Sopha Selbsthilfe

Autor: Phönix, Start: April 2003, Stand: 25.04.2016

Hyperventilation und Panikattacken

Die Vorgeschichte

Es gab eine Zeit, da litt ich unter schlimmen Panikattacken. Manchmal schien es mir, als kamen sie völlig überraschend, wie "ein Blitz aus heiterem Himmel"; manchmal kündigten sie sich aber auch langsam an: Ich wurde immer hektischer und unruhiger. Auch Schwindelgefühle, Unruhe und eine allgemeine Beklemmung im Brustkorb traten vorher oft als Anzeichen bei mir auf. Eigentlich wußte ich überhaupt nicht, was mit mir los war. Die Ärzte fokussierten sich nur auf die körperlichen Symptome. Ich war schon immer total aufgeregt bei Arztbesuchen, und mein Blutdruck war immer dementsprechend hoch. Ein Arzt meinte nur: "Mit dem Blutdruck werden Sie aber nicht alt". Wirklich sehr beruhigend! Schließlich und endlich lautete die Diagnose eines Neurologen: "Sie haben eine Phobie!".

Bis zu der Erkenntnis, daß meine körperlichen Beschwerden auf Angstsymptome zurückzuführen waren, war es allerdings ein langer Weg, voll von Unsicherheiten und Ängsten um meine körperliche Gesundheit. Ich wußte allerdings von Anfang an - intuitiv -, daß die körperlichen Beschwerden nur die Spitze des Eisbergs waren; daß unter der Oberfläche das eigentliche Problem lag.

Nachdem ich viele Bücher über Ängste gelesen hatte, bekam ich irgendwann ein Buch in die Hand, in dem von Hyperventilation als Auslöser von Panikattacken berichtet wurde. Von Hyperventilation hatte ich zuvor noch nie gehört (zumindest bewußt nicht). Nun begriff ich langsam, daß meine Atmung die meiste Zeit total verkrampft und flach war. Oft war dies auch Auslöser für meine Panikattacken. Dies hatte kein Arzt zuvor in Erwägung gezogen. Langsam lernte ich, vor allen Dingen durch bewußte, richtige Atmung, meine Panikattacken - einigermaßen - in den Griff zu bekommen; das heißt, durch die tiefe Bauchatmung der Panikattacke rechtzeitig entgegenzuwirken. Das ging nicht von heute auf morgen, sondern es war ein langer Lernprozeß, bei dem ich lernte, was mir mein Körper mit seinen Symptomen zu sagen versuchte. Ich mußte lernen, mich zu entspannen und aus meinem Gefühl des Getriebenseins ausbrechen. Ich lernte langsam, besser mit mir umzugehen und überforderte mich nicht mehr ständig, gönnte mir mehr Ruhephasen.

Wie entstehen Panikattacken?

Es gibt eine Vielzahl von Faktoren, welche die Hyperventilation und somit mögliche Panikattacken begünstigen:

emotionale, psycho-soziale Faktoren:

  • zuviel Streß (negativer Streß, auch Distreß genannt)
  • andauernde seelische Konflikte und ungelöste Probleme
  • Verlust von Angehörigen oder Freunden (Trennung, Todesfälle)
  • einschneidende Veränderungen der Lebenssituation wie Arbeitsplatzverlust/-wechsel oder Umzug in eine andere Stadt/Wohnung, Heirat, Scheidung etc.
  • andauernder Streit mit Freunden, Partnern, in der Familie, Kollegen (auch Mobbing)

körperliche Faktoren:

  • ungesunde, falsche Ernährung
  • ein niedriger Blutzuckerspiegel (durch unregelmäßiges Essen)
  • Bewegungsmangel
  • Muskelverspannungen
  • zu wenig Schlaf und Erholung
  • zuviel Koffein
  • Gifte/Drogen wie Alkohol, Nikotin, Marijuana und Haschisch, Ecstasy, Aufputschmittel etc.

