was ich tun kann. Einfach meine Angst zu spüren, die sowas auslöst, es aber nicht in Ablehnung und Haß umschlagen zu lassen. Im Gegenteil: Zu üben, sie einerseits anzunehmen und auch ihre Ablehnung mir gegenüber anzunehmen. Sozusagen: Ich nehme dich an, auch mit deiner Ablehnung mir gegenüber. Das ist im Grunde auch das, was Jesus ja lehrt und viele große Weltreligionen ja auch. Und ich glaube, dass dies eine Arbeit an sich selbst ist, die wirklich zu mehr Reife und damit Heilwerden beiträgt. Das kratzt natürlich am eigenen Ego: "Der, der mich ablehnt, den soll ich auch noch annehmen? Du tickst wohl nicht ganz richtig?" Ja, das sind so Lernschritte, wo das Ego mächtig rebelliert. Und doch glaube ich, dass es ein wichtiger Schritt zur Überwindung von Angst ist.

10.10.03 Ängste loslassen

Bei mir stellen sich immer gerne Ängste ein, wenn ich am Schreibtisch sitze. Ich hatte mal eine Zeit, wo ich starke Panikattacken hatte. Irgendwie haben sich zu dieser Zeit die starke Angst und die Schreibtischarbeit verbunden. Es war mal so schlimm, dass ich es kaum 3 Minuten am Schreibtisch aushielt. Mittlerweile geht es schon viel besser.

Mir wird immer mehr klar, dass dieser Zustand in mir zu einer festen Struktur erstarrt ist. Schreibtisch löst Angst aus und ich hatte lange das Gefühl, nichts ändert sich daran. Es war immer wieder das Gleiche.

Jetzt wird mir auch klar, wie ich das wieder lösen und mich davon befreien kann. Ich habe hier auch erste Erfolge spüren können. Bisher war es immer so, dass ich die Angst gemerkt habe und das ich die innerlich wegschieben wollte, wie etwas unangenehmes, was mich stört. Einerseits wegmachen, andererseits doch einen großen Respekt vor dieser Angst. Oder eine Angst vor dieser Angst, dass sie mal wieder so richtig zuschlägt. Und so hatte ich ein Stück das Gefühl, ein Sklave dieser Angst zu sein.

Eigentlich hätte ich es ja wissen müssen, mir ist es aber erst jetzt klar: Etwas was man wegschiebt und weghaben will, wird nicht integriert und genau das erhält das Problem aufrecht. Allerdings war meine Angst vielleicht auch zu groß, mich dieser Angst zu nähern.

Jetzt scheint es allerdings reif zu sein. Ich spüre eine innere Wendung. Anstatt diese Angst wegzuschieben und zu hoffen, dass sie nicht schlimmer wird, versuche ich, dieses Gefühl zuzulassen, da hinein zu atmen, die Angst dasein zu lassen und gleichzeitig sie auszuatmen. Die Angst zu entspannen. Mutig hinschauen und loslassen. Dieses Loslassen ist eine gänzlich neue Richtung. War doch bisher die innere Idee eher, es nicht schlimmer werden zu lassen.

Es ist immer schwierig, solche inneren Prozesse gut zu beschreiben, um nicht missverstanden zu werden. Ich möchte deshalb nochmal ein Bild gebrauchen: Stell dir vor, du gehst nach der Sauna ins kalte Wassserbecken. Du kannst jetzt alles anspannen, die Kälte verdrängen, dich irgendwie ablenken und schnell hineingehen, vielleicht schreien oder kritschen. Das wäre so die Idee, das unangenehme von sich zu halten. Die andere Art wäre, mutig hineinzugehen und ganz bewusst dieses unangenehme anzunehmen, ja, sich da hinein zu entspannen. Das ist nicht leicht, es ist eine ganz schwierige Sache.

Ein anderes Beispiel wäre, beim Zahnarzt genau den Schmerz zu spüren, anstatt sich innerlich abzulenken, um den Schmerz nicht wahrzunehmen. Auch das ist natürlich eine schwierige Angelegenheit.

Ich glaube aber, genau so etwas in der Art ist das befreiende Moment für meine Ängste. Mich mutig da hineinzuentspannen - etwas was man so gerne umgeht, weil es wirklich Mut braucht, weil ja die Angst da ist, etwas fürchterlichem und äußerst Unangenehmen zu begegnen.

Ich muss dazu sagen, dass es hier vor allem um die Überwindung von irrealen Ängsten geht. Irreal in dem Sinne, dass jetzt nicht wirklich etwas bedrohliches mehr da ist sondern dass es eher die Erinnerung an etwas ist, was mal bedrohlich war. Man muss natürlich auch immer wieder abchecken, ob Ängste begründet sind.

