Sopha Selbsthilfe

Urwut

Du bist den ganzen Tag mit deinem Stamm auf der Jagd gewesen. Immerhin konntet ihr ein kränkelndes Reh erlegen und eine Menge Pilze und Waldbeeren sammeln.

(Wenn du es vorziehst, vegetarische Beeren zu essen, ließ bei Abschnitt 2 weiter, ansonsten Abs. 1)

1. Nun sitzt du müde aber zufrieden am Lagerfeuer und betrachtest den Holzspieß, den du über das Feuer gestreckt hältst.

2. Nun sitzt du müde aber zufrieden am Lagerfeuer und schlägst dir den Bauch voll mit gebratenen Pilzen und süssen Beeren.

Unvermittelt tritt einer der Jäger an dich heran und entreißt dir deine wohlverdiente Mahlzeit. Du schaust ihn entgeistert an. “Aber... das ist mein Essen”, denkst du, und fühlst dich …

(Wenn du dem in dir aufsteigenden Ungerechtigkeitsgefühl nachgeben willst und es dich zu recht empört, dann ließ bei Abschnitt 4, wenn du klein beigeben möchtest bei Abs. 3.)

3. … aber es ist einer der erfahrenen Jäger gegen den Du eh keine Chance hättest. Du willst dich nicht streiten. Du setzt dich wieder hin und siehst den anderen beim Essen zu. Später legst du dich mit knurrendem Magen auf deinen Schlafplatz. Erst als die Sonne aufgeht, kannst du einschlafen. Ein ohnmächtiges Gefühl und das zufriedene Schnarchen der anderen haben dich lange wachgehalten.

4. Du hast Angst, aber das Gefühl, Ungerechtigkeit zu erfahren ist stärker. Jedem in deinem Stamm steht sein Anteil zu, ob Jägern, Beerensammlern, Kindern oder den Alten. Du schaust dein Gegenüber direkt an und sagst laut: “Was soll das? Das ist mein Essen, mein Anteil!” Alle anderen am Feuer schauen auf und betrachten euch Kontrahenten erwartungsvoll. Der Jäger schaut in die Runde und wirkt nun etwas verlegen. Mit einem Grummeln gibt er dir dein Essen zurück und setzt sich wieder an seinen Platz. Du spürst, dass du leicht zitterst, dein Herz pocht schnell. Aber Du hälst dein Essen wieder in der Hand. Mit einem gewissen Stolz setzt du dich wieder ans Feuer. Einige der Älteren nicken dir anerkennend zu. Du lächelst heimlich...

Ich beziehe mich mit dieser kleinen “interaktiven Geschichte” auf ein Gruppen-Thema von Sopha. Nun, wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass ich die letzten zwei Jahre oft an Pen&Paper-Runden (Rollenspiele) teilgenommen habe, dass ich dieses Format gewählt habe.

Ich möchte damit ausdrücken, dass es schon immer wichtig war (und ist), auf seine starken Gefühle zu hören, denn sie haben meistens einen Sinn, ob Wut, Ärger, Traurigkeit, Trauer, Freude und auch Angst. Gerade in unserer heutigen Gesellschaft, wo es nicht mehr um den unmittelbaren Überlebenskampf im ursprünglichen Sinn geht (Angriff und Flucht), wird es allerdings oft sehr kompliziert, mit starken Gefühlen umzugehen. Oft sind diese nicht erwünscht oder “nicht kompatibel” in unserem sozialen Kontext. Vielleicht liegt darin ein Stück weit die Ursache für viele psychischen / psychosomatischen Probleme? Ich glaube das schon. Aber natürlich gab es sicher schon in der Steinzeit Phobiker, der/die sich nicht aus der Höhle getraut haben. Die Frage war dann nur, ob sie länger überlebt haben, als die mutigen Jäger, die sich gegen Bären und Löwen wehren mussten.

Argonaut