Erste Hilfe bei einem Hyperventilationsanfall / Panikattacke

Tipp 1: Eine Maßnahme die übersteigerte Atmung auszugleichen, ist eine zeitlang in eine Papier- oder Plastiktüte zu atmen, die man über Mund und Nase stülpt. Dies bewirkt, daß man verstärkt sein eigenes ausgeatmetes Kohlendioxyd wieder einatmet und so der CO2-Mangel im Blutkreislauf langsam wieder abnimmt.

WARNUNG! Plastiktüten nie über den ganzen Kopf ziehen!!!

Tipp 2: Ohne eine Plastik- oder Papiertüte geht es aber auch, denn die meisten würden wohl eher davon absehen in einer U-Bahn eine Tüte vor das Gesicht zu halten. Das geht dann so:

Atme ruhig und sanft ein und zähle dabei bis zwei oder drei. Halte aber den Atem aber nicht an. Atme sanft aus und zähle dabei bis 4,5 oder gar 6.

Das Entscheidende ist, dabei länger AUS als EIN zu atmen! Tue dies solange, bis sich eine Beruhigung einstellt. Konzentriere dich nur auf deine Atmung.

Was ist eigentlich Hyperventilation?

Hyperventilation bedeutet übermäßiges Atmen bei gleichzeitiger körperlicher Passivität. Damit keine Mißverständnisse entstehen: Das beschleunigte Atmen z. B. beim Joggen ist nicht gemeint. Man kann natürlich auch während eines Spaziergangs Hyperventilieren; Bewegung schließt Hyperventilation nicht aus.

Was passiert genau, wenn wir Hyperventilieren?

Jetzt wird jetzt etwas wissenschaftlich:

Durch die abnorm erhöhte Atemfrequenz verändern sich die chemischen Eigenschaften unseres Blutes. Der Kohlendioxydgehalt(CO2) im Blut nimmt ab (eben durch das vermehrte Ausatmen von CO2). Das hat wiederum zur Folge, daß der pH-Wert des Blutes steigt und basisch wird. Das wirkt sich vorallem so aus, daß die Muskeln nicht mehr so geschmeidig arbeiten und letztendlich verkrampfen und starr werden. Gleichzeitig wird Blut aus dem Kopf abgezogen und in die Muskeln verlagert. Der Körper schüttet vermehrt Adrenalin aus und erhöht die Herzfrequenz, macht sich also bereit zur Aktivität. Ursprünglich war dieser körperliche "Ausnahmezustand" eine Angriffs- oder Fluchtreaktion, die wir zum Überleben brauchten. Diese Bereitstellungsreaktion (die auch bei Panikattacken auftritt) wird vom vegetativen Nervensystem gesteuert. Heute brauchen wir diesen Zustand nur noch sehr selten. Vor vielen tausend Jahren allerdings war die Flucht- und Angriffsreaktion für unsere Spezies homo sapiens eine essentielle Überlebensstrategie. Heute treffen wir eher selten auf wilde Raubtiere und Keulen schwingende Artgenossen. Unser Körper verfügt jedoch trotzdem noch über die gleichen Bereitstellungsreaktionen wie damals. Heute ist nicht das Raubtier unsere Bedrohung, sondern vorwiegend der Streß. Aber vielleicht hatten die Steinzeitmenschen ja auch schon Panikattacken...?

Das Hyperventilieren an sich ist also eigentlich eine natürliche Körperfunktion. Übrigens Hyperventilieren wir auch manchmal unbewußt im Schlaf, nämlich dann, wenn wir träumen, besonders bei Alpträumen. Wahrscheinlich kennst du das Gefühl, wenn du gerade aus einem Alptraum aufgewacht bist und eine merkwürdige Beklemmung im Brustkorb spürst und dein Herz wie wild pocht.

Es gibt, neben der akuten Hyperventilation, jedoch auch eine „schleichende, chronische Hyperventilation“. Durch eine dauerhafte, psychische Überlastung gerät der Atemvorgang dauerhaft aus seiner Balance. Die Folge können allgemeine Erschöpfung, Depressionen sein. Auch der Stoffwechselvorgang wird dauerhaft negativ beeinflußt.