Wer z.B. schonmal fast vom Dach gefallen ist, für den sind aufkommende Ängste durchaus ein wichtiger Hinweis, vorsichtig zu sein. Dieser Mensch trägt eine Erfahrung mit sich rum, etwas, was ihn schonmal fast das Leben gekostet hätte. Und so eine Erfahrung wirkt stark. Man kann nicht mehr der Mensch werden, der man vor dieser Erfahrung war. Ab jetzt wird einem diese Situation besonders beängstigen. Was man jedoch tun kann, sich entsprechend abzusichern, also wieder zu lernen, dass es damals unter diesen Umständen in der Tat gefährlich war, dass aber so, wie man es heute angeht, es sicher ist. Lernen zu differenzieren. Im Gehirn hat sich durch diese Erfahrung ein breiter Bereich angelegt, der sofort mit Angst reagiert, wenn nur irgendeine ähnliche Situation auf einen zukommt. Man muss jetzt bewusst lernen, unter welchen Umständen es nicht gefährlich ist, muss diese breite Angstzone ausdifferenzieren. Genauso wie man lernen kann, dass nicht die ganze Küche eine Gefahr darstellt sondern lediglich die Herdplatte. Und auch das nur, wenn sie eingeschaltet ist. Man muss hier eine psychische Arbeit leisten, die andere Menschen nicht tun müssen, wenn sie nicht solche Erfahrungen gemacht haben. Erfahrungen verpflichten...

09.10.2003 Erfahrungsbericht von Baldriano

Ich bin jetzt 23 Jahre alt und fühle mich innerlich sehr erwachsen. Leider gelingt es mir nicht dies auch nach außen zu transportieren.

Es fällt mir extrem schwer mit anderen in Kontakt zu treten. Im Gespräch wirke ich dann oft unbeholfen und verängstigt. Dies macht sich auch in meiner Sprache bemerkbar: ich rede sehr leise und stolpere immer wieder über meine eigenen Worte, obwohl ich sie eigentlich im Kopf habe. Plötzlich kann ich Zusammenhänge, die mir normalerweise geläufig sind nicht verbal zum Ausdruck bringen.

Die erste Begegnung mit der sozialen Angst liegt bei mir schon etwa 9 Jahre zurück. Alles fing damit an, dass ich mich in ein Mädchen aus meiner Klasse verliebt habe. Das war mehr als eine postpubertäre Schwärmerei. Es war Liebe, die krank macht.

Trotz meines immer stärker werdenden Verlangens nach ihrer Nähe gelang es mir nicht sie darauf anzusprechen. Diese Erfahrung hat mich in eine tiefe Krise gestürzt, die noch bis heute auf mich wirkt.

Ich zog mich zurück in die Isolation. Am Anfang genoss ich die Einsamkeit. 1 Jahr später zog ich mit meinen Eltern in eine andere Stadt. Dort hatte ich kaum Freunde und ich kümmerte mich auch nicht darum. Mein Lebensinhalt war nun die Schule. Seltsamerweise konnte ich dort relativ souverän auftreten. Keiner ahnte etwas von meiner Angst.

In der Zwischenzeit habe ich begriffen, dass ich mich mit der Isolation wohl unbewusst selbst bestrafen wollte. Ich halte das für geradezu masochistisch. Dennoch gelingt es mir jetzt nicht mehr den Teufelskreis zu durchbrechen.

Die Vereinsamung führte zudem dazu, dass ich innerlich immer kälter wurde. Ich bin wohl nicht das, was man einen "fröhlichen Menschen" nennt. Meine Schwägerin sagte einmal zu mir, sie habe mich noch nie lachen gesehen.

Vor etwa einem Jahr war ich dann kurz davor mich wieder zu verlieben. Das Tragische an der Situation ist nur, dass sich die Geschichte wiederholte.

Daraufhin beschloss ich etwas zu unternehmen. Anfangs suchte ich Rat in sog. "Lebenshilfe"-Büchern. Leider haben die das ganze nur noch verschlimmert. Z.B. hatte ich schon immer große Angst vor Prüfungen. Parolen wie "ich werde das schaffen" oder "ich habe gut gelernt, es kann mir nichts passieren" beruhigten mich nicht, sondern sorgten nur für noch größere Angst und intensiveres Kontrolldenken.

Ich denke, dass Liebe oft eine große Rolle bei der Entstehung sozialer Phobien spielt. Die andere Komponente war in meinem Fall die Abhängigkeit von meinen Eltern. Erst spät erkannte ich, dass es wichtig für mein seelisches Gleichgewicht ist, diese Abhängigkeiten zu lösen.

Durch einen Fernsehbericht wurde ich auf die "Angst vor menschlicher Nähe" aufmerksam. Mir war instinktiv klar, dass dies die größte Herausforderung meines bisherigen Lebens ist. Ich informierte mich daraufhin im Internet über dieses Thema, wo ich diese Seite fand.

In ein paar Tagen beginne ich mit meinem Studium. Ich habe große Angst davor - aber irgendwie muss es ja weitergehen.

Meine Erkenntnis: Erst wenn ich aufhöre zu kämpfen, habe ich verloren.