Hyperventilieren und die Symptome

Wenn wir Hyperventilieren, hat das vielerlei direkte Auswirkungen auf unseren Körper und unsere Psyche: Das Atmen wirkt sich vielfältig auf unser vegetatives Nervensystem und auf unser Herz-Kreislaufsystem aus. Durch beschleunigtes Atmen, erhöht sich die Herzschlagfrequenz, der Blutdruck steigt, die Extremitäten (Hände und Füße) werden kalt und klamm, weil das Blut zu den Muskeln abgeführt wird; im Kopf entsteht ein Benommenheits- oder Schwindelgefühl, da das Blut vorrangig zu den Bewegungsmuskeln gepumpt wird; die Muskeln spannen sich an und wollen Energie loswerden (Angriff!, Flucht!).

Hier einige typische Symptome:

  • Schwindelgefühle
  • Benommenheit
  • Herzrasen
  • Engegefühl im Brustkorb
  • verschwommenes Sehen
  • Taubheitsgefühle (besonders in Armen und Beinen)
  • Ohnmacht

Es gibt sogar "neurologische Effekte" wie:

  • Unwirklichkeitsgefühle (De-Realisation)
  • subjektive Veränderung der Wahrnehmung (alles wirkt lauter, greller, härter, grotesk)

All diese Symptome werden vom Betroffenen häufig als so bedrohlich erlebt, daß noch mehr Angstgefühle entstehen. Der Körper produziert immer mehr vom Streßhormon Adrenalin, die Atmung wird immer schneller, weil man paradoxerweise das Gefühl hat, man bekomme nicht genug Luft, da der Brustkorb sich enger anfühlt und die Kehle manchmal wie zugeschürt ist. Es entsteht ein regelrechter "Angst-Teufelskreis":

Symptome-> Angst-> mehr Symptome-> mehr Angst -> noch mehr Symptome-> noch mehr Angst etc.

Ein Hyperventilationsanfall kann im Extremfall zu totaler Körperverkrampfung, oder gar zur Ohnmacht führen. Es ist aber noch niemand daran gestorben, da der Körper ja irgendwann selbsttätig die "Notbremse" zieht. Ich betone das deshalb, weil aufgrund der starken Körpersymptome oft auch reale Todesängste entstehen können. Diejenigen, die selbst Panikattacken erlebt haben, wissen wahrscheinlich, wie bedrohlich eine Panikattacke empfunden werden kann.

Wie kann man Hyperventilation entgegenwirken?

Das Atmen funktioniert völlig ohne unser Zutun, genau wie z. B. unser Herzschlag und viele andere organischen Funktionen. Im Unterschied zum Herzschlag jedoch, können wir unsere Atmung direkt und willentlich beeinflussen. Wir können absichtlich die Luft anhalten - solange bis unser Selbsterhaltungstrieb uns wieder nach Luft schnappen läßt. Wir können auch absichtlich schnell und flach atmen (Hyperventilieren), wir können tief und entspannt in den unteren Bauch atmen. Wir sind also in der Lage unsere Atmung zu verbessern oder zu korrigieren - jederzeit!

Wieder richtig atmen lernen

Ein akuter Hyperventilationsanfall ist eigentlich nur die Spitze des Eisbergs. Viele Auswirkungen und Symptome hat bereits die permanent flache, falsche Atmung, die sehr viele Menschen praktizieren, die unter Dauerstreß stehen, oder nicht im emotionalen Gleichgewicht sind. Unsere moderne Leistungs- und Informationsgesellschaft fördert geradezu eine zu flache Atmung: Alles muß schnell und "am besten gestern" erledigt sein. Der Mensch ist aber nun mal kein Computer, den man immer schneller und schneller takten kann. Dieser ungesunde Lebenswandel und die Alltagshetze spiegeln sich auch deshalb oft in einer gehetzten, zu flachen Atmung wider. Wenn wir auf die Welt kommen, atmen wir instinktiv richtig: Wir atmen als Säugling bis tief in den Unterbauch, der sich dann herauswölbt. Diese Atmung nennt man deshalb auch Bauchatmung oder Zwerchfellatmung. Die Bauchatmung ist also die natürliche Form des Atmens, welche wir sehr häufig einfach verlernt haben. Nachfolgend zwei Darstellungen, die falsches (links) und richtiges Atmen (rechts) illustrieren:

Gibt es tiefer liegende Gründe für falsches Atmen?

Seelische Konflikte, die in uns schwelen und vielleicht verdrängt werden, haben oft negativen Einfluß auf unsere Atmung. Dies alles passiert im Unterbewußtsein. Manchmal kann dies nur durch die Lösung dieser Konflikte beseitigt werden, indem die Lebenssituation analysiert und positiv verändert wird (z. B. mit Hilfe der Psychotherapie).

Richtig atmen, besser leben

Die tiefe Bauchatmung hat viele positive Auswirkungen auf unser körperliches und seelisches Wohlbefinden, denn durch die Bauchatmung verbessern wir nicht nur unser seelisch-emotionales Gleichgewicht, sondern tun unserem Körper auch etwas Gutes: Die Organe werden so viel besser mit Sauerstoff versorgt und der Stoffwechsel funktioniert besser, Giftstoffe werden besser beseitigt, um nur einige Beispiele zu nennen.

verkrampfte Seele < => verkrampfter Körper <=> verkrampfte Seele

Was kann ich dafür tun, damit ich wieder richtig atme?

Es gibt viele Ansätze, wieder richtig Atmen zu lernen und die Atmung zu verbessern: Atemübungen, Meditation, Entspannungsübungen (z. B. Autogenes Training). Gute Erfahrungen habe ich mit Autogenem Training und Tai Chi gemacht. Weiterhin wäre hier Yoga zu nennen.

Immer von Vorteil ist es, regelmäßig Sport zu treiben oder sich einfach oft zu Bewegen (ein schöner langer Spaziergang tut es auch), denn wer fit ist, hat nicht das Gefühl, daß ihm schnell die Luft weg bleibt. Wer nur noch verkrampft herumsitzt, muß sich nicht wundern, wenn sein Körper aus dem Gleichgewicht gerät. Auch die Computerarbeit ist ziemlich "ungünstig" für ein entspanntes Körpergefühl: Muskeln werden sehr einseitig benutzt und belastet und verkrampfen schließlich - und dies fördert auch die falsche Atmung. Eine ständige Fehlhaltung der Wirbelsäule tut ihr übriges dazu. Also: Tue alles, was Deine Muskeln trainiert und eine aufrechte Haltung der Wirbelsäule fördert. Eine Churchill-Einstellung ("No sports!") ist da wohl ziemlich kontraproduktiv.

Fazit

Durch die natürliche, tiefe Bauchatmung lassen sich viele Streßsituationen und sogar Panikattacken meistern. Es gehört jedoch Geduld und Ausdauer dazu, das richtige Atmen wieder zu erlernen, aber ich denke, es lohnt sich.

Übrigens: Ab und zu erwischen mich leichtere Hyperventilationsanfälle/ Panikattacken noch heute, dann, wenn ich zu wenig auf mich Acht gebe. Dann wird mir wieder einmal bewußt: Unser Körper ist ein sehr guter Lehrmeister. Hören wir doch öfter auf ihn…

Atem-Trainer mit Android-App

Ich benutze seit geraumer Zeit eine Smartphone-App, mit der man das Atmen trainieren kann bzw. einfach nur entspannen. Die App ist nicht-kommerziell (kostet nichts) und untermalt auf Wunsch das Atmen sogar mit Musik und stimmigen Natur-Szenerien.

Breath2Relax läuft auf älteren Smartphones (Android 2 Gingerbread) genauso, wie auf aktuellen (Android 6 Marshmallow). Die App braucht ca. 45 MB Speicherplatz. Einfach im Google Play Store nach Breath2Relax suchen.

Literatur, Quellen

  1. Hyperventilation – Wenn der Atem rast (Dinah Bradley)
  2. Angstzustände und Panikattacken erfolgreich meistern (Shirly Trickett)
  3. Nur keine Panik! (Stefan Leidig)
  4. Der kranke Gesunde (Lieb/von Pein)
  5. Tai Chi Chuan (Toyo & Petra Kobayashi)
  6. Die Rückeroberung der Stille - Auswege aus Stress und Reizüberflutung (Harald Koisser)

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